TE Vwgh Erkenntnis 1990/3/12 90/19/0161

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Veröffentlicht am 12.03.1990
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2 idF 1987/577;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

S gegen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 17. Oktober 1989, Zl. III 68-1/89, betreffend Aufenthaltsverbot.

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid vom 26. Juli 1989 erließ die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gegen den Beschwerdeführer, einen am 29. September 1964 geborenen türkischen Staatsangehörigen, gemäß "§ 3 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 2 Z. 2 und 7 und §§ 4 und 11 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz i.d.g.F." ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet.

2. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (die belangte Behörde) gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, "daß das Aufenthaltsverbot auf § 3 Abs. 1 und Abs. 3 in Verbindung mit § 4 Fremdenpolizeigesetz i.d.g.F. gestützt wird".

Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Der Beschwerdeführer sei wegen dreier Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden, und zwar zweimal (1987 und 1989) wegen Übertretung des Paßgesetzes, einmal wegen Übertretung des Meldegesetzes. Diese Strafen seien Tatsachen im Sinne des § 3 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, die einen Rückschluß auf die Einstellung des Beschwerdeführers zur Rechtsordnung des Gastlandes sowie darauf zuließen, daß der Beschwerdeführer zur Erreichung eines Vorteils vor nichts zurückschrecke, und die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie zur Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers im Gastland dringend gebieten würden. Der Hinweis des Beschwerdeführers (in der Berufung) auf § 3 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz ziehe nicht, da der Gesetzgeber hier nur Beispiele für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aufzähle. Durch die Verwaltungsübertretungen, die der Beschwerdeführer begangen habe, seien zwar "nur" Ordnungsvorschriften verletzt worden, allerdings grundlegende fremdenpolizeiliche Ordnungsvorschriften bzw. Vorschriften, deren Einhaltung besonders durch Fremde von großer Bedeutung sei. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer trotz einer "diesbezüglichen Bestrafung" im Jahr 1987 im Jahr 1989 wieder "einschlägig straffällig" geworden sei, lasse die Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer in bezug auf die Einhaltung der Rechtsordnung des Gastlandes negativ ausfallen.

Im Rahmen der Würdigung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers anerkannte die belangte Behörde ausdrücklich, "daß private, familiäre und wahrscheinlich vor allem wirtschaftliche (berufliche) Interessen des Berufungswerbers (und seiner Familienangehörigen - Eltern, Geschwister) vorhanden sind, in Österreich sein zu können bzw. möglichst bald wieder einreisen und arbeiten zu dürfen, und daß durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat-, Familien- und Berufsleben des Berufungswerbers eingegriffen wird", wobei jedoch zu berücksichtigen sei, daß der Beschwerdeführer in Österreich keinen qualifizierten Beruf ausgeübt bzw. auszuüben beabsichtigt habe, und weiters, daß der Beschwerdeführer volljährig sei und - zumindest in Österreich - keine eigene Familie habe. Die Interessen des Beschwerdeführers müßten dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit gegenübergestellt werden, die im Gegensatz zu den privaten Interessen eines einzelnen sehr viel mehr Menschen berührten. Diese öffentlichen Interessen würden unzweifelhaft viel schwerer wiegen als die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen (in Österreich leben nach den Feststellungen der belangten Behörde zwei Schwestern und ein Bruder des Beschwerdeführers).

3. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht, in Österreich aufhältig zu sein, verletzt und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987 (FrPolG), kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Nach § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 leg. cit. insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder im Inland mehr als einmal wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen oder mehrmals wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist.

Abs. 3 leg. cit. normiert:

"Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2.

die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;

3.

die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen."

Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

              2.              Der Beschwerdeführer wurde nach Ausweis der Akten mit Straferkenntnis der BH Innsbruck vom 30. Juni 1987 wegen Übertretung des § 22 Abs. 1 Paßgesetz 1969 gemäß § 40 Abs. 1 (nach der Begründung wohl richtig: § 40 Abs. 2) leg. cit. mit einer Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzarrest 2 1/2 Tage) und mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 21. Juni 1989 zum einen wegen Übertretung des § 22 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 2 Paßgesetz 1969 gemäß der zuletzt genannten Gesetzesstelle mit einer Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzarrest 24 Stunden), zum anderen wegen Übertretung der §§ 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 iVm § 16 Meldegesetz gemäß der zuletzt genannten Vorschrift mit einer Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzarrest 5 Tage) bestraft.

Die belangte Behörde hat diese - rechtskräftigen - Bestrafungen als bestimmte Tatsachen im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG gewertet, aber nicht wie die Erstinstanz im Wege der Heranziehung des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall leg. cit., sondern unmittelbar des § 3 Abs. 1 leg. cit. - dies offenbar unter Zugrundelegung der (im bekämpften Bescheid nicht explizit geäußerten) Rechtsansicht, daß unter "mehrmals" im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG eine mindestens dreimalige rechtskräftige Bestrafung wegen Übertretungen der dort angeführten Gesetze zu verstehen ist.

