TE Vfgh Erkenntnis 1987/7/2 B127/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.1987
beobachten
merken

Index

65 Pensionsrecht für Bundesbedienstete
65/01 Allgemeines Pensionsrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
AVG §56
AVG §58 Abs1

Leitsatz

Erledigung des Stadtschulrates für Wien, daß dem Bf. ein Witwerversorgungsgenuß gebühre, dieser aber ruhe; Frage nach dem Bescheidcharakter einer Erledigung darf im Zweifel nicht zulasten der Partei beantwortet werden; hier abweisende Sachenstscheidung über das Begehren des Bf. auf Zuerkennung eines Witwerversorgungsgenusses; Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung der Berufung mangels Bescheidqualität

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, dem Bf. die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Am 28. Oktober 1985 stellte Dr. R G an den Stadtschulrat für Wien gemäß §106 Abs1 Z2 des Landeslehrer-Dienstgesetzes in der geltenden Fassung, in Verbindung mit ArtII Abs1 und 2 der 8. Pensionsgesetz-Nov., BGBl. 426/1985, den Antrag auf Witwerversorgungsgenuß nach den §§14 und 15 des Pensionsgesetzes 1965 in der Fassung der 8. Pensionsgesetz-Nov. mit Wirkung vom 1. März 1985.

1.2. Am 9. September 1986 erging an Dr. R G folgende mit "Stadtschulrat für Wien" überschriebene - Erledigung:

"Auf Grund des am 23. Juli 1984 erfolgten Ablebens Ihrer Ehegattin Frau E G, Volksschuloberlehrer i.R., wird Ihnen auf Ihren Antrag vom 28. Oktober 1985 gemäß den Bestimmungen des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 340, ab 1. März 1985 der Witwerversorgungsgenuß im Ausmaß von 60 v.H. seines Ruhegenusses (§§14 Abs1 und 15 Abs1) durch die Magistratsabteilung 3, Rathaus, 1082 Wien, angewiesen.

Gemäß ArtII Abs2 der 8. Pensionsgesetz-Nov., BGBl. Nr. 426, gebührt der Witwerversorgungsgenuß vom 1. März 1985 an zu einem Drittel, das sind 2.471,50 S, vom 1. Jänner 1989 an zu zwei Drittel und vom 1. Jänner 1995 an im vollen Ausmaß.

Der Versorgungsgenuß ruht aber bis zu einem Betrag des halben Anfangsgehaltes der Verwendungsgruppe E insoweit, als das für den Kalendermonat gebührende Erwerbseinkommen des überlebenden Ehegatten 75 v.H. des Anfangsgehaltes der Verwendungsgruppe E übersteigt. Das Ruhen tritt überdies höchstens in dem Ausmaß ein, in dem die Summe aus Versorgungsbezug und Erwerbseinkommen beim überlebenden Ehegatten 150 v.H. des Anfangsgehaltes der Verwendungsgruppe E übersteigt.

Es ergibt sich somit in Ihrem Fall ein Ruhensbetrag von 2.471,50 S.

Für den Amtsführenden Präsidenten:

Dr. Hopf

Beilagen

Für die Richtigkeit

der Ausfertigung:

(Unterschrift unleserlich)"

1.3. Gegen diese Erledigung erhob Dr. R G in offener Frist Berufung, in der er die Gesetzwidrigkeit der als Bescheid gewerteten Erledigung vom 9. September 1986 und deren Verfassungswidrigkeit infolge Anwendung des §40a PG 1965 geltend machte, "weil dieser Paragraph selbst verfassungswidrig" sei.

1.4. Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 16. Dezember 1986 wurde die Berufung als unzulässig zurückgewiesen.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:

"Die Erledigung ist nicht als 'Bescheid' bezeichnet und in Absätze gegliedert, welche jedoch keine klare Aufteilung in einen Spruch und eine Begründung erkennen lassen. Die Erledigung enthält keine Rechtsmittelbelehrung, keine Anrede und auch keine Höflichkeitsklausel vor der Fertigung. Dem äußeren Erscheinungsbild nach ist der Charakter dieser Erledigung somit zweifelhaft.

Im ersten Absatz dieser Erledigung wird unter Bezugnahme auf den Antrag des Berufungswerbers und unter Anführung der §§14 Abs1 und 15 Abs1 PG 1965 ausgesprochen, daß dem Berufungswerber der Witwerversorgungsgenuß im Ausmaß von 60 v.H. des Ruhegenusses angewiesen wird. Die betragliche Höhe des Ruhebzw. Versorgungsgenusses ist nicht angeführt. Nun könnte die Verweisung auf den Antrag und die Anführung der angewendeten Gesetzesstellen auch auf einen normativen Abspruch der Behörde hindeuten, jedoch kann dies keinesfalls für die Satzaussage des Anweisens des Witwerversorgungsgenusses gelten, weil unter dem Wort 'Anweisen' typisch der rein technische Vorgang des Flüssigmachens von Geldleistungen begriffen wird. Darüber ist aber keinesfalls normativ abzusprechen (vgl. VwGH vom 28. Februar 1967, Zl. 1375/65), was auch der Berufungswerber bestätigt.

Der zweite Absatz der gegenständlichen Erledigung enthält unter Anführung der angewendeten Gesetzesstelle die Aussage, daß der Witwerversorgungsgenuß ab 1. März 1985 zu einem Drittel, ab 1. Jänner 1989 zu zwei Drittel und ab 1. Jänner 1995 im vollen Ausmaß gebührt und stellt fest, daß das ab 1. März 1985 gebührende Drittel des Witwerversorgungsgenusses S 2.471,50 beträgt. Für sich allein gesehen, könnte diesem Absatz ein normativer Behördenwille entnommen werden. Der zitierte ArtII Abs2 der 8. PG-Nov., BGBl. Nr. 426, normiert lediglich die Etappenregelung hinsichtlich der Höhe der Leistungen für den Witwer und trägt für sich allein keinesfalls den angeführten Betrag. Ein anderer Betrag, aus dem im Zusammenhang mit dieser Etappenregelung der zitierte Betrag errechnet werden könnte, ist aber in der gesamten Erledigung nicht enthalten. In Zusammenhalt mit dem anderen Inhalt der Erledigung ist auch diesem Absatz nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob die Behörde dem Berufungswerber die Höhe des errechneten Drittels des Witwerversorgungsgenusses bloß mitteilen oder darüber normativ absprechen wollte.

Der dritte Absatz der Erledigung enthält lediglich eine Wiedergabe von gesetzlichen Bestimmungen über das Ruhen von Versorgungsgenüssen, ohne daß auf den konkreten Fall eingegangen wird.

Im letzten Satz dieser Erledigung wird ausgesprochen, daß sich ein Ruhensbetrag von S 2.471,50 'ergibt'. Das Wort 'ergibt' zeigt schon, daß es sich hiebei lediglich um eine Schlußfolgerung und Begründung, keinesfalls aber um eine normative Entscheidung handeln kann.

...

Bei Zusammenfassung dieser Analyse der Erledigung des Stadtschulrates für Wien muß die Berufungsbehörde an der Bescheidqualität dieser Erledigung größte Zweifel hegen. Viel eher als ein normativer Wille ist dieser Erledigung die Absicht der erstinstanzlichen Behörde zu entnehmen, den Berufungswerber über die rein faktische Berechnung des Witwerversorgungsgenusses und des Ruhensbetrages zu informieren. Unter Berücksichtigung der Judikatur des VwGH wäre daher für die Bescheidqualität dieser Erledigung die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid wesentlich gewesen. Da dies nicht der Fall war, mußte die Berufungsbehörde zum Ergebnis gelangen, daß diese Erledigung keine Bescheidqualität besaß."

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Die Beschwerde hält dem angefochtenen Bescheid entgegen, daß die Erledigung des Stadtschulrates vom 9. September 1986 einwandfrei als ein über den Antrag des Bf. vom 28. Oktober 1985 absprechender Bescheid zu werten sei; sie enthalte den eindeutigen hoheitlichen Ausspruch der in erster Instanz zuständigen Behörde, daß dem Bf. vom 1. März 1985 an ein Witwerversorgungsgenuß von S 2.471,50 gebühre und den weiteren ebenso zu qualifizierenden Ausspruch, daß sein gesamter Versorgungsgenuß ruhe. Die in Ansehung des §58 Abs1 AVG bestehende schwere Mangelhaftigkeit und Fehlerhaftigkeit der Erledigung vermöge an deren Bescheidqualität nichts zu ändern; die an ihn vorgenommene Zustellung zu eigenen Handen lasse klar erkennen, daß der Stadtschulrat an seine Erledigung die Rechtsfolgen eines gültig zugestellten Bescheides habe knüpfen wollen. Der Bf. habe schon die von ihm in der Berufung dargelegte Rechtsauffassung über die Bescheidqualität der Erledigung des Stadtschulrates ausdrücklich auf die Rechtsprechung des VfGH gestützt. Dadurch, daß sich die bel. Beh. mit dieser Rechtsprechung überhaupt nicht befaßt habe, sei sie leichtfertig vorgegangen; ein solches Verhalten sei Willkür und verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Der Bf. habe in seiner Berufung zusätzlich bereits klar zum Ausdruck gebracht, daß er §40a PG 1965, auf dem der Ausspruch über das Ruhen seines Witwerversorgungsgenusses beruhe, für verfassungswidrig halte. Indem die bel. Beh. jede Auseinandersetzung mit der einschlägigen maßgebenden Rechtsprechung des VfGH vermeide, verfolge sie offenkundig nur das Ziel zu verhindern, daß der Fall des Bf. zu einem Anlaßfall in bezug auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §40a PG 1965 werde. Eine solche Vorgangsweise sei rechtsmißbräuchlich und damit willkürlich.

