TE Vfgh Erkenntnis 1987/2/26 B923/86

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Veröffentlicht am 26.02.1987
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

FrPG §3 idF vor der Nov BGBl 555/1986
FrPG §6 Abs1 und Abs2
FrPG §8
MRK Art8

Leitsatz

Abweisung eines Antrags auf Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes; keine Bedenken gegen §8 FrPG, der seinen Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit dem unter Fristsetzung aufgehobenen §3 gewinnt (VfSlg. 10737/1985) - bis zum Fristablauf auch §8 verfassungsrechtlich unangreifbar; Eingriff in das durch Art8 MRK gewährleistete Recht schon durch Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach §3, ebenso durch die Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsverbotes, selbst wenn dem Fremden eine befristete Erlaubnis zum Betreten des Bundesgebietes nach §6 Abs1 erteilt wurde; bis zur Erlassung einer dem Art8 MRK entsprechenden gesetzlichen Regelung ist bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bzw. bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes (auch) Art8 Abs2 MRK als unmittelbar anwendbares Recht zu beachten; hier keine Abwägung der (maßgeblich geänderten) familiären und privaten Interessen gegenüber den öffentlichen Interressen - Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art8 MRK

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 11.000,-bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die Bundespolizeidirektion (BPD) Graz verhängte mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 9. Oktober 1980 über

I K - einen türkischen Staatsangehörigen - gemäß §3 Abs1 und 2 lita und e iVm §4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, (FrPG) ein bis zum 8. Oktober 1990 befristetes Aufenthaltsverbot für das gesamte Bundesgebiet.

Diese Maßnahme wurde damit begründet, daß er sich, ohne im Besitze einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Sichtvermerkes zu sein, in Österreich aufhalte und daß er nicht in der Lage sei, die Mittel zu seinem Unterhalt nachzuweisen.

Er wurde am 10. Oktober 1980 aus Österreich abgeschoben. Am 19. Dezember 1981 heiratete er (in der Türkei) eine österreichische Staatsbürgerin. In der Folge wurde ihm - gestützt auf §6 Abs1 FrPG - bescheidmäßig das mehrmalige Wiederbetreten des Bundesgebietes während bestimmter Zeiträume gestattet; außerdem wurden ihm Vollstreckungsaufschübe nach §6 Abs2 FrPG erteilt, zuletzt bis 30. Mai 1986. Er wohnte während seines Aufenthaltes in Österreich in Wien bei seiner Ehegattin.

b) Am 25. März 1986 beantragte I K - der inzwischen wieder in die Türkei ausgereist war - das eingangs erwähnte Aufenthaltsverbot aufzuheben. Er begründete dies mit dem Hinweis auf die erfolgte Eheschließung; seine Ehegattin sei in der Lage, ihm ausreichenden Lebensunterhalt zu verschaffen.

Die BPD Graz gab mit Bescheid vom 27. August 1986 gemäß §8 FrPG diesem Antrag keine Folge.

Sie begründete dies nach einer kurzen Sachverhaltsschilderung wie folgt:

".... K I gab aber auch nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes wiederholt Anlaß zu polizeilichem Einschreiten, und erscheint bei der Bundespolizeidirektion Wien wie folgt als verwaltungsrechtlich bestraft auf:

Pst 3254/81, ArtIX EGVG, S 500,-- Nef. 50 Stfd. ArtVIII EGVG

S 500,--, Nef. 50 Std., §16 Meldegesetz S 1.000,--,

Nef. 100 Std.,

Pst 2752/85, §8 (4) StVO, S 600,--, Nef. 36 Std. (offen),

Pst 3606/85, §36 e KFG, S 800,--, Nef. 48 Std.  (offen),

Pst 4687/85,     - " -    - " -       - " -      - " - ,

Pst 4769/85,     - " -    - " -       - " -      - " - ,

Pst 4867/85,     - " -    - " -       - " -      - " - ,

Pst  376/86,     - " -    - " -       - " -      - " - .

Der Vermerk 'offen' bedeutet, daß die ausgesprochene Geldstrafe noch nicht bezahlt wurde.

Am 20.7.1985, gegen 02.10 Uhr, wurde K I in Wien ... wegen überhöhter Fahrgeschwindigkeit von Wachebeamten der BPD Wien beamtshandelt, wobei er gleichzeitig noch weiterer Verkehrsdelikte verdächtig erschien und zwar: Lenken eines Kfz ohne gültiger Lenkerberechtigung gemäß §64 (5) KFG, Verdacht der Beeinträchtigung durch Alkohol gemäß §5 (1) StVO, sowie abermals wegen abgelaufener Begutachtungsplakete gem. §57 a i.V.m. §103

(1) KFG. Diesbezüglich ist beim Bezirkskommissariat Wien-Hernals gegen K I zu Pst 3184/85 ein Verwaltungsstrafverfahren anhängig, welches derzeit noch nicht abgeschlossen ist.

In dem eingangs angeführten Parteiantrag wird ausgeführt, die Ehegattin des Antragstellers sei in der Lage, sowohl für sich selbst als auch für ihren Ehemann ausreichenden Lebensunterhalt zu verschaffen. Allerdings wurde hiefür keinerlei Nachweis angeboten, bzw. nicht erwähnt woher I K tatsächlich die zu seinem Lebensunterhalt erforderlichen Mittel nimmt. Die erkennende Behörde hat deshalb mit Schreiben vom 10.4.1986 den bevollmächtigten Parteienvertreter Kenntnis vom Ermittlungsergebnis gegeben und ihn eingeladen, hiezu binnen einem Monat nach Erhalt des Schreibens Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme ist aber bis dato ha. nicht eingelangt. Die Behörde vertritt somit den Standpunkt, daß I K zur Zeit offenbar nicht in der Lage ist, im Sinne des §3 (2) lite Fremdenpolizeigesetz den Besitz oder redlichen Erwerb der Mittel zu seinem Lebensunterhalt nachzuweisen. Dies wird auch noch durch die Tatsache erhärtet, daß der Genannte, wie bereits erwähnt, bei der Bundespolizeidirektion Wien sechs Verwaltungsstrafen 'offen' hat, d. h. die bereits rechtskräftigen Geldstrafen wurden bisher nicht bezahlt. Aus der oben geschilderten Sachlage ergibt sich, daß I K, wie seine wiederholt begangenen Gesetzesverletzungen eindeutig beweisen, nicht bereit ist, sich gemäß §2 (2) Fremdenpolizeigesetz dem österr. Gesetz anzupassen. Anzufügen wäre in diesem Zusammenhang auch noch, daß K I auch wiederholt trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes ohne Bewilligung gemäß §6 (1) Fremdenpolizeigesetz, also unerlaubterweise, nach Österreich eingereist ist und deswegen auch wiederholt verwaltungsrechtlich abgestraft wurde und zwar durch die Bundespolizeidirektion Wien mit Straferkenntnis vom 6.5.1981, Pst 1534/81, sowie auch durch die BH Leibnitz mit der Strafverhandlungsschrift vom 4.3.1982.

Wie das Ermittlungsverfahren eindeutig ergeben hat, sind jene Gründe die seinerzeit für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebend waren, noch immer aufrecht, sodaß aufgrund der Bestimmung des §8 Fremdenpolizeigesetz der gegenständliche Parteiantrag abschlägig zu erledigen war."

c) Die BPD Graz erteilte in der Folge I K - der wieder in die Türkei verzogen war - antragsgemäß mit Bescheid vom 17. Oktober 1986 gemäß §6 Abs1 FrPG eine bis zum 15. Oktober 1987 befristete Erlaubnis zum Betreten des Bundesgebietes.

2. Gegen den auf §8 FrPG gestützten Bescheid vom 27. August 1986 erhebt I K die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH. Darin wird die Verletzung des nach Art8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

3. Die BPD Graz als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

4. Die hier in erster Linie maßgebende Bestimmung des §8 FrPG lautet:

"Das Aufenthaltsverbot ist von der Behörde, die es erlassen hat, auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind."

II. Der VfGH hat über die - zulässige (siehe zur Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges §11 Abs4 FrPG) - Beschwerde erwogen:

1. Der VfGH hat mit Erkenntnis VfSlg. 10737/1985, §3 FrPG als verfassungswidrig aufgehoben, jedoch verfügt, daß diese Aufhebung erst mit Ablauf des 30. November 1986 in Kraft tritt.

2. Zunächst ist festzustellen, daß gegen §8 FrPG unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Diese Bestimmung gewinnt ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit §3 FrPG über das Aufenthaltsverbot. Diese Vorschrift ist aber aufgrund des oben (II.1.a) zitierten hg. Erkenntnisses vom 12. Dezember 1985 verfassungsrechtlich unangreifbar geworden (vgl. zB VfSlg. 4718/1964, 5310/1966, 8483/1979). §3 FrPG in der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung maßgebenden Stammfassung kann daher innerstaatlich nicht in Widerspruch zu dem auf Verfassungsstufe befindlichen Art8 MRK stehen. Damit aber war vorerst auch §8 FrPG verfassungsrechtlich saniert.

