TE Vwgh Erkenntnis 1969/1/15 0531/68

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Veröffentlicht am 15.01.1969
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §65;
AVG §66 Abs4;
AVG;
GewO 1859 §30 Abs4;
VwGG §42 Abs2 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr.Werner und die Hofräte Dr. Striebl, Dr. Rath, Kobzina und Dr. Hrdlicka als Richter, im Beisein des Schriftführers, prov. Landesregierungskommissär Dr. Traxler über, die Beschwerde des Dr. L. D, Rechtsanwalt in Wien I, gegen 1.) den Bescheid des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 7. Februar 1968, Zl. 159.635-III-13-19/67, und 2.) gegen den Bescheid des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 29. Februar 1968, Zl. 155.930-III-13-19/68 (mitbeteiligte Partei: T. L in H, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in Salzburg,), betreffend Genehmigung einer Betriebsanlage, zu Recht erkannt:

Spruch

1.) Der angefochtene Bescheid vom 7. Februar 1968 wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

2.) Der angefochtene Bescheid vom 29. Februar 1968 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben:

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 2.360,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau erteilte mit ihrem Bescheid vom 1. September 1964 der im Verfahren vor dem Gerichtshof mitbeteiligten Partei gemäß dem § 25 der GewO die gewerbebehördliche Genehmigung zum Betrieb eines Steinbruches auf der im Eigentum der Österreichischen Bundesforste stehenden Parzelle nn1, KG. X. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, der als Anrainer zur mündlichen Verhandlung wegen Genehmigung der Betriebsanlage im Verfahren vor der Gewerbebehörde erster Instanz nicht geladen worden war und am 21. November 1966 die Zustellung des Bescheides beantragt hatte, in offener Frist das Rechtsmittel der Berufung. In dieser Berufung erhob er gegen den Betrieb des Steinbruches, in dem auch Sprengungen vorgenommen würden, Einwendungen. Sie betreffen folgende Punkte:

1.) Durch die mit den Sprengungen verbundenen Einwirkungen (Lärm, Erschütterungen und losgetrennte Gesteinsteile) würden die in der Nähe befindlichen Häuser seines Seegutes betroffen.

2.) In unmittelbarer Nähe der Abbruchstelle befänden sich Wildeinstände. Die Sprengdetonationen würden im engen Talgrund ein mehrfaches Echo hervorrufen, durch welches das Wild aus dem ganzen Talschluss vertrieben würde, was zu einer völligen Entwertung seines Jagdrevieres führen würde.

3.) Die Zufahrt zum Steinbruch führe über einen ihm gehörigen Privatweg. Da er zu einer Benützung dieses Weges keine Zustimmung erteilt habe und ein anderer Zugang nicht vorhanden sei, sei der Betrieb des Steinbruches schon mangels einer Zufahrt nicht möglich. Die im Steinbruch gewonnenen Steine müssten auf seinem Grund gelagert werden. Hiefür gäbe er keine Zustimmung.

5.) Er beabsichtige nahe dem Steinbruch eine Jausenstation zu errichten. Durch die Inbetriebnahme des Steinbruches würde die Errichtung der Jausenstation unmöglich gemacht werden.

6.) Der Steinbedarf des gesamten Arltales könnte auch durch andere Steinbrüche gedeckt werden.

7.) Durch die Sprengungen würde das Weidevieh gefährdet und überhaupt die angrenzende Weide entwertet werden.

8.) Der Betrieb des Steinbruches würde das Landschaftsbild des Talschlusses des Großarler Tales empfindlich stören.

Das Amt der Salzburger Landesregierung gab der Berufung mit dem namens des Landeshauptmannes erlassenen Bescheid vom 17. August 1967 keine Folge. Es wies unter einem die vom Beschwerdeführer wegen Gefährdung bzw. Beeinträchtigung seiner Liegenschaft erhobenen Einwendungen als unbegründet ab sowie seine übrigen Einwendungen als unzulässig zurück. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 28. August 1967 zugestellt und von diesem mit Berufung vom 11. September 1967, sohin fristgerecht, im administrativen Instanzenzug bekämpft. Die am 11. September 1967 zur Post gegebene Berufung enthielt den Antrag, den angefochtenen Bescheid dahin gehend abzuändern, dass seiner Berufung gegen den Bescheid vom 1. September 1964 Folge gegeben werde. In der Begründung seines Berufungsantrages brachte der Beschwerdeführer vor, der von ihm bekämpfte Bescheid des Amtes der Landesregierung behaupte zu Unrecht, dass durch die Sprengungen eine Beeinträchtigung seines Seegutes nicht eintrete. Zur Vorbringung weiterer Berufungsgründe beantragte der Beschwerdeführer die Einräumung einer Frist von 2 Wochen, um deren weitere Erstreckung bis zum 31. Oktober 1967 er in der Folge ersuchte.

Mit Eingaben vom 27. Oktober 1967 sowie vom 8. Februar 1968 trug der Beschwerdeführer der Rechtsmittelinstanz weitere Berufungsausführungen vor.

