TE Vwgh Erkenntnis 1977/5/23 0236/77

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Veröffentlicht am 23.05.1977
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §7 Abs1;
StVO 1960 §9 Abs1 impl;
StVO 1960 §97 Abs5;
VStG §22 Abs1;
VStG §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Dolp und die Hofräte Dr. Schmelz, Dr. Großmann, Dr. Pichler und Dr. Drexler als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesgerichtsrat Dr. Gerhard, über die Beschwerde des W in G, vertreten durch Dr. F K, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 3. Dezember 1976, Zl.IIb2-V-3190/2-76, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 9. Juni 1976 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 23. Mai 1976 gegen 17.40 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws auf der Bundesstraße vom Iselsberg in Richtung Lienz im Bereich der so genannten Tschellnig-Reide 1) die linke Fahrbahnseite benützt, 2) dabei die auf der Fahrbahn angebrachte Sperrlinie überfahren und 3) der Aufforderung eines Straßenaufsichtsorganes, anzuhalten, nicht sofort Folge geleistet. Er habe hiedurch zu 1) die Übertretung nach § 7 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) zu 2) die Übertretung nach § 9 Abs. 1 StVO und zu 3) die Übertretung nach § 97 Abs. 5 StVO begangen; es werden hiefür gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO Geldstrafen von je S 500,-- (Ersatzarreststrafen je zwei Tage) verhängt. In dem gegen diese Strafverfügung erhobenen Einspruch bekämpfte der Beschwerdeführer hinsichtlich der zu 2) genannten Verwaltungsübertretung nur die Strafbemessung, sodass diesbezüglich gemäß § 49 Abs. 2 VStG 1950 der Einspruch als Berufung anzusehen war. Hinsichtlich der zu 1) und 3) genannten Verwaltungsübertretungen bekämpfte der Einspruch die Schuldfrage.

Über den letzterwähnten Teil des Einspruches erging das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 10. September 1976. Mit diesem wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 23. Mai 1976 gegen 17.40 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws auf der Bundesstraße B 107 auf der Fahrt von Lienz in Richtung Iselsberg im Bereich der so genannten Tschellnig-Reide im Gemeindegebiet Iselsberg die scharfe Linkskurve seiner Fahrtrichtung förmlich geschnitten, 1) sohin "vorschriftswidrig die rechte Fahrbahnseite eingehalten", 2) in der Folge der Anhaltung eines Straßenaufsichtsorganes nicht sofort Folge geleistet. Er habe hiedurch zu 1) die Verwaltungsübertretung nach § 7 Abs. 1 StVO, zu 2) jene nach § 97 Abs. 5 StVO begangen; gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO werden hiefür Geldstrafen zu 1) von S 500,--, zu 2) von S 250,-- (Ersatzarreststrafen 36 und 18 Stunden) verhängt. Begründend wurde ausgeführt, es sei auf Grund der Gendarmerieanzeige und des durchgeführten Beweisverfahrens erwiesen, dass der Pkw des Beschwerdeführers sich zur Tatzeit am Tatort mit zirka 50 km/h aus Richtung Lienz dem Standplatz des Gendarmeriebeamten Engelbert S. genähert habe. Am Scheitelpunkt der als Tschellnig-Reide bezeichneten scharfen Linkskurve habe er diese derart geschnitten, dass der Pkw auf der linken Fahrbahnseite fuhr. Hiebei habe der Pkw zwangsläufig die auf der Fahrbahn angebrachte Sperrlinie überfahren. Der Gendarmeriebeamte habe auf eine Entfernung von zirka 40 bis 50 m dem Beschwerdeführer mit dem Anhaltestab ein Anhaltezeichen gegeben. Ungeachtet dieser deutlich sichtbaren Aufforderung - der Gendarmeriebeamte sei ungefähr in der Straßenmitte gestanden - sei der Beschwerdeführer mit unverminderter Geschwindigkeit am Straßenaufsichtsorgan vorbeigefahren und habe erst 15 m nach dem Standplatz des Gendarmeriebeamten das Fahrzeug zum linken Fahrbahnrand gelenkt und es in der Einfahrtstraße in Richtung Göriach zum Stillstand gebracht. Der Beschwerdeführer sei hinsichtlich der Übertretung nach § 9 Abs. 1 StVO geständig. Er habe ebenfalls die Übertretung nach § 7 Abs. 1 StVO begangen, weil er dem Gebot zuwidergehandelt habe, soweit als möglich rechts zu fahren. Das Schneiden von Kurven sei auch an übersichtlichen Straßenstellen, und ohne dass eine Gefährdung des Gegenverkehrs in Betracht komme, unzulässig. Da der Beschwerdeführer aber nicht in Abrede stelle, dass er "den linken Fahrbandrand eingehalten" habe, sei auch hier ein Schuldspruch gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer habe aber auch insofern gegen § 97 Abs. 5 StVO verstoßen, als er die Anordnung des Straßenaufsichtsorganes, welche auf eine Entfernung von zirka 40-bis 50 merfolgt sei, nicht sofort befolgt habe.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung und führte aus, dass seine Bestrafung wegen der Übertretung nach § 7 Abs. 1 StVO neben der Bestrafung nach § 9 Abs. 1 StVO gegen die "Bestimmung" des "ne bis in idem" verstoße. Die Übertretung des § 7 Abs. 1 StVO könne ihm aber auch nur dann zum Vorwurf gemacht werden, wenn er dadurch andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert habe. Hinsichtlich der weiteren Übertretung verwies der Beschwerdeführer darauf hin, dass das Gesetz nicht verlange, der Aufforderung sofort Folge zu leisten. Er habe zur Zeit, als er am Gendarmeriebeamten vorbeifuhr, sehr wohl die Absicht gehabt, sein Fahrzeug zum Stehen zu bringen. Auf eine Distanz von 15 m könne man aber ein mit 50 km/h gelenktes Fahrzeug nicht zum Stillstand bringen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung als unbegründet ab und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass dem Beschwerdeführer zu 1) anzulasten sei, die rechte Fahrbahnseite vorschriftswidrig nicht eingehalten zu haben. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer gemäß dem im Verwaltungsstrafverfahren geltenden Kumulationsprinzip zu Recht wegen beider Übertretungen, nämlich nach § 9 Abs. 1 und nach § 7 Abs. 1 StVO schuldig erkannt wurde. Er habe durch seine Tat eben den Tatbestand beider Übertretungen verwirklicht. Es sei auch keine Rede davon, dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sei, weiter rechts zu fahren. Die Frage der Übersichtlichkeit der Kurve könne deshalb außer Betracht bleiben, weil der Beschwerdeführer ja nicht nach § 7 Abs. 2 StVO bestraft worden sei. Hinsichtlich der weiteren Übertretung nach § 97 Abs. 5 StVO wurde darauf hingewiesen, dass es dem Beschwerdeführer infolge des auf eine Entfernung von zirka 40 bis 50 m gegebenen Anhaltezeichens durchaus möglich gewesen wäre, direkt beim Gendarmeriebeamten anzuhalten. Der Beschwerdeführer sei jedoch vorsätzlich noch etwa um 15 m weitergefahren und habe anschließend sein Fahrzeug in einen Seitenweg, der von links her in die Bundesstraße einmündete, abgestellt, sodass der Beamte gezwungen gewesen wäre, dem Fahrzeug des Beschwerdeführers nachzugehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges soweit rechts zu fahren, wie ihm dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und dies ohne Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Straßenbenützer und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist. Gemäß § 9 Abs. 1 desselben Gesetzes dürfen Sperrlinien nicht überfahren werden. Unter Sperrlinien sind gemäß § 55 Abs. 2 StVO Längs- oder Quermarkierungen zu verstehen, die ein Verbot bedeuten.

Hat jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen (Realkonkurrenz) oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen (Idealkonkurrenz), so sind die Strafen gemäß § 22 Abs. 1 VStG 1950 nebeneinander zu verhängen. Zur Lösung der Frage, ob Deliktskonkurrenz oder nur Gesetzeskonkurrenz vorliegt, ist zu untersuchen (vg1. Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen II, 199), ob von den im einzelnen Falle miteinander in Wettbewerb tretenden strafbaren Tatbeständen jeder bestehen kann, ohne auch das Vorliegen eines der übrigen strafbaren Tatbestände zu bedingen; wird diese Frage bejaht, dann handelt es sich in aller Regel um eine echte Konkurrenz (Deliktskonkurrenz), muss sie hingegen verneint werden, dann hat man eine bloß unechte Konkurrenz (Gesetzeskonkurrenz) vor sich.