3. Die vom VfGH verfügte Aufhebung des §3 FrPG hat keinerlei Eingriff in die Rechtskraft früher aufgrund dieser Vorschrift erlassener Bescheide bewirkt. Auch §8 FrPG berechtigt oder verpflichtet die Behörde nicht, nun zu überprüfen, ob der Bescheid, mit dem seinerzeit das Aufenthaltsverbot verhängt wurde, rechtmäßig war. Die Behörde hat also im Verfahren nach §8 FrPG nicht allfällige Fehler des Aufenthaltsverbots-Bescheides aufzugreifen. Vielmehr hat sie das Aufenthaltsverbot (nur dann) aufzuheben "wenn die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind", wenn sich also nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes Umstände, die seinerzeit für seine Verhängung maßgebend waren, derart zugunsten des Fremden geändert haben, daß das Aufenthaltsverbot nun nicht mehr zu verhängen wäre.

Wie der VfGH im Erkenntnis vom 12. Dezember 1985 (s.o. II.1.a) dargetan hat, kann schon die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß §3 FrPG - und nicht erst die Ablehnung eines Vollstreckungsaufschubes nach §6 Abs2 FrPG - einen Eingriff in das durch Art8 MRK gewährleistete Recht auf Privatund Familienleben bewirken. Die Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsverbotes kann dieselbe Wirkung entfalten. Dies auch dann, wenn - wie hier (s.o. I.1.c) - dem Fremden eine Erlaubnis nach §6 Abs1 FrPG erteilt wurde; eine derartige Bewilligung gestattet nämlich nur, für einen bestimmten Zeitraum - ungeachtet des bestehenden Aufenthaltsverbotes - das Bundesgebiet zu betreten; das Aufenthaltsverbot entfaltet also nach wie vor Wirkungen, die den Fremden belasten und allenfalls in sein Privat- und Familienleben nachteilig eingreifen.

Art8 MRK enthält - wie im zitierten hg. Erkenntnis ausgeführt wurde - ein spezielles, an den Gesetzgeber gerichtetes Determinierungsgebot; diese auf Verfassungsstufe stehende Konventionsbestimmung verpflichtet den einfachen Gesetzgeber, die für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes bestehenden Eingriffsschranken deutlich zu machen.

Solange aber der Gesetzgeber diese näheren Bestimmungen nicht erlassen hatte - das war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht der Fall (siehe FrPG-Nov., BGBl. 555/1986) - war die Verwaltungsbehörde verpflichtet, auch im Zusammenhang mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes den Art8 Abs2 MRK als innerstaatlich unmittelbar anwendbares (zusätzlich zu §3 FrPG id Stammfassung geltendes) Recht zu beachten. Die Verwaltungsbehörde hatte also anhand des Art8 Abs2 MRK in jedem konkreten Fall zu beurteilen, ob die dort weitmaschig - umschriebenen Voraussetzungen vorliegen, die es erlauben, ungeachtet des Eingriffes in das Privat- und Familienleben ein Aufenthaltsverbot zu erlassen; der Eingriff mußte mithin ein Ziel haben, das nach Art8 Abs2 MRK gerechtfertigt ist und mußte zur Erreichung dieses Zieles in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein.

Wenn die Behörde bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes diese Aufgabe vernachlässigte, verletzte sie das durch Art8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht. Gleiches gilt für die Entscheidung nach §8 FrPG, ob das Aufenthaltsverbot aufrechtzuerhalten oder aufzuheben ist (siehe VfGH 8.10.1986 B490/86).

Die Meinung der bel. Beh., die anscheinend der Ansicht ist, daß mangels einer in diese Richtung gehenden ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung §8 FrPG eine Berücksichtigung der privaten und familiären Verhältnisse geradezu ausschließe, ist sohin verfehlt.

d) Der Bf. hat seinen auf §8 FrPG gestützten Antrag ausschließlich mit seinen familiären Beziehungen in Österreich begründet.

Durch die nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes erfolgte Eheschließung des Bf. mit einer in Wien wohnhaften österreichischen Staatsbürgerin hatten sich seine familiären Verhältnisse in maßgebender Hinsicht geändert. Die bel. Beh. wäre also - entgegen ihrer in der Gegenschrift zum Ausdruck kommenden Meinung - zumindest unter diesen Umständen verhalten gewesen, sich damit auseinanderzusetzen; sie hätte die geänderten - familiären und privaten Interessen einerseits und die öffentlichen Interessen andererseits gegeneinander - auf nachvollziehbarer Weise - abzuwägen gehabt (vgl. hiezu VfGH 8.10.1986 B490/86).

Diese gebotene Interessenabwägung hat die Behörde hier unterlassen. Daraus folgt, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art8 MRK verletzt wurde.

Der angefochtene Bescheid war mithin aufzuheben.

2. Der Kostenspruch gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 1.000,-- enthalten.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Aufenthaltsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B923.1986

Dokumentnummer

JFT_10129774_86B00923_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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