TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/29 89/11/0185

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Veröffentlicht am 29.05.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §34 Abs1 litc;
KDV 1967 §35 Abs1 litb;
KDV 1967 §35 Abs1 litg;
KDV 1967 §35 Abs3;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §75 Abs2;

Betreff

F gegen Landeshauptmann von Oberösterreich vom 24. Mai 1989, Zl. VerkR-15.111/10-1989-I/F, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.680,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 24. Mai 1989 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B entzogen und gleichzeitig gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm für die Dauer seiner körperlichen und geistigen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im Zuge eines gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 eingeleiteten Verfahrens überprüfte die erstinstanzliche Behörde die körperliche und geistige Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Sie ersuchte den amtsärztlichen Sachverständigen um ein Gutachten, insbesondere über die Sehleistung des Beschwerdeführers sowie seine geistige Eignung.

In seinem Gutachten vom 15. März 1988 führte der Amtssachverständige aus, der Beschwerdeführer "scheint bei der Untersuchung am 15.3.1988 uneinsichtig, sodaß eine Überprüfung

d. geistigen u. körperlichen Eignung sinnvoll erscheint". Hinsichtlich der Sehleistung stützte sich der Sachverständige auf einen augenfachärztlichen Befund vom 10. März 1988, aus dem hervorgehe, "daß die Sehleistung mit Brille bei Zustand nach Kataraktoperation normal ist".

Der Beschwerdeführer nahm laut Niederschrift vom 24. März 1988 dieses Gutachten sowie die Zweifel der Behörde an seiner "kraftfahrspezifischen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B" zur Kenntnis und erklärte sich bereit, sich einer "Untersuchung beim Kuratorium für Verkehrssicherheit" zu unterziehen.

Am 31. Mai 1988 wurde diese Untersuchung durch die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit in Linz durchgeführt. Diese beurteilte in ihrem Befund vom 1. Juni 1988 die visuelle Auffassung, insbesondere die Auffassungsgeschwindigkeit, als sehr stark herabgesetzt und stellte eine sehr starke Einschränkung der "reaktiven und konzentrativen Dauerbelastbarkeit" fest. In der Zusammenfassung der Befunde wurde ausgeführt:

"Auf Grund der erhobenen Befunde besteht eine erheblich reduzierte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit. In Kombination mit den eingeschränkten persönlichkeitsbedingten Voraussetzungen scheint die Eignung zum Lenken von Kfz nicht mehr in ausreichendem Maße gegeben, und zwar deswegen, weil eine nicht mehr ausreichende Kompensation für die eingeschränkte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit besteht. Zusammenfassend erscheint Herr F vom verkehrspsychologischen Standpunkt aus zum Lenken von Kfz der Guppen A und B

"NICHT GEEIGNET".

Der amtsärztliche Sachverständige erstattete hierauf sein Gutachten vom 26. Juli 1988, welches folgenden Inhalt hat:

"Die polizeiärztliche Untersuchung ergab:

Aufgrund des Befundes des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 31.5.1988 ist Herr F aufgrund eingeschränkter kraftfahrspezifischer Leistungen NICHT mehr zum Lenken von KFZ der Gruppen A und B geeignet."

Einem Schreiben des Beschwerdeführers an die erstinstanzliche Behörde vom 1. August 1988 waren Beilagen angeschlossen, darunter auch eine Skizze des bei der verkehrspsychologischen Untersuchung verwendeten Testgerätes. Auf dieser Beilage führte der Beschwerdeführer u.a. aus, daß er zu der Untersuchung nur die "normale Seh- und Fernbrille zum Autofahren" mitgehabt habe, da er mit einer Fahrprüfung gerechnet habe. Für die Bewältigung der Testaufgaben wäre jedoch die Lesebrille erforderlich gewesen.

In der von seinem Rechtsvertreter verfaßten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer aus, er sei vom Amtssachverständigen nicht untersucht worden, und regte an, seine Eignung durch eine Fahrprobe zu überprüfen.

Die erstinstanzliche Behörde erließ hierauf den Entziehungsbescheid, in dessen Begründung sie sich auf das amtsärztliche Gutachten und den Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit bezog.

In der dagegen eingebrachten Berufung führte der Beschwerdeführer unter anderem neuerlich aus, daß er bei der verkehrspsychologischen Untersuchung am 31. Mai 1988 nicht die Lesebrille bei sich gehabt habe, weshalb er Schwierigkeiten mit dem Erkennen der sich rasch ändernden Bilder auf dem Testgerät gehabt habe. Aus diesem Grunde sei die Beurteilung seiner kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit im Befund vom 1. Juni 1988 verfehlt. Die im Befund bezeichneten Charakterzüge hätten mit der Befähigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nichts zu tun.

In dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten vom 19. Jänner 1989 werden zunächst die eigenen Untersuchungsergebnisse wiedergegeben, anschließend wird ein Augenfacharztbefund vom 2. November 1988 zitiert, wonach "das Gesichtsfeld natürlich durch die Starbrille sowohl links temporal als auch rechts temporal cirka um 20 Grad eingeschränkt" ist, wobei dieser Zustand nicht behoben werden könne. Der Amtssachverständige gibt in der Folge das Ergebnis der Untersuchung vom 31. Mai 1988 betreffend die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen wieder und führt ferner aus:

"F) Psychisch ist altersbedingt, Rigidität (Altersstarrsinn), verminderte Anpassungsbereitschaft, Selbstgerechtigkeit vorherrschend, somit ist auch der Verdacht einer mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung begründet.

ZUSAMMENFASSUNG:

Die Untersuchung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen ergab erhebliche bis starke Einschränkungen in fast allen Teilbereichen. Das psychische Verhalten des Berufungswerbers begründet den Verdacht einer mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung.

Die klinische Untersuchung stellte mangelnde Sehschärfe und Einschränkung des Gesichtsfeldes beider Augen fest (Augenfacharztbefund). Außerdem besteht ein erhebliches Lungenemphysem mit kombinierter Ventilationsstörung (mangelnde Sauerstoffaufnahme) und mit Rechtsherzüberbelastung. Zusammenfassend muß Herr F zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B, aus amtsärztlicher Sicht, als NICHT GEEIGNET eingestuft werden.

Eine deutliche Verbesserung des Zustandsbildes ist nicht zu erwarten."

In seiner Stellungnahme zu diesem Gutachten wiederholte der Beschwerdeführer seinen Hinweis auf das Fehlen der geeigneten Brille bei der Untersuchung vom 31. Mai 1988, bezeichnete die im Augenfacharztbefund beschriebene Einschränkung des Gesichtsfeldes als nicht schwerwiegend und hielt die angeführten Charakterzüge für seine Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen für unerheblich.

In einer dazu eingeholten Stellungnahme vom 16. März 1989 meinte der Amtssachverständige, eine "freiwillige Wiederholung der Kuratoriumsuntersuchung" könnte in der Frage der Verwendung einer geeigneten Brille Klarheit schaffen; eine praktische Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen (Übungseffekt) sollte im Rahmen einer Probefahrt vorgenommen werden. Aus einem Facharztbefund vom 22. Jänner 1988 ergäben sich verschiedene näher bezeichnete Krankheiten und Gebrechen. Diese Krankheiten sprächen "auch für die Nicht-Eignung" des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides vertrat die belangte Behörde nach Zitierung mehrerer Bestimmungen des KFG 1967 und der KDV 1967 sowie nach Wiedergabe des Gutachtens vom 19. Jänner 1989 und der Stellungnahme des Sachverständigen vom 16. März 1989 die Auffassung, der Facharztbefund vom 22. Jänner 1988 stütze die vom Sachverständigen festgestellte körperliche Nichteignung. Das amtsärztliche Gutachten sei auch schlüssig, weil darauf hingewiesen werde, daß zufolge des Augenfacharztbefundes vom 2. November 1988 das Gesichtsfeld durch die Starbrille sowohl links temporal als auch rechts temporal cirka um 20 Grad eingeschränkt werde. Entscheidend bei der Beurteilung der amtsärztlichen Aussagen sei jedoch der Umstand, daß der Beschwerdeführer vom verkehrspsychologischen Standpunkt aus als zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht geeignet beurteilt worden sei. Außerdem sei "in psychischer Hinsicht" beim Beschwerdeführer "der Verdacht einer mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung begründet".

