TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/30 G314 2236486-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2020
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Entscheidungsdatum

30.11.2020

Norm

AVG §57 Abs1
BFA-VG §22a Abs3
BFA-VG §34 Abs3 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch

G314 2236486-1/10E

Schriftliche Ausfertigung des am XXXX.11.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, StA: Russische Föderation, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Martin SAUSENG, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.10.2020, Zl. XXXX, die Festnahme am XXXX.10.2020 und die Anhaltung in Schubhaft seit XXXX.10.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben. Die Festnahme des Beschwerdeführers, der Schubhaftbescheid vom XXXX.2020 und die bisherige Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von XXXX.2020 bis XXXX.2020 werden für rechtswidrig erklärt.

II. Es wird gemäß § 22a Abs 3 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen für die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG vorliegen.

III. Die Kostenersatzbegehren werden abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde von XXXX.2017 bis XXXX.2020 in österreichischen Justizanstalten in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten. Nach der Entlassung aus dem Strafvollzug wurde er aufgrund eines Festnahmeauftrags des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 34 Abs 3 Z 1 BFA-VG festgenommen, in das Polizeianhaltezentrum XXXX gebracht und dort durch einen Vertreter des BFA (unter anderem) zur Verhängung einer Sicherungsmaßnahme (Schubhaft oder gelinderes Mittel) vernommen.

Anschließend wurde mit dem Mandatsbescheid des BFA vom XXXX.10.2020, Zl. XXXX, über den BF gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde zusammengefasst damit begründet, dass der BF haftfähig sei und Fluchtgefahr vorliege, weil er zwischen 2011 und 2017 häufig Arbeitslosen- oder Krankengeld bezogen habe, weitgehend mittellos und nicht selbsterhaltungsfähig, sondern auf soziale Unterstützung angewiesen sei und im Bundesgebiet wegen massiver Delinquenz zu Freiheitsstrafen von insgesamt 44 Monaten verurteilt worden sei, was das öffentliche Interesse an der baldigen Durchführung der Abschiebung verstärke. Außerdem habe er sich bei einem Ausreiseversuch 2017 einer falschen Identität bedient und ein gefälschtes Reisedokument benutzt. Er halte sich seit der Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot am XXXX.2018 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sei aber trotzdem nicht ausreisewillig. Er habe keine eigene Unterkunftsmöglichkeit in Österreich. Obwohl seine Familienangehörigen hier lebten, bestünde kein der Abschiebung entgegenstehendes schützenswertes Privat- und Familienleben. Aus seiner fehlenden Verankerung und der Wohn- und Familiensituation könne auf ein beträchtliches Risiko des Untertauchens geschlossen werden. Die Anordnung der Schubhaft sei angesichts des hohen Stellenwerts eines geordneten Fremdenwesens verhältnismäßig; mit einem gelinderen Mittel könne nicht das Auslangen gefunden werden.

Mit der am 30.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eingebrachten Schubhaftbeschwerde macht der BF geltend, dass die Anordnung der Schubhaft, seine Festnahme und die Anhaltung in Schubhaft seit XXXX.2020 rechtswidrig seien. Die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft lägen nicht vor. Gleichzeitig beantragt er den Ersatz seiner Aufwendungen durch das BFA. Die Beschwerde wird im Wesentlichen damit begründet, dass das BFA ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt und Feststellungen getroffen habe, die nicht von den Ermittlungsergebnissen gedeckt seien. Der BF hätte schon während der Strafhaft zu der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft vorlägen, vernommen werden müssen. Da dies nicht erfolgt sei, seien die Voraussetzungen für seine Festnahme gemäß § 34 Abs 3 Z 1 BFA-VG, die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft nicht erfüllt. Es bestünde keine Fluchtgefahr, weil er im Bundesgebiet sozial und familiär verankert sei. Er sei als Minderjähriger gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern nach Österreich geflüchtet und habe in seinem Herkunftsstaat, der Russischen Föderation, keine Anknüpfungspunkte. Er könne bei seinen Eltern wohnen, die auch seinen Lebensunterhalt finanzieren würden. Er sei nie von Sozialleistungen abhängig gewesen, zumal es sich bei Arbeitslosen- und Krankengeld um gesetzlich vorgesehene Versicherungsleistungen handle. Er sei nach islamischem Ritus mit einer deutsch-russischen Doppelstaatsangehörigen verheiratet; auch das gemeinsame Kind verfüge über die deutsche Staatsangehörigkeit. Zur Abwendung der angenommenen Fluchtgefahr seien jedenfalls gelindere Mittel (Anordnung der Unterkunftnahme sowie der täglichen Meldung bei einer Polizeiinspektion) ausreichend. In Bezug auf die Straffälligkeit des BF sei seine bedingte Entlassung zu berücksichtigen. Trotz seiner Straffälligkeit gehe Aus dem dafür eingeholten forensisch-psychologischen Sachverständigengutachten gehe hervor, dass es zur Nachreifung seiner Persönlichkeit gekommen sei, sein Rückfallrisiko moderat sei und dass er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an Weisungen halten werde und ein familiäres Auffangnetz habe.

Den gleichzeitig mit der Beschwerde gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zog der BF in der Verhandlung vor dem BVwG zurück.

Das BFA übermittelte dem BVwG auftragsgemäß die Verwaltungsakten und erstattete eine Stellungnahme zur Schubhaftbeschwerde, in der deren Abweisung sowie der Ersatz der Aufwendungen begehrt werden. Das BFA weist darauf hin, dass der BF am XXXX.2020 in Ermangelung eines Wohnsitzes außerhalb einer Haftanstalt und aufgrund seiner Straftaten im Hinblick auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemäß § 34 Abs 3 Z 1 FPG zur Überprüfung einer möglichen Schubhaft festgenommen worden sei. Diese sei dann aufgrund der Angaben bei der Einvernahme am XXXX.2020 und dem restlichen Akteninhalt, insbesondere aufgrund des Ausreiseversuchs mit einem gefälschten Dokument und der fehlenden Ausreisewilligkeit des BF, als ultima ratio angeordnet worden. Aufgrund der beiden rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen und des Fehlens eines Wohnsitzes außerhalb einer Haftanstalt komme ein gelinderes Mittel nicht in Betracht. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der BF seine familiären Beziehungen zum Untertauchen nutzen würde. Mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats, der die russischen Behörden nach Identifizierung des BF bereits zugestimmt hätten, sei zu rechnen. Die für den XXXX.2020 geplante Abschiebung werde höchstwahrscheinlich durchgeführt werden können.

In seiner am 03.11.2020 beim BVwG eingebrachten Beschwerdeergänzung bringt der BF vor, dass sich seine positive Persönlichkeitsentwicklung und die Ausbildung von Normtreue auch daran zeigten, dass er den Plan eines Mithäftlings, eine bewaffnete Geiselnahme durchzuführen, gemeldet und so dazu beigetragen habe, dieses Vorhaben zu unterbinden.

Das BVwG führte am XXXX.2020 eine mündliche Verhandlung durch, an der der (aus der Schubhaft vorgeführte) BF, sein Rechtsvertreter, ein Vertreter des BFA sowie zunächst auch eine Dolmetscherin für Russisch teilnahmen. Letztere wurde kurz nach Beginn der Einvernahme des BF ob seiner Deutschkenntnisse entlassen. Nach dem Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet.

Der BF beantragte am 05.11.2020 die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

Feststellungen:

Der BF, ein aus Tschetschenien stammender, in XXXX geborener Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste als Minderjähriger gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in das Bundesgebiet ein, wo er (wie auch seine Familienangehörigen) am XXXX.2004 Asyl beantragte.

Mit dem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom XXXX.12.2006, Zl. XXXX, wurde dem BF (abgeleitet von seinem Vater) gemäß §§ 7, 10 AsylG 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Eine asylrelevante Verfolgung des BF selbst sei im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der BF lebte in Österreich zunächst in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern. Nach der Volks- und Hauptschule besuchte er die Polytechnische Schule.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde er wegen des Verbrechens des Raubes (§ 142 Abs 1 StGB) und der Vergehen des Diebstahls (§ 127 StGB) und der versuchten Nötigung (§§ 15, 105 StGB) zu einer zehnmonatigen, teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Den dreimonatigen, unbedingten Strafteil verbüßte er zwischen XXXX und XXXX in der Justizanstalt XXXX. Diese Verurteilung ist mittlerweile getilgt. Am XXXX.2011 wurde das deshalb gegen den damals noch minderjährigen BF eingeleitete Asylaberkennungsverfahren eingestellt.

Von Dezember 2011 bis Juni 2013 machte der BF eine Lehre zum XXXX, die er ohne Abschluss beendete. Danach bezog er Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe.

Im September 2013 verließ der inzwischen volljährige BF den gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern und wohnte von da an in eigenen Wohnungen in XXXX. 2014 lernte er eine in Deutschland lebende, aus Tschetschenien stammende russisch-deutsche Doppelstaatsangehörige kennen, die er am XXXX nach islamischem Ritus heiratete. Eine standesamtliche Eheschließung erfolgte nicht. Am XXXX kam der gemeinsame Sohn, der ebenfalls russischer und deutscher Staatsangehöriger ist, in Deutschland zur Welt. Die Partnerin und der Sohn des BF leben in Deutschland.

Der BF war von XXXX 2015 bis XXXX 2016 in einer XXXX in XXXX beschäftigt. Danach ging er keiner Erwerbstätigkeit mehr nach, sondern bezog Arbeitslosen- oder Krankengeld bzw. Notstandshilfe.

Im XXXX 2015 wurde dem BF ein Konventionsreisepass ausgestellt. 2016 versuchte er, in die Türkei einzureisen, um von dort in das syrische Kriegsgebiet zu gelangen, das damals zum Teil vom sogenannten „Islamischen Staat“ (IS), einer dschihadistisch-salafistischen Terrororganisation, deren Ziel die gewaltsame Errichtung eines Kalifats war, kontrolliert wurde. Das Vorhaben des BF scheiterte, weil er am Flughafen Istanbul wegen des Fehlens des für die Einreise in die Türkei benötigten Visums verhaftet wurde.

Der BF kehrte nach Österreich zurück. 2017 besorgte er sich im Internet einen gefälschten albanischen Reisepass und einen gefälschten albanischen Führerschein, beide lautend auf XXXX, geboren am XXXX, weil sein eigener Reisepass nicht mehr gültig war. Gemeinsam mit einem Mittäter versuchte er am XXXX.2017, unter Verwendung dieser Urkunden vom Flughafen XXXX nach Istanbul auszureisen, um von dort mit Unterstützung von Schleppern über die Grenze nach Syrien und in das damals vom IS kontrollierte Gebiet zu gelangen, um sich dem IS als Mitglied anzuschließen, dort zu leben und am bewaffneten Kampf durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Weise durch Stärkung der Gruppenmoral teilzunehmen. Dabei handelte er in dem Wissen, durch seine Beteiligung den IS oder dessen strafbare Handlungen zu fördern. Die Ausreise scheiterte, weil der BF und sein Mittäter bei Personenkontrollen am Flughafen XXXX angehalten wurden. Der BF wusste schon vor diesem Ausreiseversuch, dass der IS eine terroristische Vereinigung ist, die darauf ausgerichtet ist, dass ihre Mitglieder terroristische Straftaten begehen, und dass die Unterstützung des IS in Österreich gerichtlich strafbar ist.

Danach verließ der BF das Bundesgebiet und tauchte in Deutschland unter, wo er unangemeldet bei seiner Partnerin und dem gemeinsamen Kind Unterkunft nahm. Im XXXX 2017 kehrte er nach Österreich zurück, nachdem er erfahren hatte, dass er hier polizeilich gesucht wurde, und stellte sich den Strafverfolgungsbehörden. Er ging davon aus, dass er zwar möglicherweise den Status des Asylberechtigten, nicht aber seine Aufenthaltsberechtigung in Österreich schlechthin verlieren würde.

Der BF wurde am XXXX.2017 in Graz festgenommen und ab XXXX.2017 in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde er wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach §§ 15 Abs 1, 278 b Abs 2 StGB und der kriminellen Organisation nach §§ 15 Abs 1, 278 a zweiter Fall Z 1, 2 und 3 StGB sowie der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB und der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt, weil er versucht hatte, sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) am IS, einer terroristischen Vereinigung iSd § 278a Abs 3 StGB und kriminellen Organisation iSd § 278a StGB, zu beteiligen und falsche Urkunden (darunter einen inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellten albanischen Reisepass) im Rechtsverkehr zum Nachweis seines Rechts auf ungehinderte Reisebewegung und seiner Identität gebraucht hatte. Bei der Strafbemessung wurden als erschwerend das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen gewertet; mildernd wirkten der ordentliche Lebenswandel, der teilweise Versuch, die Selbststellung und das Geständnis bezüglich der Urkundendelikte. Der BF verbüßte die Freiheitsstrafe bis XXXX.2018 in der Justizanstalt XXXX, danach bis XXXX.2018 in der Justizanstalt XXXX und bis XXXX.2019 in der Justizanstalt XXXX.

Das BFA leitete 2018 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten gegen den BF ein. Mit dem Bescheid vom XXXX.03.2018 wurde der ihm 2006 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs 1 Z 1 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde ihm gemäß § 8 Abs 1 Z 2 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 6 und 9 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Mit dem Erkenntnis des BVwG vom 12.09.2018, W103 1302519-2, wurde die Beschwerde des BF gegen diesen Bescheid mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Rechtsgrundlagen der Rückkehrentscheidung laut Spruchpunkt IV. richtig § 10 Abs 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs 2 Z 3 FPG zu lauten haben. Die Asylaberkennung wurde damit begründet, dass der BF rechtskräftig wegen besonders schwerer Verbrechen iSd § 6 Abs 1 Z 4 AsylG verurteilt worden sei, aufgrund der Mitgliedschaft zu einer terroristischen Vereinigung gemeingefährlich sei und mangels eines Wohlverhaltenszeitraums in Freiheit nach dem Strafvollzug keine positive Zukunftsprognose erstellt werden könne, zumal er nach wie vor verharmlosende und widersprüchliche Aussagen in Bezug auf die damaligen Vorfälle tätige und unverändert als Gefährdung für die öffentliche Sicherheit eingestuft werde. Dem BF drohe in seinem Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 oder Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK. Es lägen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die gegen eine Abschiebung sprechen würden, zumal es ihm möglich und zumutbar sei, sich in einem anderen Teil der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus, z.B. in Moskau, anzusiedeln, weshalb ihm der Status eines subsidiär Schutzbedürftigen nicht zuzuerkennen sei. Die Voraussetzungen des § 57 AsylG seien nicht erfüllt. Das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiege das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet, sodass die Rückkehrentscheidung Art 8 EMRK nicht verletze. Weder seine in Österreich lebenden Angehörigen noch die Beziehung zu seinem Sohn und dessen Mutter hätten ihn von seiner Delinquenz abgehalten. Über den Schulbesuch hinausgehende maßgebliche Integrationsbemühungen lägen nicht vor. Aufgrund der Verurteilung des BF wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung seien die Tatbestände des § 53 Abs 3 Z 6 und 9 FPG erfüllt. Da sein Verhalten erst kurze Zeit zurückliege und er nach wie vor ein den öffentlichen Interessen widerstreitendes Naheverhältnis zum IS habe, sei ein unbefristetes Einreiseverbot auszusprechen.

Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision des BF wurde durch den Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom XXXX.12.2018, XXXX, zurückgewiesen.

Aufgrund eines vom BFA eingeleiteten Verfahrens zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments (Heimreisezertifikats) wurde der BF, der kein Reisedokument besitzt, am XXXX.2019 von den russischen Behörden als Staatsangehöriger der Russischen Föderation identifiziert und seiner Rückübernahme mit Gültigkeit bis XXXX.2019 zugestimmt.

Mit dem Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde die bedingte Entlassung des BF nach Verbüßung von zwei Dritteln der 20-monatigen Freiheitsstrafe am XXXX.2019 bewilligt. Unmittelbar nach der Entlassung aus der Strafhaft am XXXX.2019 wurde er jedoch wegen eines dringenden Tatverdachts verhaftet und neuerlich in Untersuchungshaft genommen.

