TE Vfgh Erkenntnis 2006/10/13 B329/06

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Veröffentlicht am 13.10.2006
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
StbG 1985 §10, §11

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines islamischen Religionslehrers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Erstreckung der Verleihung auf seine Ehefrau und die drei minderjährigen Kinder wegen "erheblicher Integrationsdefizite" des Antragstellers; keine ausreichende Interessenabwägung bei Ausübung des im Staatsbürgerschaftsgesetz eingeräumten Ermessens, keine ausreichende und nachvollziehbare Begründung des Ergebnisses der Ermessenausübung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Kärnten ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.880,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Erstbeschwerdeführer lebt seit dem Jahr 1990 in Österreich; seine erste Beschäftigung nahm er im Mai 1990 in Graz auf. Seit 22. April 1993 ist er als islamischer Religionslehrer beschäftigt; darüber hinaus betreut er seit dem Jahr 2002 unentgeltlich in der Justizanstalt Klagenfurt inhaftierte Insassen mit islamischem Glaubensbekenntnis. Der Erstbeschwerdeführer verfügt seit 29. Mai 2000 über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung. Am 8. März 2005 stellte er einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft; gleichzeitig ersuchte er um Erstreckung der Verleihung auf seine Ehefrau (Zweitbeschwerdeführerin) sowie auf ihre drei gemeinsamen Kinder (Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer).

2. Mit Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 9. Februar 2006 wurde der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Erstreckung der Verleihung auf seine Ehefrau und die drei minderjährigen Kinder gemäß §§10 Abs1, 11, 16, 17, 18 iVm §39 Staatsbürgerschaftgesetz 1985, BGBl. I Nr. 311/1985 idF vor

BGBl. I Nr. 37/2006, abgewiesen.

2.1. In der Begründung des Bescheides wird zunächst dargelegt, weshalb seitens der Kärntner Landesregierung "Erhebungen" an Schulen vorgenommen wurden, an denen der Erstbeschwerdeführer unterrichtet hat. Mit Schreiben der Kärntner Landesregierung vom 11. Jänner 2006 wurde dem Erstbeschwerdeführer mitgeteilt, "dass die Staatsbürgerschaftsbehörde an seiner nachhaltigen persönlichen Integration Zweifel erhebe." Wörtlich führte sie im Bescheid dazu Folgendes aus:

"... Unmissverständlich wurde hervorgehoben, dass trotz eines 15-jährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet es der Antragsteller in wesentlichen Bereichen nicht geschafft habe, sich an die Sitten und Gebräuche des ihn beherbergenden Gastlandes anzupassen. Ein besonderes Integrationsdefizit wurde in dem Umstand erblickt, dass die Kommunikation mit ihm, insbesondere jene mit Dienstvorgesetzten, Kolleginnen sowie mit Frauen überhaupt sich sehr schwierig gestalte, teilweise von ihm überhaupt abgelehnt werde und er darüber hinaus nicht einmal bereit sei, Frauen mit dem Ausdruck des Händereichens den Gruß zu erwidern. Angesichts der dargelegten Umstände würde das Gesamtbild nicht so einwandfrei erscheinen, dass die Wahrung des öffentliches Wohls und der öffentlichen Interessen im Falle einer Einbürgerung gewährleistet wären.

Wie die Staatsbürgerschaftsbehörde abschließend mitgeteilt hat, sei nach ihrer Ansicht die persönliche Integration nicht in ausreichendem Maße gegeben bzw. abgeschlossen, sodass einer Verleihung der österr. Staatsbürgerschaft nicht näher getreten werden könne."

2.2. In seiner Stellungnahme vom 13. Jänner 2006 trat der Erstbeschwerdeführer den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens mit dem Bemerken entgegen, dass angesichts der Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft bestehe, weshalb der Behörde bei ihrer Entscheidung kein Ermessensspielraum zustehe. Die belangte Behörde gelangte im angefochtenen Bescheid demgegenüber zu folgender Auffassung:

"Dass auch gegenwärtig zahlreiche Anhaltspunkte dafür sprechen, das Verhalten des Staatsbürgerschaftswerbers orientiere sich nicht an den gesellschaftlichen und kulturellen Grundwerten Österreichs sowie eines europäisch demokratischen Staates und seiner Gesellschaft, beweisen Aussagen von Schulleitern. Auszugsweise wurden Passagen aus Stellungnahmen wie folgt wiedergegeben:

'Die Schulleitung stellt fest, dass das Arbeitsverhältnis ein schwieriges war. Das hat sich nicht nur mit den Kollegen und der Schulleitung schwierig gestaltet, sondern auch mit Schülern und Eltern gab es laufend Probleme bezüglich seiner extremen Einstellung und radikalen Unterrichtsgestaltung.'

...'auf die bei uns üblichen Umgangsformen einzustellen, war nicht gegeben. Er grüßte die Lehrerinnen nicht und gab auch mir nicht die hingereichte Hand'...

...'ist eine vollkommen unakzeptable Haltung zu Frauen/Schülerinnen sowie die Sichtweise zur Stellung der Frau in unserer Gesellschaft'.

Somit ist nach Ansicht der Behörde insbesondere die Anpassung an übliche Umgangsformen (Grüßen, Händereichen) nicht nachgewiesen.

Wenn A. im Rahmen des Parteiengehörs Gegenteiliges behauptet und durch diverse Stellungnahmen auch zu belegen versucht, so ändert dies nichts an den Feststellungen der Staatsbürgerschaftsbehörde, dass erhebliche Integrationsdefizite existieren.

Die Staatsbürgerschaftsbehörde kommt im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zur Auffassung, dass das Gesamtbild des Bewerbers nicht so einwandfrei ist, dass die Wahrung des öffentlichen Wohles und der öffentlichen Interessen im Fall einer Einbürgerung gewährleistet wären.

...

Da auch die Erstreckung der Staatsbürgerschaft nur in Verbindung mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Hauptantragsteller möglich ist, konnten auch die Erstreckungsanträge nicht positiv berücksichtigt werden."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

3.1. Begründend wird im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

"Der Erstbeschwerdeführer hat, nachdem ihm mit Schreiben vom 07.10.2005 der belangten Behörde mitgeteilt wurde, dass Erhebungen vorgenommen werden würden, welche die bejahende Einstellung zur Republik Österreich und Beachtung seiner Gesetze zum Inhalt haben, zahlreiche Bestätigungen und Stellungnahme[n] von Schulen, an denen er als islamischer Religionslehrer tätig war, und von Kollegen aus der Lehrerschaft vorgelegt, die ihm übereinstimmend bestätigten, dass er den Religionsunterricht korrekt und pflichtbewusst gehalten hat und auch zwischen ihm und den jeweiligen Kollegen und Schulleitungen gutes Einvernehmen geherrscht hat. Mit diesen Beurteilungen stimmt auch die ebenfalls der belangten Behörde vorgelegte Bestätigung der Leitung der Justizanstalt Klagenfurt vom 20.10.2005 überein, die dem Erstbeschwerdeführer desgleichen bescheinigt, dass er die in der Justizanstalt Klagenfurt inhaftierten Insassen mit islamischem Glaubensbekenntnis zur vollsten Zufriedenheit betreut hat.

...

Die belangte Behörde hat gegenüber diesem ausführlichen durch konkrete Beweise untermauerten Vorbringen des Erstbeschwerdeführers im angefochtenen Bescheid nur 3 Schreiben, nämlich das Schreiben des geschäftsführenden Präsidenten des Landesschulrats für Kärnten vom 20.11.1998, das Schreiben des amtsführenden Präsidenten des Landesschulrates für Kärnten vom 19.09.2001 sowie das Schreiben des obersten Rates der islamischen Glaubensgemeinschaft vom 17.10.2001 zum Beweis für das von ihr dem Erstbeschwerdeführer vorgeworfene Integrationsdefizit vorgelegt. In diesen Schreiben werden jedoch nur allgemein gehaltene Vorwürfe gegen den Erstbeschwerdeführer erhoben und Vorfälle angeführt, ohne jedoch die jeweilige Beweisquelle (Name von Zeugen, Datum des von der Behörde ihrer Sachverhaltsfeststellung zugrundegelegten Vorfalles) bekanntzugeben."

3.2. Wörtlich wird in der Beschwerde weiters ausgeführt:

"Die belangte Behörde hat entgegen dieser klaren und eindeutigen Rechtslage für sich dennoch ein ihr im vorliegenden Fall überhaupt nicht zustehendes Ermessen unter Berufung auf §11 StbG 1985 in Anspruch genommen. Gemäß der Bestimmung des §11 StbG 1985 hat sich die Behörde unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in §10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das öffentliche Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration leiten zu lassen. Die belangte Behörde hat nun ihren abweisenden Bescheid ausschließlich damit zu begründen versucht, dass sie das ihr eingeräumte Ermessen nicht zugunsten des Erstbeschwerdeführers ausüben könne, da das Gesamtbild des Bewerbers nicht so einwandfrei sei, dass die Wahrung des öffentlichen Wohles und der öffentlichen Interessen gewährleistet wären. Nun hat sich aber der Erstbeschwerdeführer während seines gesamten nunmehr schon 16 Jahre dauernden Aufenthaltes in Österreich nie etwas zu Schulden kommen lassen und immer gesetzeskonform verhalten. Er ist somit unbescholten.

Allein schon aus diesem Grund hat die belangte Behörde das ihr im gegenständlichen Fall ohnehin nicht zustehende Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes ausgeübt, zumal sie selbst dem Erstbeschwerdeführer keinerlei strafbares Verhalten vorwirft, sondern lediglich auf ein arbeitsgerichtliches Kündigungsverfahren gegen den Erstbeschwerdeführer aus dem Jahre 1998 hinweist. Das diesbezügliche Verfahren hat aber nicht mit einer Entlassung des Erstbeschwerdeführers aus dem Schuldienst geendet, sondern auf Grund eines Vergleichs zwischen dem Erstbeschwerdeführer und seiner Dienstbehörde, der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, wurde das Dienstverhältnis wieder mit Wirkung vom 15.09.1999 uneingeschränkt aufgenommen, (...).

...

Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde den Antrag des Erstbeschwerdeführers in Wirklichkeit einzig und allein aus dem Grund abgewiesen, weil sie dem Erstbeschwerdeführer erhebliche Integrationsdefizite in Österreich vorwirft. Dabei geht die belangte Behörde von einem Integrationsverständnis aus, das nicht im Sinne des Gesetzes ist. Es ist zwar an sich richtig, dass der Gesetzgeber die Integration des Fremden, der um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ansucht, verlangt. Er versteht dabei jedoch unter 'Integration' die Möglichkeit selbständig im österreichischen Kulturkreis leben zu können, keinesfalls aber die Assimilation des Fremden in die österreichische Kultur und Gesellschaft."

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Die für den vorliegenden Beschwerdefall maßgeblichen §§10, 10a, 11, 16, 17, 18 und 39 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. I Nr. 311/1985 idF vor BGBl. I Nr. 37/2006, (im Folgenden: StbG 1985) lauteten wie folgt:

"Verleihung

§10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1.

er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;

2.

er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrundeliegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3.

er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist;

4.

gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5.

gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht und auch kein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;

6.

er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art8 Abs2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7.

sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder ihn an seiner finanziellen Notlage kein Verschulden trifft und

8.

er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde.

(2) Eine gemäß Abs1 Z2 oder 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie in Strafregisterauskünfte an die Behörde nicht aufgenommen werden darf. Eine gemäß Abs1 Z2 oder 3 maßgebliche Verurteilung liegt vor, wenn sie wegen einer Jugendstraftat erfolgt.

(3) Einem Fremden, der eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, darf die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden, wenn er

1.

die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen unterläßt, obwohl ihm diese möglich und zumutbar sind oder

2.

auf Grund seines Antrages oder auf andere Weise absichtlich die Beibehaltung seiner bisherigen Staatsangehörigkeit erwirkt.

(4) Von der Voraussetzung des Abs1 Z1 kann abgesehen werden

1.

aus besonders berücksichtigungswürdigem Grund, sofern es sich um einen Minderjährigen, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handelt, der seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, es sei denn, es wäre in Abs5 hinsichtlich dieser Wohnsitzdauer anderes vorgesehen;

2.

bei einem Fremden, der vor dem 9. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie hatte oder staatenlos war, seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hatte und sich damals deshalb in das Ausland begeben hat, weil er Verfolgung durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Einsatzes für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche mit Grund zu befürchten hatte.

(5) Als besonders berücksichtigungswürdiger Grund (Abs4 Z1) gilt insbesondere

1.

der Verlust der Staatsbürgerschaft anders als durch Entziehung (§§33 und 34) oder

2.

bereits erbrachte und zu erwartende besondere Leistungen auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet oder

3.

der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration oder

4.

die Gewährung von Asyl nach dem Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, einschließlich der Asylberechtigung (§44 Abs6 AsylG) nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder

5.

der Besitz der Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), BGBl. Nr. 909/1993, nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder

              6.              die Geburt im Bundesgebiet.

(6) (Verfassungsbestimmung) Die Voraussetzungen des Abs1 Z1 und 7 sowie des Abs3 entfallen, wenn die Bundesregierung bestätigt, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen der vom Fremden bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden außerordentlichen Leistungen im besonderen Interesse der Republik liegt."

