TE Vfgh Erkenntnis 1987/10/7 B624/87

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Veröffentlicht am 07.10.1987
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSt 1872 §2

Leitsatz

Vertretbare Annahme der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes; keine Willkür; keine Abtretung der Beschwerde gegen den Bescheid der OBDK an den VwGH

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland erkannte den bf. Rechtsanwalt mit Erkenntnis vom 20. Juni 1986 für schuldig, er habe

"a) in seinem an F A jun. ... gerichteten Schreiben vom 25. März 1985 durch die Formulierung, er werde im Falle, daß die von ihm verlangte Aussöhnung zwischen seinem Mandanten (F A sen.) und F A jun. nicht herbeigeführt werde, sich nicht nur 'in der geeigneten Form an die Gemeindeöffentlichkeit sondern auch an die Spitzen der öffentlichen (richtig: Österreichischen) Volkspartei im Lande wenden', ein sachlich nicht gerechtfertigtes Druckmittel angekündigt;

b) ungeachtet der zwischenzeitig erfolgten Aussöhnung, den Sachverhalt in der Informationsschrift 'aktiv' der Internationalen Paneuropa-Union vom Mai 1985 veröffentlicht und dabei unter anderem auch auf Selbstmordabsichten seines Mandanten F

A sen. wegen der Handlungsweise dessen Sohnes F A jun. hingewiesen".

Er habe hiedurch die Disziplinarvergehen zu a) der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes und zu b) der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen, wofür er zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von S 10.000,-- und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt werde.

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung des Bf. gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) keine Folge.

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Meinungsäußerung geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH, beantragt wird.

2.2. Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Der Bf. wirft der bel. Beh. vor, der

angefochtene Bescheid verletze ihn in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit und auf freie Meinungsäußerung, weil die bel. Beh. willkürlich vorgegangen sei. Die Begründung des angefochtenen Bescheides beschränke sich inhaltlich auf den Satz, "es könne kein Zweifel darüber bestehen, daß sein Schreiben vom 25. März 1985 geeignet gewesen sei, einen unangemessenen Druck auf den Empfänger dieses Schreibens auszuüben", was lediglich darauf gestützt werde, daß der Adressat des Schreibens zu dieser Zeit gerade im Gemeinderatswahlkampf gestanden sei, ohne daß näher gesagt werde, warum es sich um einen unangemessenen Druck gehandelt hätte. Der Bf. sei demgegenüber der Auffassung, daß das in Rede stehende Schreiben das einzig mögliche und wirksame Mittel gewesen sei, um F A sen. davon abzuhalten, Selbstmord zu begehen. Nach allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen genieße derjenige, der einen Menschen vor dem Selbstmord bewahre, höchstes Ansehen. Was die "gefestigten Gewohnheiten des Rechtsanwaltsstandes" betreffe, sei sein Verhalten sicherlich aus dem üblichen Rahmen gefallen, weil er ja tatsächlich nicht nur uneigennützig sondern sogar gegen sein geschäftliches Interesse gehandelt habe. Bezüglich des zweiten Schuldspruches ergebe sich bereits aus dem Inhalt des inkriminierten Artikels in der Informationsschrift "aktiv", daß von einer zwischenzeitlich erfolgten Aussöhnung nicht die Rede sein konnte. Zu beiden Punkten des Schuldspruches sei der bel. Beh. Willkür anzulasten, da sie zum ersten Faktum die von seinem Mandanten ausgesprochene Selbstmordabsicht ignoriert habe und damit von einem verfälschten, zum zweiten Faktum von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei.

3.2.1. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985).

3.2.2. Die bel. Beh. hat den angefochtenen Bescheid im wesentlichen wie folgt begründet:

"Was zunächst den Punkt a) des Schuldspruches anlangt, so vertritt die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission die Ansicht, daß der Beschuldigte gegen §2 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (RL-BA 1977) verstoßen hat, wo es ausdrücklich heißt, der Rechtsanwalt darf nur solche Mittel anwenden, die mit Gesetz, Anstand und Sitte vereinbar sind. Er darf weder Ansprüche mit unangemessener Härte verfolgen, noch sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel ankündigen oder anwenden. Es kann nach Ansicht der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission kein Zweifel darüber bestehen, daß das erste Schreiben des Beschuldigten, das gerade in einer Zeit des Gemeinderatswahlkampfes abgefaßt wurde und wo einem Kandidaten für das Bürgermeisteramt gedroht wird, man werde seine eigene Partei verständigen, geeignet war, einen unangemessenen Druck auf den Empfänger dieses Schreibens auszuüben. Jemand, der sich politisch so betätigt, daß er für das Bürgermeisteramt kandidiert, wird sich durch dieses Schreiben einem solchen Druck ausgesetzt fühlen, daß er zweifellos - selbst wenn er im Recht wäre - nachgeben würde.

Was das zweite Schreiben und die unter b) angeführte Veröffentlichung in der Informationsschrift 'aktiv' der Internationalen Paneuropa-Union anlangt, so ist in der mündlichen Berufungsverhandlung klargestellt worden, daß es zu einer Zeit veröffentlicht wurde, wo die Gemeinderatswahlen bereits abgeschlossen waren, jedoch die Bürgermeisterwahl noch nicht erfolgt war. Auch dieses Schreiben, welches völlig abseits von den tatsächlichen Aufgaben eines Parteienvertreters verfaßt und veröffentlicht wurde, steht in keinem Zusammenhang mit einer wirklichen Vertretung der Interessen des Mandanten, es steht auch nicht im Zusammenhang (mit) einer Abwehr der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe. Hier hätte der Beschuldigte als Rechtsanwalt jede rechtliche Möglichkeit gehabt, sowohl gegen die Strafanzeige als auch gegen das Privatanklageverfahren mit gesetzlichen Mitteln vorzugehen. Der Beschuldigte hat dies aber nicht getan, sondern ist damit in die Öffentlichkeit gegangen. Damit hat er sicherlich seine Berufspflichten verletzt und Ehre und Ansehen des Anwaltsstandes beeinträchtigt."

3.2.3. Der VfGH kann nicht finden, daß der bel. Beh. bei der gegebenen Sach- und Rechtslage vorgeworfen werden könnte, die Begründung des angefochtenen Bescheides stehe wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage mit den Rechtsvorschriften in besonderem Maße im Widerspruch.

Es genügt hiezu, sich vor Augen zu halten, daß F A jun. durch das inkriminierte Schreiben des Bf. vom 25. März 1985 nicht nur auf drohende Selbstmordabsichten seines Vaters hingewiesen und aus diesem Grunde zur Aussöhnung aufgefordert wurde, sondern daß in diesem Schreiben darüberhinaus für den Fall des fruchtlosen Verstreichens der gesetzten Frist die Drohung ausgesprochen wurde, daß "die Gemeindeöffentlichkeit" und auch "die Spitzen der Österreichischen Volkspartei im Lande" informiert würden, obwohl dem Bf. bekannt war, daß sich der Adressat des Schreibens bei der unmittelbar bevorstehenden Gemeinderatswahl um ein Mandat bewarb. Unter diesen Gegebenheiten ist es jedenfalls nicht unvertretbar, das Vorgehen des Bf. als Berufspflichtenverletzung und als Verstoß gegen Ehre und Ansehen des Standes zu werten. Wenn der Bf. des weiteren in der Folge den Sachverhalt in einer Informationsschrift veröffentlichte, kann darin, daß die bel. Beh. auch dieses Vorgehen des Bf. als Verstoß gegen Ehre und Ansehen des Standes wertete, ebensowenig Willkür erblickt werden, zumal der Bf. nach durchgeführter Gemeinderatswahl im Zeitpunkt der Veröffentlichung für die Bürgermeisterwahl kandidierte. Unter diesen Umständen ist es jedenfalls nicht unschlüssig, im Verhalten des Bf. die angelastete Standesverletzung zu erblicken; ob dabei das Gesetz auch richtig angewendet wurde, hat der VfGH nicht zu prüfen.

Soweit in der Beschwerde schließlich die Behauptung aufgestellt wird, die eigentliche Begründung des angefochtenen Bescheides sei darin zu suchen, "daß F A jun. im Rahmen einer etablierten Partei tätig" sei, während der Bf. für eine Art "Dissidentengruppe" tätig gewesen sei, mangelt es an jedem Indiz dafür, daß die bel. Beh. sich von solchen Beweggründen leiten hätte lassen.

Die geltend gemachte Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat somit nicht stattgefunden.

3.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen (§2 DSt vgl. insbesondere VfSlg. 7494/1975 und die dort angegebene Vorjudikatur, weiters 7262/1974, 9160/1981) ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3.4. Da es sich bei der bel. Beh. um eine Kommission nach Art133 Z4 B-VG handelt - die Mitglieder der OBDK sind in Ausübung dieser Tätigkeit an keine Weisungen gebunden, die Entscheidungen unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg (§55 DSt) - und eine Anrufung des VwGH im Gesetz nicht vorgesehen ist, war der Antrag, die Beschwerde gemäß Art144 Abs3 B-VG an den VwGH abzutreten, abzuweisen.

3.5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B624.1987

Dokumentnummer

JFT_10128993_87B00624_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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