TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/4 89/09/0119

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Veröffentlicht am 04.05.1990
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Index

67 Versorgungsrecht;

Norm

KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §90;

Betreff

N gegen Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 14. August 1989, Zl. OB. 116-210.865-000, betreffend Kriegsopferversorgung (Anerkennung einer weiteren Dienstbeschädigung)

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 25. April 1911 geborene Beschwerdeführer steht im Bezug einer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG 1957). Als Dienstbeschädigung steht der "Teilverlust des rechten Oberschenkels im oberen Drittel" fest, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Beschwerdeführers wurde bisher mit 80 % eingeschätzt.

Am 20. Jänner 1987 beantragte der Beschwerdeführer beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland (LIA) die Anerkennung des Leidens "Bänderriß" als weitere Dienstbeschädigung. Diesen Antrag begründete der Beschwerdeführer unter gleichzeitiger Vorlage eines ärztliches Attestes Dris. T damit, daß dieser Leidenszustand auf das ständige Tragen einer Prothese zurückzuführen sei. Über diesen Leidenszustand sei bisher noch nicht bescheidmäßig abgesprochen worden, er sei auch nicht Gegenstand eines bereits anhängigen Verfahrens.

Das LIA holte zu diesem Antrag ein Gutachten des chirurgischen Sachverständigen Dr. A ein, der zwar in seinem Befund den "Zustand nach Quadricepsriß un Operation" feststellte, unter Hinweis auf zwei bereits vor der Antragstellung erfolgte Begutachtungen jedoch in seinem Gutachten zu dem Ergebnis kam, daß diese Verletzung entgegen dem vorgelegten ärztlichen Attest nicht als kausal einzustufen sei.

Mit Bescheid vom 9. Juni 1987 wies das LIA den Antrag des Beschwerdeführers auf Anerkennung des Leidens "Bänderriß" als Dienstbeschädigung gemäß § 4 KOVG 1957 ab. Begründend verwies das LIA dazu auf das Gutachten Dris. A, welches als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung diesem Bescheid zugrunde gelegt worden sei. Aus diesem Gutachten ergebe sich, "daß der Bänderriß nicht als mittelbare Dienstbeschädigung anerkannt werden kann, da dieser auf die Schwäche der Oberschenkelmuskulatur links zurückzuführen ist, die ihrerseits auf den degenerativ verursachten Quadricepssehnenriß links zurückgeht".

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung und verwies neuerlich auf das Attest Dris. T, aus dem hervorgehe, daß der Sturz infolge des Prothesentragens aufgetreten sei, sodaß man die Quadricepssehnenruptur als Folge des Prothesentragens bezeichnen könne.

Die belangte Behörde erhob durch Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Gattin sowie durch Einholung der Krankengeschichte des Beschwerdeführers den genauen Hergang des Sturzes des Beschwerdeführers vom 20. März 1984, anläßlich dessen der Bänderriß beim Beschwerdeführer aufgetreten ist. Ferner bestätigte Dr. T in einem weiteren Attest vom 1. April 1988 neuerlich seine Auffassung, wonach Ursache der Quadricepssehnenruptur des Beschwerdeführers ein Sturz gewesen sei, der auf das Tragen der Prothese zurückgeführt werden könne. Zu einer weiteren Begutachtung des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren kam es in der Folge nicht; wohl aber wurden ihm das vom LIA eingeholte Gutachten Dris. A sowie die beiden diesem vorangegangenen Begutachtungen durch Dr. R und Dr. Z im Rahmen des Parteiengehörs vorgehalten.

Dazu führte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 24. Mai 1989 aus, zu seinem Sturz sei es gekommen, weil er mit der Prothese und einem Stock unterwegs gewesen und infolge seiner Gangunsicherheit hingefallen sei. Daß die Quadricepsruptur durch degenerative Veränderungen begünstigt worden sei, wolle er gar nicht bestreiten, jedoch sollte unbedingt ein klinisches Gutachten zur Frage der Kausalität eingeholt werden. Selbst dann, wenn die degenerativen Veränderungen nicht auf die Kriegsverletzung zurückzuführen sein sollten, wäre doch der Riß der Quadricepssehne durch den dienstbeschädigungsbedingten Sturz ausgelöst worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14. August 1989 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Folge. Aus den in erster Instanz eingeholten Gutachten Dris. R, Dris. Zuckriegel und Dris. A ergebe sich folgende medizinische Beurteilung:

"Zu dem durch Sturz am 20. Mai 1984 erfolgten Quadricepssehnenriß ist gutachterlich festzustellen, daß man nach der seit Jahrzehnten herrschenden Lehrmeinung bei der Kausalitätserörterung einerseits zwischen Muskelrissen und andererseits Sehnenrissen unterscheidet.

Die Muskelrisse werden im Zusammenhang mit Gewalteinwirkungen kausal anerkannt, Sehnenrisse jedoch nicht, weil letzteren immer degenerative Veränderungen zugrunde liegen (siehe auch Kausalitätspraxis beim Achillessehnenriß).