Am XXXX.2019 erließ das BFA einen auf § 34 Abs 3 Z 1 BFA-VG gestützten Auftrag zur Festnahme des BF für den Fall seiner Entlassung aus der Untersuchungs- oder Strafhaft, weil die Voraussetzungen für Sicherungsmaßnahmen (Schubhaft gemäß § 76 FPG oder gelindere Mittel gemäß § 77 FPG) vorlägen und die Vorführung vor das BFA nicht aus anderen Gründen erfolge.

Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde er wegen der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde die zuvor gewährte bedingte Entlassung widerrufen. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass er in der Justizanstalt XXXX im Zeitraum Anfang XXXX bis XXXX.2019 gemeinsam mit einem anderen Insassen als Mittäter einem körperlich unterlegenen Mithäftling in einer Mehrzahl einzelner Angriffe (anfangs zweimal wöchentlich, zuletzt praktisch täglich) durch Schläge (teilweise auch in das Gesicht) und die Androhung weiterer Schläge mit schwerwiegenden Verletzungsfolgen Lebens- und Genussmittel im Gesamtwert von EUR 600, die dieser bei der Ausspeisung (Einkaufsmöglichkeit in der Justizanstalt) erworben hatte, mit Bereicherungsvorsatz abgenötigt hatte. Im selben Zeitraum hatte er außerdem versucht, das Raubopfer und einen weiteren Mithäftling durch Schläge und gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zur (in der Justizanstalt verbotenen) Mitnahme und Weitergabe von Mobiltelefonen, SIM-Karten und Zubehör zu nötigen, wobei es wegen der Weigerung der Opfer beim Versuch blieb. Bei der Strafbemessung wirkten das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen sowie die einschlägige Vorstrafe erschwerend, außerdem wurden der Einsatz von Gewalt und gefährlicher Drohung als Raub- und Nötigungsmittel sowie die Tatbegehung während der Haft als aggravierend angesehen. Als mildernd wurde gewertet, dass es bei der Nötigung beim Versuch blieb. Außerdem wurde dem BF als Hinweis auf eine positive Persönlichkeitsentwicklung und Ausbildung von Normtreue zugute gehalten, dass er den Plan eines Mithäftlings, eine bewaffnete Geiselnahme durchzuführen, gemeldet und so nach Maßgabe seiner Möglichkeiten zur Verhinderung dieses Vorhabens beigetragen hatte. Die Begehung mehrerer Raub- und Nötigungstaten während des Strafvollzugs machte den Widerruf der bedingten Entlassung notwendig.

Der BF verbüßte die Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX, wo er eine zufriedenstellende Arbeitsleistung (ab Jänner 2020 sogar als Vorarbeiter) erbrachte und grundsätzlich gut angepasst war, aber zwei Ordnungswidrigkeiten beging ( XXXX.2019: Besitz unerlaubter Gegenstände [Smartphone, Minihandy], XXXX.2019: Verweigerung der Durchsuchung durch einen Arzt wegen des Verdachts, er habe einen Gegenstand in seinem Körper versteckt). Er wurde schon seit XXXX 2018 von DERAD, einer Organisation zur Deradikalisierung und Extremismusprävention, im Rahmen regelmäßiger, von ihm gut angenommener Gesprächskontakte betreut. Während des Strafvollzugs hatte er (zuletzt durch Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie eingeschränkten) Kontakt zu seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Partnerin.

Das BFA hatte den Strafvollzugsbehörden auf entsprechende Anfragen hin wiederholt mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den BF nach der Entlassung aus der Justizanstalt in Schubhaft zu nehmen, und im Hinblick darauf um Bekanntgabe allfälliger Entlassungstermine gebeten, so z.B. mit Schreiben vom 14.12.2018, mit E-Mail vom 21.12.2018, mit Schreiben vom 01.02.2019, mit Schreiben vom 12.02.2019, mit Schreiben vom 23.12.2019. Am 23.12.2019 informierte die Justizanstalt XXXX das BFA über die Übernahme des BF in Strafhaft, das errechnete Strafende am XXXX.2021 sowie die Termine für seine allfällige bedingte Entlassung nach der Verbüßung der Hälfte und von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe am XXXX.2020 bzw. am XXXX.2020.

Nachdem ein forensisch-psychologisches Sachverständigengutachten vom XXXX.2020 ergeben hatte, dass der BF durch die bedingte Entlassung zum Zwei-Drittel-Stichtag mit Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten werde und eine extremistische Ideologie nicht mehr festgestellt werden könne, wurde seine bedingte Entlassung per XXXX.2020 mit dem Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX, bewilligt. Gleichzeitig wurde für die dreijährige Probezeit die Bewährungshilfe angeordnet und dem BF die Weisung erteilt, eine Antiaggressionstherapie und eine Gesprächstherapie mit DERAD zu absolvieren.

Der BF wurde gemäß § 148 Abs 2 StVG am XXXX.2020 aus der Strafhaft entlassen. Nach seiner vom BFA angeordneten Festnahme und der anschließenden Einvernahme zu den Schubhaftvoraussetzungen wurde mit Mandatsbescheid vom selben Tag über ihn gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Seither wird er in Schubhaft angehalten, die jedenfalls bis XXXX.2020 im Polizeianhaltezentrum XXXX vollzogen wurde.

Das BFA leitete am 28.08.2020 ein weiteres Verfahren zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments (Heimreisezertifikats) für den BF ein. Üblicherweise wird in vergleichbaren Fällen ein Heimreisezertifikat innerhalb von drei Monaten ausgestellt. Die Abschiebung des BF in die Russische Föderation ist für den XXXX.2020 geplant und wird voraussichtlich plangemäß durchgeführt werden können.

Beim BF bestehen keine signifikanten gesundheitlichen Probleme; er ist uneingeschränkt haftfähig. Er verharmlost die seinen Verurteilungen zugrunde liegenden Taten nach wie vor. Er will in Österreich bleiben und ist nicht bereit, freiwillig in die Russische Föderation zurückkehren.

Bei einer Entlassung aus der Haft könnte der BF in der Wohnung seiner Eltern in XXXX Unterkunft nehmen, die auch für seinen Lebensunterhalt aufkommen würden. Aufgrund der Arbeit während des Strafvollzugs hat er eigene Barmittel von EUR 780.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unstrittigen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Insoweit bestehen keine entscheidungswesentlichen Widersprüche. Da der BF fast seine gesamte Ausbildung in Österreich absolvierte und vor dem BVwG ohne Dolmetsch vernommen werden konnte, ist von sehr guten Deutschkenntnissen auszugehen.

Die Feststellungen basieren auf den vorliegenden Beweisergebnissen, insbesondere den Angaben des BF in der Verhandlung vom XXXX.11.2020. Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Geburtsort des BF beruhen auf seinen konsistenten Angaben dazu und finden sich auch so in den Strafurteilen und öffentlichen Registern.

Die Feststellungen zum Asylverfahren und zur Asylaberkennung werden anhand der dazu vorgelegten Aktenbestandteile und des Erkenntnisses des BVwG vom 12.09.2018 getroffen. Die Angaben des BF in der Verhandlung am XXXX.11.2020 sowie die Eintragungen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) stehen damit in Einklang; bei der Verhandlung am XXXX.11.2020 wurden keine Einwendungen gegen die Zusammenfassung (Seite 3 der Niederschrift OZ 7) erhoben. Laut ZMR bestehen seit XXXX (abgesehen vom Zeitraum XXXX bis XXXX.2017) Wohnsitzmeldungen des BF im Inland.

Die Feststellungen zum Familienleben des BF und zu seiner Schul- und Berufsausbildung in Österreich beruhen auf seinen glaubhaften Angaben vor dem BFA und dem BVwG sowie auf seinen im Gutachten vom XXXX.2020 wiedergegebenen Angaben gegenüber der psychologischen Sachverständigen. Seine Erwerbstätigkeit und der Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor.

Die erste Verurteilung des BF, die nicht mehr im Strafregister aufscheint und somit inzwischen getilgt wurde, sowie der Vollzug des unbedingten Strafteils werden im Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX dargestellt.

Die Aussage des BF, er habe in eigenen Wohnungen gewohnt, nach dem er volljährig geworden war, wird durch die Wohnsitzmeldungen laut ZMR bestätigt. Seine Beziehung zu einer deutsch-russischen Staatsangehörigen und die Geburt des gemeinsamen Sohnes werden anhand der konsistenten Angaben des BF dazu (z.B. bei seiner Einvernahme vor dem BFA am XXXX.2020) festgestellt. Wenngleich sich das Paar zwischendurch offenbar getrennt hatte (vgl. BVwG-Erkenntnis vom 12.09.2018, Seite 16), ist aufgrund der Angaben des BF vor der psychologischen Sachverständigen und vor dem BVwG davon auszugehen, dass er mittlerweile wieder in regelmäßigem, zumindest telefonischen Kontakt zu seiner Partnerin steht. Für die Frage der Schubhaft kann es letztlich dahingestellt bleiben, ob die Beziehung, die bei der Erlassung des Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots ohnedies berücksichtigt wurde (siehe insbesondere BVwG-Erkenntnis vom 12.09.2018, Seiten 69 und 75), aufrecht ist, weil dafür lediglich die soziale Verankerung in Österreich maßgeblich ist und die Partnerin und das Kind des BF unstrittig in Deutschland leben.

Der dem BF 2015 ausgestellte Konventionsreisepass ist im IZR dokumentiert. Die Feststellungen zum ersten Ausreiseversuch 2016, der auch im Erkenntnis des BVwG vom 12.09.2018 erwähnt wird (vgl. Seite 54), basieren Angaben des BF dazu in der Verhandlung am XXXX.11.2020, in der er zugab, dass er schon damals die Absicht hatte, in das syrische Kriegsgebiet weiterzureisen. Seine Darstellung, wonach er zu touristischen Zwecken in die Türkei reisen wollte und im syrischen Kriegsgebiet nur schauen wollte, „was da so los ist“, weil auch schon Schulkollegen dorthin gereist seien, zeigt, dass er sein Naheverhältnis zum IS nach wie vor bagatellisiert. Es wäre aber lebensfremd anzunehmen, er habe aus bloßer Neugier, ohne dschihadistisch-salafistischen Hintergrund die hochriskante Reise in ein Kriegsgebiet unternehmen wollen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der BF dem IS und dessen Ideologie schon damals nahestand und der Ausreiseversuch im XXXX 2017 keine Kurzschlusshandlung, sondern das Ergebnis eines längeren Radikalisierungsprozesses war. Dafür spricht neben dem Umstand, dass er zwei Mal versuchte, in vom IS beherrschtes Territorium zu gelangen, auch, dass er vor dem BVwG erklärte, er habe 2016 und 2017 eine Phase gehabt, in der er „das“ (gemeint offenbar: die Unterstützung des IS) wollte (siehe Niederschrift OZ 7, Seite 6).

