TE Vfgh Erkenntnis 1987/11/26 B576/87

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Veröffentlicht am 26.11.1987
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
MRK Art6 Abs1
DSt 1872 §12 Abs1 litd
VfGG §19 Abs3 Z3
VfGG §86
DSt 1872 §55a ff
DSt 1872 §55e

Leitsatz

Zeitlich beschränkte Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft wegen Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes; keine Bedenken gegen die Tribunalqualität der OBDK; keine Bedenken gegen §12 Abs1 litd DSt; keine denkunmögliche Gesetzesanwendung; keine Willkür; allfälliges gesetzwidriges Verhalten einer Behörde in anderen Fällen gibt einer Person kein Recht auf gleiches Fehlverhalten

Spruch

1. Das Verfahren über die Beschwerde gegen den Bescheid der Rechtskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 19. Mai 1987, Z1336/85, wird eingestellt.

2. Der Bf. ist durch den Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 11. Mai 1987, Z Bkd 67/85-14, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Erkenntnis vom 7. Dezember 1984 sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland aus

"II.

Dr. J und Dr. M D sind schuldig,

a) der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes, begangen dadurch, daß sie

1) die Aufnahme und zweimalige Veröffentlichung von Artikeln in der Zeitschrift 'Cercle Diplomatique International', Ausgaben 5 bis 7/79 und 12/79, in welchen ihre anwaltliche Tätigkeit kostenlos angeboten wird, und die Verwendung ihrer Lichtbilder hiebei veranlaßt, geduldet und zumindest nicht unverzüglich und nicht ausreichend abgewehrt haben (D 142/79);

2) ein Formular für eine Kostenvereinbarung verwendet haben, welches für den Verzugsfall Verzugszinsen von 17 (siebzehn) Prozent vorsieht (D 38/83).

III.

Dr. M D ist schuldig,

der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes, begangen dadurch,

1) daß er dem für ihn zuständigen Zustellpostamt ... Wien und seinen Briefträgern am 13. Dezember 1979 mitgeteilt hat, daß er in der Zeit vom 21.12.1979 bis 7.1.1980 seine Kanzlei geschlossen hält, ohne für seine Vertretung zu sorgen (D 142/79);

2) daß er im Zusammenhang mit der Verfassung und Abwicklung des Kaufvertrages über eine Eigentumswohnung top.Nr. ... im Hause ... Wien ...

a) seinen Mandanten K W als Verkäufer in eine Lage gebracht hat, wodurch dieser erhebliche Nachteile erlitt, und dem Genannten trotz dessen wiederholten Verlangens keine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Kaufvertrages vom 7.2.1980 ausfolgte;

b) M H als Käufer in gleicher Weise Nachteile zugefügt hat, wodurch sein spätestens am 15. April 1980 bedungener Einzug in die obgenannte Eigentumswohnung unmöglich wurde und ihm erhebliche Spesen und Belastungen entstanden (D 45/80);

3) daß er 1979

a) durch Gewährung eines Interviews an einen 'Profil-Redakteur' in Sachen der Klagsführung der I P Ges.m.b.H. gegen 92 Immobilienmakler seine reklamehafte Herausstellung im 'Profil-Artikel' vom 15. Oktober 1979, (Profil Nr. 42/1979) verursacht und keine Vorsorge getroffen hat, daß das 'Profil' eine solche Hervorhebung unterläßt;

b) im Zusammenwirken bei Vertretung der I P GmbH. mit der G P GmbH.

