TE Vfgh Erkenntnis 1986/12/6 WI-5/86

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Veröffentlicht am 06.12.1986
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art117 Abs2
B-VG Art141 Abs1 lita
Tir GdWO 1973 §8, §31
VfGG §71a Abs5

Leitsatz

Tir. GemeindewahlO 1973; Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde St. Johann i. Tir.; zum Begriff der Einteilung in "Wahlkreise" iS des Art117 Abs2 B-VG im Unterschied von der schlichten Zerlegung des Wahlgebietes in "Wahlsprengel" (iS der TGWO 1973); Koppelungserklärung von Wahlvorschlägen iS des §31 von jeweils einem Viertel der Wahlwerber unterschrieben, und zwar von einigen Wahlwerbern in ihrer Eigenschaft als Zustellungsbevollmächtigte iS des dritten Satzes des §31 Abs1; Unterschriftserfordernisse des §31 Abs1 erfüllt; keine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens; kein Kostenzuspruch, da ein Kostenersatz im Verfahren nach Art141 B-VG nur im - hier nicht in Betracht kommenden - §71a Abs5 VerfGG 1953 vorgesehen ist

Spruch

Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 16. März 1986 fanden die - von der Landesregierung mit Kundmachung vom 19. November 1985 (LGBl. 73/1985) ausgeschriebenen - allgemeinen Wahlen der Gemeinderäte im Bundesland Tir., darunter die Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde St. Johann in Tir. (politischer Bezirk Kitzbühel), statt.

1.1.2.1. Der Wahl zum Gemeinderat dieser Marktgemeinde lagen die von folgenden Wählergruppen (wahlwerbenden Parteien) eingebrachten, gemäß §37 der Tir. Gemeindewahlordnung 1973 (TGWO 1973), LGBl. 63, kundgemachten Wahlvorschläge zugrunde:

"GEMEINSAME LISTE ÖVP - ST. JOHANN/T.",

"SPÖ ST. JOHANN I.T ",

"JUNGE GENERATION - ST. JOHANN IN TIROL",

"UMWELT ERHALTEN - ST. JOHANN MITGESTALTEN",

"FREIHEITLICHE UND PARTEIFREIE ST. JOHANNER LISTE",

"ALLGEMEINE WÄHLERLISTE FÜR ST. JOHANNER LISTE",

"FRAUEN - FÜR DIE FRAUEN VON ST. JOHANN".

1.1.2.2. Folgende Koppelungserklärungen wurden von der Gemeindewahlbehörde zugelassen und gemäß §37 TGWO 1973 kundgemacht:

"SPÖ ST. JOHANN I.T." mit

"JUNGE GENERATION - ST. JOHANN IN TIROL",

"GEMEINSAME LISTE ÖVP - ST. JOHANN/T." mit

"ALLGEMEINE WÄHLERLISTE FÜR ST. JOHANN" und

"FRAUEN - FÜR DIE FRAUEN VON ST. JOHANN".

1.1.3. Laut Kundmachung des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Johann in Tir. vom 18. März 1986 entfielen von den 4052 gültig abgegebenen Stimmen - 165 wurden als ungültig gewertet - auf:

"GEMEINSAME LISTE ÖVP - ST. JOHANN/T."         1.840 Stimmen

(9 Gemeinderatsmandate),

"SPÖ ST. JOHANN I.T."                            925 Stimmen

(4 Gemeinderatsmandate),

"JUNGE GENERATION - ST. JOHANN IN TIROL"          89 Stimmen

(0 Gemeinderatsmandate),

"UMWELT ERHALTEN - ST. JOHANN MITGESTALTEN"      298 Stimmen

(1 Gemeinderatsmandat),

"FREIHEITLICHE UND PARTEIFREIE

ST. JOHANNER LISTE"                              415 Stimmen

(2 Gemeinderatsmandate),

"ALLGEMEINE WÄHLERLISTE FÜR ST. JOHANN"          254 Stimmen

(1 Gemeinderatsmandat),

"FRAUEN - FÜR DIE FRAUEN VON ST. JOHANN"         231 Stimmen

(1 Gemeinderatsmandat).

1.2.1.1. Mit ihrer am 11. April 1986 zur Post gegebenen und auf Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift begehrte die Wählergruppe "FREIHEITLICHE UND PARTEIFREIE ST. JOHANNER LISTE" - durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter P S sen. -, der VfGH möge das von der Gemeindewahlbehörde ermittelte Wahlergebnis - wegen näher bezeichneter Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens - für nichtig erklären und das Verfahren zur Gemeinderatswahl der Marktgemeinde St. Johann in Tir. beginnend mit der behördlichen Prüfung der Koppelungserklärung (§35 TGWO 1973) aufheben.

1.2.1.2. Die Anfechtungswerberin wendet - sinngemäß zusammengefaßt - ein, nach Art117 Abs2 B-VG könne eine (Gemeinde-)wahlordnung bestimmen, daß die Wähler ihr Wahlrecht in Wahlkreisen ausüben, von denen jeder ein geschlossenes Gebiet umfassen müsse, doch sei eine Gliederung der Wählerschaft in andere Wahlkörper nicht zulässig. Da "Wahlkreise" iS des Art117 Abs2 B-VG mit "Wahlsprengeln" iS der TGWO 1973 (§§8, 18 Abs2) ident seien und es in der Gemeinde St. Johann in Tir. Wahlsprengel gebe, die nicht den örtlichen Erfordernissen entsprächen, insbesondere kein "geschlossenes Gebiet" bildeten, verstoße die hier getroffene Wahlsprengeleinteilung gegen geltendes Recht.

So gesehen seien auch die Wählerverzeichnisse in der Gemeinde St. Johann in Tir. nicht gesetzmäßig angelegt worden, weil sie eine gesetzwidrige Wahlsprengeleinteilung zur Grundlage gehabt hätten.

Ferner wird - wieder gerafft wiedergegeben - geltend gemacht, daß die Koppelungserklärung der Listen

"GEMEINSAME LISTE ÖVP - ST. JOHANN/T." mit

"ALLGEMEINE WÄHLERLISTE FÜR ST. JOHANN" und

"FRAUEN - FÜR DIE FRAUEN VON ST. JOHANN"

nicht rechtswirksam sei.

Die Gemeindewahlbehörde habe außer Acht gelassen, daß Wahlwerber, welche die Erklärung unterschrieben hätten, zugleich auch Zustellungsbevollmächtigte seien. Nur bei Anerkennung aller dieser Unterschriften sei das zahlenmäßige Unterschriftserfordernis des §31 Abs1 TGWO 1973 (mindestens ein Viertel der Wahlwerber) erfüllt, nicht aber bei gesetzmäßiger Berücksichtigung nur der bloßen Wahlwerber, die nicht zugleich als Zustellungsbevollmächtigte auftraten.

1.2.2. Die Gemeindewahlbehörde der Marktgemeinde St. Johann in Tir. legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die kostenpflichtige Abweisung der Wahlanfechtung eintrat.

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der VfGH ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 8973/1980). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

2.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheids eingebracht sein.

2.1.3. Einen derartigen, die unmittelbare Anfechtung der Wahl des Gemeinderats der Marktgemeinde St. Johann in Tir. beim VfGH ausschließenden Instanzenzug richtet die TGWO 1973 (§58 Abs3) nur gegen die - hier von der Anfechtungswerberin ungerügt gelassene - "Ermittlung des Wahlergebnisses" (das ist die ziffernmäßige Ermittlung: VfSlg. 9065/1981) ein, die mit Einspruch (an die Bezirkswahlbehörde) bekämpft werden kann. Soweit es aber - wie in diesem Fall - um Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens geht, die nicht zur (ziffernmäßigen) "Ermittlung des Wahlergebnisses" zählen, ist die unmittelbare Anrufung des VfGH eröffnet.

2.1.4. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der in Rede stehenden Gemeinderatswahl vor dem VfGH ist somit der 18. März 1986, das ist der Tag der ortsüblichen Kundmachung des Wahlergebnisses in der Gemeinde.

Die am 11. April 1986 zur Post beförderte Wahlanfechtungsschrift wurde darum rechtzeitig eingebracht.

2.1.5. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2.1. Zunächst ist die Anfechtungswerberin nicht im Recht, wenn sie aus Art117 Abs2 B-VG abzuleiten sucht, daß die Wahlsprengel der Gemeinde St. Johann in Tir. - namentlich angesichts ihrer nicht den Erfordernissen von "Wahlkreisen" entsprechenden territorialen Beschaffenheit - rechtswidrig festgelegt und gebildet seien. Denn in "Wahlkreise" iS des Art117 Abs2 B-VG ist das Gemeindegebiet nur dann eingeteilt, wenn es nicht bloß in territorial umschriebene (abgegrenzte) Teilbereiche zerfällt, sondern wenn darüber hinaus die bei der Gemeinderatswahl zu vergebenden Mandate auf diese einzelnen Bereiche ("Wahlkreise") aufgeteilt und (wie nach der Wr. GWO) den wahlwerbenden Parteien aufgrund des Stimmenverhältnisses im jeweiligen Wahlkreis in einem die wahlkreisweise Mandatsvergabe bezweckenden Ermittlungsverfahren zugewiesen werden. Dadurch nämlich unterscheidet sich die Einteilung in "Wahlkreise" von der schlichten Zerlegung des Wahlgebiets in "Wahlsprengel" (iS der TGWO 1973), die lediglich dem Wähler die Stimmabgabe erleichtern soll, nicht aber (auch) der Vergabe der Mandate dient (vgl. §54 TGWO 1973).

Die Argumentation der Anfechtungswerberin, soweit sie eine rechtswidrige Wahlsprengeleinteilung und daraus resultierende weitere Gesetzwidrigkeiten des Wahlverfahrens darzutun sucht, ist darum vom Ansatz her verfehlt und bedarf keiner näheren Erörterung.

2.2.2. Der VfGH vermag der Anfechtungswerberin aber auch nicht zu folgen, wenn sie die Rechtsgültigkeit einer Koppelungserklärung iS des §31 TGWO 1973 bestreitet.

Abs1 des mit "Koppelung der Wahlvorschläge" überschriebenen §31 TGWO 1973 lautet:

"Wahlvorschläge können miteinander verbunden (gekoppelt) werden. Wenn mehr als zwei Wahlvorschläge gekoppelt werden sollen, muß, damit eine gültige Koppelung zustande kommt, jeder Wahlvorschlag mit jedem der anderen zu koppelnden Wahlvorschläge gekoppelt werden. Die Koppelung ist durch die Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppen spätestens am vierzehnten Tag vor dem Wahltag bis 18 Uhr der Gemeindewahlbehörde schriftlich zu erklären. Diese Erklärungen müssen jeweils von mindestens einem Viertel der Wahlwerber der zu koppelnden Wahlvorschläge unterfertigt sein. Die Koppelungen sind von der Gemeindewahlbehörde unverzüglich ortsüblich zu verlautbaren."

Die Anfechtungswerberin räumt selbst ein, daß die hier strittige Koppelungserklärung von jeweils einem Viertel der Wahlwerber unterschrieben war. Damit ist aber den Unterschriftserfordernissen des §31 Abs1 TGWO 1973 - nach dem unmißverständlichen Wortlaut des Gesetzes - vollauf Genüge getan. Der Umstand, daß sich darunter Wahlwerber befanden, welche die Koppelung in ihrer Eigenschaft als Zustellungsbevollmächtigte der Gemeindewahlbehörde iS des 3. Satzes des §31 Abs1 TGWO 1973 "schriftlich zu erklären" hatten, führt zu keiner anderen Beurteilung; die TGWO 1973 bietet keinen wie immer gearteten Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Zustellungsbevollmächtigte nicht (auch) "Wahlwerber" in der Bedeutung des zitierten §31 sein dürfe. Für den Standpunkt der Anfechtungswerberin läßt sich auch nicht mit Grund ins Treffen führen, §31 Abs2 TGWO 1973 verlange für die Auflösung einer (Listen-)Koppelung eine schriftliche Erklärung des Zustellungsbevollmächtigten und eines Viertels der Wahlwerber, weil der Gesetzgeber mitbedenken mußte, daß der Zustellungsbevollmächtigte eben nicht zugleich auch Wahlwerber sein könnte. Bei der hier gebotenen strikten Wortinterpretation sind die relevanten Voraussetzungen des §31 Abs2 TGWO 1973 (: Einschreiten des "Zustellungsbevollmächtigten" und "eines Viertels der Wahlwerber") jedenfalls selbst dann gegeben, wenn jemand aus der unterschreibenden Wahlwerbergruppe (= ein Viertel der Wahlwerber) als Zustellungsbevollmächtigter auftritt: Denn auch in diesem Fall stammt das (Auflösungs-)Begehren sowohl vom "Zustellungsbevollmächtigten" als auch von "einem Viertel der Wahlwerber".

2.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die in der Anfechtungsschrift behaupteten Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens nicht vorliegen.

Die Wahlanfechtung war darum - als unbegründet - abzuweisen.

2.4. Kosten konnten nicht zugesprochen werden, weil ein Kostenersatz im Verfahren nach Art141 B-VG nur in §71a Abs5 VerfGG 1953 idF BGBl. 311/1976 (vgl. dazu auch §27 VerfGG 1953) vorgesehen ist, welche Bestimmung im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg. 9086/1981).

Schlagworte

Wahlen, Wahlrecht aktives, Wahlvorschlag, Wahlkreise, VfGH / Wahlanfechtung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1986:WI5.1986

Dokumentnummer

JFT_10138794_86WI0005_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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