TE Vfgh Erkenntnis 1986/12/4 B227/85

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Veröffentlicht am 04.12.1986
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Index

20 Privatrecht allgemein
20/13 Sonstiges

Norm

B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
EisenbahnenteignungsG 1954 §37

Leitsatz

EisenbahnenteignungsG 1954; Zurückweisung von Anträgen auf Feststellung, daß kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der ausgesprochenen Enteignung bestehe, auf Aufhebung des Enteignungserkenntnisses und auf Rückübertragung der enteigneten Flächen; dem Rechtsinstitut der Enteignung ist die Rückgängigmachung bei Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes immanent - Entzug des gesetzlichen Richters durch Verweigerung einer Sachentscheidung über das Begehren, das Enteignungserkenntnis aufzuheben; Aufhebung des angefochtenen Bescheides in diesem Umfang; Antrag auf Feststellung, daß kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der ausgesprochenen Enteignung bestehe - ein Teilaspekt des Antrages auf Aufhebung des Enteignungsbescheides; rechtmäßige Zurückweisung dieses Begehrens; Antrag auf Rückübertragung der enteigneten Flächen - privatrechtliche Forderung; rechtmäßige Zurückweisung dieses Begehrens mangels verwaltungsbehördlicher Zuständigkeit

Spruch

1. Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit das Begehren, das Enteignungserkenntnis aufzuheben, zurückgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang aufgeboben.

2. Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit der Antrag auf Feststellung, daß kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der ausgesprochenen Enteignung bestehe, zurückgewiesen wird, und soweit der Antrag, es wolle der Republik Österreich, Österreichische Bundesbahnen, aufgetragen werden, die enteigneten Flächen zurückzuübertragen, zurückgewiesen wird, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen und in diesem Umfange zur Entscheidung darüber, ob die Bf. in sonstigen Rechten verletzt wurde, an den VwGH abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Tir. vom 22. Jänner 1971 wurde der Bf. eine Fläche von 1748 Quadratmeter aus dem Grundstück Nr. ... der EZ 739 II KG Kufstein zugunsten der Österreichischen Bundesbahnen für die Erweiterung der Ortsgüteranlage im Bahnhof Kufstein enteignet, nachdem schon einmal ein diesen Grundstücksteil betreffender Enteignungsbescheid des Landeshauptmannes von Tir. aus dem Grunde des §37 Abs3 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954, BGBl. 71/1954 (künftig: EEG), aufgehoben worden war.

2.1. Mit Antrag vom 23. Dezember 1982 begehrte die Bf. beim Landeshauptmann von Tir.

a) es wolle bescheidmäßig festgestellt werden, daß das Grundstück Grundparzelle ... im Ausmaß von 1748 Quadratmeter nicht zu dem Zwecke verwendet worden ist, für den es enteignet wurde, und daß daher kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der mit Bescheid vom 22. Jänner 1971 ausgesprochenen Enteignung besteht, somit der Rechtsgrund für die Enteignung weggefallen ist;

b) es wolle bescheidmäßig das Enteignungserkenntnis aufgehoben werden;

c) es wolle der Republik Österreich, Österreichische Bundesbahnen, der Auftrag erteilt werden, die enteignete Fläche der Bf. zurückzuübertragen;

dies alles Zug um Zug gegen Rückzahlung der Entschädigung samt 4% Zinsen aus den letzten drei Jahren vor Zustellung des beantragten Bescheides.

Zweck der Enteignung sei laut Enteignungsbescheid gewesen, auf den enteigneten Grundstücksflächen den Ausbau des Bahnhofes Kufstein voranzutreiben. Auf der enteigneten Grundfläche sei jedoch von der Österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung ein Gebäude errichtet worden. Dies sei mit dem Zweck der Enteignung nicht vereinbar.

2.2. Mit Bescheid vom 7. August 1984 stellte der Landeshauptmann von Tir. fest, daß die enteignete Teilfläche bisher nicht zu dem Zweck verwendet worden sei, für den sie enteignet wurde; die weiteren Anträge der Bf.

"es wolle weiters festgestellt werden, daß daher kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der mit Bescheid vom 22. 1. 1971 ausgesprochenen Enteignung bestehe, somit der Rechtsgrund für die Enteignung weggefallen sei,"

"es wolle bescheidmäßig das Enteignungserkenntnis aufgehoben werden,"

"es wolle der Republik Österreich, Österreichische Bundesbahnen, der Auftrag erteilt werden, die enteignete Fläche der ehemaligen Eigentümerin L K zurückzuübertragen,"

wurden zurückgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß der Umbau des Bahnhofes Kufstein seit mehreren Jahren im Gange sei, wobei dafür aufgrund eines Beschl. der Unternehmensleitung vom 28. Dezember 1977 drei Phasen vorgesehen worden seien, nämlich

a) Errichtung des neuen Aufnahmegebäudes

b) Umbau der Gleisanlagen

c) Abtragung und Neubau des Gütermagazines sowie Ausbau der Ortsgüteranlage.

Die Arbeiten an den Phasen a) und b) seien weitgehend fortgeschritten, die Bauphase c) könne erst in Angriff genommen werden, wenn die beiden ersten Phasen durchgeführt seien; eine Baugenehmigung für die Bauphase c) liege noch nicht vor. Es treffe zu, daß auf der enteigneten Fläche ein Objekt der Post- und Telegraphenverwaltung errichtet worden sei. Es handle sich jedoch um ein Provisorium für das Bahnpostamt, welches iZm. dem Neubau des Aufnahmegebäudes abgetragen werden mußte. Der Landeshauptmann sehe sich daher in der Lage, dem Antrag, es solle festgestellt werden, daß die enteigneten Flächen bisher nicht zu dem Zweck verwendet worden sind, für den sie enteignet wurden, stattzugeben. Es stehe aber ebenso fest, daß die Fläche in Anbetracht der überaus beengten Raumverhältnisse im Bahnhof Kufstein in absehbarer Zeit für Zwecke des Ausbaues dieses Bahnhofes tatsächlich Verwendung finden würde. Der Landeshauptmann halte es daher derzeit nicht für möglich, den weitergehenden Anträgen der Bf. stattzugeben, weil außer Zweifel stehe, daß das in Frage stehende Grundstück für Eisenbahnzwecke benötigt werde und auch Verwendung finden würde. Es komme daher auf eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung (vergleichbar §20a Bundesstraßengesetz) an, mit der der Zeitpunkt des Entstehens des Rückübereignungsanspruches festgelegt werde. Diese Bedenken habe auch der VwGH im Erk. VwSlg. 10972 A/1983 als entscheidend erachtet. In diesem Erkenntnis habe der VwGH ausgesagt, daß der von der Bf. geltend gemachte Anspruch "auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung der das Eigentumsrecht begründenden Gesetzesstelle in dem Sinne abgeleitet werden könne, daß dem Rechtsinstitut der Enteignung die Rückgängigmachung bei Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes immanent sei. Letzterer Grundsatz ermögliche für sich allein noch nicht eine gesetzesorientierte Vollziehung." Die entscheidende Behörde sehe sich aufgrund der derzeitigen Rechtslage und in Beachtung der vom VwGH vertretenen Rechtsansicht ohne entsprechende Novellierung des Eisenbahnenteignungsgesetzes nicht in der Lage, mit Ausnahme der Feststellung, daß die enteignete Fläche bisher nicht zu dem Zweck verwendet wurde, für den sie enteignet worden ist, dem weitergehenden Begehren der Bf. stattzugeben.

2.3. Die gegen die zurückweisenden Aussprüche erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 22. Feber 1985 abgewiesen und der Bescheid des Landeshauptmannes von Tir. vollinhaltlich bestätigt.