aa) gestützt auf das UWG 92 Klagen gegen Immobilienmakler beim Handelsgericht Wien erhoben hat,

aaa) um sich oder seiner Klientin durch sittenwidrige Ausübung eines Rechtes einen ungerechtfertigten wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen,

bbb) die formell im Anteilseigentum der I P und wirtschaftlich im Eigentum des von Exekutionen verfolgten Dkfm. S S stehende Firma 'I P GmbH.' und 'G P GmbH.' dadurch unrechtmäßig zu bereichern versucht hat, daß er namens der I P GmbH. offensichtlich zuweit gehende Urteilsveröffentlichungsbegehren stellte, um von den jeweiligen Beklagten für den Vergleichsfall abzulösende Insertionskosten mit mindestens S 1,200.000,-begehren zu können,

bb) im Rahmen von Vergleichsverhandlungen zur Erledigung dieser Prozesse in Vergleichsangeboten bewußt an tatsachenwidrigen Behauptungen mitgewirkt hat, wie daß

aaa) die I P GmbH. der G P GmbH. unwiderruflich Insertionsaufträge für die Urteilsveröffentlichung erteilt, diese Ansprüche der G P GmbH. abgetreten und

bbb) die G P GmbH. der I P GmbH. die vorläufigen Kosten der vorstehend genannten UWG-Klagen finanziert hat;

cc) in schriftlichen Angeboten zur vergleichsweisen Erledigung dieser vorgenannten UWG-Prozesse anstößige und bedenkliche und für den Gegner bedrohende Vergleichsanbote gestellt, die Forderungen und Bedingungen enthielten, auf die die genannten Firmen keinen Anspruch hatten und die ein unangemessenes anstößiges Mittel zur Erreichung des Zweckes, soweit dieser auf Urteilsveröffentlichung rechtmäßig gewesen sein mag, darstellten, sodaß das 'Profil' von 'sizilianisch gefärbten Vergleichsangeboten' berichten konnte (D 145/79).

4) daß er als Vertreter der Firma W K der H P einen von ihr im Zuge eines Fernsehapparatkaufes irrtümlich zuviel bezahlten Betrag von S 720,-- unter dem Vorwand vorenthalten und für sich behalten hat, daß er gegen H P aus einem vorhergehenden Verfahren, 4 C975/81 beim BG Hernals, welches ruhte, einen Kostenersatzanspruch mindestens in der gleichen Höhe habe, sodaß es geschehen konnte, daß H P gezwungen war, den überzahlten Betrag von

S 720,-- gerichtlich geltend zu machen und einen Prozeß zu führen, welcher schließlich mit Urteil des BG für Handelssachen Wien vom 31.1.1983, 5 C961/82 vollkommen zu ihren Gunsten entschieden wurde (D 71/-1982);

5) daß er im Herbst 1979

a) T K, die die Absicht hatte, eine Eigentumswohnung zu erwerben und auch durch Bausparmittel zu finanzieren, fehlerhaft beraten hat, indem er ihr erklärte, sie sei zur Unterfertigung eines Kaufvertrages über ein Nutzungsrecht verpflichtet,

b) von T K ungerechtfertigt Honorar für die der Sachund Rechtslage nicht entsprechende Leistung in Rechnung gestellt hat,

c) den ihm im November 1979 zugekommenen Betrag von

S 38.760,- als Honorarteilbetrag vereinnahmt hat, obwohl dieser Anspruch bestritten wurde und ihn erst verspätet, nämlich am 17. Oktober 1980, bei Gericht erlegt hat,

d) in seiner Kanzlei Honorarvereinbarungsformulare aufgelegt hat, deren Text die tatsächliche Verbindlichkeit des Unterzeichneten nicht erkennen läßt, und die eine für ihn einseitige Wahlmöglichkeit der Honorarhöhe erlaubt (D 106/80);

6) daß er

a) im Zusammenwirken mit den Vermittlungsfirmen I, P GmbH. und I K, K GmbH. im Jahre 1978 Auftragsformulare verfaßt hat, nach deren Inhalt sowohl Käufer als auch Verkäufer die Vermittlungsgesellschaften beauftragen, einen Rechtsanwalt nach ihrer Wahl als Vertragserrichter zu bestellen,

b) in Kenntnis der laufenden Verwendung dieser Formulare bis Jänner 1980 seine Beauftragung durch die Vermittlerfirmen genehmigt hat, wobei gleichzeitig vereinbart war, daß für jede Beauftragung von der Firma I, P GmbH. von ihm eine Gegenleistung in der Form einer Darlehensrückzahlung von S 20.000,-- an diese Firma erfolgen sollte,

c) trotz Kenntnis des Inhaltes der Auftragsformulare die bei ihm erschienenen Vertragsparteien C K und I K nicht darauf aufmerksam gemacht hat, daß tatsächlich eine Überweisung des Treuhandbetrages zu seiner freien Verfügung noch nicht erfolgt ist,

d) ohne Kostennote an C K oder I K zu legen, am 27.11.1979 von der Firma I, P GmbH. die Auszahlung seiner Kosten in der Höhe von S 6.978,-- zu Lasten des zugunsten der I K erlegten Treuhanderlages begehrt hat,

e) obwohl dieser Kostenanspruch bestritten wurde und er durch Gutschrift vom 28.12.1979 den Betrag von S 6.978,-erhalten hatte, diesen Betrag nicht bei Gericht erlegt hat;

sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes, begangen dadurch,

7) daß er mit Kostennote vom 8.1.1981 K P wesentlich überhöhte Kosten im Gesamtbetrag von S 64.087,22 anstatt des angemessenen Betrages von S 17.232,69 für die von ihm in der Zeit vom 6.6.1979 bis 9.12.1980 erbrachten Leistungen bekanntgegeben und begehrt hat (D 51/81);

8) daß er in rechtsfreundlicher Vertretung der J Z mit seinem Kostenabrechnungsschreiben vom 26. November 1979 Kosten in Höhe von S 104.965,55 geltend gemacht hat, während die angemessenen Kosten, wie ausdrücklich vom Beschuldigten anerkannt wurde, lediglich den Betrag von S 33.382,71 ausmachten (D 69/81);

9) daß er

a) mit dem in einer Realitätenvermittlungskanzlei beschäftigten O M jun. am 8. Juni 1982 vereinbart hat, ihm die Verfassung von Kaufverträgen zu vermitteln und für den Fall der Erbringung von fünf Kaufverträgen bis 30. September 1982 das Erlöschen einer ihm gegen O M jun. zustehenden Honorarforderung zugesagt hat, und

b) trotz eines im Oktober 1982 abgegebenen Verzichtes auf seine restliche Honorarforderung von S 6.500,-- s.A. und der Zusage der Einstellung des Exekutionsverfahrens E3874/81 des BG Korneuburg dieses Exekutionsverfahren durch einen Antrag auf neuerlichen Vollzug zu E1154/84 dieses Gerichtes fortgesetzt hat (D 97/1984)."

Wegen dieser Standesvergehen wurde über Dr. M D die Einstellung der Rechtsanwaltschaft auf die Dauer von 10 Monaten verhängt.

Von weiteren wider ihn erhobenen Anschuldigungen, und zwar:

"1) er habe von L S am 29. Juni 1981 eine Erklärung des Inhalts, sie trete als Bürge und Zahler der Verpflichtung H, auf Zahlung eines pauschalierten Verteidigerhonorars von S 60.000,-bei, begehrt und erhalten, obwohl L S ihn zuvor darauf aufmerksam gemacht hatte, daß sie arbeitslos und erst 16 Jahre alt sei (D 38/1983);

2) er habe im Zusammenwirken bei Vertretung der I P GmbH. mit der G P GmbH., gestützt auf das UWG 92 Klagen gegen Immobilienmakler beim Handelsgericht Wien erhoben, ohne den jeweiligen Sachverhalt mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen, wodurch es geschehen konnte, daß etwa 30 Klagen kurzerhand abgewiesen wurden, woraus der I P GmbH. Kostenersatzpflichten im Gesamtbetrag von über S 1,200.000,-- entstanden sind (D 145/1979);

