TE Vwgh Erkenntnis 1990/2/23 89/18/0160

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Veröffentlicht am 23.02.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/02 Novellen zum B-VG;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/09 Gemeindeaufsicht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BGdAG 1967 §3 Abs1;
BGdAG 1967 §7 Abs1;
BGdAG 1967 §7 Abs5;
B-VG Art10 Abs1 Z12 idF 1988/685;
B-VG Art118 Abs4;
B-VG Art119a Abs3;
B-VGNov 1988 Art1 Z3;
B-VGNov 1988 Art10 Abs1 Z4;
B-VGNov 1988 Art8;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. egischer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 7. September 1989, Zl. U-11745/2, betreffend Maßnahmen nach dem Tiroler Luftreinhaltegesetz (mitbeteiligte Partei: Gemeinde Mils, Tirol) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 4. Mai 1988 trug der Bürgermeister der Gemeinde Mils dem Beschwerdeführer gemäß §§ 1 und 4 des Gesetzes vom 11. Juli 1973 über die Reinhaltung der Luft (Luftreinhaltegesetz), LGBl. Nr. 68/1973, in drei Spruchpunkten bestimmte Maßnahmen hinsichtlich des Betriebes seines Schweinestalls in der Z-Straße in Mils auf. Über die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers entschied der Gemeindevorstand der Gemeinde Mils mit Bescheid vom 6. Juli 1989 dahin, daß die Berufung als unbegründet abgewiesen werde. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Vorstellung gemäß § 112 der Tiroler Gemeindeordnung. Über diese Vorstellung entschied, und zwar

sowohl nach den Eingangsworten des Bescheidspruches als auch nach der Fertigungsklausel, die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 7. September 1989 dahin, daß die Vorstellung als unbegründet abgewiesen werde.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wegen "Verletzung subjektiver Rechte"; er machte dem Inhalte der Beschwerdegründe nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde, Tiroler Landesregierung, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und stellte in ihrer Gegenschrift den Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Die mitbeteiligte Partei Gemeinde Mils hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Das Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 geändert wird (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 685) brachte auf dem Gebiet der Luftreinhaltung folgende Kompetenz und damit auch Änderungen der Behördenzuständigkeit:

Nach dem novellierten Artikel 10 Abs. 1 Z. 12 B-VG ist Bundessache die Gesetzgebung und Vollziehung unter anderem in Angelegenheiten der "Luftreinhaltung, unbeschadet der Zuständigkeit der Länder für Heizungsanlagen". Nach Art. VIII dieser Novelle werden landesrechtliche Vorschriften über die Luftreinhaltung, soweit sie sich nicht auf Heizungsanlagen beziehen, sowie landesrechtliche Vorschriften über die Abfallwirtschaft, soweit sie sich auf gefährliche Abfälle beziehen, bundesrechtliche Vorschriften für das Land, in dem sie erlassen worden sind. Nach Art. X Abs. 1 Z. 4 traten sowohl die novellierte Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 Z. 12 B-VG als auch der oben erwähnte Art. VIII mit 1. Jänner 1989 in Kraft. Übergangsbestimmungen betreffend an diesem Zeitpunkt anhängige Verfahren finden sich in der Novelle nicht. In der Regierungsvorlage zu dieser Novelle, 607 BlgNR. 17 GP. fand sich wohl eine dem Art. VIII der Novelle entsprechende Bestimmung unter Art. VII, die Erläuternden Bemerkungen schweigen allerdings hierüber. Im Bericht des Verfassungsausschusses zu dieser Novelle, 817 BlgNR. 17 GP. Seite 7, finden sich zu dem nunmehr als Art. VIII bezeichneten Art. VII der Regierungsvorlage folgende Ausführungen:

"Der Ausschuß geht davon aus, daß die Frage der Behördenzuständigkeit zur Vollziehung der übergeleiteten landesrechtlichen Vorschriften im Einzelfall auf Grund der verfassungsrechtlichen Regelung über die mittelbare Bundesverwaltung sowie auf Grund des § 2 AVG 1950 und des Teiles 2 der Anlage zu § 2 des Bundesministeriengesetzes 1986 zu beurteilen sein wird. Im Hinblick darauf erscheint eine dem § 6 ÜG 1920 vergleichbare verfassungsgesetzliche Übergangsregelung entbehrlich.

Das Verhältnis zwischen künftigen "Bedarfsgesetzen" des Bundes betreffend andere als gefährliche Abfälle und den auf diesem Gebiet bestehenden Landesgesetzen bedarf keiner Übergangsregelung, weil diese Frage keine des Rechtsübergangs zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der im Entwurf vorliegenden B-VG-Novelle darstellt. Der Ausschuß geht davon aus, daß dieses Verhältnis als ein solches der Zurückdrängung (und nicht der endgültigen Derogation) der mit der Bedarfsgesetzgebung des Bundes nicht zu vereinbarenden landesrechtlichen Normen zu sehen ist (vgl. VfSlg. 1882/1949, 2005/1950, 3378/1958)."

Der Verfassungsausschuß, der im Gegensatz zur Regierungsvorlage auch die Bestimmungen über die unabhängigen Verwaltungssenate in den Gesetzentwurf aufnahm, sah im Art. IX Abs. 2 seines Gesetzentwurfes Übergangsbestimmungen vor, die aber auf jene zukünftigen Verwaltungsverfahren abgestellt sind, mit denen die zukünftigen unabhängigen Verwaltungssenate befaßt werden können (siehe diesbezüglich auch Seite 7 des Ausschußberichtes). Sonstige Übergangsbestimmungen fügte der Verfassungsausschuß in den Gesetzentwurf nicht ein.

Die Zuständigkeit der belangten Behörde war daher mangels Übergangsbestimmungen nach dem zur Zeit der Erlassung ihres Bescheides geltenden Recht zu beurteilen (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. N.F. Nr. 9315/A).

Dies bedeutet, auf den vorliegenden Fall angewendet, folgendes:

§ 9 des eingangs zitierten Tiroler Luftreinhaltegesetzes überträgt die von der Gemeinde nach diesem Gesetz zu besorgenden Aufgaben in deren eigenen Wirkungsbereich. Gemäß Art. 118 Abs. 4, letzter Satz B-VG kommt dem Bund und dem Land gegenüber der Gemeinde bei Besorgung ihres eigenen Wirkungsbereiches ein Aufsichtsrecht (Art. 119a) zu. Das Aufsichtsrecht des Bundes über die Gemeinden in diesem Sinne ist im Bundes-Gemeindeaufsichtsgesetz, BGBl. Nr. 123/1967, geregelt. Nach dessen § 3 Abs. 1 ist Aufsichtsbehörde der Landeshauptmann. Nach § 7 Abs. 1 leg. cit. kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorgans in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben. Nach Abs. 5 dieses Paragraphen hat die Aufsichtsbehörde, sofern die Vorstellung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, den Bescheid, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen. Die Gemeinde ist bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden.

Da nach der oben zitierten Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988 Angelegenheiten der Luftreinhaltung, soweit sie sich nicht auf Heizungsanlagen beziehen, ab 1. Jänner 1989 Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung sind, ist Aufsichtsbehörde im letzterwähnten Sinn in Sachen des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde der Landeshauptmann, nicht aber die Landesregierung.

Somit hat im zeitlichen Wirkungsbereich der erwähnten Verfassungsnovelle 1988 die Landesregierung über eine Vorstellung entschieden, obwohl sie hiefür nicht (mehr) zuständig war.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Aus Gründen der Verfahrensökonomie und ohne die zuständige Aufsichtsbehörde diesbezüglich binden zu können, bemerkt der Verwaltungsgerichtshof zur Sache selbst:

Die Feststellung einer "ungebührlichen Erregung üblen Geruches" (§ 4 Abs. 1 des Tiroler Luftreinhaltegesetzes) allein auf Grund von Beschwerden von Anrainern scheint dem Verwaltungsgerichtshof nicht mit den Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens übereinzustimmen. Ein solcher Sachverhalt müßte nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes durch Zeugenaussagen, allenfalls auch von Amtsorganen, oder Sachverständigenaussagen untermauert werden. Die im Bescheid des Gemeindevorstandes von Mils erwähnte Sachverständigenaussage wurde am 20. Mai 1987, also lange vor dem Beginn des gegenständlichen Verfahrens, im Bauverfahren von einem aus dem Akt nicht näher identifizierbaren Sachverständigen gemacht. In demselben Bauverfahren findet sich ein Aktenvermerk vom 22. Mai 1987, wonach der Amtsarzt Dr. A außerhalb des Roxidationsstalles keinerlei störenden Geruch feststellen konnte. Der Amtsarzt sah nach erfolgtem Augenschein keine das Wohlbefinden von Menschen beeinträchtigende Geruchsemission gegeben.

Schon daraus ergibt sich, daß die Aussage des Sachverständigen im Bauverfahren vom 20. Mai 1987 nicht ohne Berücksichtigung des sonstigen Akteninhaltes in diesem Verfahren herangezogen werden kann.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren nach Zuspruch von Umsatzsteuer war abzuweisen, weil diese im Pauschalbetrag für Aufwandersatz bereits enthalten ist.

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989180160.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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