TE Vwgh Erkenntnis 1990/1/16 89/11/0084

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Veröffentlicht am 16.01.1990
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

B-VG Art131a;
KFG 1967 §44 Abs4;
KFG 1967 §49 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs4;
VVG §10;
VVG §5;
VVG §7;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §28 Abs1 Z5;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGG §42 Abs4;

Betreff

X vertreten durch die Botschaft des N-Staates gegen die Bundespolizeidirektion Wien wegen Abnahme von Kennzeichentafeln

Spruch

Die am 8. Februar 1989 von einem Beamten der Bundespolizeidirektion Wien vorgenommene Abnahme der Kennzeichentafeln von dem Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen WD nnnnn wird für rechtswidrig erklärt.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 10.680,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entsprechend der Aktenlage ist unbestritten, daß am 8. Februar 1989 von dem auf "die Botschaft des N-Staates X" zugelassenen Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen WD nnnnn in Wien 10, Eibesbrunnergasse 48 - nachdem es offenbar im Rahmen einer Maßnahme nach § 89a Abs. 2 StVO 1960 auf den dort befindlichen Abstellplatz der MA 48 verbracht worden war - von einem Beamten der Bundespolizeidirektion Wien die Kennzeichentafeln abgenommen worden sind.

Gegen diese Maßnahme richtet sich die vorliegende, erkennbar auf Art. 131a B-VG gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist in Erwiderung auf die in der Gegenschrift zum Ausdruck kommende Ansicht der belangten Behörde, es sei mit der gegenständlichen Beschwerde auch der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 31. August 1988, mit dem die Zulassung des betreffenden Kraftfahrzeuges zum Verkehr gemäß § 44 Abs. 1 lit. b KFG 1967 aufgehoben wurde, angefochten worden, weshalb die Beschwerde insoweit als verspätet zurückzuweisen sei, festzuhalten, daß dies auf Grund des eindeutigen Inhaltes der Beschwerde nicht zutrifft. Danach kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ausschließlich die Abnahme der Kennzeichentafeln Gegenstand der Beschwerde ist. Selbst wenn das darin enthaltene Vorbringen hinsichtlich des genannten Bescheides so zu verstehen wäre, daß damit die Rechtswidrigkeit und die nicht ordnungsgemäße Erlassung des Bescheides geltend gemacht werden, so stünde dies nur im Zusammenhang damit, daß die beschwerdeführende Partei auch aus diesen Gründen die von ihr bekämpfte Maßnahme für rechtswidrig erachtet. Darauf braucht aber - wie sich noch zeigen wird - nicht näher eingegangen zu werden.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist weiters zu betonen, daß nicht von der Versäumung der Beschwerdefrist gemäß § 26 Abs. 1 Z. 5 VwGG ausgegangen werden kann. Vielmehr muß im Sinne des Beschwerdevorbringens angenommen werden, daß die beschwerdeführende Partei nicht schon am 8. Februar 1989 von der Abnahme der Kennzeichentafeln Kenntnis erlangt hat. Der Akteninhalt ergibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß dies bereits damals - nur dann wäre die am 23. März 1989 zur Post gegebene Beschwerde verspätet erhoben worden - der Fall gewesen ist. Wenn die belangte Behörde meint, es sei "sehr wahrscheinlich, daß der Beschwerdeführer bereits am 8.2.1989 von der Tatsache der Kennzeichenabnahme erfahren hat, da es der Lebenserfahrung widerspricht, daß sich der Eigentümer im Falle der Abschleppung tagelang nicht um den Verbleib des Fahrzeuges kümmert", so läßt sie hiebei außer acht, daß nach den (nicht widerlegten) Beschwerdebehauptungen diesbezüglich bereits am 10. Februar 1989 etwas unternommen wurde. Sie selbst weist darauf hin, daß demnach das Fahrzeug durch den Beschwerdevertreter bereits am 10. Februar 1989 "ausfindig gemacht" worden sei. Dieser Umstand besagt aber - abgesehen davon, daß bei einem Fristenlauf ab diesem Tag die Beschwerdefrist eingehalten worden wäre - nicht, daß der beschwerdeführenden Partei damit auch die Abnahme der Kennzeichentafeln bekannt geworden ist, war doch ihr Vertreter an diesem Tag nicht "auf dem Abstellplatz", sondern handelte es sich um ein Telefongespräch über den der beschwerdeführenden Partei nicht bekannten und erst zu eruierenden Aufenthaltsort des Fahrzeuges. Erst nach Klärung dieser Frage ging es um dessen Ausfolgung, wobei die belangte Behörde der Behauptung der beschwerdeführenden Partei, einem bestimmten Botschaftsangehörigen sei es am 15. Februar 1989 mit der Mitteilung, daß die Kennzeichentafeln abgenommen worden seien, nicht übergeben worden, nicht entgegengetreten ist. Es wäre unverständlich, wenn sich der Betreffende trotz Kenntnis der Abnahme der Kennzeichentafeln dorthin begeben hätte, um das Fahrzeug abzuholen. Auch das mit der Beschwerde in Fotokopie vorgelegte Schreiben des Beschwerdevertreters vom 15. Februar 1989, in dem der "Autoabstellplatz" um Ausfolgung des Fahrzeuges an diese Person gebeten wurde, spricht dafür, daß die beschwerdeführende Partei zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von der erfolgten Abnahme der Kennzeichentafeln hatte.

Die beschwerdeführende Partei hat zwar erklärt, sie erhebe "gegen diese Kennzeichenabnahme Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil er in seinem Recht auf Immunität verletzt ist". Dies schadet ihr aber nicht, weil sich der Beschwerdepunkt (§ 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG) ungeachtet seiner Formulierung aus dem Inhalt der Beschwerde insgesamt ergibt und dieser (vor allem aus der Begründung) klar erkennen läßt, in welchem (darüber hinausgehenden) Recht, nämlich in dem Recht auf Nichtabnahme der Kennzeichentafeln an sich, sich die beschwerdeführende Partei verletzt erachtet, sodaß die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der bekämpften Maßnahme nicht allein auf die Frage der Immunität beschränkt ist, sondern dabei auch auf andere Gründe Bedacht genommen werden kann (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1984, Slg. Nr. 11525/A). Allerdings scheidet bei einer derartigen Beschwerde mangels eines vorausgehenden Verfahrens die Möglichkeit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften von vornherein aus (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 1981, Zl. 03/3813/80); dem steht nicht entgegen, daß in der Beschwerde - wie dies auch hier geschehen ist - geltend gemacht werden kann, die Maßnahme hätte erst nach Durchführung eines bestimmten Verfahrens und daher nicht "unmittelbar" gesetzt werden dürfen.

Die belangte Behörde rechtfertigt die gegenständliche Maßnahme damit, daß ein Bescheid vorgelegen sei, mit dem die Zulassung des betreffenden Kraftfahrzeuges zum Verkehr auf Grund rechtswirksamer Zustellung an die beschwerdeführende Partei am 14. September 1988 rechtskräftig aufgehoben worden sei, und im Spruch dieses Bescheides die Verpflichtung der beschwerdeführenden Partei, den Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln unverzüglich bei der Bundespolizeidirektion Wien abzugeben, verfügt worden, jedoch die beschwerdeführende Partei dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Die beschwerdeführende Partei rügt u.a., daß die Abnahme der Kennzeichentafeln "ohne die nötige Vollstreckungsverfügung oder vorherige Androhung" erfolgt sei. Sie ist damit im Recht, daß jeder Vollstrekkungsmaßnahme eine entsprechende Vollstreckungsverfügung voranzugehen hat, die jedoch im vorliegenden Beschwerdefall unterblieben ist; der (auf § 44 Abs. 4 KFG 1967 beruhende) bescheidmäßige Ausspruch über die Verpflichtung zur Abgabe der Kennzeichentafeln stellt - ungeachtet der Frage, ob überhaupt von dessen Vollstreckbarkeit ausgegangen werden kann - lediglich den Titel, der der Vollstreckungsverfügung zugrundezulegen gewesen wäre, dar (vgl. das einen gleichartigen Beschwerdefall betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. September 1987, Zl. 87/11/0044). Der gegenteiligen Auffassung der belangten Behörde kann daher nicht beigepflichtet werden.

Der Hinweis der belangten Behörde darauf, daß zwischen der Bescheiderlassung und der tatsächlichen Abnahme der Kennzeichentafeln etliche Monate verstrichen seien und in dieser Zeit vom Versicherer nicht mitgeteilt worden sei, daß die Leistungspflicht wiederum gegeben sei, weshalb keinerlei Anzeichen dafür vorgelegen seien, daß sich die tatsächlichen und/oder rechtlichen Verhältnisse in einem wesentlichen Punkt seit Erlassung des Titelbescheides geändert hätten, ist verfehlt. Die belangte Behörde nimmt dabei "sinngemäß" Bezug auf Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens3, Anm. 2 (richtig: 3) zu § 10 VVG 1950, Seite 845, übersieht aber, daß diese (unter Berufung auf Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts3, Seite 327, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 1973, Slg. Nr 8416/A geäußerte) Ansicht mit der Bestimmung des § 10 Abs. 2 lit. a VVG 1950, also damit, ob die Vollstreckung unzulässig ist und aus diesem Grunde die Berufung gegen eine Vollstreckungsverfügung ergriffen werden kann, zusammenhängt. Daraus ergibt sich aber nicht, daß dann, wenn zwischen der Erlassung des Titelbescheides und einer Vollstreckungsmaßnahme keine Änderung eingetreten ist, die Erlassung einer Vollstrekkungsverfügung entbehrlich ist.

Auch das weitere Argument der belangten Behörde, im Falle einer Anzeige gemäß § 61 Abs. 3 KFG 1967 und rechtskräftig erfolgter Aufhebung der Zulassung müsse nach monatelanger rechtswidriger Weiterverwendung der Kennzeichentafeln von einer die Abnahme der Kennzeichentafeln rechtfertigenden Dringlichkeit zum Schutze eines Dritten ausgegangen werden, vermag an der Notwendigkeit der Erlassung einer Vollstreckungsverfügung nichts zu ändern. Ein Fall des § 61 Abs. 5 KFG 1967, wonach dann, wenn zu erwarten ist, daß der Versicherer in Ansehung des Dritten von der Verpflichtung zur Leistung frei wird (§ 158c Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes 1958), bei Gefahr im Verzug, unbeschadet der Bestimmungen des § 44 Abs. 1 lit. c über die Aufhebung der Zulassung, der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln unverzüglich abzunehmen sind, in welchem Falle man die Meinung vertreten könnte, daß bei Vorliegen dieser Voraussetzungen (auch) mit einer späteren Abnahme keine Rechtsverletzung verbunden wäre, lag - abgesehen davon, daß sich die belangte Behörde gar nicht auf diese Bestimmung bezogen hat - hier nicht vor. Auch wenn auf Grund einer rechtswirksamen Aufhebung der Zulassung eine Rechtsgrundlage für die Weiterbelassung des der beschwerdeführenden Partei zugewiesenen Kennzeichens und damit für den Gebrauch der Kennzeichentafeln nicht mehr vorhanden gewesen sein sollte (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. April 1986, Zl. 85/11/0290), hätte deren Abnahme ohne vorangegangene Vollstreckungsverfügung nicht vorgenommen werden dürfen.

Die belangte Behörde vertritt weiters die Ansicht, die Anwendung unmittelbaren Zwanges im Sinne des § 7 VVG 1950 wäre nicht in Betracht gekommen. Sie bezieht sich dabei auf Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts4, Rdz. 1025, wo gesagt wird, daß diese Bestimmung nur den "Zwang gegen Menschen", nicht jedoch auch den "Zwang gegen Sachen" erfasse und ein "Zwang gegen Sachen" immer nur als Ersatzvornahme (§ 4 VVG 1950) zulässig sei, und wo es abschließend unter Zitierung von Judikatur und gegenteiliger Lehre heißt, daß Zwangsmaßnahmen im Zuge einer Ersatzvornahme, auch wenn sie gegen Menschen angewendet werden, keine unmittelbaren Zwangsakte im Sinne des § 7 VVG 1950, sondern bloß faktische Vollstreckungshandlungen seien, die keiner eigenen Anordnung durch Vollstreckungsverfügung bedürften. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Es kann keine Rede davon sein, daß in der Abnahme der Kennzeichentafeln nicht ein gegen den betreffenden Zulassungsbesitzer, mag dieser auch nicht bei dieser Maßnahme zugegen sein, ausgeübter Zwang gelegen ist, und es handelt sich bei der (allfälligen) Verpflichtung der beschwerdeführenden Partei zur Abgabe der Kennzeichentafeln um keine vertretbare Leistung, die im Wege der Ersatzvornahme bewerkstelligt werden kann, sondern um eine solche im Sinne des § 5 leg. cit. (wie dies auch bei der Verpflichtung zur Zurückstellung des Führerscheines gemäß § 75 Abs. 4 KFG 1967 zutrifft; vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. November 1987, Zl. 87/11/0118), wozu noch kommt, daß im vorliegenden Beschwerdefall eine Ersatzvornahme, die im übrigen gemäß § 4 Abs. 1 VVG 1950 nur nach vorheriger Androhung zulässig ist, nicht (mittels Vollstreckungsverfügung) angeordnet wurde. Der Einwand der belangten Behörde, daß die Abnahme von Kennzeichentafeln in Vollziehung eines rechtskräftigen Bescheides, mit dem die Zulassung des Kraftfahrzeuges zum Verkehr aufgehoben wird, nicht als Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art. 131a B-VG anzusehen ist, ist daher im Hinblick darauf, daß der gegenständlichen Maßnahme keine entsprechende Vollstreckungsverfügung zugrunde lag, nicht berechtigt; nur dann, wenn die gegenständliche Maßnahme durch eine solche Vollstreckungsverfügung, die ihre Rechtsgrundlage nach dem bisher Gesagten nur im § 7 VVG 1950 haben könnte und gegen die die Berufung nach § 10 Abs. 2 VVG 1950 aus den dort angeführten Gründen offengestanden wäre, gedeckt gewesen wäre, wäre sie nicht mit einer derartigen Beschwerde bekämpfbar, weil in diesem Falle keine Zwangsgewalt, die UNMITTELBAR von der Behörde ausgeübt worden wäre, vorläge.

Demnach erweist sich die gegenständliche Maßnahme jedenfalls als rechtswidrig, auch wenn der der Auffassung der beschwerdeführenden Partei widersprechende Standpunkt der belangten Behörde, es sei durch diese Maßnahme die sich aus Art. 22 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen, BGBl. Nr. 66/1966, ergebende Immunität nicht verletzt worden, weil sich die Maßnahme nicht als Vollstreckung gegen das Fahrzeug der diplomatischen Vertretung, sondern gegen die Kennzeichentafeln als öffentliche Urkunde, die sich auf Grund der Aufhebung der Zulassung nicht mehr in der Verfügungsberechtigung der beschwerdeführenden Partei befunden hätten, darstelle und das Fahrzeug durch die Abnahme "nicht beschädigt oder beeinträchtigt" worden sei, richtig sein sollte und demnach eine Vollstreckung nicht ausgeschlossen gewesen wäre.

Die angefochtene Maßnahme war somit gemäß § 42 Abs. 4 VwGG für rechtswidrig zu erklären. Die Natur dieser (bereits abgeschlossenen) Maßnahme ließ ihre vom Beschwerdeführer gleichfalls begehrte Aufhebung nicht zu.

Von der von der beschwerdeführenden Partei beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung Anfechtungserklärung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989110084.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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