TE Vfgh Erkenntnis 1986/9/25 V45/86, V46/86

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Veröffentlicht am 25.09.1986
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs4
StVO 1960 §94b
StVO 1960 §94f Abs1 lita Z3
Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 01.12.82. ZIII-15/30

Beachte

Kundmachung am 7. November 1986, LGBl. f. Tir. 40/1986; Anlaßfälle B949/85 und B787/85, beide vom 25. September 1986 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster VfSlg. 10600/1985

Leitsatz

V der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 1. Dezember 1982, soweit damit zwei Straßen teilweise zur Einbahnstraße erklärt wurden; entgegen §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 keine Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen betroffener Berufsgruppen; Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Verordnung

Spruch

Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 1. Dezember 1982, Z III-15/30, soweit die Franz-Reisch-Straße und die Schwarzsee-Straße bis zum Knoten Ecking zur Einbahnstraße erklärt wurden, war gesetzwidrig.

Die Tir. Landesregierung ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Tir. Landesregierung vom 29. Oktober 1984 wurde der Beteiligte wegen einer Verwaltungsübertretung nach §52 Z2 StVO 1960 bestraft, weil er am 13. Dezember 1982 als Lenker eines PKWs in Kitzbühel in die Schwarzsee-Straße - Franz-Reisch-Straße in Fahrtrichtung Rathausplatz trotz des gekennzeichneten Einfahrtverbotes eingefahren ist und dadurch den genannten Straßenzug in verbotener Richtung befahren hat. Gegen diesen Bescheid richtete sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene, zu B949/84 protokollierte Beschwerde, in welcher insbesondere geltend gemacht wird, daß die herangezogene Verordnung aus näher dargelegten Gründen gesetzwidrig sei.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Tir. Landesregierung vom 1. Juli 1985 wurde über die Beteiligte wegen einer Verwaltungsübertretung nach §53 Z10 StVO 1960 eine Geldstrafe verhängt, weil sie am 13. Dezember 1982 als Lenkerin eines PKW in Kitzbühel auf Höhe der Reisch-Kurve die Franz-Reisch-Straße, die als Einbahnstraße gekennzeichnet war, in verbotener Richtung befahren hat. Gegen diesen Bescheid richtete sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene, zu B787/85 protokollierte Beschwerde, in welcher insbesondere geltend gemacht wird, daß die herangezogene Verordnung aus näher dargelegten Gründen gesetzwidrig sei.

3. Die bezogene Verordnung hat im entscheidungsrelevanten Teil folgenden Wortlaut:

"Im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs im Stadtgebiet von Kitzbühel, insbesondere zur teilweisen Fernhaltung von Lärm- und Geruchsbelästigungen der Bewohner der Innenstadt werden von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel gemäß §43 StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960, i.g.F., nachstehende Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen angeordnet:

1) Erklärung folgender Straßenabschnitte im Stadtgebiet von Kitzbühel zur Einbahnstraße:

1.1) ...

1.2) ...

1.3) ...

1.4) Franz-Reisch-Straße und Schwarzsee-Straße bis zum Knoten Ecking."

In weiterer Folge enthält die genannte Verordnung noch weitere Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen, die Festlegung der Straßenverkehrszeichen, die jeweiligen Aufstellungsorte sowie das Inkrafttreten (11. Dezember 1982) und die Geltungsdauer (bis einschließlich 4. April 1983) der Verordnung.

Die gegenständliche Verordnung wurde jedoch bereits mit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 17. Dezember 1982, Z III-15/35, aufgehoben.

II. 1. Unter anderem aus Anlaß der Beschwerdesachen B949/84 und B787/85 leitete der VfGH gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel sowie gemäß Art140 Abs1 B-VG das Verfahren G80/86 und Folgezahlen zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §43 Abs1 litb StVO 1960 idF der Nov. BGBl. 412/1976 ein; er hob diese Gesetzesstelle mit dem Erk. vom 27. Juni 1986, G80/86 und Folgezahlen, als verfassungswidrig auf.

Im Unterbrechungsbeschluß vom 5. Juni 1986 hat der VfGH neben dem Bedenken, daß im Falle der Aufhebung der angeführten Bestimmung der Straßenverkehrsordnung die Rechtsgrundlage der in Prüfung gezogenen Verordnung entfiele, auch das Bedenken geäußert, daß die Verordnung wegen der Unterlassung der Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen nach §94f StVO 1960 gesetzwidrig zu sein scheint.

