TE Vwgh Erkenntnis 1970/9/21 1871/69

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.1970
beobachten
merken

Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §69 Abs1 litb;
BAO §303 Abs1 litb;
VStG §47;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dkfm. Dr. Porias und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmid, Dr. Schmelz und Dr. Jurasek als Richter, im Beisein des Schriftführers Bezirksrichter Dr. Gerhard, über die Beschwerde des Ing. HT in W, vertreten durch Dr. Harald Ofner, Rechtsanwalt in Wien XVI, Schuhmeierplatz 14, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. Oktober 1969, Zl. I/7-4529/4-1969, wegen Wiederaufnahme eines Verwaltungsstrafverfahrens, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde Rechtsanwalt Dr. Harald Ofner, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Zwettl sprach mit Strafverfügung vom 18. Dezember 1968 aus, der Beschwerdeführer habe am 20. September 1968 um 9 Uhr 50 mit dem Personenkraftwagen, Kennzeichen N nnn.nnn, auf der Bundesstraße Nr. 4, in Richtung Scheideldorf das Ortsgebiet von Göpfritz an der Wild mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 bis 80 Stundenkilometer durchfahren und dadurch die Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 begangen.

Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 wurde gegen ihn eine Geldstrafe von S 250,-- (Ersatzarreststrafe von 48 Stunden) verhängt. Der gegen diese Strafverfügung vom Beschwerdeführer erhobene Einspruch, in dem der Beschwerdeführer behauptete, nicht über Göpfritz, sondern über Gföhl nach Zwettl gefahren zu sein, wurde von der Bezirkshauptmannschaft Zwettl mit Bescheid vom 17. Jänner 1969 gemäß § 49 Abs. 4 VStG 1950 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 19. Februar 1969 keine Folge.

Am 12. Februar 1969 stellte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft Zwettl einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. In diesem Antrag brachte der Beschwerdeführer vor, dass er am 5. Februar 1969 in Erfahrung gebracht habe, dass aus den Aufzeichnungen des Zeugen Friedrich K., mit dem er durch seine berufliche Tätigkeit in Verbindung gestanden sei, hervorgehe, am 20. September 1968 bereits knapp vor 9 Uhr in Zwettl gewesen zu sein. Er könne daher nicht an diesem Tage um 9 Uhr 50 durch Göpfritz an der Wild in Richtung Zwettl gefahren sein.

Der in der Folge vernommene Zeuge Friedrich K. bestätigte, dass aus seinen Aufzeichnungen - welche er für Nachweise gegenüber seinem Dienstgeber benötige - zu ersehen sei, dass der Beschwerdeführer am 20. September 1968 spätestens um 9 Uhr 15 in Zwettl gewesen sei, wo er, der Zeuge, sich mit dem Beschwerdeführer bei der Baustelle "XY" getroffen habe. In der Folge sei er dann bis Dezember 1968 noch mehrmals mit dem Beschwerdeführer dienstlich zusammengekommen; nach diesem Zeitpunkt habe er nur telefonisch mit dem Beschwerdeführer gesprochen. Am 5. Februar 1968 habe der Beschwerdeführer ihm anlässlich eines dienstlichen Zusammentreffens vom gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren Mitteilung gemacht, worauf er, der Zeuge, ihm gesagt habe, dass aus seinen Aufzeichnungen hervorgehe, wann der Beschwerdeführer am 20. September 1968 spätestens beim Zeugen in Zwettl eingetroffen sei.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 1969 gab die belangte Behörde dem Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers keine Folge und führte in ihrer Begründung aus, dass es sich bei dem Zeugen Friedrich K. nicht um ein neu hervorgekommenes Beweismittel handle, weil dem Beschwerdeführer von Anfang an bekannt gewesen sei, dass er sich am gg. Tage mit diesem Zeugen getroffen habe. Auch das nachträgliche Bekanntwerden der Aufzeichnungen dieses Zeugen stelle keinen Wiederaufnahmegrund dar, weil Zeugen auch aus dem Gedächtnis bestimmte Angaben machen könnten. In der Sache selbst vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass auf Grund dieser Zeugenaussage die Zeit der Besprechung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Zeugen K offen geblieben sei, und der Beschwerdeführer daher zur Tatzeit am Tatort hätte gewesen sein können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer als Beschwerdegründe Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht. Er führte hiezu im wesentlichen aus, im ganzen Strafrecht und sohin auch im Verwaltungsstrafverfahren herrsche das Prinzip der materiellen Wahrheit, das bewirke, dass die Behörde von sich aus alle zur Erforschung der materiellen Wahrheit gehörigen Fragen zu stellen habe. Es wäre daher Sache der belangten Behörde gewesen, an den vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen und an den Beschwerdeführer selbst Fragen in der Richtung zu stellen, ob der Beschwerdeführer vor dem 5. Dezember 1969 annehmen habe können, dass der Zeuge Friedrich K. auch ohne seine Aufzeichnungen sich an die genaue Uhrzeit des Zusammentreffens am 20. September 1968 hätte erinnern können und somit seine Zeugenqualität für den Beschwerdeführer bereits vorher festgestanden sei. Es wäre auch Aufgabe der Behörde gewesen, durch geeignete Befragung von beiden Personen den Beginn und die Dauer ihrer gemeinsamen Tätigkeit am 20. September 1968 festzustellen. Der Schluss der Behörde, der Zeuge Friedrich K. sei kein neu hervorgekommenes Beweismittel, sei rechtlich unrichtig. Dies deshalb, weil nicht jeder, der einen - für ihn - belanglosen Vorgang vor Monaten wahrgenommen habe, schon deshalb als Zeuge und Beweismittel zu betrachten sei. Zu einem solchen werde er erst, wenn sich herausstelle, dass er sich tatsächlich noch an den belanglosen Vorfall erinnern könne. Der Zeuge Friedrich K. sei daher für den Beschwerdeführer erst ab dem 5. Februar 1969 ein Zeuge und Beweismittel geworden. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei darin gelegen, dass die belangte Behörde, ohne sich auf entsprechende Beweise stützen zu können, zur Annahme gelangt sei, dass der Beschwerdeführer, nachdem er um 8 Uhr 45 gemeinsam mit dem Zeugen Friedrich K. in Zwettl tätig geworden sei, um 9 Uhr 50 bereits in Göpfritz an der Wild gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 setzt die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens u.a. zwingend voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren nicht geltend machen konnte. Der Beschwerdeführer stützte seinen Wiederaufnahmeantrag auf die Behauptung, ihm sei erst am 5. Februar 1969 die Möglichkeit des Nachweises bekannt geworden, dass er am 20. September 1968 bis längstens 9 Uhr 15 in Zwettl gewesen sei und somit nicht um 9 Uhr 50 durch Göpfritz an der Wild habe fahren können.

Wie sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und im Wiederaufnahmeantrag ergibt, ist dieser am 20. September 1968 mit dem Zeugen Friedrich K. beruflich in Zwettl zusammengetroffen. Auf diesen Tag bezieht sich auch die Anzeige gegen den Beschwerdeführer durch die Gendarmerie als Lenker des Personenkraftwagens N nnn.nnn. Zu dieser Anzeige wurde der Beschwerdeführer - dies ist aus den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens ersichtlich - bis längstens 22. November 1968 durch den Gendarmerieposten Maria-Enzersdorf gehört. Ab diesem Zeitpunkt musste also der Beschwerdeführer damit rechnen, dass gegen ihn ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, begangen am 20. September 1968 um 9 Uhr 50 in Göpfritz an der Wild, anhängig gemacht werden könne.

Schon bei dieser Befragung und auch im Einspruch gegen die Strafverfügung bestritt der Beschwerdeführer, an diesem Tag über Göpfritz an der Wild nach Zwettl gefahren zu sein. Weiters musste der Beschwerdeführer aber auch wissen - zumindest hätte er dies leicht aus seinen beruflichen Aufzeichnungen als NEWAG-Techniker feststellen können - wann, wo und mit wem er sich an diesem Tage beruflich getroffen hat. Es wäre ihm daher ein leichtes gewesen, bereits in seinem Einspruch gegen die Strafverfügung auf den von ihm jetzt als Wiederaufnahmegrund angeführten Zeugen hinzuweisen. Dass der von ihm nunmehr namhaft gemachte Zeuge Aufzeichnungen führte, war hiefür nicht Voraussetzung. Aus der Aussage des Zeugen Friedrich K. geht auch hervor, dass dieser und der Beschwerdeführer bis zum 5. Februar 1969 mehrfach in beruflichen Kontakt miteinander gekommen sind, sodass nicht gesagt werden kann, der Zeuge sei dem Beschwerdeführer aus dem Gedächtnis entfallen. Die Aufzeichnungen dieses Zeugen hätten nur dann für den Beschwerdeführer einen tauglichen Wiederaufnahmegrund abgegeben, wenn der Beschwerdeführer von diesem Zeugen überhaupt keine Kenntnis gehabt hätte. So bestand jedoch, wie bereits dargelegt, schon vor dem 5. Februar 1969 für den Beschwerdeführer die Möglichkeit, diesen Zeugen zu führen. Die belangte Behörde konnte somit annehmen, dass der Beschwerdeführer aus seinem Verschulden heraus diesen Zeugen nicht bereits früher namhaft gemacht habe. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass im Verwaltungsstrafverfahren der Grundsatz der Offizialmaxime herrscht. Denn es ist Sache der Partei, alle ihr dienlich erscheinenden Entlastungsbeweise - von denen häufig die Behörde keine Kenntnis hat - anzubieten.