Bei der Behandlung der Beschwerde war davon auszugehen, daß gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 dann, wenn ein Besitzer einer Lenkerberechtigung nicht mehr geistig oder körperlich geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken, ihm die Lenkerberechtigung entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit ganz oder nur hinsichtlich bestimmter Gruppen zu entziehen oder durch Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit einzuschränken ist. Dies gilt auch sinngemäß, wenn die geistige und körperliche Eignung nicht mehr in vollem Umfang gegeben ist oder nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und Nachuntersuchungen erforderlich sind. Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind - dazu gehört nach § 64 Abs. 2 KFG 1967 auch die geistige und körperliche Eignung -, so ist gemäß § 75 Abs. 1 leg. cit. unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Gemäß § 75 Abs. 2 leg. cit. ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten gemäß § 67 Abs. 2 einzuholen. Nach dieser Gesetzesstelle darf das ärztliche Gutachten im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein. Stützt sich ein Gutachten in entscheidenden Punkten auf Unterlagen, die bereits vor mehr als einem Jahr vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides zustandegekommen sind, so wird damit der genannten Vorschrift nicht Genüge getan (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. Februar 1989, Zl. 88/11/0251, und vom 4. Juli 1989, Zl. 88/11/0210).

Der angefochtene Bescheid wurde mit seiner Zustellung an den Vertreter des Beschwerdeführers am 5. Juni 1989 erlassen. Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung war somit der auf der Untersuchung vom 31. Mai 1988 basierende Befund der verkehrpsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 1. Juni 1988, auf den sich der amtsärztliche Sachverständige und die belangte Behörde in entscheidender Weise stützten, älter als ein Jahr, weshalb die belangte Behörde schon aus diesem Grunde das auf diesem Befund basierende Gutachten des Amtssachverständigen ihrer Entscheidung nicht hätte zugrunde legen dürfen. Außerdem ist die belangte Behörde auf die vom Beschwerdeführer gegen die Richtigkeit dieses Befundes erhobenen Einwendungen, auf Grund deren der Amtssachverständige eine "Wiederholung der Kuratoriumsuntersuchung" vorgeschlagen hatte, nicht eingegangen. Hinsichtlich der gemäß § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 geforderten Bereitschaft zur Verkehrsanpassung wurde vom Amtssachverständigen und von der belangten Behörde bloß der Verdacht der mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung geäußert, das Fehlen dieser Bereitschaft jedoch nicht festgestellt.

Diese Verfahrensmängel wären dann nicht wesentlich, wenn die vom Amtssachverständigen auf Grund eigener Untersuchung oder auf Grund von Befunden, die nicht älter als ein Jahr sind, festgestellten Krankheiten und Gebrechen des Beschwerdeführers das Fehlen der körperlichen oder geistigen Eignung zur Folge hätten. Hinsichtlich des vom Sachverständigen erwähnten "erheblichen Lungenemphysems mit kombinierter Ventilationsstörung (mangelnde Sauerstoffaufnahme) und mit Rechtsherzüberbelastung" fehlen nachvollziehbare Ausführungen im Gutachten und im angefochtenen Bescheid, die eine Beurteilung zulassen, inwieweit es sich dabei um eine Krankheit im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. c bzw. um ein Gebrechen im Sinne des § 35 Abs. 1 lit. b KDV 1967 handelt.

Dies gilt sinngemäß auch für die Frage der Einschränkung des Gesichtsfeldes durch das Tragen der Starbrille. Die aus dem fachärztlichen Befund vom 2. November 1988 übernommene Feststellung, daß das Gesichtsfeld beim Beschwerdeführer durch die Starbrille - wie bei allen Menschen, die Starbrillen tragen, - sowohl "links temporal als auch rechts temporal cirka um 20 Grad eingeschränkt ist", läßt nämlich nicht das Vorliegen eines Gebrechens im Sinne des § 35 Abs. 1 lit. g KDV 1967 erkennen. Dort ist die Rede von Defekten im Gesichtsfeld beider Augen, auch wenn sie nur einen Quadranten betreffen. Die bloße Einschränkung des Gesichtsfeldes kann nicht ohne weiteres mit einem "Defekt im Gesichtsfeld" gleichgesetzt werden, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß gemäß § 35 Abs. 3 KDV 1967 unter den dort genannten Bedingungen auch Einäugige - bei denen von vornherein eine wesentliche Einschränkung des Gesichtsfeldes gegeben ist - als geeignet anzusehen sind.

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkte einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989110185.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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