TE Vwgh Erkenntnis 1974/11/20 0919/74

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Veröffentlicht am 20.11.1974
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §52;
GewO 1859 §25;

Beachte

Fortgesetztes Verfahren: 2027/75 E 22. Dezember 1976 VwSlg 9212 A/1976;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Strau und die Hofräte Dr. Skorjanec, Kobzina, Dr. Hrdlicka und Dr. Iro als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Leberl, über die Beschwerde des Dr. GH, des Dr. PP und der GP, alle in G, vertreten durch Dr. Wilfried Haidacher, Rechtsanwalt in Graz, Tummelplatz 7, gegen den Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 29. März 1974, Zl. 141.185-II-13/74, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: BV in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Am 26. Februar 1973 suchte BV, die mitbeteiligte Partei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, um die gewerbebehördliche Genehmigung seines Tankstellenprojektes in Graz, X-straße neben dem Haus Nr. nn an. Hierüber fand am 23. Mai 1973 an Ort und Stelle eine Verhandlung statt. Bei dieser Verhandlung erhoben mehrere Anrainer, darunter auch die Beschwerdeführer folgende Einwendungen: a) die geplante Tankstelle komme im Schongebiet des Grundwasserwerkes zu liegen, woraus sich eine Gefahr, für die durch Hausbrunnen erfolgende Wasserversorgung der Anrainer ergebe;

b) da die Landesstraße nur eine Breite von 6 m habe und keinen Gehsteig aufweise, anderseits aber in diesem Bereich 22 Schulkinder wohnen, davon 6 Kinder des Zweitbeschwerdeführers, seien diese Kinder bei Errichtung der Tankstelle einer erhöhten Gefährdung ihrer Sicherheit ausgesetzt, wofür die Ein- und Ausfahrtvorgänge bei der Tankstelle ursächlich seien; c) durch die Tankstelle werde eine Zunahme der schon gegebenen Belästigungen durch Lärm und Luftverschmutzung über das zumutbare Maß hinaus bewirkt, womit auch eine Gefahr für die Gesundheit der Nachbarn verbunden sei. Der Vertreter der drei Beschwerdeführer legte weiters eine schriftliche Einwendung vor, die zum Akt genommen wurde. Der Landeshauptmann von Steiermark erließ sodann den Bescheid vom 29. Juni 1973, mit dem er der mitbeteiligten Partei gemäß den §§ 25, 26 und 30 GewO (1859) die gewerbebehördliche Genehmigung für die geplante Tankanlage auf Grundstück Nr. n1 Katastralgemeinde G, unter Vorschreibung im einzelnen angeführter Bedingungen erteilte. Unter den Bedingungen ist unter Nr. 8 die Vorschreibung enthalten, dass der Betrieb der Tankstelle in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr (Nachtzeit) nicht zulässig ist. Zu den von den Beschwerdeführern in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwendungen führte er aus, dass die Einwendungen der Anrainer wegen Lärm- und Geruchsbelästigung durch die geplante Tankstelle bei der gegebenen örtlichen Lage, nämlich der schon vorhandenen starken Lärm- und Geruchsentwicklung des Straßenverkehrs in einem die Wirkungen des Tankstellenverkehrs nach Häufigkeit und Stärke weit übersteigendem Maße, zumindest in der verkehrsstarken Zeit, nicht begründet seien. Ein Nachtbetriebsverbot und Vorschreibungen zur Vermeidung von Geruchsbelästigungen gewährleisteten überdies, dass keine zusätzliche Störung der Nachtruhe- bzw. keine Geruchsbelästigung in der Nachbarschaft der Tankstelle auftrete. Die Einwände in Bezug auf Sicherheit der Fußgänger (Kinder) bei Benützung der Landesstraße gehörten nicht in den Rechtsbereich der Nachbarschaft, sondern jenen der Straßenaufsichtsbehörde, die aber in dieser Beziehung keine wesentlichen Bedenken habe. Die Beschwerdeführer beriefen. Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde eine Stellungnahme des ärztlichen Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 2. Jänner 1974 abgegeben, die dem Vertreter der Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht wurde und deren Inhalt in der Begründung des angefochtenen Bescheides wiedergegeben ist. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführer nicht Folge. In der Begründung dieses Ministerialbescheides ist ausgeführt: Der Stellungnahme des ärztlichen Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 2. Jänner 1974 zufolge solle die Tankstelle an der Landesstraße errichtet werden, welche Liebenau und Puntigam verbinde. Sie solle als Richtungstankstelle ausgebildet werden. Nur aus Richtung Liebenau kommende Kraftfahrzeuge sollen zur Tankstelle zufahren dürfen. Es sei aktenkundig und unbestritten, dass die Straße sehr stark befahren ist, wobei der Anteil am Schwerverkehr erheblich und auch die nächtliche Verkehrsfrequenz bedeutend sei. Die Parzelle n2, deren Eigentümer der Erstbeschwerdeführer sei, liege unmittelbar an der Landesstraße auf derselben Straßenseite und grenze im Westen an das Grundstück an, auf dem die Tankstelle errichtet werden soll. Die kürzeste Entfernung vom östlichen Parzellenpunkt werde zur Tankstellenausfahrt ca. 20 m, zur Zapfinsel etwa 40 m betragen. Das Wohnprojekt der Zweit- und Drittbeschwerdeführer sei von der Landesstraße ca. 25 m, von der Tankstellenausfahrt ca. 40 m und von der Zapfinsel ca. 45 m entfernt. Auf Grund der sich aus der Aktenlage ergebenden Ortssituation stünde zweifelsfrei fest, dass die gegenständliche Betriebsanlage bei projektsgemäßer Ausführung und bei Erfüllung bzw. Einhaltung der im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Vorschreibungen und Bedingungen, wozu insbesondere die Einhaltung des Betriebsverbotes in der Nacht in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr gehöre, keine ins Gewicht fallende Vermehrung jener Lärm- und Geruchsbelästigung verursachen werde, denen die Anrainer, im wesentlichen durch den Straßenverkehr bedingt, schon jetzt ausgesetzt seien. Gestützt auf diese Äußerung sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass bei Einhaltung der Auflagen des Genehmigungsbescheides weder eine Gefährdung noch eine über das zumutbare Maß hinausgehende Belästigung der Nachbarschaft der in Rede stehenden Tankstelle noch der sonstigen öffentlichen Interessen zu besorgen sei. Was die Einwendungen wegen Gefährdung der Hausbrunnen der Anrainer der in Rede stehenden Tankstelle betreffe, so sei zu sagen, dass auf Grund des Umstandes, wonach die Tankstelle in einem Grundwasserschongebiet errichtet werden soll, eine wasserrechtliche Bewilligung zu erwirken sein werde, bei der Einwendungen der oben geschilderten Art vorzubringen sein werden. Belange des Straßenverkehrs im allgemeinen wahrzunehmen, sei ebenso wenig Aufgabe der Beschwerdeführer, wie Fragen aufzuwerfen, die mit dem Bedarf nach der Errichtung einer Tankstelle im Zusammenhang stehen. Die in der Gegenäußerung enthaltenen Einwendungen hätten aber das Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen nicht entkräften können. Dieses Gutachten widerspreche im übrigen weder den Denkgesetzen noch den Erfahrungen des Lebens. Schließlich wäre es den Beschwerdeführern freigestanden, den Ausführungen des ärztlichen Amtssachverständigen durch Vorlage eines Gutachtens eines Privatsachverständigen entgegenzutreten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die Beschwerde bringt vor, die belangte Behörde sei im angefochtenen Bescheid auf die wesentlichen Berufungseinwände überhaupt nicht eingegangen. Die belangte Behörde beschränke sich auf die Feststellung, dass durch ein so genanntes Gutachten des anonym gebliebenen ärztlichen Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 2. Jänner 1974 nachgewiesen sei, dass bei Einhaltung der Auflagen des Bescheides erster Instanz weder eine Gefährdung noch eine über das zumutbare Maß hinausgehende Belästigung der Anrainer durch das in Rede stehende Tankstellenprojekt zu besorgen sei. Bereits in ihrer Stellungnahme zur Äußerung des ärztlichen Amtssachverständigen hätten die Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass diese Äußerung schon deshalb keine Entscheidungsgrundlage bilden könne, weil sich der Gutachter lediglich auf den Akteninhalt stütze, ohne selbst eine Befundaufnahme durchgeführt zu haben, sodass eine wesentliche Voraussetzung für die Erstellung eines objektiven und alle in Betracht kommenden Umstände berücksichtigenden Gutachtens fehlen. Dazu komme aber noch, dass der Gutachter die für jeden Laien erkennbare Tatsache, dass durch einen Tankstellenbetrieb die bereits bestehende Lärm- und Geruchsbelästigung, die schon jetzt das zumutbare Maß zumindest erreiche, wenn nicht bereits überschritten habe, noch um ein erhebliches Maß gesteigert würde, völlig außer acht lasse. Es bedürfe wohl keiner weiteren Erörterung, dass durch das Abbremsen der Fahrzeuge, die die Tankstelle anfahren, das neuerliche Starten und die damit verbundene erhöhte Abgasabgabe, das lange Warten mit laufendem Motor, um in die stark frequentierte X-straße von der Tankstelle aus einfahren zu können, eine sehr erhebliche Steigerung der schon jetzt bestehenden Beeinträchtigung der Anrainer durch den Straßenverkehr darstellen würde.