Das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie gab

1.) mit Bescheid vom 7. Februar 1968, a) der Berufung vom 11. September 1967 keine Folge und wies b) unter einem die Berufung (Berufungsergänzung) vom 27. Oktober 1967 als verspätet zurück.

2.) Mit Bescheid vom 29. Februar 1968 wies das Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie die weitere Berufungsergänzung vom 8. Februar 1968 gleichfalls, als verspätet zurück.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, mit welchen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet werden.

Im Hinblick auf den inneren Zusammenhang beider Beschwerden hat der Gerichtshof diese zur gemeinsamen Erledigung verbunden und erwogen:

1.

Unbeschadet der Tatsache, dass eine Ausführung der Berufung hinsichtlich ihrer formalen Voraussetzungen nach Ablauf der Berufungsfrist unzulässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. März 1966, Zl. 946/65), sind, wie der Gerichtshof in ständiger Judikatur dargetan hat, im Grunde des § 39 AVG. 1950 auch im Berufungsverfahren die Grundsätze der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit anzuwenden. Das hat zur Folge, dass die Berufungsbehörde auf neue Tatsachen und Beweismittel, mag sie aus welchem Grund immer davon Kenntnis erlangt haben, Bedacht nehmen muss. Den Parteien kann es daher keineswegs verwehrt sein, im weiteren Verlauf des Verfahrens, solange der Berufungsbescheid nicht ergangen ist, neue Tatsachen und Beweise vorzubringen, mit denen sich die Berufungsbehörde auf jeden Fall auseinander zu setzen hat. Denn nur in Bezug auf die formalen Erfordernisse einer Berufung gilt der Grundsatz, dass sie nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr nachgetragen werden dürfen. Liegt aber eine Berufung vor, die den Erfordernissen des § 63 Abs. 3 und 5 AVG. 1950 entspricht, und daher zu einer Sachentscheidung der Berufungsbehörde zu führen geeignet ist, wird auch auf ein späteres Vorbringen der Partei - jedenfalls soweit es sich auf neue Tatsachen und Beweise bezieht - Bedacht zu nehmen sein (Hinweis auf das Erkenntnis des Bundesgerichtshofes vom 14. Jänner 1936, S1g. Nr. 784/A, ferner insbesondere auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1951, Slg. N.F. Nr. 2227/A, sowie das Erkenntnis vom 19.November 1957, Zl. 1638/55, und Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren, siebente Auflage, Seite 266 f., Anm. 5).

Die im administrativen Instanzenzug erhobene Berufung des Beschwerdeführers vom 11. September 1967 enthielt einen begründeten Berufungsantrag und entsprach auch im übrigen den Formerfordernissen des § 63 Abs. 3 und 5 AVG 1950. Es ist daher im Hinblick auf die bekämpfte Zurückweisung der Berufung vom 27. Oktober 1967 zu prüfen, inwieweit die fragliche Berufungsergänzung solche Tatsachen und Beweismittel enthielt, auf die die belangte Behörde dem Vorstehenden gemäß Bedacht zu nehmen gehabt hätte.

In seinem Antrag vom 27. Oktober 1967 führte der Beschwerdeführer ergänzend zu seiner Berufung vom 11. September 1967 aus, der geplante Steinbruch liege in einem ruhigen, abgeschiedenen Tal, sodass die mit Sprengungen verbundenen Erschütterungen und die Lärmentwicklung das ortsübliche Ausmaß zweifelsfrei überschritten. Durch den nach der Sprengung anfallenden Staub falle die davon betroffene Fläche als Weidegebiet praktisch aus, weil das Vieh kein mit Kalkstaub stark bedecktes Gras fresse. Tatsache sei, so brachte der Beschwerdeführer in diesem Schriftsatz weiter vor, dass das Vieh vor Sprengungen aus dem Gefahrenbereich weggetrieben werden müsste, was für ihn mit den Kosten einer Arbeitskraft verbunden wäre. Außerdem seien Lärm und Erschütterungen für das Vieh schädlich, da es beunruhigt werde und die Milchleistung zurückgehe. Des weiteren machte der Beschwerdeführer geltend, dass durch die Detonation die in der Nähe befindlichen Häuser seines Seegutes auf das Schwerste beeinträchtigt würden. Der Beschwerdeführer wandte sich ferner gegen die Zurückweisung seiner auf sein Jagdrecht gestützte Einwendung, dass durch den Betrieb des Steinbruches das Wild aus dem Talschluss vertrieben werde, was zu einer völligen Entwertung seines Jagdreviers führen würde. Schließlich berief sich der Beschwerdeführer darauf, dass die Parzelle, auf der der Steinbruchbetrieb vom Genehmigungswerber ins Auge gefasst, werde, eine Hangparzelle sei, die zwischen dem ihm gehörigen Grundstück in der Talsohle und seinen höher gelegenen anschließenden Grundstücken liege. In dem sehr engen Talschluss würde das Echo der Sprengdetonationen von einer Talseite zur anderen geworfen werden und eine völlige Entwertung seines angrenzenden Besitzes (U, V, W, X und Y) von 3.100 ha bewirken. Auch würde dies ein Abwandern des Wildes nach Kärnten und in den Lungau bewirken.

