TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/11 90/18/0046

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.05.1990
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
25/02 Strafvollzug;

Norm

B-VG Art20 Abs1;
StVG §88 Abs2;
StVG §90 Abs2;
StVG §90 Abs4;

Betreff

N gegen Bundesminister für Justiz vom 23. Jänner 1989, Zl. 414.054/56-V7/88, betreffend Zurückhaltung eines Briefes

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 23. Jänner 1989 wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 27. 6. 1988, soweit sie die Zurückhaltung eines an die Botschaft der Iranischen Republik in Wien gerichteten Schreibens vom 6. Juni 1988 betraf, als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung führte der Bundesminister nach Darstellung des Verfahrensganges im wesentlichen aus, es sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 6. Juni 1988 an die Iranische Botschaft in Wien behauptet habe, es werde hinsichtlich seiner Person in der Strafvollzugsanstalt Graz ein "Besuchs- und Korrespondenzverbot praktiziert". Er habe in diesem Schreiben des weiteren den Vorwurf erhoben, daß der Anstaltsleiter einer "Österreichischen Frau, die im Range meiner Mutter ist", schriftlich mitgeteilt habe, er (Beschwerdeführer) wolle von ihr nichts wissen. Diese Anschuldigungen seien bereits Gegenstand der an das Bundesministerium für Justiz gerichteten Beschwerden des Beschwerdeführers vom 23. März 1988, 11. April 1988 und 11. Mai 1988 sowie seiner an das Bundesministerium für Justiz gerichteten Eingabe vom 29. März 1988 gewesen. Die Beschwerden und Eingaben hätten keinen Anlaß zu aufsichtsbehördlichen Verfügungen durch das Bundesministerium für Justiz geboten. Dies deshalb, weil nach den gepflogenen Erhebungen ein "Besuchs- und Korrespondenzverbot" hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht bestanden habe und auch nicht bestehe. Hinzu komme, daß vom Leiter der Strafvollzugsanstalt Graz einer österreichischen Frau im Range einer Mutter (offenbar gemeint: Frau XY aus Wien) niemals schriftlich mitgeteilt worden sei, daß der Beschwerdeführer von ihr nichts wissen wolle. Im übrigen sei im Zusammenhang mit dem an die Iranische Botschaft in Wien gerichteten Schreiben des Beschwerdeführers vom 6. Juni 1988 festzuhalten, daß gemäß § 90 Abs. 2 zweiter Satz StVG unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 4 dieser Bestimmung, Schreiben, die gegen die Zwecke des Strafvollzuges verstoßen, den Tatbestand einer mit Strafe bedrohten Handlung oder des Versuches einer solchen betreffen, den Anstand verletzen oder offenbar grob entstellende Tatsachenmitteilungen über die Verhältnisse in der Anstalt oder anhängige Rechtsangelegenheiten enthalten, zurückzuhalten seien. Absatz 4 dieser Gesetzesbestimmung normiere, daß Schreiben an die in § 88 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie Abs. 2 StVG genannten Stellen und Personen und Schreiben dieser Stellen und Personen nicht zurückgehalten werden dürften. Das an die Iranische Botschaft in Wien gerichtete Schreiben des Beschwerdeführers vom 6. Juni 1988 enthalte - wie sich aus den obigen Feststellungen ergäbe - grob entstellende Tatsachenmitteilungen über die Verhältnisse in der Strafvollzugsanstalt Graz, weshalb es von dem dafür zuständigen leitenden Strafvollzugsbediensteten zu Recht zurückgehalten worden sei. Dies umsomehr, als das Schreiben nicht an eine der im § 88 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie Abs. 2 StVG genannten Stellen und Personen gerichtet gewesen sei. Hinsichtlich der in § 88 Abs. 2 StVG erwähnten Stellen sei für den vorliegenden Fall nämlich festzustellen, daß der Beschwerdeführer nicht iranischer Staatsangehöriger sei. Seine Staatsbürgerschaft sei nach den Vollzugsunterlagen ungeklärt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf freien Briefverkehr sowie auf gesetzmäßige Anwendung der Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes verletzt. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, er befinde sich seit nunmehr annähernd 8 Jahren ständig im Sicherheitstrakt einer Strafvollzugsanstalt und unterliege einer "Sonderbehandlung", weil ihm verschiedene (näher dargestellte) Vergünstigungen unter Hinweis auf angebliche Sicherheitserfordernisse verweigert worden seien. Frau XY (die für den Beschwerdeführer wie eine Mutter sei und deshalb auch immer als im Range einer Mutter bezeichnet werde) habe den Beschwerdeführer früher besucht, diese Besuche aber auf Grund der Schikanen bei den Besuchen eingestellt. Es sei Frau XY mitgeteilt worden, der Beschwerdeführer wolle von ihr nichts mehr wissen. Tatsächlich habe der Beschwerdeführer auf Grund der insgesamt 7 zurückgehaltenen Briefe die Korrespondez mit Frau XY eingestellt. Die Auskunft der Anstaltsleitung gegenüber Frau XY, daß der Beschwerdeführer von ihr nichts mehr wissen wolle, sei jedoch unrichtig. In dem in Rede stehenden Schreiben vom 6. Juni 1988 an die Botschaft der Iranischen Republik sei es sicherlich zu überspitzten Formulierungen gekommen, doch habe der Beschwerdeführer die Iranische Botschaft insbesondere um Beistand in moralischer und humanitärer Hinsicht ersucht. Auf Grund seiner Lage habe er Schutz für seine Rechte und für seine Person gesucht. Der Inhalt dieses Schreibens enthalte keineswegs grob entstellende Tatsachenmitteilungen über die Verhältnisse in der Strafvollzugsanstalt. Auch der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe die Sonderbehandlung des Beschwerdeführers wahrnehmen können, da anläßlich seines Besuches beim Beschwerdeführer vom Anstaltsleiter die persönliche Überwachung des Besuches befohlen worden sei. Erst über Intervention des Rechtsvertreters sei es möglich gewesen, die Besprechung mit dem Beschwerdeführer ohne Beisein eines "Aufpassers" durchzuführen. Entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheides enthalte das in Rede stehende Schreiben keine grob entstellenden Tatsachenmitteilungen über die Verhältnisse in der Strafvollzugsanstalt Graz. Es sei schon richtig, daß ein Besuchs- und Korrespondenzverbot zwar nicht ausgesprochen worden sei, ein solches werde jedoch "praktiziert". Wie anders sei es erklärlich, wenn Briefe zurückgehalten würden und Besuche in der oben erwähnten Art und Weise behandelt würden. Unabhängig davon verstoße der bekämpfte Bescheid aber auch gegen § 90 Abs. 4 bzw. § 88 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz. Gerade im vorliegenden Fall, wo die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers ungeklärt sei, könne nicht damit argumentiert werden, daß gemäß § 88 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz ein Brief des Beschwerdeführers an die Botschaft der Iranischen Republik in Wien nicht zulässig wäre. Folge man dieser Argumentation, würde dies bedeuten, daß der Beschwerdeführer mit keiner mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben betrauten diplomatischen Mission oder mit der konsularischen Vertretung beauftragten Stelle schriftlich verkehren dürfe. Wenn - wie im vorliegenden Fall - aus der Sicht des Beschwerdeführers Unzulänglichkeiten bestünden und er um moralische und humanitäre Hilfe ersuche, so sei es wohl unzumutbar, ihm zuerst den beschwerlichen Weg der Erlangung einer Staatsbürgerschaft zuzumuten um erst hernach seine Anliegen kundtun zu können. Der angefochtene Bescheid verstoße auch gegen das Recht des Beschwerdeführers auf Entscheidung zweier unabhängiger Instanzen, weil dem Beschwerdeführer bekannt geworden sei, daß der zuständige Sachbearbeiter im Bundesministerium für Justiz für die Untersagung der Übermittlung des Briefes vom 6. 6. 1988 dem Leiter der Strafvollzugsanstalt Graz bereits "Rückendeckung" zugesagt habe.

Mit dem zuletzt genannten Argument vermag der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides schon deshalb nicht darzutun, weil, wie aus Art. 20 Abs. 1 B-VG hervorgeht, die Österreichische Rechtsordnung im Verwaltungsverfahren ein Recht auf Entscheidung zweier unabhängiger Instanzen nicht kennt. (Gibt es aber

zwei Instanzen, dann steht es der Berufungsbehörde, wenn sie sachlich in Betracht kommende Oberbehörde ist, frei, schon vor der Entscheidung der Behörde erster Instanz dieser entsprechende Weisungen zu erteilen.)

Auch vermag der Verwaltungsgerichtshof in dem angefochtenen Bescheid eine Verletzung der Bestimmung des § 90 Abs. 4 in Verbindung mit § 88 Abs. 2 StVG nicht zu erblicken. Nach § 90 Abs. 4 leg. cit. dürfen Schreiben an die im § 88 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie Abs. 2 genannten Stellen und Personen und Schreiben dieser Stellen und Personen nicht zurückgehalten werden. Nach § 88 Abs. 2 (die Bestimmungen des Abs. 1 Z. 1 und 2 kommen hier nicht in Betracht) dürfen ausländische Strafgefangene ohne zeitliche Beschränkung mit der mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben betrauten diplomatischen Mission oder mit der konsularischen Vertretung ihres Heimatstaates schriftlich verkehren.

Wie auch der Beschwerdeführer nicht bestreitet, ist seine Staatsangehörigkeit ungeklärt. Es steht daher nicht fest, welcher sein Heimatstaat ist, sodaß schon aus diesem Grund für die Anwendung der genannten Bestimmung kein Raum ist. Für die in der Beschwerde vertretene ausdehnende Auslegung der genannten Bestimmung, welche dazu führen würde, daß ein Staatenloser bzw. eine Person, deren "Staatsangehörigkeit ungeklärt ist", mit der diplomatischen Mission oder mit der konsularischen Vertretung jedes beliebigen Staates unbeschränkt verkehren dürfte, bietet das Gesetz keinerlei Anhaltspunkte.

Die Beschwerde erweist sich jedoch auf Grund folgender Überlegungen als berechtigt. Wie der Beschwerdeführer zu Recht hervorhebt, und im angefochtenen Bescheid auch festgestellt wurde, wird in dem in Rede stehenden Schreiben vom 6. Juni 1988 nicht behauptet, es sei gegen den Beschwerdeführer ein Besuchs- und Korrespondenzverbot verhängt worden, sondern lediglich, daß ein derartiges Verbot praktiziert werde. Demgegenüber stützt die belangte Behörde ihre rechtliche Beurteilung, in dieser Behauptung liege eine grob entstellende Tatsachenmitteilung über die Verhältnisse in der Strafvollzugsanstalt Graz auf die Feststellung, ein Besuchs- und Korrespondenzverbot "bestehe nicht". Feststellungen über die hier aber allein entscheidungswesentliche Frage, ob und inwieweit gegen den Beschwerdeführer ein solches Besuchs- und Korrespondenzverbot, wenn auch nicht ausdrücklich verhängt, so doch im Ergebnis praktiziert wurde, wurden von der belangten Behörde dagegen unterlassen, sodaß dem Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit genommen ist, im Rahmen der im obliegenden nachprüfenden Kontrolle zu prüfen, ob die diesbezügliche Behauptung im gegenständlichen Brief des Beschwerdeführers wirklich den Tatsachen widerspricht.

Hinsichtlich der weiteren inkriminierten Textstelle im Brief vom 6. Juni 1988 ist auf die Bestimmung des § 90 Abs. 2 StVG zu verweisen, wonach Briefe unter anderem dann zurückzuhalten sind, wenn sie "offenbar grob entstellende Tatsachenmitteilungen über die Verhältnisse in der Anstalt oder anhängige Rechtsangelegenheiten enthalten". Aus der Verwendung des Wortes "grob" im gegebenen Zusammenhang ist zu erkennen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers nicht jede entstellende Tatsachenmitteilung über die Verhältnisse in der Anstalt und damit jedenfalls nicht jede unrichtige Sachverhaltsdarstellung die Zurückhaltung eines Briefes rechtfertigt. Es wäre daher Sache der belangten Behörde gewesen, darzustellen, aus welchen Gründen die Behauptung in dem in Rede stehenden Brief, Frau XY sei schriftlich mitgeteilt worden, daß der Beschwerdeführer von ihr nichts mehr wissen wolle, nicht schlicht wahrheitswidrig ist, sondern eine grobe Entstellung der wahren Verhältnisse in der Strafvollzugsanstalt Graz darstellt.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990180046.X00

Im RIS seit

11.05.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten