TE Vwgh Erkenntnis 1990/1/31 89/03/0090

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.1990
beobachten
merken

Index

90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §4 Abs2;

Betreff

N gegen Kärntner Landesregierung vom 19. Jänner 1989, Zl. 8V-321/1-1989, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Kärnten hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Erstbehörde vom 13. September 1988 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 13. Mai 1988, um 19.37 Uhr, einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf einer bestimmten Straße an einer näher bezeichneten Stelle gelenkt und, obwohl sein Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, es unterlassen, der verletzten Person die zumutbare Hilfe zu leisten, obwohl er als praktischer und noch praktizierender Arzt dazu in der Lage gewesen sei, da er beim Verkehrsunfall unverletzt geblieben sei (Punkt 1 des Schuldspruches; Punkt 2 ist nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens). Er habe dadurch gegen § 4 Abs. 2 StVO verstoßen. Gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO wurde eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) verhängt.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Regelung des § 4 Abs. 1 StVO bezieht sich auf alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht. Sind bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden, so haben nach § 4 Abs. 2 StVO die im Abs. 1 genannten Personen Hilfe zu leisten; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen.

Im vorliegenden Fall stellte die belangte Behörde fest, daß die am Verkehrsunfall gegenbeteiligte Lenkerin einen Bruch des rechten Handgelenkes sowie der Speiche erlitten habe, daß jedoch der Beschwerdeführer, nachdem er aus seinem Pkw ausgestiegen gewesen sei, unbeteiligt abseits gestanden sei.

In seiner vorliegenden Beschwerde gesteht der Beschwerdeführer selbst zu, daß die am Verkehrsunfall gegenbeteiligte Lenkerin einen Bruch der rechten Speiche erlitten hat. Schon in dieser Hinsicht durfte die belangte Behörde die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 StVO, nämlich, daß beim Verkehrsunfall eine Person verletzt worden ist und auch der Hilfe bedurfte, bejahen, zumal es sich bei dieser Verletzung um eine solche handelt, die objektiv eine Hilfeleistung erfordert. Umständen, wie sie in der vorliegenden Beschwerde ins Treffen geführt werden, daß nämlich keine blutende Verletzung vorgelegen gewesen und daß nicht etwa das rechte Handgelenk gebrochen sei, hatte die belangte Behörde keine rechtliche Relevanz beizumessen.

Insoweit sich der Beschwerdeführer darauf beruft, daß von den nahegelegenen Häusern Personen zur Unfallstelle geströmt und sogleich Gendarmerie, Rettung und Verwandte der verletzten Person verständigt worden und daß hinreichend Personen hinzugekommen seien, die auch tatsächlich Hilfe geleistet hätten, geht er am normativen Gehalt des § 4 Abs. 2 StVO vorbei, demzufolge der Verursacher einer Verletzung selbst verpflichtet ist, sogleich die notwendige Hilfe zu leisten. Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, daß die belangte Behörde Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, daß im vorliegenden Fall der verletzten Person, bevor der Beschwerdeführer Hilfe leisten hätte können, bereits von anderer Seite sachkundige und ausreichende Hilfe geleistet worden wäre und solcherart keine Notwendigkeit für eine Hilfeleistung durch den Beschwerdeführer bestanden hätte. Es war daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer - bezogen auf die Frage der Erfüllung des Tatbestandes einer Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO - zur Last legte, sich nicht darum gekümmert zu haben, daß er die erforderliche Hilfe leiste.

Die belangte Behörde holte das Gutachten eines medizinischen Amtssachverständigen zur Frage ein, ob der Beschwerdeführer nach dem Unfallgeschehen tatsächlich, wie seiner Verantwortung zu entnehmen sei, unter schwerem Schock gestanden sei, sodaß er als praktischer und noch praktizierender Arzt nicht in der Lage gewesen sei, die beim Verkehrsunfall verletzte Unfallsgegnerin ärztlich zu versorgen. Dem Beschwerdeführer wurde in der Folge Gelegenheit gegeben, zum Gutachten des medizinischen Amtssachverständigen vom 16. November 1988 Stellung zu nehmen. In seiner Stellungnahme vom 4. Jänner 1989 führte der Beschwerdeführer aus, er stehe im

75. Lebensjahr und habe einen linksseitigen Schlaganfall überstanden, der durch Durchblutungsstörungen im Bereich der Halswirbelsäule hervorgerufen worden sei; um nun verläßlich beurteilen zu können, ob ein Schockzustand bestanden habe oder nicht, wäre es unerläßlich gewesen, zuvor den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu erheben. Die belangte Behörde begegnete diesem Vorbringen lediglich mit dem in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltenen Satz, die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 4. Jänner 1989 sei nicht geeignet gewesen, das Gutachten vom 16. November 1988 in Zweifel zu ziehen, zumal entsprechend der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur nur ein auf gleichem fachlichem Niveau befindliches Gutachten dazu geeignet sei, ein medizinisches Gutachten in Zweifel zu ziehen; die Äußerungen des Beschwerdeführers seien nicht geeignet gewesen, das Gutachten vom 16. November 1988 in tauglicher Weise anzuzweifeln. Mit diesen Ausführungen wurde die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers in dessen Stellungnahme vom 4. Jänner 1989 nicht gerecht, weil der Beschwerdeführer nicht die Aussagen des Gutachtens ausgehend von den dort angeführten Voraussetzungen in Zweifel gesetzt, sondern die Berücksichtigung einer dem Sachverständigen nicht bekannten Tatsache gefordert hatte. Der Beschwerdeführer führte konkret insbesondere seinen Schlaganfall als einen Umstand an, der in die Beurteilung, ob er sich in einem Schockzustand befunden habe, einzubeziehen gewesen wäre. Die Erörterung der im Verwaltungsstrafverfahren demnach entstandenen Frage, welche Bedeutung dem Zustand des Beschwerdeführers nach dem von ihm angeführten Schlaganfall für das Entstehen eines Schockzustandes beizumessen gewesen sei und ob unter diesem Gesichtspunkt trotz zielgerichteter Handlungen beim Verlassen des Pkws das vom Beschwerdeführer in der Folge am Unfallsort gezeigte Verhalten Ausdruck eines Schockzustandes habe sein können, bedurfte der Einholung eines ergänzenden Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen. Da die belangte Behörde die Einholung eines solchen ergänzenden Gutachtens unterließ, bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989030090.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten