TE Vwgh Erkenntnis 1990/5/29 89/11/0259

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Veröffentlicht am 29.05.1990
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Index

90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KDV 1967 §31a Abs1;
KFG 1967 §64 Abs2;

Betreff

H gegen Landeshauptmann von Salzburg vom 30. Juli 1989, Zl. 9/01-29.973/8-1989, betreffend Erteilung der Lenkerberechtigung

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die im Jahre 1966 geborene Beschwerdeführerin besitzt nach der Aktenlage seit 29. Jänner 1986 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B. Am 20. Oktober 1987 stellte sie den Antrag auf Ausdehnung der Lenkerberechtigung auf die Gruppe A. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 30. Juli 1989 gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hielt es die belangte Behörde für "schlüssig erwiesen", daß die Beschwerdeführerin derzeit die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe A (noch) nicht besitze. Es bestünden in verkehrspsychologischer Sicht gravierende Mängel in bezug auf die Stabilisierung ihrer Persönlichkeitsstruktur, was inbesondere in der nervös-ängstlichen Angespanntheit und Unsicherheit sowie in inadäquaten Reaktionen in entscheidenden Situationen zum Ausdruck komme und sich gerade auch auf das Unfallrisiko beim Lenken von einspurigen Kraftfahrzeugen nachteilig auswirken könne. Diese Annahme stützte die belangte Behörde auf zwei von ihr eingeholte - dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorliegende - Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen vom 12. September 1988 und vom 6. Februar 1989. Im ersteren Gutachten wird (laut Begründung des angefochtenen Bescheides) zur Frage der körperlichen und geistigen Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe A unter anderem ausgeführt:

"Mit Datum vom 25.4.1988 wurde bereits ein amtsärztliches Gutachten betreffend die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B übermittelt.

Es muß festgestellt werden, daß das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe A sicher wesentlich höhere Anforderungen an Führerscheinbesitzer stellt, als dies für PKW der Fall ist. Schon aus der Unfallstatistik ist ersichtlich, daß Kfz-Fahrer der Gruppe A wesentlich mehr gefährdet sind als die der Gruppe B.

Die im Rahmen der verkehrspsychologischen Untersuchung vom 12.4.1988 ermittelten kraftfahrspezifischen Leistungen entsprechen auch den Anforderungen, die für die Gruppe A erbracht werden müssen.

Die Probandin besitzt jedoch noch eine jugendlich unreife und unbekümmerte Persönlichkeit, die sich der Tragweite bestimmter Handlungsweisen, wie beispielsweise das Schmuggeln von Haschisch über die Grenze, nicht voll bewußt ist. Weiters ist ihre Persönlichkeit noch nicht völlig stabilisiert. Das zeigt sich in ihrer nervös ängstlichen Angespanntheit und Unsicherheit; sie reagiert in entscheidenden Situationen inadäqaut.

Abschließend kann ausgesagt werden, daß Frau H den erhöhten Anforderungen, die für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe A erforderlich sind, von Seiten der Persönlichkeit, derzeit nicht entspricht.

Aus ho. Sicht muß daher festgestellt werden, daß die Probandin derzeit nicht geeignet ist, Kraftfahrzeuge der Gruppe A zu lenken."

Im Gutachten vom 6. Februar 1989 heißt es nach Wiedergabe der Schilderung der Beschwerdeführerin über ihren fehlgeschlagenen Versuch, ein Gramm Haschisch in Würfelform für ihren Freund über die Staatsgrenze mitzunehmen, und in Erwiderung auf ihren Einwand, nach dem Gesetz seien die Anforderungen zur Erlangung der Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe A nicht höher gesteckt als jene für die Lenkerberechtigung der Gruppe B:

"De facto ist jedoch allgemein bekannt, daß das Unfallrisiko und auch der Schweregrad der Unfälle bei Zweiradlenkern wesentlich größer ist, als dies bei Personenkraftwagenlenkern der Fall ist. Wie aus dem Heft 6 (1974 'Straßenverkehrstechnik') zu entnehmen ist, ist das Unfallrisiko für Motorradlenker gerade zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr (aber auch noch später) wesentlich höher, als jenes für PKW-Lenker; siehe dazu auch beiliegende Grafik.

Die Persönlichkeitseigenschaften der Lenker sind zu einem sehr großen Prozentsatz ausschlaggebend für das individuelle Unfallrisiko.

Aus der Sicht des Amtsarztes, der das öffentliche Interesse zu vertreten hat, wird unter Einbeziehung des Schreibens vom 12.9.1988 festgestellt, daß Frau H auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur derzeit nicht geeignet ist, Kraftfahrzeuge der Gruppe A zu lenken."

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Feststellung, es bestünden in verkehrspsychologischer Sicht gravierende Mängel in bezug auf die Stabilisierung ihrer Persönlichkeitsstruktur. Sie verweist dazu insbesondere auf die Äußerung im ärztlichen Gutachten vom 12. September 1988, in dem ausdrücklich bestätigt worden sei, daß die bei der verkehrspsychologischen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 12. April 1988 ermittelten kraftfahrspezifischen Leistungen auch den für die Gruppe A zu stellenden Anforderungen entsprächen.

Gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 darf die Lenkerberechtigung nur Personen erteilt werden, die unter anderem zum Lenken von Kraftfahrzeugen der entsprechenden Gruppe geistig und körperlich geeignet sind. Ihre Annahme des Fehlens dieser Eignungsvoraussetzung bei der Beschwerdeführerin in Ansehung der Lenkerberechtigung für die Gruppe A stützt die belangte Behörde - wie sie in ihrer Gegenschrift zum Ausdruck bringt - einzig und allein auf das Vorliegen "wesentlicher Mängel in der Persönlichkeitsstruktur" der Beschwerdeführerin, was "einen Problempunkt in bezug auf die geistige Eignung und somit einen Ausschließungsgrund im Sinne des § 31 KDV" darstelle.

Dazu ist zunächst folgendes zu bemerken: Offensichtlich verfehlt ist die Annahme, es liege bei der Beschwerdeführerin ein Ausschließungsgrund gemäß § 31 KDV 1967 vor. Nach dieser Verordnungsstelle (sie war bis zur 22. Novelle, BGBl. Nr. 362/1987, mit "Geistige Eignung" überschrieben und trägt nunmehr die Überschrift "Psychische Krankheiten und geistige Behinderungen") gelten als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 Personen, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen, noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Im vorliegenden Beschwerdefall findet sich nicht der geringste Hinweis auf das Vorliegen einer "Krankheit", einer "Behinderung" oder einer "Störung" im Sinne dieser Verordnungsstelle; dementsprechend ist auch an keiner Stelle des angefochtenen Bescheides von derartigen Beeinträchtigungen die Rede.

Die Frage der "körperlichen und geistigen Eignung" der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe A kann derzeit aus folgendem Grund noch nicht abschließend beurteilt werden:

Im ärztlichen Gutachten vom 12. September 1988 heißt es, die Beschwerdeführerin besitze eine "noch nicht völlig stabilisierte, jugendlich unreife und unbekümmerte Persönlichkeit". Die belangte Behörde hat sich dieser Beurteilung und der darauf fußenden Verneinung der Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe A angeschlossen. In dem hier maßgebenden rechtlichen Zusammenhang kann die besagte Beurteilung sinnvoll nur dahin verstanden werden, daß der Amtsarzt der belangten Behörde (und in der Folge auch diese) der Auffassung war, der Beschwerdeführerin mangle es - was das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe A anlangt - an der "nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit" im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 2 KDV 1967, und zwar unter dem Gesichtspunkt der im § 31a Abs. 1 dieser Verordnung erwähnten "Reifungsmängel". Nach dieser Verordnungsstelle ist die Vorlage eines Befundes einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle im Hinblick auf das Lebensalter jedenfalls zu verlangen, wenn aufgrund der ärztlichen Untersuchung unter anderem "geistige Reifungsmängel" zu vermuten sind; dabei ist insbesondere zu beachten, ob der Bewerber um eine Lenkerberechtigung für die Gruppe A jünger als 18 Jahre ist. Im Beschwerdefall ist dieser zwingenden Vorschrift offensichtlich nicht entsprochen worden. Es findet sich nämlich nicht der geringste Hinweis darauf, daß zu der aufgeworfenen Frage ein (ergänzender) Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle eingeholt worden wäre. Dessen hätte es aber gerade auch deshalb bedurft, weil die Umstände, daß die Beschwerdeführerin bereits im

24. Lebensjahr stand, sie schon seit mehreren Jahren eine Lenkerberechtigung für die Gruppe B besaß und sie offenbar weiterhin als zum Lenken von Kraftfahrzeugen dieser Gruppe ohne Einschränkung geeignet erachtet wurde, gegen das Bestehen von "geistigen Reifungsmängeln" sprechen. Infolge des Unterbleibens der in Rede stehenden ergänzenden Befundaufnahme ist der maßgebende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Damit hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG).

Im Hinblick auf das oben aufgezeigte Verkennen der Rechtslage durch die belangte Behörde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989110259.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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