3) er habe im Sommer 1979 zur rechtlichen Begründung zahlreicher, von ihm namens der I P Ges.m.b.H. gegen verschiedene Immobilienmakler beim Handelsgericht Wien eingebrachte UWG-Klagen, Formulierungen verwendet, die wörtlich dem Vorbringen der Rechtsanwälte Dris. S, B, T, H und W in der zu 38 Cg 1155/78 des Handelsgerichtes Wien eingebrachten Klage widerrechtlich entnommen wurden (D 143/1979);

4) er sei am 10. September 1979 zu der beim Oberlandesgericht Wien im Verfahren 21 Bs 298/79 für 13.00 Uhr anberaumten mündlichen Berufungsverhandlung, zu welcher er als nach dem Verfahrenshilfegesetz bestellter Verteidiger geladen war, unbegründet nicht erschienen und habe es unterlassen, das Gericht rechtzeitig von seiner Verhinderung in Kenntnis zu setzen oder für die Entsendung eines Substituten zu sorgen, wodurch die Berufungsverhandlung, zu der der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte vorgeführt worden war, nicht durchgeführt werden konnte (D 121/1979);

5) er habe im Verfahren 19 Cg 83/82 des Handelsgerichtes Wien die Verhandlung vom 6.4.1983 vorzeitig verlassen, obwohl die Vernehmung von Zeugen vorgesehen war und auch tatsächlich vorgenommen wurde, sodaß es dazu kommen konnte, daß sein Mandant

H P durch mehr als eine Stunde bei dieser Verhandlung unvertreten war, ohne dies vorher seinem Mandanten mitzuteilen und dessen Genehmigung einzuholen,"

wurde Dr. M D freigesprochen.

2. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) vom 11. Mai 1987, Z Bkd 67/85-14, wurde der von Dr. M D hinsichtlich der Schuldsprüche zu verschiedenen Fakten erhobenen Berufung teilweise und der vom Kammeranwalt erhobenen Berufung zur Gänze Folge gegeben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

"Dr. M D wird von der wider ihn erhobenen Anschuldigung:

er habe im Jahre 1979 durch Gewährung eines Interviews an einen 'Profil-Redakteur' in Sachen der Klagsführung der I P Ges.m.b.H. gegen 92 Immobilienmakler seine reklamehafte Herausstellung im 'Profil-Artikel' vom 15. Oktober 1979 (Profil Nr. 42/1979) verursacht und keine Vorsorge getroffen, daß das 'Profil' eine solche Hervorhebung unterläßt, er habe hiedurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen, freigesprochen.

Für die Dr. M D nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches weiterhin zur Last fallenden Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes wird dieser zur Strafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte verurteilt."

Im übrigen wurde der Berufung des Dr. M D nicht Folge gegeben.

3. Mit Bescheid vom 19. Mai 1987 der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland wurde auf Grund dieses Erkenntnisses gemäß §43 der Geschäftsordnung für Dr. M D ein mittlerweiliger Stellvertreter bestellt und er angewiesen, diesem seine Kanzleigeschäfte zu übertragen.

4.1. Gegen das (Disziplinar-)Erkenntnis der OBDK vom 11. Mai 1987, Z Bkd 67/85-14, und gegen den Beschluß der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland vom 19. Mai 1987, Z1336/85, betreffend die Einsetzung eines mittlerweiligen Stellvertreters, richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsausübung geltend gemacht und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

4.2. Die OBDK hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der gegen ihren Bescheid vom 11. Mai 1987 gerichteten Beschwerde beantragt.

5.1. Nachdem der VfGH im Verfahren der gegen das (Disziplinar-)Erkenntnis der OBDK vom 11. Mai 1987 erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte, beschloß der Kammerausschuß am 9. Juli 1987, den mit Bescheid vom 19. Mai 1987, Z1336/85, eingesetzten mittlerweiligen Stellvertreter seines Amtes zu entheben, und nahm die Wiedereintragung des Bf. in die Liste der Rechtsanwälte vor.

5.2. Der Bf. wurde sodann vom VfGH aufgefordert, sich gemäß §86 VerfGG zu äußern. Er erklärte hierauf:

"Ich betrachte mich hinsichtlich der Situation betreffend den Beschluß GZ 1336/85 klaglos gestellt, nicht jedoch hinsichtlich der eingebrachten Beschwerde gegen das Erkenntnis der OBDK vom 11.5.1987 Bkd 67/85.

Ebenso nicht, daß Herr RA Dr. J S bis zu dem nunmehr zugestellten Beschluß zum mittlerweiligen Stellvertreter bestellt wurde."

5.3. Ungeachtet der Widersprüchlichkeit dieser Erklärung ist das Verfahren über die Beschwerde gegen den Bescheid der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 19. Mai 1987 einzustellen, da dieser Verwaltungsakt seine Rechtswirksamkeit dadurch verloren hat, daß die mit diesem Beschluß in Vollziehung der verhängten Disziplinarstrafe erfolgte Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters aufgehoben, der mittlerweilige Stellvertreter seines Amtes enthoben und der Bf. in die Liste der Rechtsanwälte wieder eingetragen wurde. Damit ist der Gegenstand der gegen den Bescheid der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 19. Mai 1987 gerichteten Beschwerde weggefallen, was gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 10735/1985 und insbesondere VfSlg. 11124/1986) zur Einstellung des Beschwerdeverfahrens nach §86 VerfGG führt.

Der Beschluß hierüber wurde gemäß §19 Abs3 Z3 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt.

6. Über die - zulässige - Beschwerde gegen das Erkenntnis der OBDK vom 11. Mai 1987 hat der VfGH erwogen:

6.1. Die Beschwerde rügt zunächst, daß eine existenzvernichtende Strafe von einer Behörde verhängt werden könne, die zur Hälfte aus Berufskollegen zusammengesetzt sei; dies stehe mit Art6 MRK im Widerspruch. Der Bf. meint weiters, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Erwerbsausübung, weil durch die Streichung von der Liste der Rechtsanwälte seine Existenz vernichtet werde, zumal er auf Grund des sofortigen Wirksamwerdens des Berufsverbotes nicht einmal mehr in der Lage wäre, Fristen und übernommene Verpflichtungen auch nur vorläufig wahrzunehmen, sodaß auch in das Recht vollkommen unbeteiligter Klienten, zur Wahrung ihrer Rechte vertreten zu werden, eingegriffen werde; ein mittlerweiliger Stellvertreter sei nämlich nicht Vollmachtsträger und auch nicht berechtigt, in anhängige Rechtssachen einzutreten, soweit nicht ein neues unmittelbares Vollmachtsverhältnis zu ihm begründet werde. Der angefochtene Bescheid verletze ihn aber auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit zufolge einer denkunmöglichen Begründung. Was die Strafe der Streichung eines Rechtsanwaltes von der Liste betreffe, finde sich keine gesetzliche Bestimmung, die konkretisiere, unter welchen Voraussetzungen diese Strafe auszusprechen sei. Es sei nachweislich ein Anwalt trotz einer mehrjährigen Haftstrafe, die er in einer Strafanstalt zu verbüßen gehabt hatte, wieder in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen worden, ein anderer Anwalt, der rechtskräftig wegen Verleitung zur falschen Beweisaussage verurteilt wurde, habe nur ein zeitlich begrenztes Berufsausübungsverbot bekommen. Gegen ihn sei kein einziger Vorwurf erhoben worden, der auch nur zur Einleitung eines strafrechtlichen Vorverfahrens geführt hätte, geschweige denn zu einer auch noch so geringfügigen strafrechtlichen Verurteilung.

Dennoch habe die OBDK in seinem Fall die Rechtsansicht vertreten, daß seine Vertrauenswürdigkeit, die für die Eintragung in der Liste der Rechtsanwälte vorausgesetzt werde, nicht gegeben sei. Dazu komme, daß er hinsichtlich eines Faktums von der OBDK sogar freigesprochen worden sei und dem Schuldspruch nur Fakten zu Grunde lägen, die 1979 bis 1981 begangen worden seien und damit Jahre zurückliegen, und daß sich hinsichtlich seiner nachfolgenden Berufsausübung keine wie immer gearteten Vorwürfe ergeben hätten. Da er inzwischen jahrelang einwandfrei seinen Berufspflichten nachgekommen sei, liege dem angefochtenen Erkenntnis eine denkunmögliche Begründung zu Grunde.

