TE Vwgh Erkenntnis 1990/6/7 90/18/0014

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Veröffentlicht am 07.06.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §58 Abs2;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
VwRallg;

Betreff

N gegen Wiener Landesregierung vom 4. Dezember 1989, Zl. MA 70-9/952/89/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960.

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren der Beschwerdeführerin wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 4. Dezember 1989 wurde die Beschwerdeführerin für schuldig befunden, "am 27. November 1988 um 08.33 Uhr in Wien 9., Spittelauer Lände 25 Richtung Friedensbrücke, als Lenkerin" eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges "die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit mit besonderer Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr und unter besonders gefährlichen Verhältnissen erheblich überschritten" zu haben, da sie mit 102 km/h gefahren sei, "bei dieser Geschwindigkeit der Anhalteweg ca. 130 m beträgt", und die Beschwerdeführerin "beim plötzlichen Auftauchen eines Hindernisses das Fahrzeug nicht rechtzeitig" hätte "anhalten können". Die Beschwerdeführerin habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 begangen, weshalb über sie eine Geld- und Ersatzarreststrafe verhängt worden ist.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 2 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h fahren, sofern die Behörde nicht eine geringere Höchstgeschwindigkeit erläßt (§ 43 Abs. 1) oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt (§ 43 Abs. 4).

    Zufolge § 99 Abs. 2 lit. c leg. cit. begeht eine

Verwaltungsübertretung und ist .... zu bestrafen, wer als

Lenker eines Fahrzeuges .... im Hinblick auf eine allgemeine

oder durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte

Geschwindigkeitsbeschränkung unter besonders gefährlichen

Verhältnissen .... gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die

Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt, insbesondere Fußgänger, die Schutzwege vorschriftsmäßig benützen, gefährdet oder behindert.

Da die belangte Behörde der Beschwerdeführerin spruchgemäß vorgeworfen hat, "die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit .... unter besonders gefährlichen Verhältnissen erheblich überschritten" zu haben, und dieses Verhalten unter § 99 Abs. 2 lit. c leg. cit. subsumiert hat, hatte sie zu begründen, daß zu dem vom § 20 Abs. 2 leg. cit. erfaßten Tatbild ein zusätzliches Sachverhaltselement hinzugetreten ist, welches die Feststellung rechtfertigt, daß die Tat unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen worden ist. Als solche besonders gefährliche Verhältnisse kommen bei Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit insbesondere beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit und starkes Verkehrsaufkommen, ferner der Verlauf und die Breite der Straße sowie die körperliche und geistige Verfassung des Lenkers in Betracht (vgl. dazu das einen nahezu identischen Tatort betreffende hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1990, Zl. 89/18/0173, und die darin zitierte Vorjudikatur).

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides zwar die Auffassung vertreten, daß zu prüfen sei, "ob im Einzelfall besonders gefährliche Verhältnisse vorliegen", in der Folge jedoch keine aktenmäßig festgehaltenen diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen angeführt, die im Beschwerdefall konkret die Annahme einer besonderen Gefährdung rechtfertigen könnten. Unter diesem Gesichtspunkt reicht es daher nicht aus, daß die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides gemeint hat, es handle sich bei der Spittelauer Lände um eine Fahrbahn mit mehreren Fahrspuren, und es könne "daher nicht davon ausgegangen werden, daß sich zum angegebenen Zeitpunkt, also um 08.33 Uhr, auf diesem doch zentral gelegenen und daher stark befahrenen Straßenstück außer dem Kraftfahrzeug der Berufungswerberin überhaupt keine anderen Fahrzeuge befunden hätten". Die Annahme, daß sich im Tatortbereich zur Tatzeit noch andere Fahrzeuge befunden haben, ist in keiner Weise aktenmäßig gedeckt.

Die weitere Feststellung der belangten Behörde, in die Spittelauer Lände würden mehrere Seitengassen einmünden, und es könne nicht ausgeschlossen werden, "daß andere Fahrzeuglenker beabsichtigten, wenn auch vielleicht benachrangt, in die Spittelauer Lände einzubiegen um sie in derselben Fahrtrichtung wie die Berufungswerberin zu befahren", vermag angesichts der geschilderten Rechtslage den Schuldspruch ebenfalls nicht zu stützen, weil nicht festgestellt worden ist, wie weit die einmündenden Seitengassen vom Tatort entfernt sind, und im Hinblick auf die Mehrspurigkeit der Spittelauer Lände nicht von vornherein damit zu rechnen ist, daß - in Fahrtrichtung der Beschwerdeführerin gesehen von rechts - einbiegende Fahrzeuge eine besondere Gefahrensituation herbeiführen, wenn man berücksichtigt, daß die Beschwerdeführerin entsprechend dem im Akt erliegenden Radarfoto nicht den äußersten rechten Fahrstreifen benützt hat. Es steht auch nicht fest, daß sich zur Tatzeit außerhalb der Fahrbahn überhaupt Fußgänger in der Nähe des Tatortes befunden haben, also unter diesem Gesichtspunkt mit einer besonderen Gefährdung zu rechnen war.

Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides angestellten Erwägungen hinsichtlich der Sichtverhältnisse im Tatbereich sind im übrigen zu unbestimmt, um daraus das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse ableiten zu können, zumal der im Akt erliegende Planausschnitt erkennen läßt, daß der Fahrbahnverlauf im Bereich des Tatortes allein wohl nicht ausreichen dürfte, um von Sichtverhältnissen ausgehen zu können, die unter Bedachtnahme auf die von der Beschwerdeführerin eingehaltene Geschwindigkeit unter dem Gesichtspunkt des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 relevant sind. Sonstige sichtbehindernde Umstände sind nicht aktenkundig.

Es zeigt sich also, daß der der belangten Behörde vorgelegene Sachverhalt nicht ausreicht, um davon ausgehen zu können, daß die der Beschwerdeführerin angelastete Geschwindigkeitsüberschreitung unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen worden ist. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren der Beschwerdeführerin war abzuweisen, weil an Schriftsatzaufwand lediglich der in der genannten Verordnung erwähnte Pauschalbetrag zusteht, in welchem die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

Schlagworte

Überschreiten der Geschwindigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990180014.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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