TE Vfgh Erkenntnis 1986/10/13 B42/85

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Veröffentlicht am 13.10.1986
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
MRK Art11
DSt 1872 §2
RAO §5

Leitsatz

Disziplinarstatut 1872; RAO; keine Bedenken gegen §5 RAO; Erk. der OBDK, mit dem der Bf. des Disziplinarvergehens der Verletzung der Ehre des Standes schuldig erkannt wurde; keine Willkür

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Aufgrund einer am 10. November 1980 von einer Privatperson an den Disziplinarrat der Sbg. Rechtsanwaltskammer erstatteten Anzeige, wonach ein vom Bf. in einem Ehescheidungsverfahren vertretener Klient am 16. September 1980 unter Beiziehung eines Schlossers und eines Konzipienten des Bf. in die der Ehefrau vorläufig zugewiesene Wohnung eingedrungen sei und weiters seine 17jährige Tochter aufgefordert habe, das von ihr benützte Zimmer unverzüglich zu räumen, beantragte Rechtsanwalt Dr. O W in seiner Eigenschaft als Kammeranwalt mit Schreiben vom 28. November 1980 beim Disziplinarrat der Sbg. Rechtsanwaltskammer die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Bf. und die Bestellung eines Untersuchungskommissärs. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß dem Kammeranwalt die anwaltliche Intervention bei einer faktischen Gewalthandlung, das gewaltsame Öffnen der Tür der ehelichen Wohnung und die gewaltsame Ausweisung der eigenen ehelichen Tochter als "bedenklich" erscheine.

Nachdem der Bf. Kenntnis vom Schreiben des Kammeranwaltes an den Disziplinarrat erlangt hatte, richtete er am 7. April 1981 ein Schreiben an den Kammeranwalt, in dem er darauf hingewiesen hat, daß der erstatteten Anzeige eine "Gewalthandlung" nicht zu entnehmen sei und daß ihn der Kammeranwalt wissentlich falsch einer unehrenhaften oder den guten Sitten widersprechenden Handlung bezichtigt habe. Er fordere daher den Kammeranwalt auf, innerhalb von 3 Tagen eine diesem Schreiben beigefügte Ehrenerklärung zu unterfertigen, widrigenfalls er die Privatanklage einbringen würde.

b) Da die vom Bf. begehrte Ehrenerklärung nicht abgegeben wurde, brachte er wegen dieses Sachverhaltes bei der Staatsanwaltschaft Sbg. zu 7 St 4127/81 eine Strafanzeige wegen §297 StGB gegen den Kammeranwalt ein. Das Strafverfahren wurde gemäß §90 StPO eingestellt.

c) Gleichzeitig hat der Bf. gegen den Kammeranwalt wegen des gleichen Sachverhaltes beim BG Sbg. zu 27 U 972/81 eine Privatanklage eingebracht. Von dieser wurde der Kammeranwalt mit Urteil des BG Sbg. vom 31. März 1982 gemäß §259 Z2 StPO freigesprochen.

2. Mit Erk. vom 12. Oktober 1983 hat der Disziplinarrat der Sbg. Rechtsanwaltskammer den Bf. des Disziplinarvergehens der Verletzung des Standesansehens schuldig erkannt,

"begangen dadurch, daß er

a) am 7. April 1981 an Rechtsanwalt Dr. O W als Kammeranwalt einen Brief nicht zur persönlichen Öffnung mit einer Fristsetzung von 3 Tagen und einer Aufforderung zur Abgabe einer Ehrenerklärung im Zusammenhang mit der Ausübung seines Amtes als Kammeranwalt gerichtet hat, wobei die Einbringung einer Privatanklage angedroht wurde;

b) im Jahre 1981 gegen Rechtsanwalt Dr. O W im Zusammenhang mit der Ausübung seines Amtes als Kammeranwalt bei der Staatsanwaltschaft Salzburg zu 7 St 4127/81 eine Strafanzeige wegen des Verdachtes des Vergehens der Verleumdung tatsächlich eingebracht hat;

c) am 20. April 1981 zu 27 U 972/81 des Bezirksgerichtes Salzburg gegen Rechtsanwalt Dr. O W eine Privatanklage im Zusammenhang mit der Ausübung seines Amtes als Kammeranwalt eingebracht hat, wobei er deren Aussichtslosigkeit hätte erkennen müssen".

