TE Vwgh Erkenntnis 1988/11/23 88/01/0225

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Veröffentlicht am 23.11.1988
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §69 Abs1 litb;
AVG §69 Abs1 Z2 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde des JT in T, vertreten durch Dr. Wolf Werner Kolm, Rechtsanwalt in Baden, Vöslauerstraße 26/2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Juni 1988, Zl. 214.118/9-II/6/88, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 460,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. September 1987, rechtkräftig geworden mit der Zustellung am 26. November 1987, wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des § 1 des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, ist.

Der Beschwerdeführer beantragte in der Folge rechtzeitig (§ 6 Abs. 1 AVG 1950 in Verbindung mit § 69 Abs. 2 AVG 1950) die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Feststellung, dass er Flüchtling sei. Zur Begründung des Wiederaufnahmeantrages führte er im wesentlichen aus, er habe am 9. Dezember 1987 erfahren, dass seine Eltern nach Österreich einreisen würden. Sie würden vor der Behörde erster Instanz seine Angaben in der Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 10. Jänner 1986 betreffend das Asylverfahren bestätigen können, wonach ihm seine Dienstwaffe weggenommen worden sei und er daher seinen Beruf als Förster nicht mehr habe ausüben können. Seine Eltern könnten auch durch ihre Aussagen seine Verhaftung, Verhöre und Schikanen bestätigen. Dies sei als unglaubwürdig beurteilt worden, weil er ein solches Vorbringen im Verfahren vor der Behörde erster Instanz nicht gemacht habe. Er könne nun auch durch die Aussagen beweisen, dass ihm die Hochschulausbildung verweigert und seiner Ehefrau die Dienstwohnung "weggenommen" worden sei.

In einer Einvernahme der Mutter des Beschwerdeführers am 25. April 1988 führte diese im wesentlichen aus, dass ihr Sohn (der Beschwerdeführer) im Oktober 1984 "eingesperrt" und ca. zwei Monate später wieder freigelassen worden sei. Die Dienstwaffe sei ihm abgenommen worden; er habe auch seinen Arbeitsplatz verloren. Er habe dann bis zu seiner Ausreise 1985 nur Gelegenheitsarbeiten verrichten können. In der Folge sei es auch zu Hausdurchsuchungen gekommen. Der Beschwerdeführer habe sich auch mehrmals bei der Polizei melden müssen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag "auf Wiederaufnahme des Verfahrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 10.12.1987" gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 abgewiesen. Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Konventionsflüchtlings wurde gemäß § 68 Abs. 1 leg. cit. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft habe gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1950 zurückgewiesen werden müssen, da bereits eine rechtskräftige Entscheidung in dieser Sache vorliege, an die auch die belangte Behörde gebunden sei. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei auf nunmehrige Beweisbarkeit rechtserheblicher Tatsachen gegründet. Die gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 als Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des Verfahrens neuen Beweismittel dürften nicht erst neu entstanden, sondern müssten neu hervorgekommen sein; dies heiße, sie müssten schon vor Rechtskraft des Bescheides, der das wiederaufzunehmende Verfahren erledigt habe, bestanden haben, ohne der Behörde bekanntgewesen zu sein, sodass sie im durchgeführten Verfahren nicht berücksichtigt hätten werden können. Da der vom Beschwerdeführer angebotene Beweis, nämlich die Einvernahme seiner Eltern, einen zu "produzierenden Beweis" darstelle, sei er unter § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 nicht subsumierbar. Dem Antrag auf Einvernahme der Eltern des Beschwerdeführers sei zum Teil entsprochen worden, zum anderen Teil sei dies nicht möglich gewesen, weil der Vater des Beschwerdeführers nicht nach Österreich eingereist sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens verletzt, ferner in dem Recht, dass sein gleichzeitig gestellter Antrag auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Konventionsflüchtlings bewilligt wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters in seinem Recht auf Durchführung eines mängelfreien Verfahrens verletzt. In Ausführung der Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, er sei als Rechtsunkundiger nach Österreich gekommen, habe am 10. Dezember 1987 (richtig wohl am 28. Oktober 1985) um Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft angesucht, habe aber wegen seiner Rechtsunkundigkeit keine zielführenden Behauptungen aufgestellt und auch keine Beweise "angetreten". Dies sei ihm teilweise nur in der zweiten Instanz gelungen, zum Teil ohne Erfolge, weil seine Beweismittel "im Augenblick" nicht vorhanden gewesen wären. Das Ergebnis sei zwar gewesen, dass die erkennende Behörde sich bei ihrer Entscheidung auf seine Angaben im ersten Rechtsgang gestützt habe. Dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers sei das Ergebnis der Einvernahme der Mutter des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis gebracht worden. Der Zeugenbeweis, nämlich die Aussage der Mutter des Beschwerdeführers sei neu hervorgekommen. Der Behörde sei nicht bekannt gewesen, dass seine Eltern die behaupteten Verhöre, Schikanen, "Wegnahme" der Dienstwohnung und "Verweigerung" der Hochschulausbildung beweisen könnten. Dem Beschwerdeführer sei das auch nicht bekannt gewesen. Bei richtiger Würdigung des Sachverhaltes lägen die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens vor; wenn das Parteiengehör nicht verletzt worden wäre, wäre die Flüchtlingseigenschaft festzustellen gewesen. Der Beschwerdeführer erleide in seinem Heimatland nicht nur allgemeine Unbill, sondern "sämtliche Verfolgungshandlungen" im Sinne der Flüchtlingskonvention.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 - nur auf diesen Tatbestand stützt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens - ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnisse des Verfahrens voraussichtlich einen im Haupinhalte des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Die Unkenntnis der Gesetzeslage und die Behauptung des Beschwerdeführers, erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis von der Gesetzeslage erhalten zu haben, stellen weder eine Tatsache noch ein neues Beweismittel dar, das im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht hätte geltend gemacht werden können (vgl. Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom 4. Juli 1980, Zl. 1588/78).

Der Beschwerdeführer hat im wiederaufzunehmenden Verfahren aber auch keine Beweisanträge gestellt, insbesondere nicht seine Mutter zur Glaubhaftmachung seiner in jenem Berufungsverfahren neu aufgestellten Behauptungen als Beweismittel bekannt zu geben, obschon ihm die konkrete Existenz des Beweismittels und der zu beweisenden Tatsachen bekannt sein musste. Diese Unterlassung muss dem Beschwerdeführer als Verschulden im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 zugerechnet werden. Bemerkt wird noch, dass die Aussagen der Mutter des Beschwerdeführers nur die Verhöre des Beschwerdeführers durch die Polizei, nicht aber die behaupteten Schikanen, die "Wegnahme" der Dienstwohnung und der "Verweigerung der Hochschulausbildung" bestätigen. Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch darin keinen wesentlichen Verfahrensmangel zu erblicken, der zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen könnte, dass die Aussagen der Mutter des Beschwerdeführers dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers zur Stellungnahme nicht vorgehalten worden sind. Denn aus der Beschwerde ist nicht zu entnehmen, auf Grund welches Vorbringens des Beschwerdeführers die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Da die Beschwerde sich sohin als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Der Kostenausspruch stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 23. November 1988

Schlagworte

Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova producta

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1988:1988010225.X00

Im RIS seit

01.09.2006

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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