Nun ist das Verbot, Sperrlinien zu überfahren, von der Frage wie weit grundsätzlich rechts zu fahren sei, ganz unabhängig. Sperrlinien können ja nicht nur in der Fahrbahnmitte angebracht sein; es dürfen z.B. auch diagonal angebrachte Sperrlinien nicht überfahren werden (vgl. Erkenntnis vom 11. Apri1.1962, Zl. 71/62, ZVR 1962/210). Bloße Gesetzeskonkurrenz läge nur dann vor, wenn Sperrlinien einzig und allein deshalb angebracht wären, um die Einhaltung des Rechtsfahrgebotes des § 7 Abs. 1 StVO zu gewährleisten. Dies ist aber nicht der Fall. Andererseits dient das Gebot des § 7 Abs. 1 StVO nicht nur dem Schutze des begegnenden und des Überholverkehrs, sondern soll allen möglichen Risken im Straßenverkehr vorbeugen (vgl. OGH vom 11. Dezember 1975, 2 Ob 265/75, ZVR 1976/189).

Der Beschwerdeführer wurde daher zu Recht sowohl der Übertretung nach § 7 Abs. 1 als auch jener nach § 9 Abs. 1 StVO schuldig erkannt.

Gemäß § 97 Abs. 5 StVO sind die Organe der Straßenaufsicht berechtigt, durch deutlich sichtbare Zeichen Fahrzeuglenker zwecks Lenker- oder Fahrzeugkontrolle oder anderer den Fahrzeuglenker betreffenden Amtshandlungen zum Anhalten aufzufordern. Der Fahrzeuglenker hat der Aufforderung Folge zu leisten.

Dem Vorbringen der Beschwerde, der Beschwerdeführer habe nie die Absicht gehabt, sein Fahrzeug nicht anzuhalten, er sei nicht vorsätzlich an dem Gendarmeriebeamten vorbeigefahren, ist § 5 Abs. 1 VStG 1950 entgegenzuhalten, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt. Es handelt sich aber ferner beim Zuwiderhandeln gegen das Gebot des § 97 Abs. 5 zweiter Satz StVO um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG 1950; der Beschwerdeführer hat aber nicht bewiesen, dass ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen wäre. Er hat nämlich weder im Verfahren vor der ersten Instanz noch im Berufungsverfahren die Zeugenaussage des Gendarmeriebeamten S. bzw. die darauf basierende Feststellung im Straferkenntnis erster Instanz bestritten, dass ihm das Anhaltezeichen auf eine Entfernung von 40 bis 50 m gegeben worden sei. Da der Beschwerdeführer auch nie behauptete, eine höhere als die vom Gendarmeriebeamten mit 50 km/h geschätzte Geschwindigkeit eingehalten zu haben, wäre es ihm nach allgemeiner Erfahrung ein leichtes gewesen, am Standort des Gendarmeriebeamten anzuhalten.

Aus der Vorschrift des § 97 Abs. 5 in Verbindung mit der Vorschrift des § 99 Abs. 3 lit. a StVO ergibt sich die unter Strafsanktion stehende Verpflichtung der Lenker von Fahrzeugen, Aufforderungen von Organen der Straßenaufsicht im Sinne des § 97 Abs. 5 StVO Folge zu leisten. Diese Folgeleistung hat, soweit möglich, dort zu erfolgen, wo das Organ der Straßenaufsicht die Aufforderung erteilt hat bzw. wohin die Aufforderung des Straßenaufsichtsorganes weist. Hält nun der Fahrzeuglenker das Fahrzeug an einer anderen Stelle als der erwähnten an, obwohl ihm dies ohne Gefährdung möglich gewesen wäre, so hat er eben der Aufforderung des Straßenaufsichtsorganes nicht Folge geleistet und ist daher strafbar (vgl. Erkenntnis vom 22. November 1976, Zl.1472/76).

Von dem von der belangten Behörde angenommenen und auch vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Sachverhalt ausgehend wäre es dem Beschwerdeführer durchaus möglich gewesen, der Aufforderung des Straßenaufsichtsorganes im Sinne des eben zitierten Erkenntnisses Folge zu leisten. Da er dies ohne zwingenden Grund nicht getan hat, erfolgte auch seine Bestrafung wegen Übertretung nach § 97 Abs. 5 StVO zu Recht.

Da es somit der Beschwerde nicht gelungen ist, eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erweisen, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 19. Dezember 1974, BGBl. Nr. 4/1975.

Wien, am 23. Mai 1977

Schlagworte

Andere Einzelfragen in besonderen Rechtsgebieten Straßenpolizei Kraftfahrwesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1977:1977000236.X00

Im RIS seit

15.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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