TE Vwgh Erkenntnis 1990/3/20 85/05/0153

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Veröffentlicht am 20.03.1990
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Index

L82000 Bauordnung;
L85003 Straßen Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §56;
BauRallg;
LStG NÖ 1979 §6 Abs1;
LStG NÖ 1979 §6 Abs3;
LStG NÖ 1979 §6 Abs5;

Betreff

NT und OT und PX und RX gegen Niederösterreichische Landesregierung vom 3. April 1984, Zl. II/2-SB-LH 57 und 58 (mitbeteiligte Partei: Land Niederösterreich - Landesstraßenverwaltung) betreffend straßenrechtliche Baubewilligung

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 10.470,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Am 23. Jänner 1984 beantragte die mitbeteiligte Partei zur Verbesserung der teilweise engen Ortsdurchfahrt im Bereiche des Zentrums von Gars am Kamp in Verbindung mit dem von der Gemeinde im Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau eines biomedizinischen Zentrums erstellten Verkehrskonzeptes, das im wesentlichen auf eine Verkehrsberuhigung des Ortskernes hinziele, die Bewilligung gemäß § 6 des NÖ Landesstraßengesetzes (LStG) für die Ausführung des Bauloses Detailprojekt "Gars am Kamp" im Zuge der Umlegung bzw. des Ausbaues der LH 57 und 58; die wasserrechtliche und naturschutzbehördliche Bewilligung für das Detailprojekt liege bereits vor, die eisenbahnrechtliche Bewilligung sei beantragt.

Zu diesem Zweck beraumte die belangte Behörde für 15. März 1984 eine mündliche Verhandlung gemäß § 6 LStG an, bei der Gegenstand und Umfang des beantragten Bauverfahrens ermittelt werden sollten. Hiezu wurden u.a. die jetzigen Beschwerdeführer als Anrainer geladen.

Alle Beschwerdeführer erhoben - gesondert - auch schriftliche Einwendungen. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wiesen darauf hin, daß es infolge des zunehmenden Verkehrs bei der unübersichtlichen Kurve immer wieder zu Unfällen komme, hervorgerufen durch Ausweichmanöver, die bereits an der Hausmauer bzw. am Gartenzaun der Beschwerdeführer endeten. Diese fühlten sich auch durch die schwer beladenen, vom Werk herabkommenden Langholzfahrzeuge, Lkw-Züge und dgl. gefährdet, da diese von der Kurve aus die gesamte Straßenbreite beanspruchten und bei Straßenglätte oder Sandanschwemmung bis auf den Gehsteig rutschten und, was zu befürchten sei, auch in ihre Wohnräume kommen könnten. Abgase, Staub und Lärm sowie die ständigen Erschütterungen durch die Schwerfahrzeuge seien auf die Dauer nicht tragbar. Mit dem Bau der Brücke und dem folgenden Verkehr sei der letzte Rest gesunder, frischer Luft auch von der gegenüberliegenden Kamp-Seite genommen.

Der Erstbeschwerdeführer erhob in der Verhandlung noch weitere schriftliche Einwendungen "als Sprecher der Bürgerinitiative von Thunau am Kamp", mit denen er sich vor allem gegen die Umleitung des Schwerverkehrs in eine viel zu enge, kurvenreiche und zu Unfällen neigende Straße wandte, sowie gegen die "Orts- und Landschaftszerstörung, Belästigung durch Abgase, Staub und Lärm des nahegelegenen Freibades". Eine Brücke an der geplanten Stelle bringe dieselben Belastungen und Nachteile für Thunau, wie sie die in den 50er Jahren erbaute B 34 durch den Garser Hauptplatz mit sich gebracht habe. Bei einem Projekt wie diesem müsse der Sinn und Zweck auch für die Zukunft geplant werden. Daher wäre eine sinnvolle Lösung lediglich eine Ortsumfahrung, die Alternative sei von der B 34 bei Zitternberg eine Brücke mit Unterführung der Bahn über den Kamp in Richtung "Mühlehaus" zur Straßenkreuzung Kautendorf, Gars, St. Leonhard. Die Ausbaustrecke von 3,5 bis 4 km würde in Zukunft für Gars und Thunau die gewünschte Entlastung bringen.

