TE Vfgh Beschluss 1987/10/5 B376/87, B512/87

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Veröffentlicht am 05.10.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

VfGG §19 Abs3 Z2 litb
VfGG §82 Abs2

Leitsatz

Erfolgt ein Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit durch einen Bescheid, so bleibt - anders als etwa bei einer Festnahme - für eine Prüfungszuständigkeit des VwGH noch Raum (vgl. zB VfSlg. 8295/1978)

Spruch

1. Die Behandlung der gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 2. März 1987 und vom 15. April 1987 gerichteten Beschwerden wird abgelehnt.

Die Beschwerden werden dem VwGH zur Entscheidung abgetreten.

2. Soweit sich die zu B376/87 erhobene Beschwerde gegen die Anhaltung am 9. und 10. September 1986 wendet, wird sie zurückgewiesen.

In diesem Umfang wird der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, abgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.a) Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (SD Vlbg.) verhängte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 18. August 1986 (zugestellt am 21. August 1986) über den Bf. - einen jugoslawischen Staatsangehörigen ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Da der Fremde das Bundesgebiet nicht innerhalb der nach §6 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 (FrPG) vorgesehenen einwöchigen Frist verlassen hatte, erließ die Bezirkshauptmannschaft (BH) Feldkirch am 8. September 1986 einen Bescheid, mit dem gemäß §5 Abs1 FrPG iVm §57 AVG 1950 mit sofortiger Wirkung die vorläufige Verwahrung des Bf. angeordnet wurde. Dieser Schubhaftbescheid wurde dem Rechtsanwalt des Bf. am 9. September 1986 zugestellt. Sodann wurde der Fremde in Schubhaft genommen; am nächsten Tag wurde er an der Grenze den jugoslawischen Behörden übergeben.

b) Gegen den unter Bezugnahme auf §57 AVG 1950 erlassenen Schubhaftbescheid vom 8. September 1986 erhob der Bf. fristgerecht Vorstellung. Mit Bescheid vom 4. November 1986 ordnete die BH Feldkirch gemäß §5 Abs1 FrPG "vom 9.10. bis 10.10.1986 die vorläufige Verwahrung an" und erkannte einer allfälligen Berufung nach §64 Abs2 AVG 1950 die aufschiebende Wirkung ab. Die SD Vlbg. gab der dagegen (durch einen Rechtsanwalt eingebrachten) Berufung mit Bescheid vom 2. März 1987 soweit Folge, als sie die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bekämpft; im übrigen wies sie aber dieses Rechtsmittel ab.

c) Mit Bescheid vom 15. April 1987 berichtigte die SD Vlbg. gemäß §62 Abs4 AVG ihren Berufungsbescheid vom 2. März 1987 insofern, als "die vorläufige Verwahrung in der Zeit vom 9.9. bis 10.9.1986" angeordnet wird.

2. Die zu B376/87 erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, die am 15. April 1987 zur Post gegeben wurde, wendet sich ausdrücklich gegen den Berufungsbescheid der SD Vlbg. vom 2. März 1987, sowie erkennbar auch gegen die Festnahme des Bf. am 9. September 1986 und seine bis 10. September 1986 währende Anhaltung.

Die zu B512/87 eingebrachte, gleichfalls auf Art144 B-VG gegründete Beschwerde richtet sich gegen den Berichtigungsbescheid der SD Vlbg. vom 15. April 1987.

II. 1. Die Anhaltung des Bf. erfolgte vom 9. bis 10. September 1986.

Gemäß §82 Abs2 VerfGG kann die Beschwerde gegen einen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangenen Verwaltungsakt nur innerhalb einer Frist von sechs Wochen erhoben werden. Diese Frist war hier zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung (15. April 1987) längst abgelaufen. Der Bf. war durch seine Abschiebung nach Jugoslawien schon deshalb nicht gehindert, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, weil er bereits zum Zeitpunkt der Festnahme durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, dem u.a. auch der Schubhaftbescheid vom 8. September 1986 zugestellt worden war.

Die zu B376/87 protokollierte Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen den Vollzug der Schubhaft wendet, schon aus diesem Grunde, nämlich wegen Verspätung, zurückzuweisen, ohne daß darauf einzugehen war, ob noch ein anderes Prozeßhindernis besteht (vgl. zB VfSlg. 10467/1985).

Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, war abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur im - hier nicht gegebenen - Fall einer abweisenden Sachentscheidung oder Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde durch den VfGH in Betracht kommt.

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 litb VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

2. Die Behandlung der gegen die Bescheide der SD Vlbg. vom 2. März und 15. April 1987 gerichteten Beschwerden war abzulehnen:

Der VfGH kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und es sich nicht um einen Fall handelt, der von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist (Art144 Abs2 B-VG).

Beide Beschwerden behaupten die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 MRK); außerdem wird zu B376/87 noch die Verletzung in Rechten wegen Anwendung von rechtswidrigen generellen Normen und zu B512/87 die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des VfGH zu diesen Rechten und im Hinblick darauf, daß der von der Beschwerde erwähnte Erlaß des Bundesministers für Inneres bei Erlassung des angefochtenen Schubhaftbescheides gar nicht angewendet wurde und nicht anzuwenden war, läßt ihr Vorbringen die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch andere, vom VfGH zu prüfende Rechtsverletzungen als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß die Beschwerden keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.

Beide Bescheide können auch beim VwGH angefochten werden. Dies gilt insbesondere auch für die Beschwerden, soweit sie eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behaupten; erfolgt nämlich ein Eingriff in dieses Recht durch einen Bescheid, so bleibt - anders als etwa bei einer Festnahme - für eine Prüfungszuständigkeit des VwGH noch Raum (vgl. zB VfSlg. 8295/1978).

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden, soweit sie sich gegen die zitierten Bescheide der SD Vlbg. wenden, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem VwGH abzutreten (§19 Abs3 Z1 VerfGG).

Schlagworte

VfGH / Fristen, Fremdenpolizei, Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B376.1987

Dokumentnummer

JFT_10128995_87B00376_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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