Ausgehend von den als unbedenklich erachteten Feststellungen der ersten Instanz konzedierte der Bundesminister der Bf., daß der gegenwärtige Stand der Meinungen zur Frage der Rückübereignung wegen nachträglichen Wegfalls des Enteignungszweckes kein einheitlicher sei. Wie der Landeshauptmann von Tir. richtig erkannt habe, bedürfe es hiezu jedoch einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung analog dem §20a Bundesstraßengesetz, mit der der Zeitpunkt des Entstehens des Anspruches auf Rückübereignung festgelegt würde, wenn zwar die Grundstücke für Eisenbahnzwecke benötigt, jedoch für diese Zwecke noch nicht verwendet würden, sodaß der Verwendungszweck noch nicht erfüllt sei. Der Zweck des §37 EEG gehe offensichtlich nicht dahin, dem Enteigneten ein generelles Rückerwerbsrecht bei zweckverfehlender Enteignung zu gewähren, denn dann wären die dargestellten (in der genannten Gesetzesstelle vorgesehenen) Einschränkungen unverständlich. Aber auch wenn man davon ausgehe, daß im vorliegenden Fall der Enteignungszweck (überhaupt) nicht verwirklicht würde, sohin eine zweckverfehlende Enteignung vorliege, könnte die Bf. daraus nichts gewinnen. Im Bereich des öffentlichen Rechtes, insbesondere des Verwaltungsrechtes, welches schon von der Zielsetzung her nur einzelne Rechtsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses zu regeln bestimmt sei, sei eine auftretende Gesetzeslücke - anders als im Bereich des Zivilrechtes, das grundsätzlich bestrebt sei, die gesamten Privatrechtsbeziehungen der Menschen untereinander zu regeln - im Zweifel als beabsichtigt anzusehen. Wenn in bestimmten Gesetzen ein Rückübereignungsanspruch nicht vorgesehen sei, könne daher nicht auf eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes geschlossen werden, die durch Analogie auszufüllen sei. Ein echter Bereicherungstatbestand liege nicht vor, da eine Enteignung gegen angemessene Entschädigung keine Vermögensminderung des Enteigneten, sondern lediglich eine Vermögensverschiebung zwischen Sachwerten und Geldwerten bewirke; dadurch unterscheide sich die Rückübereignung bei zweckverfehlender Enteignung von den bisher positiv entschiedenen Fällen einer Rückübereignung bei zweckverfehlender unentgeltlicher Grundabtretung nach der Bauordnung. Die Frage, ob in einem solchen Fall die durch das Enteignungserkenntnis herbeigeführte Veränderung beibehalten oder ein Rückübereignungsanspruch eingeräumt werden solle, sei eine rechtspolitische; das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot verpflichte den Gesetzgeber nicht zu einer einheitlichen Lösung für alle Fälle.

Auf die Frage, ob ein zivilrechtlicher Rückübereignungsanspruch bestehe, brauche nicht eingegangen zu werden, da auch bei Bejahung eines solchen jedenfalls der Verwaltungsweg unzulässig wäre.

Die - noch streitverfangenen - Anträge der Bf. (gegen den Ausspruch erster Instanz über das Begehren auf Feststellung, daß die enteigneten Teilflächen bisher nicht zu dem Zweck verwendet worden seien, für den sie enteignet wurden, wurde keine Berufung erhoben) wären - sei nun der Enteignungszweck aufgegeben oder sei er noch bestehend - daher unzulässig.

3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

Der VfGH habe schon in zahlreichen Entscheidungen erkannt, daß im Falle der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes bei Fehlen besonderer Regelungen die Verfügung der Enteignung in der Weise rückgängig gemacht werden müsse, daß der Enteignungsbescheid aufgehoben wird. Die Rechtskraft des Enteignungsbescheides stehe einer Aufhebung nicht im Wege, weil der Vorbehalt der Rückgängigmachung von der Rechtskraft umfaßt sei. Das aus der Verfassung ableitbare Verbot einer Enteignung auf Vorrat bedinge, daß der Enteignungszweck innerhalb einer gewissen Zeit verwirklicht werden müsse. Im vorliegenden Fall datiere der Enteignungsbescheid aus dem Jahr 1971; es seien bisher keinerlei sichtbare Arbeiten auf der enteigneten Fläche von den Österreichischen Bundesbahnen durchgeführt worden. Da der Bestand des Behelfspostamtes vom Bürgermeister von Kufstein auf der enteigneten Fläche bis 1986 bewilligt wurde, werde die enteignete Fläche dem vorgesehenen Zweck innerhalb von 15 Jahren nicht zugeführt. Daraus sei ersichtlich, daß die gegenständliche Fläche lediglich auf Vorrat enteignet wurde. Dazu komme, daß für den Ausbau der Ortsgüteranlage des Bahnhofes Kufstein noch immer keine Baugenehmigung vorliege.

3.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt. Auch die Österreichischen Bundesbahnen beantragen als Beteiligte des Verfahrens, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

4. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. Vor Eingehen auf die Beschwerdevorwürfe hatte sich der VfGH die Frage zu stellen, ob der angefochtene Bescheid - ungeachtet des auf Zurückweisung lautenden Spruches - unter Berücksichtigung von Spruch und Begründung als negative Sachentscheidung zu werten ist, und, falls dies nicht zutrifft, ob die Bf. Anspruch auf eine Sachentscheidung gehabt hätte; in diesem Fall wäre die Bf. durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Da mit dem angefochtenen Bescheid die Entscheidung erster Instanz "vollinhaltlich bestätigt" wird, sind auch deren Aussagen hiebei zu berücksichtigen. Der Landeshauptmann von Tir. hat nun wohl dargelegt, es "stehe fest, daß die (enteignete) Fläche in Anbetracht der überaus beengten Raumverhältnisse im Bahnhof Kufstein in absehbarer Zeit für Zwecke des Ausbaues dieses Bahnhofes tatsächlich Verwendung finden wird", womit eine meritorische Aussage getroffen wird. Es heißt jedoch in weiterer Folge, für eine stattgebende Entscheidung komme es aber - bei einer für einen künftigen Bedarf vorsorgenden Enteignung - darauf an, ob sich eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung (vergleichbar §20a Bundesstraßengesetz) findet, mit der der Zeitpunkt des Entstehens eines Rückübereignungsanspruches festgelegt wird; der Landeshauptmann verweist sodann auf die Ausführungen des VwGH in VwSlg. 10972 A/1983, der die Auffassung vertrete, daß auch eine verfassungskonforme Auslegung für sich allein noch nicht eine gesetzesorientierte Vollziehung ermögliche (das Fehlen einer Rechtsgrundlage für eine aufrechte Erledigung eines Antrages müsse - führt der VwGH in diesem Erkenntnis aus - zu dessen Zurückweisung führen).

Der angefochtene Bescheid läßt offen, ob der festgestellte Sachverhalt die Beurteilung der Frage erfordert, ob eine Enteignung auf Vorrat oder eine zweckverfehlende Enteignung anzunehmen ist; die begehrten Anträge seien in jedem Falle unzulässig, sei nun der Enteignungszweck aufgegeben oder noch bestehend: Sei letzteres der Fall, bedürfte es, wie der Landeshauptmann von Tir. richtig erkannt habe, einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die den Zeitpunkt des Entstehens eines Rückübereignungsanspruches festlege (§37 EEG gehe offensichtlich nicht dahin), im erstgenannten Fall, also bei einer zweckverfehlenden Enteignung, handle es sich um eine rechtspolitische Frage, ob in einem solchen Fall ein Rückübereignungsanspruch eingeräumt werden solle, da auch das Fehlen eines Rückübereignungsanspruches mit der Verfassung durchaus vereinbar sei. Die bel. Beh. (und mit ihr auch der Landeshauptmann) geht somit davon aus, daß der Bf. ein Anspruch auf eine Sachentscheidung nicht zustand. Der angefochtene Bescheid kann daher nur als Verweigerung einer Sachentscheidung gewertet werden.

4.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 9737/1983).

