TE Vfgh Erkenntnis 2006/10/5 B3172/05

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Veröffentlicht am 05.10.2006
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Index

L1 Gemeinderecht
L1010 Stadtrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsumfang
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art10
FriedhofsO der Stadt Innsbruck. Beschluss des Gemeinderates vom 03.12.98 §5 Abs2 Z3
Innsbrucker Stadtrecht 1975 §40 Abs1
Tir GemeindesanitätsdienstG §33

Leitsatz

Verstoß einer Bestimmung des Innsbrucker Stadtrechtes über die Kundmachung von Verordnungen gegen das Determinierungsgebot; kein Kundmachungsmangel der Innsbrucker Friedhofsordnung aufgrund der bereinigten Rechtslage; kein Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit durch das in der Friedhofsordnung normierte Verbot des Verteilens von Druckschriften jeder Art auf Friedhöfen; gerechtfertigte Einschränkung zum Schutz der Religionsausübung; öffentliches Interesse gegeben

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Gesellschaft durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft betreibt ein Bestattungsunternehmen. Im Rahmen des Betriebes ihres Unternehmens hat sie - ihren eigenen Angaben zufolge - auf den städtischen Friedhöfen Innsbruck Ost und West anlässlich von ihr durchgeführter Bestattungen eine Informationsbroschüre "Ratgeber im Trauerfall" zur Mitnahme in den Aufbahrungshallen aufgelegt.

Mit Bescheid des Stadtmagistrats Innsbruck wurde daraufhin der Gesellschaft gemäß §5 Abs2 Z3 der Friedhofsordnung für die städtischen und nichtstädtischen Friedhöfe (im Folgenden: Friedhofsordnung) untersagt, ihre "Werbebroschüren" auf den städtischen Friedhöfen "zu verteilen bzw. aufzulegen".

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Berufung an den Stadtsenat der Landeshauptstadt Innsbruck.

Mit Bescheid des Stadtsenates vom 29. August 2005 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass Trauerbilder und Parten - entgegen den Ausführungen in der Berufung - anders zu beurteilen seien als die vorliegende Broschüre "Ratgeber im Trauerfall", da diese Druckwerke Teil der Begräbniszeremonie und von den Angehörigen auch zu bezahlen seien. Demgegenüber handle es sich beim "Ratgeber im Trauerfall" um eine Werbebroschüre der beschwerdeführenden Gesellschaft, welche mit dem tatsächlichen Begräbnis nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehe. Möglicherweise biete die Broschüre den Angehörigen tatsächlich nützliche Hinweise rund um das Thema Tod, doch dürfe nicht übersehen werden, dass die in Rede stehende Druckschrift sowohl das Unternehmen der beschwerdeführenden Gesellschaft als auch dessen Angebotspalette präsentiere. Es bestehe daher kein Zweifel an der Werbewirkung der gegenständlichen Broschüre, woraus sich die Unvereinbarkeit mit der Ordnungsvorschrift des §5 Friedhofsordnung ergebe. Vor dem Hintergrund der zitierten Generalklausel (§5 Abs1) sei es darüber hinaus unbeachtlich, ob die Broschüre aufgelegt oder aktiv verteilt worden sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Erwerbsausübungsfreiheit wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

Nach Auffassung der beschwerdeführenden Gesellschaft beschränke die Vorschrift des §5 Abs2 Z3 Friedhofsordnung in sachlich nicht gerechtfertigter Weise das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit. Die der beschwerdeführenden Gesellschaft auferlegte Beschränkung sei nicht adäquat und stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff dar.

Es sei zwar anzuerkennen, dass die "Würde des Friedhofes" eines besonderen Schutzes bedürfe, und daher nicht zu beanstanden, wenn §5 der Friedhofsordnung zur Wahrung des Ernstes, der Pietät, der Würde sowie der widmungsgemäßen Benützung des Friedhofes besondere Schutzmaßnahmen vorsehe. Das Verbot des Verteilens von Druckschriften jeder Art (§5 Abs2 Z3 Friedhofsordnung) sei jedoch überschießend, da dieses Verbot etwa auch das Verteilen von Trauerbildern und Parten im Rahmen eines Begräbnisses erfasse, obwohl dadurch die Würde des Friedhofes in keiner Weise verletzt werde. Das angestrebte Ziel könne auch durch Maßnahmen erreicht werden, welche die Erwerbsausübung weniger stark beschränken.

Dass Trauerbilder und Parten als Teil der Begräbniszeremonie gesondert zu behandeln und daher nicht vom gegenständlichen Verbot erfasst seien, könne der Friedhofsordnung nicht entnommen werden, da die einschlägige Bestimmung ausdrücklich auf Druckschriften jeder Art abstelle. Der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Folge wäre die Regelung nur dann verfassungskonform, wenn die Friedhofsordnung das Verteilen von Druckschriften jeder Art nur insoweit untersagen würde, als derartige Druckschriften mit dem Ernst, der Würde oder der Pietät des Friedhofes in Widerspruch stehen. Die Friedhofsordnung enthalte jedoch keine solche Einschränkung.

Angesichts der Gestaltung der Broschüre, die zahlreiche nützliche Hinweise für Trauernde enthalte, könne dieser keine Beeinträchtigung der Würde des Friedhofes unterstellt werden, weshalb es bei der gebotenen Einschränkung des §5 Abs2 Z3 Friedhofsordnung zulässig sei, den "Ratgeber im Trauerfall" am Friedhof aufzulegen. Es sei zwar richtig, dass auch der Firmenname der beschwerdeführenden Gesellschaft in der Broschüre aufscheine und ihr in dieser Hinsicht Werbewirksamkeit zukomme. Allerdings sei es üblich auch auf Parten, die nach Ansicht der belangten Behörde nicht zu beanstanden seien, den Namen des durchführenden Bestattungsunternehmens anzuführen, sodass auch diesen eine Werbewirksamkeit innewohne.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und weist in ihrer Gegenschrift im Wesentlichen darauf hin, dass die Untersagung des Verteilens bzw. Auflegens des "Ratgebers im Trauerfall" auf städtischen Friedhöfen ein taugliches und adäquates Mittel zur Zielerreichung (§5 Abs1 Friedhofsordnung) darstelle, weshalb keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit vorliege. Es treffe zwar zu, dass Parten als Druckschriften im Sinne des §5 Abs2 Z3 Friedhofsordnung anzusehen seien, doch könne ein Verteilen derartiger Druckschriften nicht losgelöst vom Gesamtgeschehen eines Begräbnisses beurteilt werden. Ein Auflegen von Parten im Rahmen der Begräbniszeremonie verletze nicht die Würde des Friedhofes. Vielmehr werde damit eine, auf die einzelne zu verabschiedende Person bezogene Trauer ermöglicht, die keineswegs mit der allgemeinen und unpersönlichen Auflage einer Werbebroschüre vergleichbar sei.

Abschließend weist die belangte Behörde darauf hin, dass nur ein Verwaltungsakt, der die Erwerbstätigkeit unmittelbar betreffe, in das durch Art6 Abs1 StGG gewährleistete Recht eingreife. Für den Fall, dass die Beeinträchtigung der Erwerbstätigkeit nur eine faktische Nebenwirkung eines Bescheides sei, könne eine diesbezügliche Rechtsverletzung nicht angenommen werden. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass das Verbot des Verteilens und des Auflegens der gegenständlichen Broschüre als faktische Nebenwirkung einzustufen sei, welche die Erwerbsfreiheit der beschwerdeführenden Gesellschaft in ihrer Gesamtheit nicht beschränke.

4. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "und das Verteilen von Druckschriften jeder Art" in §5 Abs2 Z3 der Friedhofsordnung für die städtischen und nichtstädtischen Friedhöfe (Beschluss des Gemeinderates der Stadt Innsbruck vom 3. Dezember 1998) sowie ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und allenfalls im 'Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck'" in §40 Abs1 des Stadtrechtes der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 ein.

5. §5 der Friedhofsordnung lautet:

"§5

Ordnungsvorschriften

(1) Auf dem Friedhof ist alles zu unterlassen, was dem Ernst, der Pietät, der Würde oder der widmungsgemäßen Benützung des Ortes widerspricht.

(2) Innerhalb der Friedhöfe ist insbesondere nicht gestattet:

1. Das Befahren der Wege mit Fahrzeugen und Fahrrädern, ausgenommen sind Rollstühle und sonstige Behindertenfahrzeuge, Kinderwägen, friedhofseigene Fahrzeuge und geeignete gewerbliche Fahrzeuge im Rahmen der Bewilligung gemäß §6,

2. das Feilbieten von Waren aller Art,

3. das Plakatieren und das Verteilen von Druckschriften jeder Art,

4. das Mitbringen von Tieren, ausgenommen von Blindenhunden,

5. das Rauchen,

6. das Spielen von Unterhaltungsmusik und

7. das Wegwerfen von Abfällen oder das Ablegen von Abfällen an anderen als den hiefür vorgesehenen Plätzen.

(3) Kindern unter sechs Jahren ist das Betreten der Friedhöfe außer in Begleitung Erwachsener untersagt.

(4) Den Anweisungen des Friedhofspersonals ist Folge zu leisten."

6. Mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2006, G39/06, V26/06, hob der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogene Wortfolge in §40 Abs1 Stadtrecht der Landeshauptstadt Innsbruck 1975 als verfassungswidrig auf. Im zitierten Erkenntnis wurde darüber hinaus ausgesprochen, dass die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung nicht als gesetzwidrig aufgehoben wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes durch einen Bescheid verletzt, wenn dieser einem Staatsbürger den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.470/1997, 15.449/1999; vgl. auch VfSlg. 15.431/1999).

1.1. Soweit sich die beschwerdeführende Gesellschaft durch den bekämpften Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt erachtet, ist sie auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Oktober 2006, G39/06, V26/06, zu verweisen. Angesichts der dortigen Ausführungen kommt eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung nicht in Betracht.

1.2. Der belangten Behörde kann im vorliegenden Fall auch nicht unterstellt werden, die maßgebliche Bestimmung der Friedhofsordnung denkunmöglich angewendet zu haben.

Wie das Verordnungsprüfungsverfahren ergeben hat, dürfen zunächst gemäß §5 Abs1 Friedhofsordnung auf Friedhöfen solche Druckschriften nicht verteilt werden, die den dort genannten Zielen entgegenstehen, wobei §5 Abs2 Z3 Friedhofsordnung ein allgemeines Verbot, Druckschriften zu verteilen, enthält, das zu der Generalklausel des §5 Abs1 Friedhofsordnung hinzutritt; Druckschriften, die typischerweise bei Begräbnisfeierlichkeiten und liturgischen Handlungen zur Verteilung gelangen (zB Liedertexte, Gedenkbilder udgl.), sind vom Verbot des §5 Abs2 Z3 von vornherein nicht erfasst.

Aus dem Inhalt und der Gestaltung der Broschüre "Ratgeber im Trauerfall" ergibt sich, dass mit der Druckschrift (jedenfalls auch) der Zweck verfolgt wird, das Unternehmen und dessen Angebotspalette zu präsentieren, und dass diesem Zweck (etwa im Vergleich zu Parten und Trauerbildern) nicht nur untergeordnete Bedeutung zukommt. Da diese Druckschrift jedenfalls nicht typischerweise im Zusammenhang mit Begräbnisfeierlichkeiten oder anderen liturgischen Handlungen steht, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass die in Rede stehende Broschüre ein Druckwerk im Sinne des §5 Abs2 Z3 Friedhofsordnung darstellt und daher auf den städtischen Friedhöfen nicht verteilt bzw. aufgelegt werden darf.

Auf Grundlage der bisherigen Überlegungen kann der Behörde keine denkunmögliche Anwendung des §5 Abs2 Z3 Friedhofsordnung unterstellt werden, wenn sie der beschwerdeführenden Gesellschaft gestützt auf die zitierte Bestimmung untersagt, die Broschüre "Ratgeber im Trauerfall" auf städtischen Friedhöfen zu verteilen bzw. aufzulegen.

1.3. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde daher durch den bekämpften Bescheid nicht in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsfreiheit verletzt.

2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die beschwerdeführende Gesellschaft in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden ist. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

3. Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Leichen- und Bestattungswesen, Friedhöfe, Meinungsäußerungsfreiheit, Erwerbsausübungsfreiheit, Verordnung, Kundmachung, Determinierungsgebot, VfGH / Prüfungsumfang, Werbung, Pressefreiheit, Verteilungsbeschränkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B3172.2005

Dokumentnummer

JFT_09938995_05B03172_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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