Die Feststellungen zum zweiten Ausreiseversuch 2017, der angestrebten Beteiligung als Mitglied am IS und die Verwendung gefälschter Urkunden folgen dem Strafurteil des Landesgerichts XXXX und der Schilderung des BF vor dem BVwG.

Der BF versuchte wenig überzeugend, die folgende Ausreise nach Deutschland mit dem Zusammenleben mit seiner Partnerin und seinem Sohn zu erklären. Es ist aber davon auszugehen, dass er sich dadurch der Strafverfolgung in Österreich (zunächst) entziehen wollte, weil er schon vor dem Ausreiseversuch wusste, dass die Unterstützung des IS in Österreich gerichtlich strafbar ist (Urteil des Landesgerichts XXXX, Seite 5), nach eigenen Angaben (Seite 8 der Niederschrift OZ 7) kein gültiges Reisedokument mehr hatte, sich unangemeldet in Deutschland aufhielt und sein Wohnsitz in XXXX laut ZMR am XXXX.2017 amtlich abgemeldet werden musste. Der Schilderung des BF über seine Rückkehr nach Österreich kann dagegen gefolgt werden, weil die Selbststellung auch im Urteil des Landesgerichts XXXX berücksichtigt wurde. Die Feststellung, dass der BF dabei davon ausging, dass sein Aufenthalt in Österreich weiterhin rechtmäßig sein würde, basiert auf seinen Angaben vor dem BVwG (Niederschrift OZ 7, Seite 9: „Er hat mir schon damals, als ich mich gestellt habe, gesagt, dass ich zwar meinen Flüchtlingsstatus bei einer Verurteilung nicht behalten würde, dass es aber die Möglichkeit von subsidiärem Schutz gäbe.“), zumal er auch nach der Erlassung einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme noch annimmt, er könne seinen Aufenthalt vom Inland aus legalisieren (siehe Niederschrift OZ 7, Seite 8).

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF, die zugrundeliegenden Taten und die Strafbemessungsgründe ergeben sich aus dem Strafregister und den vorliegenden Strafurteilen. Die Beschlüsse des Landesgerichts XXXX über die bedingte Entlassung vom XXXX und vom XXXX liegen vor. Der Strafvollzug ergibt sich aus den vorgelegten Vollzugsinformationen und den Wohnsitzmeldungen des BF in Justizanstalten laut ZMR.

Die Identifizierung des BF als Staatsangehöriger der Russischen Föderation und die 2019 befristet erteilte Zustimmung zur Rückübernahme werden anhand des entsprechenden, vom BFA vorgelegten Schreibens der russischen Behörden und der damit im Einklang stehenden IZR-Eintragung festgestellt.

Der Festnahmeauftrag vom XXXX.2019 sowie der Schriftverkehr zwischen dem BFA und den Strafvollzugsbehörden werden aufgrund der entsprechenden vorgelegten Aktenbestandteile festgestellt.

Die Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX.2020 samt gerichtlicher Bewilligung liegt vor, ebenso das Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX. Der BF legte mit der Beschwerdeergänzung die Rechtsmittelentscheidung des XXXX vom XXXX vor, aus der die (im Vergleich zur erstinstanzlichen Entscheidung zum Teil modifizierten) Strafbemessungsgründe hervorgehen. Zum Beweis, dass er die geplante Geiselnahme gemeldet habe, legte der BF auch einen (undatierten) Zeitungsbericht vor.

Das Vollzugsverhalten des BF in der Justizanstalt XXXX wird im Sachverständigengutachten vom XXXX.2020, das der BF mit der Beschwerde vorlegte, wiedergegeben. Das Schreiben der Justizanstalt vom 23.12.2019 über mögliche Entlassungstermine wurde vom BFA vorgelegt. Die Entlassung des BF aus der Strafhaft, die anschließende, vom BFA angeordnete Festnahme und die Anordnung der Schubhaft ergeben sich ebenfalls aus den vorgelegten Akten. Laut ZMR war der BF bis XXXX.2020 in der Justizanstalt XXXX und anschließend im Polizeianhaltezentrum XXXX gemeldet.

Das im XXXX 2020 neuerlich eingeleitete Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats ist im IZR dokumentiert. Bei der Verhandlung am XXXX.11.2020 schilderte der anwesende Behördenvertreter dessen Erfolgsaussichten, den geplanten Abschiebetermin und dessen voraussichtliche Durchführbarkeit schlüssig und nachvollziehbar.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF basieren auf seinen Angaben bei der Verhandlung vor dem BVwG. Es sind keine Hinweise auf signifikante Erkrankungen oder Einschränkungen seiner Haftfähigkeit aktenkundig.

Der Umstand, dass der BF auch die Taten, die seiner letzten Verurteilung zugrunde lagen, nach wie vor verharmlost, ergibt sich aus dem Gutachten vom XXXX.2020. Auch vor dem BVwG tat er die über mehrere Monate fortgesetzten Raub- und Nötigungshandlungen, die eine zweijährige Freiheitsstrafe zur Folge hatten, als „Missverständnis“ mit einem Mitgefangenen ab.

Die Feststellungen zur fehlenden Ausreisewilligkeit basieren auf der Aussage des BF vor dem BVwG am XXXX.11.2020 („Nein, ich bin seit meinem 8. Lebensjahr in Österreich. Meine ganze Familie bis zu meiner Großmutter leben hier. Ich habe keinerlei Verbindungen nach Tschetschenien oder in andere Teile Russlands.“, Seite 5 der Niederschrift OZ 7).

Es ist plausibel und lebensnah, dass die Eltern des BF bereit sind, ihm in ihrer (offenbar ausreichend großen) Wohnung in XXXX Unterkunft zu gewähren und (zumindest vorübergehend) für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, wie er dies vor dem BVwG schilderte. Die eigenen finanziellen Mittel des BF, die angesichts seiner Arbeit während des Strafvollzugs glaubhaft sind, gehen aus dem Auszug aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung hervor.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A):

§ 22a BFA-VG mit der Überschrift „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ lautet:

„(1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 FPG lautet:

„(1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art 28 Abs 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs 2 und Art 28 Abs 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs 8 und § 12 Abs 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Nach § 80 Abs 1 FPG ist das BFA verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Sie darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

Zu Spruchpunkt I.:

Für die Beurteilung, ob ein Mandatsbescheid vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 57 Abs 1 AVG vorlagen und sich die Behörde daher mit Recht auf diese Gesetzesstelle stützen durfte. Maßgebend ist allein, ob der Bescheid sich unmissverständlich auf diese Gesetzesstelle gestützt hat. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Mandatsbescheides sind unter anderem die Erwähnung des § 57 Abs 1 AVG (im Spruch oder in der Begründung), Ausführungen (bzw. das Fehlen derselben) in der Begründung, weshalb das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Mandatsbescheides als gegeben erachtet wird, sowie das Fehlen eines Ermittlungsverfahrens vor Bescheiderlassung (VwGH 23.10.2015, Ra 2015/02/0029).

Da der Bescheid des BFA vom XXXX.10.2020, mit dem die Schubhaft angeordnet wurde, als „Mandatsbescheid“ bezeichnet ist und § 57 Abs 1 AVG sowohl im Spruch als auch in der Begründung erwähnt wird, liegt ein Mandatsbescheid vor, auch wenn der BF vor der Bescheiderlassung vernommen wurde.

Da er unmittelbar davor mehr als 30 Monate lang durchgehend in Haft war, durfte Schubhaft gemäß § 76 Abs 4 FPG nicht mit Mandatsbescheid angeordnet werden. Das BFA hätte den BF bereits während der der Schubhaft vorangehenden, nicht bloß kurzfristigen Strafhaft zu den Schubhaftvoraussetzungen einvernehmen müssen. Die auf § 34 Abs 3 Z 1 BFA-VG gestützte Festnahme, der als Mandatsbescheid erlassene Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft bis XXXX.2020 erweisen sich daher als rechtswidrig.

Das BVwG verkennt nicht, dass für das BFA ein besonderer Zeitdruck für die Durchführung des gebotenen Ermittlungsverfahrens bestand, zumal der Beschluss über die gemäß § 148 Abs 2 StVG schon am XXXX.2020 vorzunehmende bedingte Entlassung erst am XXXX.2020 gefasst wurde. § 76 Abs 4 FPG normiert jedoch für solche Fälle keine Ausnahme, zumal das BFA schon nach der Rechtskraft der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den BF die Anordnung der Schubhaft beabsichtigte und auch bereits Ende 2019 über den möglichen Entlassungstermin nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe (der gemäß § 46 Abs 2 StGB grundsätzlich den Regelfall bildet) am XXXX.2020 in Kenntnis gesetzt worden war. Es ist daher (trotz der gebotenen Aktualität der Einvernahme des BF zu den Schubhaftvoraussetzungen) nicht nachvollziehbar, dass das Ermittlungsverfahren erst nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug durchgeführt wurde.

Da die Schubhaft gegen den BF nicht mit Mandatsbescheid angeordnet werden durfte und seine vorherige Einvernahme dazu geboten war, lagen zum Zeitpunkt seiner Festnahme die Voraussetzungen für Sicherungsmaßnahmen nach §§ 76 f FPG nicht vor, sodass seine Festnahme gemäß § 34 Abs 3 Z 1 FPG nicht zulässig war.

Zu Spruchpunkt II.:

Bei der Beurteilung des Fortsetzungsausspruchs nach § 22a Abs 3 FPG hat das BVwG die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft – unabhängig von der Frage ihrer bisherigen Rechtmäßigkeit – nach allen Richtungen zu prüfen, auf Basis der aktuellen Sach- und Rechtslage in der Sache zu entscheiden und gegebenenfalls einen neuen Schubhafttitel zu schaffen (VwGH 16.05.2019, Ra 2018/21/0122). Dabei besteht keine Bindung an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen.

Die vorzunehmende Beurteilung nach § 22a Abs 3 BFA-VG ergibt hier, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die für die Fortsetzung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, weil sich nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens und Einvernahme des BF ergeben hat, dass Fluchtgefahr besteht und die Schubhaft verhältnismäßig ist. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 FPG durch seinen Aufenthalt wäre nur für den Schubhafttatbestand des § 76 Abs 2 Z 1 FPG (Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) maßgeblich, nicht aber für die hier angeordnete Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG.