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Wege der grammatikalischen Interpretation des § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG sowie unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien ausgeführt, daß unter "mehrmals" im Sinne dieser Gesetzesstelle eine mindestens dreimalige rechtskräftige Bestrafung wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes zu verstehen ist (siehe Erkenntnis vom 21. Juni 1989, Zl. 88/01/0090). Damit wurde allerdings nicht zum Ausdruck gebracht, daß es sich jeweils um mindestens drei rechtskräftige Bestrafungen handeln müßte. Der Gerichtshof vertritt vielmehr die Auffassung, daß der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG (schon) dann verwirklicht ist, wenn in bezug auf die dort genannten vier Gesetze INSGESAMT mindestens drei rechtskräftige Bestrafungen eines Fremden vorliegen. Da somit im vorliegenden Fall infolge der unbestrittenen dreimaligen rechtskräftigen Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Übertretungen der im § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG angeführten Gesetze der Tatbestand der zitierten Gesetzesstelle verwirklicht ist, kann der Beschwerdeführer in dem von ihm geltend gemachten subjektiven Recht, daß gegen ihn kein Aufenthaltsverbot erlassen werde, nicht dadurch verletzt worden sein, daß die belangte Behörde ungeachtet der von ihr fälschlicherweise vorgenommenen Subsumtion der drei Bestrafungen des Beschwerdeführers unmittelbar unter § 3 Abs. 1 FrPolG im Ergebnis zu Recht ein Aufenthaltsverbot gegenüber dem Beschwerdeführer ausgesprochen hat.

3.2. Der Beschwerde kann aber auch nicht gefolgt werden, wenn sie ausgehend von der sich als unrichtig erweisenden Ansicht, daß die Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen zweier Übertretungen nach dem Paßgesetz und einer Übertretung nach dem Meldegesetz nicht als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" zu qualifizieren seien, rügt, die nach § 3 Abs. 3 FrPolG vorgenommene Interessenabwägung sei "demnach ebenfalls unrichtig durchgeführt worden". Wie der Beschwerdeführer selbst einräumt, sind im § 3 Abs. 2 FrPolG jene besonderen Gründe beispielsweise aufgezählt, die als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten haben und daher bei ihrem Vorliegen die Annahme rechtfertigen, daß der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet. In einem Fall wie dem gegenständlichen, bei dem das Gesetz die Bestrafung wegen Übertretungen bestimmter Gesetze nur dann als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" gelten läßt, wenn insgesamt mindestens drei rechtskräftige Bestrafungen wegen Übertretungen der aufgezählten Gesetze vorliegen, kann bei Vornahme der Interessenabwägung im Sinne des § 3 Abs. 3 FrPolG die Frage, ob die einzelnen, vom Fremden begangenen Verwaltungsübertretungen als schwerwiegend anzusehen sind, keine Berücksichtigung finden. Dies wird auch durch die Gesetzesmaterialien unterstrichen, aus denen sich ergibt, daß rechtskräftige Bestrafungen wegen Übertretungen der im § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG angeführten Gesetze (die vom Gesetz wiederum den schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen gegenübergestellt werden und die damit für sich allein jedenfalls noch nicht als schwerwiegend anzusehen sind) nur dann zur Begründung eines Aufenthaltsverbotes geeignet erscheinen, wenn die "Häufigkeit der Begehung die Tendenz zur Mißachtung der österreichischen Rechtsordnung erkennen läßt" (vgl. 243 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVII. GP, S. 5).

Der Begründung des angefochtenen Bescheides kann entnommen werden, daß die belangte Behörde jene Verwaltungsübertretungen, wegen der der Beschwerdeführer bestraft worden ist, einzeln betrachtet, nicht als schwerwiegend angesehen hat, sondern sie wegen der sich aus der Häufigkeit der Begehung ergebenden Tendenz zur Mißachtung der österreichischen Rechtsordnung zum Anlaß für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes genommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof kann aber auch nicht finden, daß die belangte Behörde bei Vornahme der Abwägung der zweifellos bestehenden öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes mit den unbestritten festgestellten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich zu Unrecht die öffentlichen Interessen als schwerwiegender erachtet hat. Wenn auch, wie die belangte Behörde eingeräumt hat, durch das Aufenthaltsverbot in das Privat-, Familien- und Berufsleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird, so ist der belangten Behörde beizupflichten, daß bei der gegebenen Sachlage diesen Eingriffen insgesamt kein besonderes Gewicht beigemessen werden kann. Angesichts der Tatsache, daß der Beschwerdeführer in Österreich keinen qualifizierten Beruf ausübt, sich noch nicht lange in Österreich aufhält und keine eigene Familie in Österreich hat, kann den durch das Aufenthaltsverbot ausgelösten Eingriffen in das Privat-, Familien- und Berufsleben des Beschwerdeführers kein erhebliches Gewicht beigemessen werden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190161.X00

Im RIS seit

12.03.1990

Zuletzt aktualisiert am

15.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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