TE Vwgh Erkenntnis 1990/2/7 89/01/0073

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Veröffentlicht am 07.02.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §45 Abs3;
AVG §46;
StbG 1965 §10 Abs1 Z6 idF 1983/170;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs3;
StbG 1985 §10;
StbG 1985 §11;

Betreff

N gegen Wiener Landesregierung vom 19. Jänner 1989, Zl. MA 61/IV-P 68/87, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde das Ansuchen des Beschwerdeführers um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 und § 11 StbG im wesentlichem mit folgender Begründung ab:

Der Beschwerdeführer, ein tschechoslowakischer Staatsangehöriger, sei Konventionsflüchtling. Er lebe seit 1971 in Österreich und übe den Beruf eines freischaffenden Kameramannes aus. Am 10. Juli 1980 habe er um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesucht. Der Beschwerdeführer sei wie folgt gerichtlich bestraft worden:

1. Landesgericht für Strafsachen Wien vom 11. Juni 1975 18 Monate Freiheitsstrafe wegen Verbrechens des schweren Betruges nach den §§ 146 und 147 Abs. 3 StGB.

2. Landesgericht für Strafsachen Wien vom 2. Oktober 1978, Geldstrafe von 40 Tagsätzen zu je S 150,-- (S 6.000,--), im Nichteinbringungsfall 20 Tage Freiheitsstrafe, wegen Vergehens der Beteiligung an übler Nachrede und Beleidigung nach §§ 12, 111 Abs. 1 und Abs. 2, 115 Abs. 1 StGB.

3. Strafbezirksgericht Wien vom 5. Februar 1980, Geldstrafe von 30 Tagsätzen zu je S 100,-- (S 3.000,--), im Nichteinbringungsfall 15 Tage Freiheitsstrafe, wegen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB.

Diese gerichtlichen Verurteilungen seien mittlerweile getilgt.

Das Bundesministerium für Inneres habe sich mit Schreiben vom 25. März 1983 wegen der genannten Verurteilungen gegen eine positive Gesuchserledigung ausgesprochen. Die Bundespolizeidirektion Wien - Staatspolizeiliches Büro - habe mit Schreiben vom 18. März 1986 Bedenken gegen eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft geäußert. Über dieses Ermittlungsergebnis sei der Beschwerdeführer am 2. April 1986 in Kenntnis gesetzt worden. Mit Schreiben vom 2. März 1987 habe der Vertreter des Beschwerdeführers den Antrag auf Einsicht in jene Aktenbestandteile gestellt, welche die Erhebungsergebnisse des Staatspolizeilichen Büros enthalten. Diese Einsicht sei unter Bedachtnahme auf § 17 Abs. 3 AVG 1950 nicht gewährt worden. Im Zuge des fortgesetzten Ermittlungsverfahrens habe die Bundespolizeidirektion Wien - Staatspolizeiliches Büro - mit Schreiben vom 24. Juni 1987 mitgeteilt, es seien gegenüber dem genannten Bericht dieser Behörde keinerlei Veränderungen eingetreten. Schließlich habe das Bundesministerium für Inneres mit Schreiben vom 28. September 1987 bekanntgegeben, es unterstütze die von der Bundespolizeidirektion Wien gegen die Einbürgerung des Beschwerdeführers geäußerten Bedenken. Am 17. Mai 1988 sei der Beschwerdeführer von diesem Ermittlungsergebnis in Kenntnis gesetzt worden, doch sei keine Stellungnahme des Beschwerdeführers innerhalb der ihm gesetzten Frist eingelangt.

Rechtlich beurteilte die belangte Behörde den festgestellten Sachverhalt dahin, der Beschwerdeführer habe in Österreich wiederholt "gegen strafgesetzliche Bestimmungen verstoßen, was mit entsprechenden, nunmehr schon getilgten gerichtlichen Verurteilungen geahndet" worden sei. Dabei sei zu beachten, daß die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch bereits getilgte Verurteilungen bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers berücksichtigen könne. Auch die Bedachtnahme darauf, daß der Beschwerdeführer Konventionsflüchtling sei, könne die Bedenken gegen eine positive Gesuchserledigung nicht zerstreuen, zu welchen die belangte Behörde auf Grund der bisherigen Verstöße des Beschwerdeführers gegen strafgesetzliche Bestimmungen gelangen habe müssen. Wegen dieser Bedenken, die auch von den Sicherheitsbehörden geteilt worden seien, sei die belangte Behörde nicht in der Lage, von dem ihr eingeräumten freien Ermessen "positiven Gebrauch" zu machen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, (StbG) verliehen werden, wenn die in den Ziffern 1 bis 8 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Gemäß § 11 des genannten Gesetzes hat die Behörde sich bei der Ausübung des ihr im § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen. Bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft ist gegebenenfalls besonders auf den Umstand Bedacht zu nehmen, daß der Fremde Flüchtling im Sinne der Konvention vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955, oder des Protokolls, BGBl. Nr. 78/1974, über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde nicht festgestellt, daß die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG beim Beschwerdeführer nicht gegeben wären. Sie hat vielmehr die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers ausschließlich auf die Übung des freien Ermessens gestützt. Damit hat die Behörde stillschweigend auch die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG bejaht, daß nämlich der Beschwerdeführer nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, er sei zur Republik Österreich bejahend eingestellt und bilde keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit. Dies schließt zwar, wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Februar 1987, Zl. 87/01/0013, ausgesprochen hat, nicht aus, die festgestellten strafgerichtlichen Verurteilungen als so schwerwiegend zu werten, daß die Ausübung des Ermessens zum Nachteil des Beschwerdeführers ausfällt. Wie der Beschwerdeführer jedoch zutreffend ausführt, verstößt die Begründung des angefochtenen Bescheides gegen die Erfordernisse des § 60 AVG 1950, wonach die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. Die belangte Behörde hat sich nämlich bei der Beurteilung der Rechtsfrage auf das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers als entscheidend für die Ermessensübung berufen und ohne Rechtsirrtum ausgesprochen, daß auch getilgte strafgerichtliche Verurteilungen berücksichtigt werden dürfen, doch bedarf es dazu weiterer Erwägungen über das Verhalten des Beschwerdeführers, um eine materielle Prüfung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers vornehmen zu können. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verlangt schon die Feststellung des Verleihungshindernisses gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG eine materielle Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers darauf, ob er nach seinem bisherigen Verhalten für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bedenklich erscheint, wobei nicht auf formale Gesichtspunkte abzustellen ist (vgl. z.B. hg. Erkenntnisse vom 20. Oktober 1970, Slg. N. F. Nr. 7889/A, und vom 18. Mai 1988, Zl. 86/01/0182).

Die gleichen Grundsätze müssen aber auch für die Ermessensübung gemäß § 11 StbG maßgebend sein, weil nach dieser Bestimmung ausdrücklich das Gesamtverhalten der Person des Einbürgerungswerbers für die Ermessensübung bestimmend ist.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde in der entscheidenden Stelle ihrer Bescheidbegründung nur darauf hingewiesen, daß auch getilgte Vorstrafen berücksichtigt werden können. Sie hat jedoch nicht dargetan, wie sie diese im Fall des Beschwerdeführers berücksichtigt hat und somit die erforderliche Würdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers und seines gesamten bisherigen Verhaltens nicht ausdrücklich vorgenommen.

Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid somit nicht ausreichend begründet hat, hat sie ihn mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG), was in Stattgebung der Beschwerde zu seiner Aufhebung führen mußte.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989010073.X00

Im RIS seit

07.02.1990

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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