TE Vwgh Erkenntnis 1990/3/12 90/19/0066

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Veröffentlicht am 12.03.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
BArbSchV §45 Abs4;
VStG §5 Abs1 idF 1987/516;
VStG §5 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 14. November 1988, Zl. 5-212 Pi 29/11-88, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Bauarbeitenschutzverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.590,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. November 1988 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er sei als Arbeitgeber dafür verantwortlich, daß der Spenglerlehrling G. am 7. Juli 1986 vom Partieführer den Auftrag erhalten habe, allein die alten Rinnhaken der Dachrinnen vom 9,70 m hohen Dachsaum des turmförmigen Erkers eines näher beschriebenen Wohnhauses zu demontieren, wobei nicht dafür gesorgt worden sei, daß der Lehrling vorschriftsmäßig angegurtet gewesen sei, sodaß er in der Folge vom Dach gestürzt sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 45 Abs. 4 erster Satz der Verordnung vom 10. November 1954 über Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei Ausführung von Bauarbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten (BGBl. Nr. 267, im folgenden kurz: Bauarbeitenschutzverordnung) begangen. Unter Berufung auf § 33 Abs. 7 erster Satz Arbeitnehmerschutzgesetz wurde über den Beschwerdeführer in sinngemäßer Anwendung des § 31 Abs. 2 lit. p leg.cit. eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

§ 45 Abs. 4 der Bauarbeitenschutzverordnung lautet:

"Bei Spenglerarbeiten am Dachsaum oder an Hängerinnen haben sich die damit Beschäftigten, sofern die Arbeiten nicht von einem sicheren Standplatz im Dachbodenraum ausgeführt werden, sicher anzuseilen. Solche Arbeiten müssen von mindestens zwei verläßlichen Personen ausgeführt werden, die die notwendigen Fachkenntnisse für die ihnen übertragenen Arbeiten besitzen."

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde (in diesbezüglicher Abänderung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) dem Beschwerdeführer vorgeworfen, durch die ihm zur Last gelegte Tat gegen § 45 Abs. 4 "erster Satz" Bauarbeitenschutzverordnung verstoßen zu haben. Damit hat sie die Rechtslage verkannt, weil im Tatvorwurf auch ein Verstoß gegen den zweiten Satz des § 45 Abs. 4 leg. cit. enthalten ist und dieser Teil des Schuldspruches nicht unter den ersten Satz zu subsumieren war. In diesem Zusammenhang ist zu vermerken, daß durch einen Verstoß gegen den ersten Satz und den zweiten Satz des § 45 Abs. 4 der Bauarbeitenschutzverordnung zwei verschiedene Tatbilder verwirklicht werden, die einander nicht ausschließen, weil jedes für sich allein und beide gleichzeitig verwirklicht werden können. Auf dem Boden des gegenständlichen Tatvorwurfes hätte der Beschwerdeführer daher entsprechend der Anordnung des § 22 Abs. 1 VStG 1950 wegen zweier Übertretungen schuldig erkannt werden müssen und es wären über ihn auch zwei Strafen zu verhängen gewesen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. Jänner 1985, Slg. Nr. 11 641/A, und vom 22. Mai 1989, Zl. 89/10/0022).

Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führt.

Der Verwaltungsgerichtshof hält es für zweckmäßig, auf Folgendes zu verweisen:

Bei den Übertretungen nach § 45 Abs. 4 erster und zweiter Satz der Bauarbeitenschutzverordnung handelt es sich um sogenannte Ungehorsamsdelikte im Sinne des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG 1950, wonach Fahrlässigkeit bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen ist, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Der Beschwerdeführer verkennt dies mit seinem Vorbringen, auch bei Vorliegen eines sogenannten "Ungehorsamsdeliktes" müsse dem Täter von der Behörde ein Verschulden nachgewiesen werden. Vielmehr besteht in einem solchen Fall von vornherein die Vermutung eines Verschuldens (in Form fahrlässigen Verhaltens) des Täters, welche aber von ihm widerlegt werden kann (vgl. ausführlich zur diesbezüglichen Rechtslage seit der VStG-Novelle 1987 das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1989, Zl. 89/02/0017, auf welches unter Bezugnahme auf § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Zu dieser Umkehr der Beweislast kommt es allerdings nur dann, wenn der objektive Tatbestand eines Ungehorsamsdeliktes feststeht, wobei in dieser Hinsicht die Beweislast die Behörde trifft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1967, Slg. Nr. 7087/A).

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides insoweit ausgeführt, daß der Lehrling G. am Unfallstag und auch an den Tagen davor mit Arbeiten im Sinne des § 45 Abs. 4 der Bauarbeitenschutzverordnung beschäftigt gewesen sei, ohne jedoch sicher angeseilt zu sein, werde vom Beschwerdeführer nicht bestritten, weshalb die ihm zur Last gelegte Tat aufgrund der "durchgeführten Erhebung des Arbeitsinspektorates L." und der am 10. Juli 1986 gemachten Feststellungen als erwiesen angenommen werde.

Weiters führte die belangte Behörde (offenbar zum zweiten Satz des § 45 Abs. 4 der Bauarbeitenschutzverordnung) unter Hinweis auf § 9 Z. 10 der Verordnung vom 2. Oktober 1981 über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche (BGBl. Nr. 527) aus, der Lehrling G. sei aufgrund seiner zweijährigen Lehre für diese Arbeiten nicht als qualifiziert anzusehen. Weiters sei eine von den beiden vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Personen, welche die gegenständlichen Spenglerarbeiten durchgeführt hätten, gleichfalls Lehrling, sodaß auch diese nicht als "verläßlich" angesehen werden könne.

Im Beschwerdefall kann dahinstehen, ob diese Rechtsansicht der belangten Behörde zutreffen, weil der Beschwerdeführer nicht behauptet hat, eine zweite Person sei mit derselben Arbeit wie der Lehrling G. betraut gewesen. Nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 45 Abs. 4 der Bauarbeitenschutzverordnung müssen nämlich "solche Arbeiten" - offenbar aus Sicherheitsgründen - gemeinsam durchgeführt werden. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob und wieviele "verläßliche" Personen bei der hier in Rede stehenden Arbeit "anwesend" waren.

Was den Verstoß gegen den ersten Satz des § 45 Abs. 4 der Bauarbeitenschutzverordnung anlangt, ist aus dem oben wiedergegebenen Teil der Begründung des angefochtenen Bescheides ersichtlich, daß die belangte Behörde zum objektiven Tatbestand ausführte, der Beschwerdeführer habe diesen nicht bestritten. Diese Feststellung der belangten Behörde ist allerdings aktenwidrig: So hat der Beschwerdeführer etwa in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis auf die Ergebnisse des im gerichtlichen Strafverfahren abgewickelten Beweisverfahrens hingewiesen, aus welchen sich ergebe, daß der Lehrling G. (bevor er abstürzte) mit den eigentlichen Arbeiten am Dachsaum noch gar nicht begonnen hatte, sondern erst beim Aussteigen bzw. Anhängen gewesen sei. In der (abschließenden) Stellungnahme vom 24. August 1988 wies der Beschwerdeführer neuerlich u.a. auf diese Aussage des G. hin. Es kann daher nicht davon gesprochen werden, daß der Beschwerdeführer den objektiven Tatbestand außer Streit gestellt hat. Diese Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wird allerdings durch die oben aufgezeigte Rechtswidrigkeit seines Inhaltes in den Hintergrund gedrängt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren betreffend Stempelgebührenersatz war mangels Erforderlichkeit des Aufwandes abzuweisen, insbesondere war Stempelgebührenersatz für die bereits anderwärtig verwendete Vollmacht nicht zuzuerkennen.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast Stempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes Unrichtige Höhe der Stempelgebühren Erstattung bzw Notionierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190066.X00

Im RIS seit

12.03.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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