Wie der VfGH bereits in VfSlg. 8981/1980 ausgesagt hat, ergibt sich in Konsequenz der von der Rechtsprechung (S 369) herausgearbeiteten Merkmale einer verfassungsrechtlich zulässigen Enteignung, daß die Aufrechterhaltung einer einmal verfügten Enteignung verfassungsrechtlich unzulässig ist, wenn der öffentliche Zweck, zu dessen Verwirklichung das Gesetz eine Enteignungsmöglichkeit vorgesehen hat, tatsächlich nicht verwirklicht wird. Der VfGH sagte weiters aus, daß in der Eigentumsgarantie des Art5 StGG auch die Rückgängigmachung der Enteignung für den Fall grundgelegt ist, "daß die enteignete Sache dem vom Gesetz als Enteignungsgrund genannten öffentlichen Zweck nicht zugeführt wird, sei es, weil dieser Zweck überhaupt nicht, sei es, weil er nicht in dem ursprünglich beabsichtigten Umfang verwirklicht wird". Aus den in der zitierten Entscheidung dargelegten Gründen leitete der VfGH ab - und er hält auch im vorliegenden Beschwerdefall daran fest - daß aus der "dem Rechtsinstitut der Enteignung schon in der Wurzel anhaftende(n) Verknüpfung mit der Verwirklichung eines bestimmten öffentlichen Zweckes ... (folgt), daß dem Rechtsinstitut der Enteignung die Rückgängigmachung bei Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes immanent ist". Im Falle der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes muß "die Verfügung der Enteignung durch Aufhebung des Enteignungsbescheides" rückgängig gemacht werden. "Die Rechtskraft dieses Bescheides steht einer solchen Aufhebung deshalb nicht im Wege, weil der Vorbehalt der Rückgängigmachung von der Rechtskraft umfaßt ist". Zur Bestimmung des §37 EEG 1954 hat der VfGH gleichzeitig ausgesagt, daß ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art5 StGG vorläge, wenn man in ihr eine abschließende Regelung erblicken würde; eine verfassungskonforme Auslegung müsse "daher dazu führen, in dieser Bestimmung keine abschließende Regelung des Fragenkreises um die Rückgängigmachung einer Enteignung zu sehen" (vgl. auch VfSlg. 8980/1980 und 8981/1980).

Der VfGH hält - in Kenntnis der Judikatur des VwGH VwSlg. 10972 A/1983 - an seiner Rechtsprechung ausdrücklich fest. Daraus ergibt sich, daß die bel. Beh. über den Antrag der Bf., den Enteignungsbescheid vom 22. Jänner 1971 aufzuheben, eine Sachentscheidung zu fällen gehabt hätte. Die Bf. ist daher durch Zurückweisung dieses Antrages im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der angefochtene Bescheid ist daher in diesem Umfange aufzuheben.

4.3. Was die Zurückweisung des Antrages der Bf., es solle festgestellt werden, daß kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der mit Bescheid vom 22. Jänner 1971 ausgesprochenen Enteignung bestehe, somit der Rechtsgrund für die Enteignung weggefallen sei, betrifft, erweist sich demgegenüber die Beschwerde schon deshalb als unbegründet, weil das, was festzustellen von ihr begehrt wird, ein Teil(Aspekt) des Antrages der Bf. auf Aufhebung des Enteignungsbescheides ist; dieses Begehren kann daher nicht den Gegenstand eines zulässigen eigenen Feststellungsbegehrens bilden. Die Zurückweisung des Begehrens auf Feststellung, daß kein Anspruch auf Aufrechterhaltung der mit Bescheid vom 22. Jänner 1971 ausgesprochenen Enteignung bestehe, somit der Rechtsgrund für die Enteignung weggefallen sei, wurde von der bel. Beh. daher zu Recht bestätigt.

Die Beschwerde ist insofern somit abzuweisen und dem VwGH abzutreten.

4.4. Schließlich handelt es sich bei dem letzten Begehren der Bf., nämlich dem Antrag, der Republik Österreich wolle der Auftrag erteilt werden, die enteignete Fläche der Bf. zurückzuübertragen, um eine Forderung, die dem Privatrecht zuzuordnen ist (vgl. VfSlg. 8982/1980 S 388). Eine verwaltungsbehördliche Zuständigkeit für die Entscheidung über dieses Begehren ist somit nicht gegeben. Die bel. Beh. hat dieses Begehren daher zu Recht zurückgewiesen.

Insoferne ist die Beschwerde somit ebenfalls abzuweisen und dem VwGH abzutreten.

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Enteignung, Bescheid Rechtskraft, Feststellungsbescheid, Behördenzuständigkeit, Privatrecht - öffentliches Recht, Zuständigkeit der Gerichte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:B227.1985

Dokumentnummer

JFT_10138796_85B00227_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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