Der Bf. wurde hiefür zu einer Geldbuße in der Höhe von 25000 S und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt. Von sonstigen weiteren Anschuldigungen wurde der Bf. freigesprochen.

3. Der vom Bf. gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates erhobenen Berufung hat die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) mit Erk. vom 17. September 1984 nicht Folge gegeben. Das Erkenntnis wurde mit der Maßgabe bestätigt, daß im Schuldspruch (I/2/a) zweite Zeile von oben die Worte "nicht zur persönlichen Öffnung" zu entfallen haben.

Der Bf. wurde zur anteiligen Kostentragung des Berufungsverfahrens verhalten.

4. Gegen das Erkenntnis der OBDK richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Der Bf. behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf "Gleichheit aller Bundesbürger vor dem Gesetz verletzt" worden zu sein. Mit der Anregung, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des 2. Halbsatzes des §2 des Disziplinarstatutes (Gesetz vom 1. April 1872, RGBl. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter) wegen eines Widerspruchs zu Art7 MRK und zu Art18 B-VG sowie zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §5 der Rechtsanwaltsordnung (Gesetz vom 6. Juli 1868, RGBl. 96, in der geltenden Fassung) einzuleiten, wird der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Soweit der Bf. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des zweiten Halbsatzes des §2 DSt ("... oder welcher in- oder außerhalb seines Berufes durch sein Benehmen die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt") geltend macht, wird auf die Ausführungen in dem an ihn ergangenen Erk. VfSlg. 11007/1986 verwiesen.

Unter Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im sog. "Closed-Shop" Fall bringt der Bf. vor, er sei der Überzeugung, daß "die Zwangsmitgliedschaft zu einer Kammer der Menschenrechtskonvention widerstreitend und damit verfassungswidrig" sei. Es wird (zwar mit den Worten "ausdrücklich beantragt") angeregt, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §5 der Rechtsanwaltsordnung einzuleiten, "da die dort normierte Zwangsmitgliedschaft den Grundsätzen der Menschenrechtskonvention" widerstreite.

Der VfGH sieht jedoch hiezu keine Veranlassung.

Der Bf. legt nicht näher dar, aus welchen Erwägungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Regelung über eine Zwangszugehörigkeit zu einer beruflichen Interessenvertretung (Kammer) mit der MRK, insbesondere mit Art11 MRK, nach dem alle Menschen das Recht haben, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten, in Widerspruch stehen sollte. Die Voraussetzungen, unter denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der angeführten Entscheidung einen Widerspruch zu Art11 MRK erblickt hat, nämlich wegen der Gewährung bestimmter Begünstigungen nur unter der Voraussetzung des Beitrittes zu einer freiwilligen Interessenvereinigung, werden durch die Normierung der Zwangszugehörigkeit zu einer beruflichen Interessenvertretung (Kammer) nicht geschaffen.

Es ergibt sich zusammenfassend, daß gegen die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen.

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

2. a) Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte die vom Bf. behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes nur vorliegen, wenn der bel. Beh. ein willkürliches Vorgehen zur Last gelegt werden könnte.

Den Vorwurf der Willkür stützt der Bf. im wesentlichen darauf, daß im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt sei, aus welchen Gründen die Aufforderung des Bf. an den Kammeranwalt zur Abgabe der Ehrenerklärung, die Anzeige an die Staatsanwaltschaft und die Erhebung der Privatanklage Umstände seien, durch die der Tatbestand des Disziplinarvergehens der Verletzung des Standesansehens bewirkt worden sei. Der Bf. habe vor der Erstattung der Anzeige die Meinung des damaligen Staatsanwaltes eingeholt, der ihm gegenüber die Meinung vertreten habe, daß in der Art der Ausführungen des Kammeranwaltes im Schreiben vom 28. November 1980 eine strafbare Handlung, im gegenständlichen Fall nach §297 StGB vorliege. Im Gegensatz zur Sorgfalt, deren sich der Bf. bedient habe, sei die bel. Beh. "äußerst und in krasser Weise leichtfertig und geradezu willkürlich und sohin gleichheitswidrig" vorgegangen.

Ein gleichheitswidriges Verhalten sei auch darin zu erblicken, daß dem Beweisantrag des Bf. auf Einvernahme des seinerzeitigen zuständigen Staatsanwaltes nicht Folge gegeben worden sei. Weiters sei die Begründung des Erkenntnisses völlig widersprüchlich. Wenn der Bf. Kritik an Richtern übe und Äußerungen tätige, dem Bundesministerium für Justiz im Aufsichtswege kritikwürdiges Verhalten von Richtern zur Kenntnis zu bringen, könne das richtigerweise nicht als disziplinär zu ahndende Vorgangsweise angesehen werden.

b) Der VfGH stellt zunächst fest, daß aufgrund der in der Berufung gegen das erstinstanzliche Erkenntnis erhobenen Vorwürfe wegen einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens die bel. Beh. eine Ergänzung des Verfahrens gemäß §50a Abs1 DSt vorgenommen hat.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides ist dargelegt, aus welchen Erwägungen die Worte "nicht zur persönlichen Öffnung" aus dem Spruch des erstinstanzlichen Erkenntnisses als für die disziplinäre Beurteilung des Verhaltens des Bf. unmaßgeblich auszuschalten gewesen seien. Auch ist dargelegt, daß durch die Abweisung der Beweisanträge des Bf. auf Einvernahme des ehemaligen Staatsanwaltes und auf Beischaffung der Akten, in denen disziplinäre Verurteilungen des Bf. vom VfGH aufgehoben wurden (vgl. VfSlg. 9838/1983), Verteidigungsrechte des Bf. nicht verletzt wurden.

Entgegen den Behauptungen des Bf. hat die bel. Beh. im angefochtenen Bescheid die Gründe dargelegt, aus denen sie zur Auffassung gelangt ist, daß die Aufforderung des Bf. an den Kammeranwalt zur Abgabe einer Ehrenerklärung, die Erstattung einer Strafanzeige und die Einbringung einer Privatanklage unter den besonderen Gegebenheiten und unter der besonderen Art, durch die das Vorgehen des Bf. bestimmt war, als ein Verhalten zu beurteilen sind, das den Tatbestand des Disziplinarvergehens der Verletzung der Ehre des Standes erfüllt.

Weder aus der Begründung des angefochtenen Bescheides noch aus den vorgelegten Verwaltungsakten läßt sich ein Anhaltspunkt dafür gewinnen, daß die bel. Beh. aus unsachlichen Gründen zu ihrer Auffassung gekommen wäre.

Durch den Hinweis darauf, daß nur das Verhalten des Bf. gegenüber dem Kammeranwalt disziplinäre Folgen nach sich gezogen habe, wogegen das gleiche Verhalten anderen Personen gegenüber und auch das gleiche Verhalten anderer Personen, die nicht Rechtsanwälte seien, disziplinär nicht zu ahnden sei, vermag der Bf. nicht zu begründen, daß die bel. Beh. willkürlich vorgegangen wäre, weil sie allein nach den verfassungsrechtlich unbedenklichen Bestimmungen des §2 DSt zu prüfen hatte, ob im Verhalten des Bf. ein disziplinarrechtlich zu ahndender Verstoß gegen die Ehre des Anwaltsstandes liegt.

Ob die Schlußfolgerung auch in richtiger Anwendung des Gesetzes gezogen wurde, hat der VfGH, und zwar auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine Abtretung der Beschwerde an den VwGH nicht in Betracht kommt, nicht zu prüfen.

Die behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes liegt nicht vor.

4. Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Rechtsanwaltskammer, Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B42.1985

Dokumentnummer

JFT_10138987_85B00042_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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