TE Vwgh Erkenntnis 1990/3/19 89/18/0134

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Veröffentlicht am 19.03.1990
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §24 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 22. Juni 1989, Zl. MA 70-10/826/89/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 erlassenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 22. Juni 1989 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe am 17. Dezember 1988 von 16.20 Uhr bis 16.50 Uhr ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Fahrzeug in Wien 3, auf der Landstraßer Hauptstraße vor ONr. 5, im Kreuzungsbereich der Unteren Viaduktgasse, 1) in einem deutlich beschilderten Halteverbotsbereich, 2) im Bereich von weniger als 5 m vom nächsten Schnittpunkt der einander kreuzenden Fahrbahnränder geparkt und habe 3) das Fahrzeug mit der Tafel "Arzt im Dienst" gekennzeichnet, obwohl eine Fahrt zur ärztlichen Hilfeleistung nicht vorgelegen und die Abstellung des Fahrzeuges nicht zum Zwecke der Leistung ärztlicher Hilfe erfolgt sei. Er habe hiedurch zu 1) eine Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), zu 2) eine solche nach § 24 Abs. 1 lit. d StVO und zu 3) eine solche nach § 24 Abs. 5 StVO begangen; nach den auf die Strafe anzuwendenden Bestimmungen, nämlich zu 1) und 2) § 99 Abs. 3 lit. a, zu 3) § 99 Abs. 3 lit. c StVO wurden jeweils Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt.

Folgender Sachverhalt blieb im Verwaltungsstrafverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbestritten:

Der Beschwerdeführer, ein zur selbständigen Berufsausübung berechtigter praktischer Arzt, war am Nachmittag des 17. Dezember 1988 als Lenker seines Pkws mit diesem unterwegs. Im Pkw befand sich kein Autotelefon, sondern ein sogenannter "Pager", mit welchem Gerät dem Lenker durch Piepstöne angezeigt werden konnte, er möge eine bestimmte Telefonnummer - nämlich die seiner Ordination - rückrufen. Als während der Fahrt des Beschwerdeführers ein solcher Piepston ertönte, mußte der Beschwerdeführer von einer öffentlichen Fernsprechstelle einen Rückruf in die Ordination tätigen. Mangels anderweitigen Raumes zum Halten oder Parken stellte er sein Fahrzeug, objektiv verbotenerweise, an dem oben genannten Tatort zu Beginn der oben genannten Tatzeit ab. Sodann verließ er sein Fahrzeug und telefonierte mit seiner Ordination, von der er erfuhr, daß eine bestimmte Patientin wegen plötzlichem Ansteigen ihres Blutdruckes mit starkem Schwindel umgehend seiner ärztlichen Hilfeleistung bedürfe. Von der öffentlichen Telefonstelle ging der Beschwerdeführer aber nicht sogleich zu seinem Pkw zurück, sondern suchte noch rasch das nächste Metallwarengeschäft auf, da er bemerkt hatte, daß die Batterie seines Pager-Gerätes leer war. Nach Erledigung dieser Angelegenheit ging der Beschwerdeführer zu seinem Pkw zurück und fuhr sofort zu seiner hilfebedürftigen Patientin.

Die Berufungsbehörde beurteilte in der Begründung ihres Bescheides diesen Sachverhalt wie folgt:

Das "Anhalten" bzw. "Abstellen" des Fahrzeuges am Tatort sei anfänglich erlaubt gewesen. In der Folge sei es aber in ein verbotenes Halten und schließlich in ein ebenso rechtswidriges Parken übergegangen, weil das Fahrzeug nicht so rasch wie möglich aus dem Halteverbot und dem Bereich von weniger als 5 m vom nächsten Schnittpunkt der einander kreuzenden Fahrbahnränder entfernt worden sei, habe doch der Beschwerdeführer noch ein Metallwarengeschäft aufgesucht, um sich eine Batterie für sein Gerät zu besorgen; erst nach Erledigung dieser Angelegenheit sei er zur Patientin gefahren. Da der Beschwerdeführer das Fahrzeug nicht wegen und für die Dauer einer ärztlichen Hilfeleistung abgestellt habe, sondern weil er im Zusammenhang mit einer ärztlichen Hilfeleistung rückrufen mußte, wäre er auf alle Fälle verpflichtet gewesen, nach dem Rückruf das Fahrzeug so rasch wie möglich aus dem verbotenen Bereich wegzuschaffen. Im übrigen spreche schon die Abstelldauer von einer halben Stunde gegen die Version der dringenden ärztlichen Hilfeleistung, zumal keineswegs anzunehmen sei, daß der Beschwerdeführer erst nach einer halben Stunde weggefahren wäre, wenn tatsächlich dringende ärztliche Hilfe an seiner Patientin erforderlich gewesen wäre. Was die Frage der leeren Batterie anlange, so sei dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, daß er sich zeitgerecht um die Funktionstüchtigkeit seines Personenrufgerätes hätte kümmern müssen, entweder durch rechtzeitiges Auswechseln der Batterie oder durch Mitführen von Reservebatterien. Die vorschriftswidrige Abstellung des Fahrzeuges am Tatort zusammen mit der Verwendung der Tafel "Arzt im Dienst" für die Dauer des Batteriekaufes habe nichts mit der ärztlichen Hilfeleistung zu tun und könne auch nicht mit Notstand entschuldig werden, denn eine selbstverschuldete Zwangslage stelle keinen Schuldausschließungsgrund dar. Daher sei die Tat als erwiesen anzunehmen und der erstinstanzliche Schuldspruch mit der oben ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen gewesen.

In den Ausführungen zur Strafbemessung findet sich unter anderem die Wendung, die Tafel "Arzt im Dienst" dürfe bei ärztlicher Hilfeleistung nur in dringenden Fällen verwendet werden. Deshalb sei der Unrechtsgehalt der Taten an sich nicht gering, aber auch nicht das Verschulden des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat zwar zunächst in ihrer Gegenschrift die Rechtzeitigkeit der Beschwerde bezweifelt, jedoch ergänzend am 2. März 1990 berichtet, daß der angefochtene Bescheid dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 5. Juli 1989 zugestellt worden war. In Anbetracht der am 16. August 1989 zur Post gegebenen Beschwerde erwies sich daher letztere als rechtzeitig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 5 StVO dürfen Ärzte, die zur selbständigen Berufsausübung berechtigt sind, bei einer Fahrt zur Leistung ärztlicher Hilfe das von ihnen selbst gelenkte Fahrzeug für die Dauer der Hilfeleistung auch auf einer Straßenstelle, auf der das Halten oder Parken verboten ist, abstellen, wenn in der unmittelbaren Nähe des Aufenthaltes des Kranken oder Verletzten kein Platz frei ist, auf dem gehalten oder geparkt werden darf, und durch das Aufstellen des Fahrzeuges die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt wird. Während einer solchen Aufstellung ist das Fahrzeug mit einer Tafel, welche die Aufschrift "Arzt im Dienst" und das Amtssiegel der Ärztekammer, welcher der Arzt angehört, tragen muß, zu kennzeichnen. Außer in diesem Falle ist eine solche Kennzeichnung von Fahrzeugen verboten.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt in der Rechtsfrage, ob beim vorliegenden Sachverhalt zwischen einer Zeit rechtmäßigen und einer Zeit rechtswidrigen Haltens oder Parkens zu unterscheiden ist, die Ansicht der belangten Behörde und nicht die entgegenstehende Ansicht des Beschwerdeführers, auch sein Weg, um eine neue Batterie für sein Gerät zu besorgen, falle unter die begünstigende Bestimmung des § 24 Abs. 5 StVO. Dies aus folgenden Gründen:

In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der Straßenverkehrsordnung 1960 (Blg 22 NR 9. GP) heißt es auf Seite 58, die an vielen Orten bestehende Parkraumnot habe wiederholt dazu geführt, daß die ärztliche Hilfe einen Kranken oder Verletzten deshalb erst sehr spät erreicht hat, weil der Arzt lange nach einem Platz für das Aufstellen seines Fahrzeuges suchen mußte. Oft hätten Ärzte das Fahrzeug an einem für Halten oder Parken verbotenen Ort aufgestellt, um dem Patienten rascher helfen zu können. Nunmehr solle im Interesse der Kranken und Verletzten allgemein bestimmt werden, wann ein Fahrzeug im ärztlichen Dienst steht und nicht an Halte- und Parkverbote gebunden ist.

Diese Erläuternden Bemerkungen stellen somit eindeutig das Interesse des einzelnen Kranken oder Verletzten an der ärztlichen Hilfe in den Vordergrund. Diese Ansicht wird auch in der Literatur vertreten:

So heißt es bei Dittrich-Veit-Veit, Österreichisches Straßenverkehrsrecht, I, Erläuterungen zur StVO, Seite 15, es müsse sich immer um eine Fahrt zu einer konkreten ärztlichen Hilfeleistung handeln. Die Fahrt zur Ordination oder zum Spital gehöre nicht dazu. Dieser Ansicht sind auch Benes-Messiner, Straßenverkehrsordnung8, S 433. Maßgebend ist nach den letztgenannten Autoren a.a.O. lediglich, daß der Arzt das Fahrzeug in der Annahme aufstelle, er müsse einem Kranken oder Verletzten Hilfe leisten. Wenn später hervorkomme, daß lediglich die Einbildung oder Vortäuschung einer Krankheit vorliege, so sei dies ohne Belang.

Kammerhofer hatte schon in seinem Aufsatz "Arzt im Dienst", KJ 1968, S 70, ausgeführt, es müsse sich immer um einen konkreten Fall der Leistung ärztlicher Hilfe handeln, weshalb die Fahrt in die gewöhnliche Ordination oder den gewöhnlichen Dienst in Krankenhäusern, ohne daß ein Hilferuf dorthin erfolgt sei, nicht darunter fielen. Das privilegierte Halten oder Parken sei nur für die Dauer der Hilfeleistung gestattet. Ein Arzt, der zunächst das Fahrzeug völlig in Übereinstimmung mit den Vorschriften des § 24 Abs. 5 StVO abgestellt, aber nach der Leistung ärztlicher Hilfe zum Zwecke anderer Besorgungen an Ort und Stelle belassen habe, müsse für die Zeit dieser anderen Besorgungen das allenfalls vorschriftswidrige Halten oder Parken verantworten.

Daraus, sowie aus der im Erkenntnis vom 7. Februar 1962, Zl. 1787/61 = ZVR 1962/266 = KJ 1962, 35 ausgedrückten Ansicht, bei der Erlaubnis zum Benützen der Tafel "Arzt im Dienst" handle es sich um eine eng auszulegende Ausnahmebestimmung, ergibt sich, daß die Notwendigkeit, einen Ersatzteil für das im Pkw des Arztes befindliche Personenrufgerät zu besorgen, ebensowenig ärztliche Hilfeleistung für einen bestimmten Patienten darstellt wie etwa dringend notwendige Reparaturen am Pkw selbst oder die Notwendigkeit, zur Diagnose oder Therapie notwendige Instrumente, z.B. Blutdruckmesser, Stethoskope oder Injektionsspritzen, in ordnungsgemäßem Zustand zu erhalten oder in diesen zu versetzen. Solche ganz allgemein jeden behandelnden Arzt treffende Verpflichtungen haben mit der begünstigten Hilfeleistung für einen bestimmten Patienten im Sinne des § 24 Abs. 5 StVO nichts zu tun.

Die belangte Behörde hat diese Rechtsfrage richtig gelöst, aber den angefochtenen Bescheid mit folgender Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet:

Es heißt in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausdrücklich, das Anhalten bzw. Abstellen des Fahrzeuges am Tatort sei anfänglich erlaubt gewesen, dieses anfänglich erlaubte Anhalten sei aber in der Folge in ein verbotenes Halten und schließlich in ein ebenso rechtswidriges Parken übergegangen. Die Abstelldauer von einer halben Stunde, nämlich von 16.20 Uhr bis 16.50 Uhr, spreche gegen die Version der dringenden ärztlichen Hilfeleistung.

Entgegen diesen Ausführungen in der Begründung legte die belangte Behörde im Spruch ihres Bescheides dem Beschwerdeführer den gesamten Zeitraum von 16.20 bis 16.50 Uhr des Tattages als rechtswidriges Halten und Parken im Sinne der §§ 24 Abs. 1 lit. a und 24 Abs. 1 lit. d StVO zur Last.

Diese wesentlichen Widersprüche zwischen Spruch und Begründung des angefochtenen Bescheides belasten ihn mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Zur zitierten Stelle aus der Bescheidbegründung sei bemerkt, daß § 24 Abs. 5 StVO nicht voraussetzt, daß es sich um eine DRINGENDE Leistung ärztlicher Hilfe handelt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren war abzuweisen einerseits, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag für Aufwandersatz bereits enthalten ist, und andererseits, weil der als Beilage vorzulegende angefochtene Bescheid nur aus zwei Bogen bestand.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989180134.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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