Der Beschwerdeführer brachte sohin auch Tatsachen vor, mit denen sich die Berufungsbehörde hätte auseinander setzen müssen. Da die belangte Behörde es unterließ, auf das ergänzende Vorbringen des Beschwerdeführers als Partei des Verwaltungsverfahrens vom 27. Oktober 1967 Bedacht zu nehmen, hat sie Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Da der angefochtene Bescheid vom 7. Februar 1968 weiters das ergänzende Berufungsvorbringen vom 27. Oktober 1967 zur Gänze, somit auch hinsichtlich jener Punkte, die neue Tatsachen enthielten, ohne auf diese einzugehen, allein unter Berufung auf deren nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgte Einbringung zurückwies, ist er insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Es hätte die belangte Behörde aber das Vorbringen auch dann insoweit nicht zurückweisen dürfen, als neue Rechtsausführungen darin vorgebracht wurden. Die belangte Behörde verkannte diesbezüglich den normativen Gehalt des § 39 AVG 1950. Darüber hinaus unterstellte die belangte Behörde - wie sich aus den Ausführungen ihrer im - verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gegenschrift ergibt - dem Beschwerdeführer zu Unrecht, dass er seine Eingabe vom 27. Oktober 1967 als (neue) Berufung aufgefasst wissen wollte. Hiefür boten aber weder der Wortlaut des Schriftsatzes noch die Aktenlage einen Grund.

Der Berufungsbescheid leidet auch im Bereich der Abweisung an einer objektiven inhaltlichen Rechtswidrigkeit, weil die Berufungsbehörde den Bescheid des Amtes der Landesregierung aufrechterhielt, obwohl dieser Bescheid mit der Regelung des § 30 Abs. 4 der Gewerbeordnung in Widerspruch steht. Denn dort ist angeordnet, dass, falls im Genehmigungsverfahren privatrechtliche Einwendungen erhoben und nicht gütlich bereinigt werden, diese bei Erteilung der Genehmigung ausdrücklich anzuführen und auf den Zivilrechtsweg zu verweisen sind. Zwar ist die Verweisung auf den Zivilrechtsweg eine, bloße Unzuständigkeitserklärung, diese ist aber nicht mit einer Zurückweisung ident, da die Zurückweisung eine sachliehe Zuständigkeit der Behörde in abstracto voraussetzt. In dieser Hinsicht hätte die Ministerialinstanz den Bescheid abzuändern gehabt. Dieser Mangel des angefochtenen Bescheides tritt indes gegenüber den im Vorstehenden aufgezeigten Aufhebungsgründen in den Hintergrund.

Es war daher der angefochtene Bescheid vom 7. Februar 1968 a) soweit er der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gab (und diese als unbegründet abwies), gemäß § 42 Abs. 2 lit.c Z. 3 des VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben; b) soweit er das Berufungsvorbringen vom 27. Oktober 1967 als verspätet zurückwies, zufolge Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

2.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 29. Februar 1968 wurde eine weitere Berufungsergänzung des Beschwerdeführers mit der Begründung als verspätet zurückgewiesen, dass diese erst nach Ablauf der Berufungsfrist, und zwar am 8. Februar 1968 eingebracht wurde.

Die belangte Behörde fasste sohin auch diesen Schriftsatz als selbständige Berufung auf, obgleich der Beschwerdeführer diesen Schriftsatz ausdrücklich als Ergänzung seiner Berufung vom 11. September 1967 und seiner Eingabe vom 27. Oktober 1967 bezeichnet und dazu auf seine Vorsprache bei der belangten Behörde am 10. Jänner 1968 Bezug genommen hatte. Der Beschwerdeführer brachte in der Eingabe Tatsachen, aber auch Beweise vor, insbesondere zur Veranschaulichung der örtlichen Lage und der Ortsverhältnisse. Sohin gelten auch insoweit die im Vorstehenden zu 1 b gemachten Ausführungen.

Da die belangte Behörde dieses ergänzende Parteivorbringen zu Unrecht als Berufung aufgefasst hatte und mit der Begründung zurückwies, dass die Berufung (die Eingabe) nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bei ihr einlangte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Der angefochtene Bescheid vom 29. Februar 1968 war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Bestimmungen des § 47 Abs. 1 und 2 lit. a, des § 48 Abs. 1 lit. a, b und d und des § 49 Abs. 1 VwGG 1965 sowie des Art. I Abschnitt A Z. 1 und 2 der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom 4. Jänner 1965, BGBl. Nr. 4. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Wien, am 15. Jänner 1969

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1969:1968000531.X00

Im RIS seit

30.04.2002

Zuletzt aktualisiert am

22.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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