Die vom Beschwerdeführer eingebrachte Beschwerde vertritt die Ansicht, die Behörde hätte im Wiederaufnahmeverfahren von Amts wegen alle weiteren Fragen zu stellen gehabt. Zu diesem Vorbringen ist festzustellen, dass der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 26. Juni 1959, Zl. 2496/56, Slg. N. F. Nr.5007/A, ausgesprochen hat, dass der Verfahrensgrundsatz, dass die Verwaltungsbehörde von Amts wegen vorzugehen hat (§ 39 Abs. 2 AVG 1950), die Partei nicht von der Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen und Verzögerungen hintanzuhalten, befreit, daher die Verfahrensrüge einer Partei abzulehnen ist, die im Verwaltungsverfahren untätig geblieben ist, um erst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ihre Zurückhaltung abzulegen und das Verwaltungsverfahren als mangelhaft zu bekämpfen, an dem sie trotz gebotener Gelegenheit nicht genügend mitgewirkt hat.

Wird die in diesem Erkenntnis zum Ausdruck gebrachte Rechtsmeinung auf den gegenständlichen Beschwerdefall angewendet, dann ist die Verfahrensrüge - wie sie bereits dargestellt wurde - nicht gerechtfertigt, weil der Beschwerdeführer im ganzen Verwaltungsverfahren keine konkreten Ausführungen über seine Tätigkeit nach 9 Uhr 15 am Freitag, den 20. September 1968 in Zwettl machte. Erst in der Beschwerde wurde die Behauptung aufgestellt, der Beschwerdeführer habe sich durch einen Freileitungsbau solange in Zwettl aufgehalten und könne daher unmöglich um 9 Uhr 50 in Göpfritz an der Wild gewesen sein. Für die Behörde bestand sohin keine Verpflichtung, in dieser Richtung an den Zeugen und an den Beschwerdeführer entsprechende Fragen zu richten. Überdies wäre es dem Beschwerdeführer freigestanden, nach der Vernehmung des Zeugen Beweisanträge zu stellen. Auch die weitere Verfahrensrüge der unterlassenen Fragestellung hinsichtlich der Annahme der möglichen Zeugeneigenschaft des Friedrich K. kann nicht zum Ziele führen, weil es Sache der Partei ist, nachzuweisen, dass sie kein Verschulden im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 trifft. Die belangte Behörde hat daher mit Recht den geltend gemachten Wiederaufnahmegrund als nicht gegeben erachtet.

Steht zu Recht fest, dass kein tauglicher Wiederaufnahmegrund vorliegt, dann kann sowohl die geltend gemachte Verfahrensrüge, als auch die Rüge der inhaltlichen Rechtswidrigkeit nicht zum Ziele führen. Allgemein gesehen ist es wohl richtig, dass es einen tauglichen Wiederaufnahmegrund darstellt, wenn jemand von einem ihm bis dahin unbekannten Beweismittel erfährt, aber im gegenständlichen Fall kann dem Zeugen Friedrich K. und seinen Aufzeichnungen diese Qualifikation nicht zuerkannt werden. Nicht die Erinnerungsfähigkeit des Zeugen - wie die Beschwerde meint - macht diesen zu einem Beweismittel, sondern die Tatsache, dass er der Partei als mögliches, wenn auch vielleicht untaugliches, Beweismittel bekannt ist oder bei einer gewissen Sorgfalt ("ohne Verschulden" - § 69 Abs. 1 lit. b AVG) bekannt sein musste.

Was die letzte Rechtsrüge der Beschwerde betrifft, die Behörde sei ohne genügende Feststellungen zur Ansicht gekommen, dass der Beschwerdeführer um 9 Uhr 50 des 20. September 1968 in Göpfritz an der Wild gewesen sei, so ist dazu zu bemerken, dass diese Rüge eigentlich eine Verfahrensrüge darstellt. Für die Beschwerde kann aber daraus nichts gewonnen werden, weil einerseits eine Rechtsverletzung nur aus dem Spruche und nicht aus der Begründung möglich ist und andererseits, die Annahme der Behörde, dass ein tauglicher Wiederaufnahmegrund nicht gegeben ist, richtig ist.

Die Beschwerde war sohin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I der Verordnung vom 4. Jänner.1965, BGBl. Nr. 4.

Wien, am 21. September 1970

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1970:1969001871.X00

Im RIS seit

21.09.1970

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten