TE Vfgh Erkenntnis 1986/9/26 A1/86

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Veröffentlicht am 26.09.1986
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Index

30 Finanzverfassung, Finanzausgleich
30/01 Finanzverfassung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z2
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art137 / Klage zw Gebietsk
MRK Art50
F-VG 1948 §2
VfGG §27
VfGG §41

Leitsatz

Art137 B-VG; Klage des Bundes gegen das Land Tir. wegen eines Ersatzanspruches; vom EuGH festgestellte Konventionsverletzung in einer Grundverkehrssache (Art6 MRK) und Verpflichtung der belangten Republik Österreich, der Bf. in der Grundverkehrssache gemäß Art50 MRK eine Entschädigung zu leisten; Betrag vorläufig vom Bund ausgelegt; Konventionsverletzung unterlief ausschließlich im Vollzugsbereich des Landes (Art15 Abs1 B-VG), das jedenfalls (auch) für Entschädigungen aufzukommen hat, die aus derartigen rechtswidrigen Vollzugsakten resultieren; Stattgebung der Klage, jedoch kein Kostenzuspruch, da die Kosten nicht ziffernmäßig verzeichnet waren

Spruch

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 100000 S samt 4% Zinsen seit 1. März 1985 binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Prozeßkosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Im Rechtsstreit der klagenden Partei Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, wider die beklagte Partei Land Tirol, vertreten durch den Landeshauptmann, wegen Zahlung eines Betrags von 100000 S sA - beim VfGH protokolliert zur Z A1/86 - wurde die Fällung des folgenden Urteils begehrt:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 100.000 S samt 4% Zinsen seit 1. März 1985 und die Kosten dieses Rechtsstreites binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen."

1.1.2. In der Klagserzählung heißt es ua.:

"Mit Urteil vom 22. Oktober 1984 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Beschwerdefall Viera Sramek gegen die Republik Österreich eine Verletzung des Art6 EMRK durch die Art der Zusammensetzung der Tiroler Landesgrundverkehrskommission festgestellt und der Beschwerdeführerin gemäß Art50 EMRK eine Entschädigungssumme von 100.000 S zugesprochen. Da sich das Land Tirol zur Bezahlung dieser Summe nicht bereit zeigte, hat das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten zur Wahrung des Ansehens der Republik Österreich diese Summe am 13. Februar 1985 vorläufig für das Land Tirol ausgelegt, der Beschwerdeführerin überwiesen und das Land Tirol mit Schreiben vom 26. Februar 1985 um Rückersatz ersucht. Der Rückersatzanspruch ist darin begründet, daß die Menschenrechtsverletzung, aus der sich die Ersatzpflicht ergab, im Vollzugsbereich des Landes erfolgte, woraus sich nach Auffassung des Bundes auf Grund des §2 F-VG die Kostentragungspflicht des Landes ergibt ..."

1.2.1. Das Land Tirol als beklagte Partei erstattete eine Klagebeantwortung und beantragte darin die kostenpflichtige Klagsabweisung.

1.2.2. Zur Begründung wurde ua. ausgeführt:

"... Nach §2 F-VG 1948 tragen der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt. Unter 'ihren Aufgaben' iS des §2 F-VG 1948 ist der Bereich der Vollziehung des Bundes und der Länder zu verstehen. Daher ist der Aufwand für die Aufgaben, die in die Vollziehung des Bundes fallen, grundsätzlich vom Bund, der Aufwand für die Vollziehung von Aufgaben, die in der Vollziehung Landessache sind, grundsätzlich von den Ländern zu tragen (in diesem Sinn etwa VfSlg. 935/1928, 2604/1953, 6617/1971, modifiziert durch VfSlg. 9507/1982).

Bei einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Republik Österreich handelt es sich um eine Sache der 'äußeren Angelegenheiten ...' iS des Art10 Abs1 Z2 B-VG, somit um eine Sache, die in die Vollziehungszuständigkeit des Bundes fällt. Auch die im Schreiben des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten vom 26. Februar 1985 angeführte völkerrechtliche Verpflichtung zur Bezahlung der der Beschwerdeführerin zugesprochenen Kosten spricht für diese Auffassung; das Land Tirol war mangels Völkerrechtsfähigkeit nicht am Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beteiligt.

Wenn man davon ausgeht, daß es sich um eine Angelegenheit der Vollziehungszuständigkeit des Bundes handelt, so ist - mangels einer anderen gesetzlichen Bestimmung - der Bund nach §2 F-VG 1948 zur Tragung der Kosten verpflichtet, auch wenn der Anlaßfall im Bereich der Vollziehung eines Landesgesetzes gelegen ist ...