2. Sowohl die Tir. Landesregierung als auch die verordnungserlassende Behörde (Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel) gaben im Verordnungsprüfungsverfahren Äußerungen ab und verteidigten darin die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung. Im wesentlichen wurde in den Stellungnahmen darauf hingewiesen, daß die Verordnung nicht im §43 Abs1 litb StVO 1960 sondern vielmehr in §43 Abs2 StVO 1960 ihre gesetzliche Deckung finde. Weiters wurde angemerkt, daß sich die Verordnung im wesentlichen auf Beschlüsse des Gemeinderates der Stadt Kitzbühel betreffend Fußgängerzone und auf Besprechungen des Verkehrsausschusses der Stadt Kitzbühel, an denen auch Vertreter der gesetzlichen Interessenvertretungen (zB Kammer der gewerblichen Wirtschaft) teilgenommen haben, stütze. Diesem Umstand könne entnommen werden, daß die Interessenvertretungen ihre Vorstellungen und Einwände vorbringen konnten.

III. Der VfGH hat erwogen:

1. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist zulässig.

Die in Prüfung stehende Verordnung bildet, soweit die Franz-Reisch-Straße und die Schwarzsee-Straße bis zum Knoten Ecking zur Einbahnstraße erklärt wurden, eine der Rechtsgrundlagen der angefochtenen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Berufungsbescheide; sie ist demnach auch bei Fällung des Erkenntnisses über die von den Beteiligten ergriffenen Beschwerden gemäß Art144 Abs1 B-VG anzuwenden und somit in dieser Beschwerdesache präjudiziell iS des Art139 Abs1 Satz 1 B-VG.

2. Die Bedenken des VfGH sind begründet. §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 schreibt zwingend vor, daß die Bezirksverwaltungsbehörde (§94b StVO) vor Erlassung einer entsprechenden Verordnung - außer bei Gefahr im Verzuge - dann, wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe anzuhören hat (s. dazu VfSlg. 9818/1983, 7781/1976). Wird diese Anhörungspflicht verletzt, haftet der Verordnung ein formaler Mangel an. Sie ist - wegen Verstoßes gegen §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 - gesetzwidrig (vgl. VfSlg. 8086/1977).

Dies trifft hier wegen der verabsäumten Anhörung jeglicher gesetzlicher Interessenvertretungen zu.

Die von den beteiligten Behörden sinngemäß verfochtene Auffassung, daß sich die Verordnung im wesentlichen auf Beschlüsse des Gemeinderates der Stadt Kitzbühel betreffend Fußgängerzone und auf Besprechungen des Verkehrsausschusses der Stadt Kitzbühel, an denen auch Vertreter der gesetzlichen Interessenvertretungen teilgenommen haben, stütze und daher eine Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen nicht mehr notwendig sei, steht mit der Bestimmung des §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 nicht im Einklang. Die verordnungserlassende Behörde hätte die gesetzlichen Interessenvertretungen der betroffenen Berufsgruppen anhören müssen. Dies gilt auch dann, wenn diese gesetzlichen Interessenvertretungen bereits im Rahmen des Planungsausschusses der Stadt Kitzbühel angehört wurden.

Unter diesen Umständen - Gefahr im Verzug wurde nicht geltend gemacht und lag, wie der Akteninhalt zeigt, auch tatsächlich nicht vor - ergibt sich, daß die Verordnung nicht gesetzmäßig zustande kam.

3. Da die Verordnung, soweit die Franz-Reisch-Straße und die Schwarzsee-Straße bis zum Knoten Ecking zur Einbahnstraße erklärt wurden, schon aus diesem Grunde gesetzwidrig war, konnte von der Behandlung der weiteren, im Beschl. vom 5. Juni 1986, B949/84-6 und B787/85-8, dargelegten Bedenken abgesehen werden.

Da diese Verordnung mit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 17. Dezember 1982, Z III-15/35, aufgehoben wurde und daher nicht mehr dem Rechtsbestand angehört, hatte der VfGH gemäß Art139 Abs4 B-VG lediglich auszusprechen, daß die Norm gesetzwidrig war.

4. Die Verpflichtung der Tir. Landesregierung zur Kundmachung erfließt aus Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Straßenpolizei, Verkehrsbeschränkungen, Verordnungserlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:V45.1986

Dokumentnummer

JFT_10139075_86V00045_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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