Der Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin wendeten ein, daß ihr Haus samt Garten genau an der beabsichtigten neuen Abzweigung der LH 58 von der LH 57 liege. Dieses Grundstück würde in Zukunft von Abgasen, Benzingestank, Lärm und Rauch geradezu zugedeckt werden. An dieser neuen Kreuzung (Abzweigung der neuen LH 58 von der LH 57) würde sich in Zukunft in jeder Richtung ein Verkehrsstau bilden, da an diesem Punkt die Verkehrsströme aus Gföhl, Wegscheid und Gars sowie von der B 34 kommend die Verkehrsströme in Richtung Gföhl und Wegscheid aufeinanderprallen würden. Die Luftverschmutzung würde dadurch gerade unvorstellbare Ausmaße annehmen. Auch die Verkehrslage in der Altstadt würde nicht erheblich gebessert werden, weil ein Teil des Verkehrs aus Wegscheid über die alte Eisenbahnbrücke und die alte LH 58 weitergehen werde, da die alte Route erheblich kürzer sei. Der technische Bericht sehe keine Maßnahmen vor, die die Anrainer vor derartigen Einwirkungen schützen sollten. Dem technischen Bericht sei zwar zu entnehmen, daß ursprünglich drei Varianten zur Diskussion gestanden seien, eine Begründung, warum gerade diese Variante gewählt worden sei, fehle hingegen. Insbesondere sei nicht ausgeführt worden, welche umweltschützerischen Gründe gegen die Variante 2, die eine Trassenführung durch eine Parkanlage vorgesehen habe, sprächen.

Der Fünftbeschwerdeführer erklärte ebenso wie alle übrigen Anrainer, gegen das vorgelegte Projekt Einwendungen hinsichtlich Lärm-, Staub- und Geruchsbelästigung zu erheben. Der Erstbeschwerdeführer verwies überdies auf die Verringerung der Verkehrssicherheit.

Der verkehrstechnische Sachverständige führte aus, daß durch den geplanten Ausbau der LH 58 und LH 57 die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf den Landeshauptstraßen wesentlich verbessert würden. Der derzeitige Straßenverlauf der Landeshauptstraßen durch den Ortskern von Gars sei für das Verkehrsaufkommen nicht mehr geeignet und der Ausbau nach den vorliegenden Detailprojekten notwendig. Durch den Ausbau der Landeshauptstraßen werde das Verkehrsaufkommen durch den Ortskern mit größter Wahrscheinlichkeit stark reduziert werden. Der Anfahrtsweg zur Kamptal-Bundesstraße B 34 werde um ca. 700 m verkürzt. Durch den Ausbau der Landeshauptstraßen werde es mit größter Wahrscheinlichkeit zu keiner Vermehrung des Verkehrsaufkommens kommen; durch die neue Verkehrsrelation sei eine Entlastung der gesamten Verkehrssituation zu erwarten. Gegen die Erteilung der angestrebten Bewilligung, für die schon die naturschutzbehördliche Bewilligung erteilt worden sei, bestünden, zumal auch die Ausgestaltung der Brücke im Einvernehmen mit der NÖ Landesbaudirektion (Ortsbildpflege) erfolgt sei, keine Bedenken.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 6 Abs. 5 LStG die Bewilligung für die Ausführung der LH 57 und 58, Detailprojekt "Gars/Kamp", erteilt. Der Einwand der Anrainer hinsichtlich der Lärm-, Staub- und Geruchsbelästigung wurde mangels gesetzlicher Grundlage abgewiesen, die Einwendung des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich der Verringerung der Verkehrssicherheit mangels Parteistellung als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde lediglich aus, daß gemäß § 6 Abs. 1 LStG vor Inangriffnahme der Bauarbeiten für die Neuanlage einer Landeshaupt- oder Landesstraße die Landesregierung eine örtliche Verhandlung und Begehung der Trasse zum Zwecke der Begutachtung des Bauentwurfes vom Standpunkt der durch den Bauentwurf berührten Interessen durchzuführen habe. Insoweit Einwendungen über Lärm-, Staub- und Geruchsbelästigung geltend gemacht worden seien, seien sie als unbegründet abzuweisen, da das NÖ Landesstraßengesetz hiefür keine gesetzliche Grundlage liefere; der Einwand des Erstbeschwerdeführers (Fußgängerübergang) sei mangels Parteistellung zurückzuweisen gewesen, weil das NÖ Landesstraßengesetz dem einzelnen Anrainer hinsichtlich der Prüfung der Frage der Verkehrssicherheit keine Parteistellung einräume.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof; dieser lehnte mit Beschluß vom 23. November 1984, B 379/84, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der nach Bewilligung der Wiedereinsetzung erfolgten Ergänzung beantragten die Beschwerdeführer die Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 1 des NÖ Landesstraßengesetzes, LGBl. 8500-0, in der Fassung vor der Novelle 1984, LGBl. Nr. 8500-1 (LStG), hat die Landesregierung vor Inangriffnahme der Bauarbeiten für die Neuanlage, Umgestaltung oder Umlegung einer Landeshaupt- oder Landesstraße eine örtliche Verhandlung und Begehung der Trasse zum Zwecke der Begutachtung des Bauvorhabens vom Standpunkt der durch den Bauentwurf berührten Interessen durchzuführen. Hiebei ist insbesondere auch darauf Bedacht zu nehmen, daß sich die geplante Straße unter Schonung bestehender Natur- und Kunstdenkmale dem Landschaftsbild anpaßt und dem Verkehr einschließlich eines allfälligen besonderen landwirtschaftlichen Verkehrsbedürfnisses gerecht wird.

Nach § 6 Abs. 3 leg. cit. sind zu der Amtshandlung außer den Entwurfsvertretern die Durchzugsgemeinden, die sonstigen beteiligten Behörden und Amtsstellen sowie alle bekannten Anrainer und sonstigen Beteiligten nachweislich zu laden. Privatrechtliche Einwendungen gegen den Bauentwurf, über die eine Einigung nicht erzielt worden ist, sind zur Austragung auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

Nach Abs. 5 ist nach Maßgabe des Ergebnisses der Begehung und Verhandlung ein Baubewilligungsbescheid zu erlassen, in dem die Bedingungen festzusetzen sind, die bei der Durchführung des Bauentwurfes vom Standpunkt der öffentlichen und der als begründet erkannten Interessen der Beteiligten zu erfüllen sind.

Aus diesen Bestimmungen ergibt sich entgegen der Ansicht der belangten Behörde, daß die Anrainer legitimiert sind, im straßenbaurechtlichen Bewilligungsverfahren ihre Interessen zu wahren, auch wenn diese in ihrer Art gesetzlich nicht determiniert sind. Klargestellt ist lediglich, daß privatrechtliche Einwendungen gegen den Bauentwurf mangels Einigung auf den Zivilrechtsweg zu verweisen sind. Dies bedeutet, daß öffentlich-rechtliche Einwendungen der Anrainer, zu denen zweifellos solche der Gesundheit und Vermeidung von Immissionen gehören, bei der Entscheidung über die straßenrechtliche Baubewilligung zu berücksichtigen sind. Da das NÖ Straßengesetz im Gegensatz zu Straßengesetzen anderer Länder keine Trassenverordnung vorsieht, findet auch die Festlegung der Trasse im straßenrechtlichen Baubewilligungsverfahren statt. Nun liegt es zwar noch gerade im Wesen einer derartigen Straßenplanung, daß die Berücksichtigung der Interessen des einen in der Regel zur Beeinträchtigung von Interessen anderer führt. Der dem Straßengesetz vorschwebende Zweck kann daher nur durch eine Abwägung der in Betracht kommenden Interessen insbesondere in bezug auf den Verlauf der Straße erreicht werden. In dieser Beziehung muß den Anrainern, die ja zur Verhandlung zu laden sind, ein Mitspracherecht zuerkannt werden. Zur erforderlichen Abwägung der Interessen bedarf es aber der Gegenüberstellung der verschiedenen Möglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen. Gerade dies haben die belangte Behörde und der von ihr herangezogene verkehrstechnische Sachverständige bei der mündlichen Verhandlung unterlassen. Da in den Einwendungen ausdrücklich auf andere Trassenvarianten Bezug genommen wurde, wäre es erforderlich gewesen, sie nochmals in der mündlichen Verhandlung darzustellen; Sache des Sachverständigen wäre es gewesen, Vor- und Nachteile zu beurteilen, um der belangten Behörde eine entsprechende Entscheidungsgrundlage zu liefern. Das Gutachten, das sich im wesentlichen darauf beschränkt, die Vorteile der vorgesehenen Trasse anzuführen, ohne zu anderen Möglichkeiten überhaupt Stellung zu nehmen, wird dieser Aufgabenstellung nicht gerecht.

Da die belangte Behörde von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend für die Ermittlung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht gesorgt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, sodaß er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wieweit in diesem Zusammenhang auch noch die Beiziehung eines amtsärztlichen Sachverständigen erforderlich gewesen wäre, wie in der Beschwerde releviert wird, kann bei diesem Stand des Verfahrens nicht beurteilt werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Dabei erfaßt der pauschalierte Schriftsatzaufwand die gesamten Kosten ohne Rücksicht auf die Zahl der Eingaben; der Ersatz von Bundesstempel kann nur in dem Ausmaß erfolgen, als es sich um das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof handelte.

Schlagworte

Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Sachverhaltsermittlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1985050153.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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