Der (nicht amtlichen) deutschen Übersetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 22. Oktober 1984 ist zu entnehmen, daß der Tenor dieser Entscheidung dahin ging, daß der belangte Staat der Beschwerdeführerin 100.000 S für 'Kosten und Auslagen' ('costs and expenses') zu bezahlen hat, daß aber im übrigen der Antrag auf 'gerechte Entschädigung' ('just satisfaction') abgewiesen wurde. Bei den der Beschwerdeführerin zugesprochenen 'Kosten und Auslagen' handelt es sich daher nicht um eine Entschädigung, die ihr im Hinblick auf eine rechtswidrige Vollziehung landesrechtlicher Vorschriften zuerkannt wurde und die demnach vom Land zu leisten wäre. Die Verpflichtung, der obsiegenden Verfahrenspartei die ihr zugesprochenen 'Kosten und Auslagen' zu ersetzen, scheint im Gegensatz dazu den Bund zu treffen, weil es sich bei einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte über eine gegen die Republik Österreich gerichtete Beschwerde - wie bereits ausgeführt - um eine 'äußere Angelegenheit' iS des Art10 Abs1 Z2 B-VG handelt ..."

2. Über die Klage wurde erwogen:

2.1.1. Nach Art137 B-VG erkennt der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

2.1.2. Ein derartiger Anspruch wurde geltend gemacht. Die Klage ist darum zulässig.

2.2.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach mit Urteil vom 22. Oktober 1984 aus, daß - im Beschwerdefall der Viera Sramek gegen die Republik Österreich (5/1983/61/95) - die personelle Zusammensetzung der Tir. Landesgrundverkehrsbehörde in der dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Grundverkehrssache der Bf. die Bestimmung des Art6 MRK verletzt hatte. Zugleich wurde entschieden, daß die belangte Republik Österreich der Bf. gemäß Art50 MRK eine Entschädigung in der Höhe von 100000 S ("for costs and expenses") zu leisten habe. Dieser Betrag, den der Bf. zu bezahlen das Land Tir. sich weigerte, wurde - wie unbestritten blieb - vom Bund "in Wahrung des Ansehens der Republik Österreich" vorläufig ausgelegt.

Nach §2 F-VG haben der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften jenen Aufwand zu tragen, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt. Die Regelung des Verkehrs mit land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken (sog. Grundverkehr) steht nun gemäß Art15 Abs1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern zu (VfSlg. 2658/1954, 2820/1955, 4027/1961, 5375/1966): Die festgestellte Konventionsverletzung in der Grundverkehrssache der Bf. unterlief also ausschließlich im Vollzugsbereich des Landes (Tir.), das jedenfalls (auch) für Entschädigungen aufzukommen hat, die aus derartigen rechtswidrigen Vollzugsakten resultieren.

Die beklagte Partei wendet ein, es handle sich bei einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof um eine Sache der "äußeren Angelegenheiten" iS des Art10 Abs1 Z2 B-VG, die in die Vollziehungskompetenz des Bundes falle. Dies trifft zwar an sich zu, doch geht es hier nicht um eine prozessuale Kostenentscheidung im Straßburger Gerichtsverfahren, sondern um eine "gerechte Entschädigung" nach Art50 MRK, die der Europäische Gerichtshof der verletzten Partei des dortigen Prozesses - hier: die im Tir. Grundverkehrsverfahren verletzte Viera Sramek - unter bestimmten Voraussetzungen zubilligt. Daß im konkreten Fall "Entschädigung" - und nichts anderes darf der Europäische Gerichtshof in Handhabung des Art50 MRK zuerkennen - nur unter dem Aspekt der "Kosten und Auslagen" (in der Hauptsache für Aufwand vor österreichischen Behörden) gewährt und das Mehrbegehren abschlägig beschieden wurde, vermag daran nichts zu ändern: Zu einer spezifischen Prozeßkostenentscheidung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof - in welchem der Bund als Vertreter des Völkerrechtssubjekts Republik Österreich freilich alle Vertretungskosten zu tragen hatte (Art10 Abs1 Z2 B-VG) - wird das ("Entschädigungs-")Erkenntnis nach Art50 MRK dadurch nicht.

2.2.2. Zusammenfassend ergibt sich, daß der vom Bund eingeklagte Ersatzanspruch dem Grund und der Höhe nach zu Recht besteht; dem Klagebegehren war vollinhaltlich stattzugeben.

2.3. Kosten werden nicht zugesprochen, weil der obsiegende Kläger Kosten zwar begehrt, aber nicht ziffernmäßig verzeichnet hatte (vgl. VfSlg. 9280/1981). Wohl besagt §27 VerfGG 1953 idF der Nov. BGBl. 297/1984, daß "regelmäßig anfallende Kosten, insbesondere für den Antrag (die Beschwerde) und für die Teilnahme an Verhandlungen, nicht ziffernmäßig verzeichnet werden" müssen, doch bezieht sich diese Ergänzung des Gesetzes nach Wortlaut und Sinngehalt nicht auf Klagen nach §§37 ff. VerfGG 1953 (vgl. VfGH 1. Oktober 1984, A1/82).

Schlagworte

VfGH / Klagen, Entschädigung (Konventionsverletzung-MRK), Kompetenz Bund - Länder Grundverkehr, Finanzverfassung, Kompetenz Bund - Länder Äußere Angelegenheiten, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:A1.1986

Dokumentnummer

JFT_10139074_86A00001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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