Die Beschwerdeführer sind schon mit diesem Vorbringen im Recht. Ob der Betrieb eines Gewerbes mittels einer bestimmten Betriebsanlage geeignet ist, die Nachbarschaft durch ungewöhnliches Geräusch oder ungewöhnliche Gerüche zu gefährden oder zu belästigen geeignet ist und ob durch entsprechende Vorkehrungen solche Gefährdungen bzw. Belästigungen auf ein für die Nachbarschaft zumutbares Maß herabgemindert werden können, ist im Zuge des gewerbebehördlichen Verfahrens festzustellen. Diese Feststellung ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige auf dem Gebiete der gewerblichen Technik und auf dem Gebiete des Gesundheitswesens. Den Sachverständigen obliegt es, auf Grund ihres Fachwissens ein Urteil (Gutachten) über diese Fragen abzugeben. Aus der Niederschrift über die am 23. Mai 1973 stattgefundene mündliche Verhandlung ist zu entnehmen, dass an dieser Verhandlung wohl ein verkehrs- und maschinentechnischer Amtssachverständiger, jedoch kein ärztlicher Amtssachverständiger teilgenommen hat. Welches Gutachten der verkehrs- und maschinentechnische Amtssachverständige im einzelnen abgegeben hat, geht aus der Niederschrift nicht hervor, da es dort nur heißt, die Amtssachverständigen hätten einvernehmlich ihre Befunde erstattet. Der dann in den erstinstanzlichen Bescheid übernommene Betriebsbeschreibung zufolge ist die Landesstraße, an der die projektierte Tankstelle errichtet werden soll, stark befahren und auch der Anteil am Schwerverkehr bedeutend. Auch nachts sei der Verkehr, wie die Anrainer bestätigten, so stark, dass eine nächtliche Lärmbelästigung gegeben sei, die öfters zum Schließen von Fenstern des Hauses des Zweitbeschwerdeführers Anlass gebe. Über die von der in Aussicht genommenen Tankstelle zu erwartenden Geruchs- und Lärmbelästigungen ist in der Niederschrift über die Verhandlung am 23. Mai 1973 keine allenfalls dem technischen Amtssachverständigen zuzurechnende Aussage enthalten. Dieser wäre jedoch berufen gewesen, sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, ob und durch welche Vorkehrungen zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden können und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden. Einem ärztlicher Sachverständigen wäre - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Amtssachverständigen - die Aufgabe oblegen, darzutun, welche Einwirkungen die zu erwartenden unvermeidlichen Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus, gemessen vom Standpunkt eines Durchschnittsmenschen ohne besondere Überempfindlichkeit, auszuüben vermögen. Im erstinstanzlichen Bescheid fehlt, da an der mündlichen Verhandlung ein ärztlicher Amtssachverständiger, wie bereits erwähnt, nicht teilgenommen hat, ein solches Gutachten zur Gänze. Im Berufungsverfahren wurde dann allerdings ein Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz vom 2. Jänner 1974 eingeholt, dessen wesentlicher Inhalt sich aber in der Äußerung erschöpft, es stehe auf Grund der aktenkundigen Ortssituation fest, dass die gegenständliche Betriebsanlage bei projektgemäßer Ausführung und bei Erfüllung bzw. Einhaltung der im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Vorschreibungen und Bedingungen, wozu insbesondere die Einhaltung des Betriebsverbotes in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr gehöre, keine paktisch ins Gewicht fallende Vermehrung jener Lärm- und Geruchsbelästigungen verursachen werde, denen die Anrainer, im wesentlichen durch den Straßenverkehr bedingt, schon jetzt ausgesetzt seien. Wie der Verwaltungsgerichtshof aber in ständiger Rechtsprechung (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 7. Juli 1959, Slg. N. F. Nr. 5018/A) dargetan hat, ist es jedoch nicht Sache eines ärztlichen Sachverständigen, sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind. Hiezu wäre vielmehr zunächst ein gewerbetechnischer Amtssachverständiger berufen gewesen, der sich auch mit der von den Beschwerdeführern im Verfahren aufgeworfenen Frage der zu erwartenden Geruchs- und Lärmimmissionen, die sich durch das erfahrungsgemäß häufige verkehrsbedingte Anhalten und das Laufenlassen des Motors am Stand der aus der Tankstelle ausfahrenden Fahrzeuge, bis die Ausfahrt auf die Straße möglich wird, ergeben können, zu befassen gehabt hätte. Dabei hätte sich dieser Sachverständige auch dazu zu äußern gehabt, ob wirksame Maßnahmen zur Verhinderung oder Verringerung der allenfalls zu erwartenden Abgas- und Lärmimmissionen getroffen werden können. Erst nach Vorliegen eines solchen Gutachtens eines gewerbetechnischen Amtssachverständigen hätte sich der ärztliche Sachverständige dazu äußern können, welche Einwirkungen auf die Nachbarschaft zu erwarten sein werden. Diese Ausführungen zeigen, dass der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegte Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 20. November 1974

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Gewerbetechniker Sachverständiger Aufgaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1974:1974000919.X00

Im RIS seit

05.02.2003

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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