3.2. Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht:

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985). Letzteres trifft zu; der Erledigung des Stadtschulrates für Wien vom 9. September 1986 kommt entgegen der Berufungsentscheidung Bescheidcharakter zu.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 6527/1971, 7436/1974, 8560/1979) sind auch formlose Erledigungen als Bescheid anzusehen, wenn sie nach ihrem Inhalt gegenüber individuell bestimmten Personen Verwaltungsangelegenheiten normativ regeln, d.h., wenn sie bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt haben.

Mit der Erledigung vom 9. September 1986 eröffnete der Stadtschulrat für Wien dem Bf. unter Bezugnahme auf seinen Antrag vom 28. Oktober 1985 - insbesondere -, daß ihm gemäß näher bezeichneter gesetzlicher Anordnungen vom 1. März 1985 an ein prozentuell und ziffernmäßig genannter Betrag gebühre, dieser aber - wie näher dargelegt - ruhe. Im Ergebnis hat der Stadtschulrat für Wien daher dem Antrag des Bf. vom Oktober 1985 nicht stattgegeben.

Hinzu kommt, daß die Behörde erster Instanz, die sich über die strengen Vorschriften des §58 Abs1 AVG 1950 hinsichtlich Inhalt und Form eines Bescheides hinweggesetzt hat, dadurch hervorgerufene begründete Zweifel über das Vorliegen einer hoheitlichen Regelung - die bel. Beh. beruft sich hierauf wiederholt im angefochtenen Bescheid -, wie der VfGH in ständiger Judikatur ausgesprochen hat, zu verantworten hat (vgl. VfSlg. 3728/1960, 9247/1981). Es entspricht der Rechtsprechung des VfGH, von der abzugehen keine Veranlassung besteht, daß in Fällen dieser Art die Frage nach dem Bescheidcharakter einer Erledigung nicht zulasten der Partei beantwortet werden darf. Wenn die bel. Beh. in der Gegenschrift behauptet, der Bf. verkenne die Aufgabe der Berufungsbehörde, wenn er meine, sie hätte primär die Aufgabe, ihm den Weg zum VfGH zu ebnen, damit seine Verwaltungssache zum Anlaßfall wird, ist ihr entgegenzuhalten, daß für die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung noch viel weniger aus der in der Gegenschrift enthaltenen Aussage zu gewinnen ist, es wäre dem Bf. ein Leichtes gewesen, anläßlich der Zurückweisung seiner Berufung die Erlassung eines Bescheides durch die erstinstanzliche Behörde zu begehren. Tatsache ist, daß der VfGH im Zeitpunkte der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ein Verfahren zur Prüfung der Ruhensbestimmungen (§40a PG) eingeleitet hatte.

Der VfGH vertritt unter den gegebenen Umständen die Auffassung, daß die Erledigung des Stadtschulrates für Wien vom 9. September 1986 eine abweisende Sachentscheidung über das Begehren des Bf. auf Zuerkennung eines Witwerversorgungsgenusses zum Inhalt hat, indem bindend festgestellt wird, daß der dem Bf. zustehende Anspruch auf Witwerversorgungsgenuß ruht.

In Ansehung der bestehenden Sachlage folgt daraus, daß die bel. Beh. den Bf. durch Zurückweisung seiner Berufung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt hat.

3.3. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist USt in Höhe von S 1.000,-- enthalten.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 in nichtöffentlicher Sitzung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Schlagworte

Bescheidbegriff, VfGH / Anlaßverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B127.1987

Dokumentnummer

JFT_10129298_87B00127_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten