TE Vwgh Erkenntnis 1990/4/2 90/19/0133

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Veröffentlicht am 02.04.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/05 Reisedokumente Sichtvermerke;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
B-VG Art18 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
PaßG 1969 §23 Abs1;
PaßG 1969 §23 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs1;
PaßG 1969 §25 Abs2;
Sichtvermerkszwang Aufhebung Türkei 1955 Art1 Abs3;
Sichtvermerkszwang Aufhebung Türkei 1955 Art1 Abs4;
VwRallg;

Betreff

N gegen Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 7. April 1989, Zl. FR 384-3/89, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, beantragte mit Schriftsatz vom 10. März 1989 bei der belangten Behörde, ihr einen "Wiedereinreisesichtvermerk mit Gültigkeit und Dauer für ein Jahr" zu erteilen. Zur Begründung führte sie aus, daß sie am 25. Dezember 1988 nach Österreich eingereist sei, um eine Bekannte zu besuchen. Während ihres Aufenthaltes habe sie A kennen und lieben gelernt, der sich seit Jahren in Österreich aufhalte und über eine aufrechte Arbeitsbewilligung sowie einen bis 21. Jänner 1990 gültigen Befreiungsschein verfüge. Sie sei nunmehr in dessen Wohnung gezogen und wolle in Lebensgemeinschaft mit ihm verbleiben. A sei bereit, sie zu versorgen. Sie habe sich auch bei der Krankenversicherung selbst versichert, wobei A für die Kosten aufkommen werde.

Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 25 Abs. 1 Paßgesetz 1969 ab. Nach der Begründung dieses Bescheides stünden der Erteilung des Sichtvermerkes "gewaltige" öffentliche Interessen entgegen. Die niederschriftliche Einvernahme des Zeugen A habe - entgegen den Angaben der Beschwerdeführerin in ihrem Antrag - erbracht, daß er die Beschwerdeführerin bereits im Mai 1988 anläßlich eines Türkeiurlaubes in S kennengelernt habe. Im Dezember 1988 sei er neuerlich nach S gereist und habe die Beschwerdeführerin sodann nach Österreich gebracht. Es sei also bereits in diesem Zeitpunkt beschlossen gewesen, daß die Beschwerdeführerin länger als drei Monate im Bundesgebiet verbleiben wollte. Aufgrund des österreichisch-türkischen Sichtvermerksabkommen, BGBl. Nr. 194/1955, hätte die Beschwerdeführerin noch vor ihrer Einreise unbedingt den hiefür erforderlichen Sichtvermerk von der österreichischen Vertretungsbehörde in der Türkei einholen müssen. Sie habe also bewußt gegen die Einreisebestimmungen verstoßen. Es lägen also keine berechtigten Gründe vor, daß die Beschwerdeführerin ihren Aufenthalt im Bundesgebiet verlängern müsse. Dagegen sprächen öffentliche Interessen - Gefahr der Überfremdung, Schutz- und Sicherheitsbedürfnis der einheimischen Bevölkerung - eindeutig gegen eine Sichtvermerkserteilung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 23 Abs. 1 des Paßgesetzes 1969 bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument eines österreichischen Sichtvermerkes, soweit nicht durch zwischenstaatliche Vereinbarungen anderes bestimmt ist. Nach Art. I Abs. 3 des zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides zur Gänze in Kraft gestandenen österreich-türkischen Abkommens über die Aufhebung des Sichtvermerkszwanges, BGBl. Nr. 194/1955, müssen die Staatsangehörigen jedes der beiden Vertragsstaaten, welche wünschen, sich in der Türkei bzw. in Österreich niederzulassen oder dort länger als drei Monate Aufenthalt zu nehmen, ebenso wie die im Art. 3 des Abkommens angeführten Personen noch vor ihrer Einreise unbedingt von den zuständigen diplomatischen oder konsularischen Vertretungsbehörden den erforderlichen Sichtvermerk einholen. Nach Art. 1 Abs. 4 müssen gleichwohl die österreichischen und türkischen Staatsangehörigen, die ohne Sichtvermerk nach der Türkei oder nach Österreich eingereist sind und aus berechtigten Gründen ihren Aufenthalt verlängern müssen, von den örtlichen Behörden die erforderliche Bewilligung erlangen, wobei es den besagten Behörden freisteht, diese zu bewilligen oder zu verweigern.

Nach § 25 Abs. 1 Paßgesetz 1969 kann einem Fremden auf Antrag ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß § 25 Abs. 3 vorliegt. Dem Abs. 2 des zitierten Paragraphen zufolge hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen.

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde vor, daß sie ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, weil sie die Annahme, daß öffentliche Interessen, nämlich die Gefahr einer Überfremdung sowie Schutz- und Sicherheitsbedürfnisse der einheimischen Bevölkerung, gegen die Erteilung des Sichtvermerkes sprächen, nicht begründet habe. Die belangte Behörde hätte sich im Hinblick auf Art. 8 MRK mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinandersetzen müssen, daß sie als Lebensgefährtin des Köse in Österreich verbleiben wolle und beabsichtige, den Genannten zu ehelichen. Die Beschwerdeführerin hätte als Familienangehörige des A behandelt werden müssen. Bei Familienangehörigen von Gastarbeitern sei aber "laut den einschlägigen Vorschriften sowohl das Paßgesetz, als auch auf Grund der Erlässe, die die belangte Behörde binden (zuletzt Erlaß des Bundesministeriums für Inneres, Zahl 82.060/38-II/14/88)" ein großzügiger Maßstab bei der Erteilung eines Sichtvermerkes anzulegen. In der Stellungnahme zur Gegenschrift weist die Beschwerdeführerin darüber hinaus darauf hin, daß zwischen der Aussage des Zeugen A, er habe sie nach Österreich gebracht, und ihren Angaben, sie habe den Entschluß, in Österreich zu bleiben, erst hier gefaßt, kein Widerspruch zu erblicken sei. Die Ausführungen in der Gegenschrift, daß die Beschwerdeführerin angegeben habe, sie sei in der Absicht nach Österreich eingereist, um hier zu bleiben, stellten unzulässige Neuerungen dar.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin insofern im Recht, als allgemein-abstrakte Erwägungen, wie sie in der von der belangten Behörde angenommenen Gefahr einer Überfremdung sowie in dem nicht weiter begründeten Hinweis auf das Schutz- und Sicherheitsbedürfnis der einheimischen Bevölkerung zum Ausdruck kommen, nicht geeignet sind, bei einer dem Sinn der im § 25 Abs. 2 Paßgesetz 1969 festgelegten Ermessensrichtlinien voll Rechnung tragenden Gesetzesauslegung die Unterwertigkeit der sich im konkreten Einzelfall aus den persönlichen Verhältnissen des Sichtvermerkswerbers ergebenden Privatinteressen gegenüber den gegen die angestrebte Sichtvermerkserteilung sprechenden öffentlichen Rücksichten zu begründen (vgl. n.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Februar 1984, Zl. 81/01/0255).

Damit ist aber für die Beschwerdeführerin noch nichts gewonnen:

Der Verwaltungsgerichtshof kann nämlich im Rahmen der ihm zustehenden Überprüfung der Beweiswürdigung (vgl. die Ausführungen im Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht finden, daß der belangten Behörde bei der Feststellung, die Beschwerdeführerin habe bereits im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Österreich die Absicht gehabt, länger als drei Monate im Bundesgebiet zu verbleiben, eine Rechtswidrigkeit unterlaufen ist, bestätigte doch die Beschwerdeführerin selbst in ihrer unter Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführten Vernehmung am 20. März 1989 diesen aus den Angaben des Zeugen A gezogenen Schluß der belangten Behörde. Daß die belangte Behörde erst in der Gegenschrift ausdrücklich auf diese in den Verwaltungsakten aufscheinende Aussage der Beschwerdeführerin hingewiesen hat, steht deren Berücksichtigung im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung nicht entgegen. Beabsichtigte die Beschwerdeführerin jedoch, nach Österreich einzureisen, um dort länger als drei Monate Aufenthalt zu nehmen, dann wäre sie nach Art. 1 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Türkei und Österreich, BGBl. Nr. 194/1955, verpflichtet gewesen, vor ihrer Einreise in das Land unbedingt von den österreichischen diplomatischen oder konsularischen Vertretungsbehörden den erforderlichen Sichtvermerk einzuholen. Dies hat die Beschwerdeführerin unterlassen und damit gegen die angeführte Bestimmung verstoßen. Die Rechtsordnung mißt der Beachtung der zwischenstaatlichen Regelungen über die Einhaltung paßrechtlicher Vorschriften ein solches Gewicht bei, daß selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwerwiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliegt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. April 1987, Slg. Nr. 12.459/A, und die dort angeführte Vorjudikatur; zum Verstoß gegen Art. 1 Abs. 3 des genannten Abkommens insbesondere das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 1983,

Zlen. 81/01/0388, 0389). Die belangte Behörde handelte daher im Ergebnis nicht rechtswidrig, wenn sie ihre Ermessensentscheidung darauf stützte, daß der Erteilung des Sichtvermerkes an die Beschwerdeführerin schwerwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, denen gegenüber das behauptete Interesse der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung der erst nach ihrer Einreise begründeten Lebensgemeinschaft jedenfalls zurücktritt.

Wenn sich die Beschwerdeführerin dagegen auf Art. 8 (Abs. 2) MRK sowie auf Erlässe des Bundesministers für Inneres beruft, wonach bei Familienangehörigen von Gastarbeitern bei Erteilung eines Sichtvermerkes ein großzügiger Maßstab anzuwenden sei, so geht dieses Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil die Anwendung des Art. 8 Abs. 2 MRK im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 25 Abs. 2 Paßgesetz 1969 an sich nicht geboten ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1989, Zl. 88/01/0289) und den von der Beschwerdeführerin erwähnten Ministerialerlässen der Charakter von über den Behördenbereich hinauswirkenden Rechtsverordnungen abgeht (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1983, Zlen. 83/01/0427, 0428).

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteVerwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190133.X00

Im RIS seit

24.09.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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