6.2. Das angefochtene Erkenntnis der OBDK ist auszugsweise wiedergegeben - im wesentlichen wie folgt begründet:

"Das Gravierendste aller Fakten ist wohl die Verfassung der 92 UWG-Klagen, die der Beschuldigte Dr. M D schließlich beim Handelsgericht Wien eingebracht hat. An und für sich wäre das Einbringen dieser Klagen noch nicht disziplinär. Nach den Feststellungen des Disziplinarrates ..., gegen die keine Bedenken bestehen, bestand jedoch hier ein Zusammenspiel zwischen der I P Ges.m.b.H. und der G P Ges.m.b.H. Der Zweck der ganzen Klagen war ja, daß die beiden Gesellschafter nach den zum Zwecke des Abschlußes von Vergleichen erstatteten Vorschlägen immense Geldbeträge hätten erhalten sollen, auf die sie in dieser Höhe keinen Rechtsanspruch hatten. Es ist zwar richtig, daß die Gegenparteien durch Rechtsanwälte vertreten waren. Dem Beschuldigten ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Vergleichsvorschläge Behauptungen enthielten, die unrichtig waren. Dies hätte beim Beschuldigten von vorneherein Bedenken hervorrufen müssen. Denn es kann doch nicht die Klägerin, die in den vorerwähnten Causen ein Veröffentlichungsbegehren stellte schon vorher, bevor noch über die Klage nicht entschieden worden ist, eine Agentur mit Veröffentlichungen beauftragen, ohne daß es vorher zu einer Verurteilung der Beklagten gekommen ist. Nach dem Inhalt dieser Vergleichsvorschläge mußte sich der Beschuldigte darüber im Klaren sein, daß von den Beklagten Leistungen begehrt werden, auf die die Klägerin keinen Rechtsanspruch haben konnte. Der Beschuldigte kann sich auch nicht auf den Auftrag seines Mandanten Dkfm.S berufen, weil er Aufträge, die seinen Standesvorschriften widersprechen, hätte ablehnen müssen. Den Beschuldigten kann aber auch nicht entlasten, sollte ihm die Tragweite seines Handelns zunächst nicht richtig bewußt gewesen sein. Denn eine entsprechende Information, zu deren Einholung er verpflichtet gewesen wäre, hätte ihm das nötige Bewußtsein verschafft. Dem Beschuldigten ist daher auch bezüglich dieses Faktums eine besonders gravierende Verletzung der grundlegendsten Pflichten eines Rechtsanwaltes anzulasten.

...

Trotz des Freispruches in ... einem Faktum ist die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission der Meinung, daß der Strafberufung des Kammeranwaltes im Falle des Beschuldigten Dr. D Folge zu geben ist. Es liegt hier eine sonst kaum vorkommende Häufung von disziplinären Vergehen vor. Besonders die Verfassung der 92 UWG-Klagen, die vom Beschuldigten eingebracht worden sind, ist sehr gravierend. Auch die übrigen Disziplinardelikte lassen erkennen, daß der Beschuldigte nur auf seinen persönlichen Vorteil bedacht war, nicht aber die Interessen seiner Klienten entsprechend wahrgenommen hat. Diese Momente sind so gravierend, wobei eine große Anzahl von Disziplinarvergehen sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als schwere Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu qualifizieren sind. Außerdem ist der Beschuldigte Dr. D schon disziplinär vorbestraft, sodaß die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission im Gegensatz zur Meinung des Disziplinarrates der Ansicht ist, daß im vorliegenden Fall trotz der nunmehrigen Einsicht des Beschuldigten Dr. D, schwere Fehler begangen zu haben, mit der vom Kammeranwalt beantragten Strafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte vorzugehen ist."

6.3.1. Dem Bf. ist beizupflichten, daß auch im Bereich des Disziplinarrechtes eine Verurteilung nur durch eine Behörde erfolgen kann, die gemäß Art6 MRK als Tribunal zu qualifizieren ist, wenn die angedrohten Strafen in der Schwere des Übels annähernd Freiheitsstrafen gleichkommen, wenn nach der Natur der entsprechenden Sanktion kein Zweifel besteht, daß jener "Charakter einer Bestrafung beibehalten" wird, "durch den sich strafrechtliche Sanktionen gewöhnlich auszeichnen" (vgl. hiezu VfSlg. 11506/1987, verweisend auf EGMR, Fall Öztürk, EuGRZ 1985, 67). Im zitierten Erkenntnis hat der VfGH auch ausgesprochen, daß eine Disziplinarbehörde, die befugt ist, die zeitliche oder dauernde Entziehung des Rechtes zur Leitung einer Apotheke auszusprechen, als Tribunal organisiert sein muß. Gleiches ist für die OBDK als Oberste Disziplinarbehörde für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter zu folgern, weil §12 Abs1 litc DSt das Verbot der Ausübung der Rechtsanwaltschaft bis zur Dauer eines Jahres und litd leg. cit. die Streichung von der Liste und damit ein dauerndes Berufsverbot vorsieht (daran ändert nichts, daß nach §14 DSt ein Rechtsanwalt, der von der Liste gestrichen worden ist, nach Ablauf von drei Jahren neuerlich um Eintragung in die Liste ansuchen kann, was jedoch bei Vertrauensunwürdigkeit von jeder Kammer zu verweigern ist). Der VfGH hegt jedoch keinen Zweifel, daß es sich bei der OBDK um ein Tribunal im Sinne des Art6 MRK handelt. Die OBDK setzt sich gemäß §55a DSt aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und aus mindestens acht und höchstens sechzehn beim Obersten Gerichtshof tätigen Richtern und aus sechzehn Rechtsanwälten (Anwaltsrichtern) zusammen; sie entscheidet gemäß §55d DSt in Senaten. Die (Berufs-)Richter werden vom Bundesminister für Justiz auf die Dauer von drei Jahren ernannt, die Anwaltsrichter von den Rechtsanwaltskammern für drei Jahre gewählt. Die der OBDK angehörenden Rechtsanwälte unterstehen wegen Pflichtverletzungen, die ihnen in Ausübung dieser Tätigkeit zur Last fallen, (ausschließlich) der Disziplinargewalt der OBDK (§55e Abs4 DSt). Eine vorzeitige Abberufung von Mitgliedern der OBDK ist dem Gesetz fremd. Nach §55e Abs1 DSt sind die Mitglieder der OBDK in Ausübung dieser Tätigkeit an keine Weisungen gebunden. Die Entscheidungen der OBDK unterliegen auch nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der OBDK steht eine umfassende Prüfungsbefugnis zu, sie kann sowohl die Tat- und Rechtsfragen als auch die Beweiswürdigung überprüfen, aber auch in der Sache selbst Beweise erheben und entscheiden. Keine Umstände sprechen gegen die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder; eine Versetzbarkeit kommt sowohl für die Anwaltsrichter als auch für die richterlichen Mitglieder der OBDK schon der Sache nach nicht in Frage. Auch die Begrenzung der Bestellungsdauer auf drei Jahre ist unbedenklich (vgl. VfSlg. 8317/1978, 8501/1979).

Der VfGH hegt somit keine Bedenken an der Tribunalqualität der OBDK. Was die vom Bf. kritisierte Mitwirkung von Anwaltsrichtern betrifft, hat der VfGH bereits mit Erkenntnis VfSlg. 7262/1974 unter Berufung auf Vorjudikatur dargelegt, daß er hiegegen verfassungsrechtliche Bedenken nicht hegt.