Die Beschwerde weist zu Recht darauf hin, dass die Annahme der Behörde, der Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs 3 Z 9 FPG sei verwirklicht, angesichts der nicht unbeachtlichen Verankerung des BF in Österreich und insbesondere der Wohnmöglichkeit bei seinen Eltern nicht zutrifft, auch wenn das vorhandene familiäre Netz allenfalls auch einen Aufenthalt im Verborgenen ermöglichen würde (siehe zu einer ähnlichen Konstellation VwGH 28.05.2020, Ra 2019/21/0336).

Das Verhalten des BF verdeutlicht aber, dass trotz dieser sozialen Integration in Österreich von erheblicher Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 3 Z 3 FPG auszugehen ist. Er ist nicht ausreisewillig und möchte trotz Erlassung einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Bundesgebiet verbleiben. Da er vor der Haft versuchte, (schlepperunterstützt) in das syrische Kriegsgebiet auszureisen, obwohl er eine (durch eine religiöse Trauung bestärkte) Partnerschaft hatte und Vater geworden war, sich dafür beim zweiten Versuch gefälschte Dokumente (insbesondere einen gefälschten Reisepass) beschaffte und verwendete und sich der Strafverfolgung in Österreich zunächst durch die Ausreise nach Deutschland ohne gültiges Reisedokument entzog, ist konkret zu befürchten, dass er sich ohne Schubhaft der bevorstehenden Abschiebung entziehen oder diese wesentlich erschweren würde. Der Umstand, dass er Ende 2017 letztlich freiwillig aus Deutschland zurückkehrte und sich den Strafverfolgungsbehörden stellte, führt zu keiner anderen Beurteilung, weil er damals erwartete, nach einer allfälligen Verurteilung weiterhin rechtmäßig in Österreich bleiben zu können. Da mittlerweile gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot besteht, liegt vor dem Hintergrund der fehlenden Ausreisewilligkeit des BF ein entsprechend hoher Anreiz vor, sich der Abschiebung durch Untertauchen zu entziehen, zumal er in der Vergangenheit eine hohe Mobilität an den Tag gelegt und bewiesen hat, dass er bereit ist, zur Durchsetzung seiner Interessen Rechtsnormen (auch betreffend die Ein- und Ausreise sowie den Aufenthalt) zu missachten.

Die Schubhaft ist verhältnismäßig, weil das BFA – wenn auch relativ spät – noch während der Strafhaft des BF die Beschaffung eines Reisedokuments für ihn in die Wege leitete und bereits ein zeitnaher Abschiebetermin feststeht. Aufgrund der Covid-19-Pandemie und der damit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen wäre eine frühere Abschiebung nicht möglich gewesen. Da der BF bereits als russischer Staatsangehöriger identifiziert wurde und der Termin für die Abschiebung fixiert wurde, besteht ein gesteigertes öffentliches Interesse an der Effektuierung der Außerlandesbringung (vgl. VwGH 29.06.2017, Ra 2017/21/0065).

Aufgrund der gravierenden Delinquenz des BF besteht ein besonders großes öffentliches Interesse an der baldigen Durchsetzung der Abschiebung iSd § 76 Abs 2a FPG, das sein Interesse am Schutz seiner persönlichen Freiheit überwiegt. Derzeit kann trotz der zuletzt positiven Persönlichkeitsentwicklung des BF und des Umstands, dass vor seiner bedingten Entlassung keine extremistische Ideologie mehr feststellbar war, noch nicht vom Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden, durch die strafgerichtlichen Verurteilungen indizierten Gefährlichkeit ausgegangen werden, auch wenn er nach der letzten Verurteilung mit den Behörden kooperierte, um eine Geiselnahme in der Justizanstalt zu verhindern. Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist nämlich grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dieser Zeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich seine Gefährlichkeit - etwa in Hinblick auf das den strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegende Verhalten und den raschen Rückfall - manifestiert hat (siehe zuletzt VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184). Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass der BF zunächst schwerwiegende Straftaten gegen den öffentlichen Frieden beging, indem er sich einer dschihadistisch-salafistischen Terrororganisation als Mitglied anschließen wollte, und noch während der deshalb verhängten Haft rückfällig wurde und Gewaltdelikte gegen Mithäftlinge setzte. Auch aus seiner bedingten Entlassung ergibt sich nicht, dass seine Gefährlichkeit in fremdenrechtlicher Hinsicht nun nicht mehr gegeben ist (vgl. VwGH 20.12.2012, 2011/23/0674), zumal er seine Straftaten nach wie vor bagatellisiert.

Zu Spruchpunkt III.:

Nach dem gemäß § 22a Abs 1a BFA-VG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG hat die vollständig obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei (vgl. VwGH vom 27.04.2020, Ra 2020/21/0116).

Da das BFA hinsichtlich des Spruchpunkts I., der BF dagegen hinsichtlich des Ausspruchs nach § 22a Abs 3 BFA-VG laut Spruchpunkt II. - und somit hinsichtlich eines Teils der vom BVwG zu beurteilenden Schubhaft - als unterlegen zu betrachten ist, obsiegt hier keine Partei vollständig, was einem Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG entgegensteht (vgl. VwGH 26.04.2018, Ra 2017/21/0240).

Zu Spruchteil B):

Da sich das BVwG auf höchstgerichtliche Entscheidungen berufen kann und keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu klären ist, besteht kein Grund, die Revision zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Festnahme Interessenabwägung Kostenersatz öffentliche Interessen Rechtswidrigkeit Schubhaft Schubhaftbeschwerde Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2236486.1.00

Im RIS seit

04.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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