Bei den Quadricepssehnenrissen degenerativer Natur ist die sehnige Einstrahlung der gesamten Streckmuskulatur am oberen Patellarand glatt wie abgebrochen und ohne Auffaserung abgerissen. Durch Miteinriß der bis jetzt gesunden Struktur des Reservestreckapparates kommt es allerdings trotz degenerativer Ursache zu manifesten Blutungen.

Im gegenständlichen Fall wurde bei der Untersuchung der Operationsbefund vom 21. März 1984 in Ablichtung vorgelegt. Der Operationsbefund ist ausführlich und enthält genau jene Merkmale, die oben zur Charakterisierung des degenerativen Quadricepssehnenausrisses angeführt sind.

Somit kann der Quadricepsehnenausriß vom 20. März 1984 nicht als mittelbare Dienstbeschädigung anerkannt werden.

Auch vom Standpunkt des Orthopäden ist die durch Sturz erfolgte Quadricepssehnenruptur als akausal zu werten.

Laut Aussage des Chirurgen kann der im Attest vom 30. März 1987 von Dr. T vertretenen Ansicht eines Zusammenhanges der Quadricepsruptur mit dem Prothesentragen nicht zugestimmt werden."

Die Gutachten der Sachverständigen seien als schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Der "Bänderriß" stelle demnach keine Dienstbeschädigung dar. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwendungen seien nicht geeignet gewesen, die Beweiskraft der ärztlichen Gutachten zu mindern, weil es sich um Behauptungen handle, welche die auf ärztliches Fachwissen gegründeten Gutachten nicht zu entkräften vermögen. Insbesondere sei zu entgegnen, daß alle eingeholten ärztlichen Beweise im Ergebnis übereinstimmten, sodaß keine Veranlassung bestehe, ein weiteres Gutachten einzuholen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Anerkennung des Leidens "Bänderriß" als Dienstbeschädigung nach dem KOVG 1957 verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 4 KOVG 1957 ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

Die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges im Sinne des § 4 Abs. 1 KOVG 1957 setzt voraus, daß der Kausalitätszusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn in dem durch § 90 KOVG 1957 geregelten Verfahren geklärt wird, und allenfalls strittige Tatsachen im Zusammenhang mit der Wehrdienstleistung bzw. dem schädigenden Ereignis und der Krankheitsgeschichte ermittelt und festgestellt werden.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde richtigerweise ein Ermittlungsverfahren über die näheren Umstände des schädigenden Ereignisses durch Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Gattin zum Unfallshergang und durch Beischaffung der Krankengeschichte in die Wege geleitet. Eine verläßliche medizinische Ableitung im Einzelfall, die über die Feststellung allgemeiner Begutachtungsgrundsätze hinausgeht, setzte nämlich Ermittlungen und Feststellungen darüber voraus, ob der beim Beschwerdeführer eingetretene Riß der Quadricepssehne seinen Sturz ausgelöst hat oder aber erst durch diesen Sturz herbeigeführt worden ist. War er Ursache des Sturzes, dann kommen für diesen Sehnenriß wohl nur degenerative Veränderungen in Betracht, wie sie auch bei Menschen auftreten, die nicht Prothesenträger sind. Ist der Beschwerdeführer hingegen durch seine Gangunsicherheit infolge des Prothesentragens zum Sturz gekommen und wäre der Sehnenriß ohne diesen Sturz nicht eingetreten, dann wäre diese Verletzung auch im Falle einer durch degenerative Veränderungen bedingten Abnützung zumindest zum Teil die Folge der Dienstbeschädigung des Beschwerdeführers; "insoweit" (§ 4 KOVG 1957) wäre daher die vom Beschwerdeführer behauptete Kausalität gegeben.

Einschlägige Feststellungen hat die belangte Behörde weder zur Grundlage einer ergänzenden medizinischen Begutachtung der Kausalität der vom Beschwerdeführer behaupteten Dienstbeschädigung noch zum Gegenstand von den Fall des Beschwerdeführers betreffenden Sachverhaltsfeststellungen gemacht. Eine nähere Betrachtung der von der belangten Behörde herangezogenen, in erster Instanz eingeholten Gutachten zeigt darüber hinaus, daß sich die Gutachter Dr. A und Dr. Z in ihrer Beurteilung auf einen Hinweis auf das (bereits vor der Antragstellung in anderem Zusammenhang eingeholte) Gutachten Dris. R beschränkt haben, sodaß in der Kausalitätsfrage eigentlich nur ein Gutachten vorliegt, das sich jedoch mit der oben aufgezeigten Frage des tatsächlichen Unfallherganges nicht ausreichend auseinandergesetzt hat.

Dem Beschwerdeführer ist daher darin Recht zu geben, daß im Beschwerdefall der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Ursächlicher Zusammenhang und Wahrscheinlichkeit Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989090119.X00

Im RIS seit

27.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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