6.3.2. Aber auch gegen die materiell-rechtlichen Bestimmungen, auf die sich der angefochtene Bescheid stützt, hegt der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. hiezu VfSlg. 5238/1966, 7494/1975, VfGH 27.9.1982 B648/81 und sinngemäß - VfSlg. 11302/1987 und 11352/1987). Wenn sich der VfGH in der eben zitierten Rechtsprechung auch bisher nur mit §12 Abs1 lita bis c DSt befaßt und ausgesagt hat, daß er verfassungsrechtliche Bedenken nicht hegt, gilt gleiches hinsichtlich der litd leg. cit. Soweit der Bf. dieser Bestimmung entgegenhält, es finde sich keine Regelung, nach welchen objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen sei, wann mit einer Streichung von der Liste der Rechtsanwälte vorzugehen ist, übersieht er §12 Abs2 DSt, der festlegt, nach welchen Kriterien die Strafbemessung zu erfolgen hat.

Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen würde der angefochtene Bescheid gegen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte somit nur dann verstoßen, wenn die in Rede stehenden Rechtsgrundlagen denkunmöglich oder aus anderen Gründen - insbesondere wegen Willkür - verfassungswidrig angewendet worden wären. All dies trifft hier jedoch nicht zu.

Man braucht nur zu bedenken, daß - wie bereits im Disziplinarerkenntnis erster Instanz dargelegt - die in den 92 UWG-Prozessen gemachten Vergleichsvorschläge, wenn sie angenommen worden wären, den nach den unbedenklichen Feststellungen im wirtschaftlichen Eigentum des Dkfm. S stehenden Firmen I P Ges.m.b.H. und G P Ges.m.b.H. unberechtigte Vermögensvorteile in Höhe vieler Millionen Schilling (im Disziplinarerkenntnis erster Instanz wurde der potentielle Erlös mit S 64,400.000,-errechnet) eingebracht hätten. Im Erkenntnis ist auch eingehend begründet, daß der Bf., der mit Dkfm. S seit vielen Jahren befreundet ist, bei der Mitwirkung an den in Rede stehenden Transaktionen in voller Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Vorgehens war, was in der vorliegenden Beschwerde auch gar nicht bestritten wird; daher ist es keinesfalls unvertretbar, daß die bel. Beh. trotz des Freispruches des Bf. zu einem anderen Faktum dennoch, auch im Hinblick auf die Vielzahl weiterer Disziplinardelikte, die Gegenstand des angefochtenen Bescheides sind, und im Hinblick auf den Umstand, daß der Bf. schon disziplinär vorbestraft war, die Streichung von der Liste der Rechtsanwälte verhängte. Ob das Gesetz damit richtig angewendet wurde, hat der VfGH dabei nicht zu prüfen.

Nach dem Gesagten kann der bel. Beh. auch Willkür offenkundig nicht angelastet werden. Ein solcher Verfassungsverstoß könnte der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt hätte oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften im Widerspruch stünde (zB VfSlg. 10337/1985). Daß die bel. Beh. das Gesetz vertretbar angewendet hat, wurde bereits dargelegt. Aber auch von einer unsachlichen Benachteiligung des Bf. kann keine Rede sein.

Soweit der Bf. sich schließlich darauf beruft, nachweisen zu können, daß in einem Disziplinarfall trotz einer strafgerichtlichen Verurteilung die Strafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte nicht verhängt worden sei und in einem anderen Fall sogar nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe die Wiedereintragung als Rechtsanwalt bewilligt worden sei, kann für ihn daraus nichts gewonnen werden; denn selbst wenn in anderen Rechtssachen gesetzwidrig verfahren worden sein sollte, könnte ein solches Vorgehen dem Bf. kein Recht auf ein gleiches behördliches Fehlverhalten einräumen (vgl. zB VfSlg. 6992/1973, 7962/1976, 9169/1981).

6.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Disziplinarrecht Rechtsanwälte, VfGH / Gegenstandslosigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B576.1987

Dokumentnummer

JFT_10128874_87B00576_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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