TE Vfgh Erkenntnis 1986/11/28 B460/86

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Veröffentlicht am 28.11.1986
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
MRK Art9
StGG Art14
ZivildienstG §2 Abs1

Beachte

in den wesentlichen Entscheidungsgründen ähnlich: B130/86 und B417/86, beide vom 27. September 1986, letzteres Erk. allerdings ohne Relevierung des Art9 MRK

Leitsatz

ZDG; keine Glaubhaftmachung der Gewissensgründe; keine Verletzung des in §2 Abs1 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung, insbesondere nicht durch Verfahrensverstöße gravierender Natur im Bereich der Beweiswürdigung; keine Verletzung im Gleichheitsrecht; das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art14 StGG bezieht sich nur auf religiöse Fragen; Art9 MRK kann durch die Verweigerung der Befreiung vom Wehrdienst nicht verletzt werden

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 3, wies mit Bescheid vom 2. Oktober 1985, Z 134.092/2-ZDK/3/85, einen von N H - unter Bezugnahme auf §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974 (ZDG) - gestellten Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht - nach mündlicher Verhandlung - gemäß §2 Abs1 iVm. §6 Abs1 ZDG als unbegründet ab.

1.1.2. Der dagegen von N H erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 2, vom 28. Feber 1986, Z 134.092/3-ZDOK/2/86, gleichfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gegeben.

1.2.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde des N H an den VfGH; der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG, behauptet ferner, er sei in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) und auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art14 StGG, Art9 MRK) verletzt worden, und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides als verfassungswidrig.

1.2.2. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten beider Instanzen vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag (und zwar nach Maßgabe des §5 Abs1 und 3 ZDG, der das Antragsrecht - in hier allerdings unerheblicher Weise - beschränkt) von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (vgl. auch VfSlg. 9391/1982, 9785/1983, 9839/1983, 9840/1983, 9842/1983, 9971/1984, 9985/1984, 10021/1984, 10111/1984).

2.2. Dieses Grundrecht wird nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dadurch verletzt, daß die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; eine solche Verletzung ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Vorliegen der materiellen (Befreiungs-)Bedingungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, 9362/1982, 9785/1983, 9946/1984, 9970/1984, 9989/1984, 9990/1984, 10021/1984, 10053/1984, 10056/1984, 10111/1984, 10154/1984, 10247/1984, 10264/1984), woran sich auch durch die ZDG-Nov. BGBl. 496/1980 nichts änderte (vgl. zB VfSlg. 9549/1982, 9573/1982, 9785/1983, 9839/1983, 9840/1983, 9842/1983, 9985/1984).

Wie der VfGH in diesem Zusammenhang schon wiederholt aussprach (VfSlg. 8268/1978, 8391/1978, 9785/1983, 9985/1984), zählen zu den hier wahrzunehmenden Verstößen auf verfahrensrechtlichem Gebiet auch wesentliche Fehler bei der Beweiswürdigung einschließlich der Würdigung der Parteiaussage als Bescheinigungsmittel.

2.3.1. Die bel. Beh. geht nun im Ergebnis richtig davon aus, daß der Antragsteller, zieht man alle seine Einlassungen im Administrativverfahren gebührend in Betracht, immerhin deutlich erkennbar den Standpunkt einnahm, infolge seiner - allgemeinen und vorbehaltlosen - Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt in schwere Gewissensnot zu geraten, wenn er Wehrdienst leisten müsse.

Eine derartige (an sich taugliche) Behauptung muß aber, sollen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung erfüllt sein, nicht nur aufgestellt, sondern kraft §6 Abs2 ZDG auch glaubhaft gemacht werden (vgl. zB VfSlg. 9573/1982).

2.3.2. Die ZDOK legte dem Sinn nach dar, weshalb sie der Ansicht anhänge, daß hier schwerwiegende Gewissensgründe iS des ZDG nicht glaubhaft seien.

Entgegen der in der Beschwerdeschrift der Sache nach schwergewichtig in Form einer bloßen appellatorischen Kritik verfochtenen Auffassung ließ sich die bel. Beh. dabei aber keine gravierenden prozessualen Rechtsverletzungen zu Schulden kommen, und zwar auch nicht im Bereich der freien Würdigung des Bescheinigungsmaterials: Der Bf. bekämpft nämlich nach der unverkennbaren Zielsetzung der Beschwerdeeinreden in Wahrheit in der Hauptsache bloß die - nicht zu seinen Gunsten ausgefallene - behördliche Beweiswürdigung, indem er tatsächliche Schlußfolgerungen der ZDOK in der Glaubhaftmachungsfrage als unrichtig und verfehlt hinstellen will. Er vermag damit den Umständen nach allerdings keineswegs aufzuzeigen, daß die beweiswürdigenden Überlegungen der Berufungsbehörde der allgemeinen Lebenserfahrung oder den Gesetzen des logischen Denkens widersprechen. Nur in diesem Fall aber könnte im gegebenen Zusammenhang - nach gefestigter Rechtsprechung des VfGH - von einem verfassungsrechtlich relevanten, groben Verstoß verfahrensrechtlicher Art die Rede sein, der nach §2 ZDG aufzugreifen wäre (zB VfSlg. 9732/1983, 9985/1984, 10111/1984).

2.3.3. Der VfGH kann der ZDOK also nach Lage des Falles nicht entgegentreten, wenn sie in Prüfung und Wägung der wesentlichen Verfahrensergebnisse, und zwar unter Bedachtnahme auf das bisherige Verhalten des Antragstellers (§6 Abs2 ZDG) sowie auf dem Boden seiner Argumentation im Administrativverfahren und des von ihm gewonnenen Eindrucks, in freier Beweiswürdigung zur Ansicht gelangte, daß Gewissensgründe nicht (iS des §6 Abs2 ZDG) glaubhaft gemacht wurden (vgl. hiezu die Vorjudikatur, wonach (grundsätzlich) keine Verpflichtung besteht, die aufgrund unmittelbaren persönlichen Eindruckes gebildete Überzeugung vom Beweiswert der Angaben einer Person (näher) zu begründen: zB VfSlg. 9573/1982, 9785/1983, 10111/1984, 10154/1984, 10182/1984, 10247/1984 und 10249/1984).

2.3.4. Abschließend folgt daraus, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung (§2 Abs1 ZDG) nicht verletzt wurde.

2.4.1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesbestimmungen unter dem Aspekt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebots wurden nicht geltend gemacht und kamen - aus der Sicht dieses Beschwerdefalls - auch sonst nicht hervor. Bei dieser Betrachtung schied im übrigen die Vorschrift des §2 Abs1 ZDG, da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, von vornherein aus.

2.4.2. Da es auch an jeglichen Anhaltspunkten dafür fehlt, daß die bel. Beh. dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte, könnte das - vom Bf. relevierte - Gleichheitsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 7466/1974, 8238/1978, 9233/1981) nur dann verletzt sein, wenn der angefochtene Bescheid ein Willkürakt wäre.

Es finden sich jedoch keine wie immer gearteten Hinweise dafür, daß die bel. Beh. bei ihrer Entscheidung von subjektiven, in der Person des Bf. gelegenen Momenten bestimmt oder von anderen unsachlichen Erwägungen geleitet worden sei.

2.4.3. Daher ergibt sich, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht ebenfalls nicht verletzt wurde.

2.5. Wenn der Bf. sich überdies auf das durch Art14 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit stützt, bleibt auf die ständige Rechtsprechung des VfGH hinzuweisen, derzufolge dieses Recht nur religiöse Fragen betrifft (s. zB VfSlg. 8033/1977, 8390/1978, 8788/1980, 8811/1980, 9339/1982), die hier keine Rolle spielen. Die zusätzliche Berufung auf Art9 MRK ist von vornherein verfehlt, weil diese Konventionsbestimmung - wie der VfGH schon wiederholt erkannte (vgl. VfSlg. 8033/1977, 8788/1980, 8856/1980 ua.) - ein Recht auf Waffendienstverweigerung gar nicht gewährleistet.

2.6. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B460.1986

Dokumentnummer

JFT_10138872_86B00460_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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