"§10a. Voraussetzungen jeglicher Verleihung sind unter Bedachtnahme auf die Lebensumstände des Fremden jedenfalls entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache."

"§11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in §10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen."

"§16. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an einen Fremden ist unter den Voraussetzungen des §10 Abs1 Z2 bis 8 und Abs3 auf seinen mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu erstrecken, wenn

1.

die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist;

2.

er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach §33 Fremder ist und

              3. a)              die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder

              b)              die Ehe seit mindestens fünf Jahren aufrecht ist.

(2) Das Fehlen der Voraussetzungen nach Abs1 Z3 und §10 Abs3 steht der Erstreckung nicht entgegen, wenn die Staatsbürgerschaft nach §10 Abs6 verliehen wird."

"§17. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist unter den Voraussetzungen des §10 Abs1 Z2 bis 8 und Abs3 zu erstrecken auf

1. die ehelichen Kinder des Fremden,

2. die unehelichen Kinder der Frau,

3. die unehelichen Kinder des Mannes, wenn seine Vaterschaft festgestellt oder anerkannt ist und ihm die Pflege und Erziehung der Kinder zustehen,

              4.              die Wahlkinder des Fremden,

sofern die Kinder minderjährig, ledig und nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach §33 Fremde sind.

(2) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist unter den Voraussetzungen des §10 Abs3 weiters auf die unehelichen Kinder der im Abs1 genannten Nachkommen zu erstrecken, soweit letztere weiblichen Geschlechtes sind und die Verleihung der Staatsbürgerschaft auf sie erstreckt wird.

(3) Die Voraussetzung der Minderjährigkeit entfällt bei einem behinderten Kind, wenn die Behinderung erheblich ist und das Kind mit dem für die Erstreckung der Verleihung maßgebenden Elternteil im gemeinsamen Haushalt lebt oder diesem die Sorgepflicht für das Kind obliegt und er seiner Unterhaltspflicht nachkommt. Als erheblich behindert im Sinne dieser Bestimmung gelten Personen, die infolge eines Leidens oder Gebrechens in ihrer körperlichen oder geistigen Fähigkeit so wesentlich beeinträchtigt sind, daß sie einer besonderen Pflege oder eines besonderen Unterhaltsaufwandes bedürfen und voraussichtlich dauernd nicht fähig sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die erhebliche Behinderung ist durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes nachzuweisen.

(4) Das Fehlen der Voraussetzung nach §10 Abs3 steht der Erstreckung nicht entgegen, wenn die Staatsbürgerschaft nach §10 Abs6 verliehen wird."

"§18. Die Erstreckung der Verleihung darf nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbszeitpunkt verfügt werden."

"ABSCHNITT IV

BEHÖRDEN UND VERFAHREN

§39. (1) Zur Erlassung von Bescheiden in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft ist unbeschadet des §41 die Landesregierung zuständig.

(2) Örtlich zuständig ist jene Landesregierung, in deren Bereich die Person, auf die sich der Bescheid bezieht, ihren Hauptwohnsitz hat, sonst die Landesregierung, in deren Bereich die Evidenzstelle (§49 Abs2) liegt. Die Zuständigkeit zur Erstreckung der Verleihung richtet sich nach der Zuständigkeit zur Verleihung der Staatsbürgerschaft."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften wurden in der Beschwerde nicht geltend gemacht. Beim Verfassungsgerichthof sind solche Bedenken angesichts des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn er auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

3. Ein derartiger - in die Verfassungssphäre reichender - Fehler ist der belangten Behörde im vorliegenden Fall vorzuwerfen:

3.1. Gemäß §10 Abs1 StbG 1985 kann einem Fremden die (österreichische) Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat (Z1) und kein Einbürgerungshindernis nach den Z2 bis 8 vorliegt. Auf die Einbürgerung nach dieser Gesetzesbestimmung besteht kein Rechtsanspruch. Es steht vielmehr (wenn kein Einbürgerungshindernis gegeben ist) im Ermessen der Behörde, dem Ansuchen zu entsprechen oder nicht. Die negative Entscheidung muss jedoch ausreichend iSd Art130 Abs2 B-VG begründet sein (vgl. zB VfSlg. 14.516/1996 mwN).

Die Behörde hat sich gemäß §11 StbG 1985 bei Ausübung des ihr in §10 StbG 1985 eingeräumten Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen.

3.2. Die Staatsbürgerschaftsbehörde hat das Ergebnis ihrer Ermessensausübung nachvollziehbar zu begründen und darzulegen, weshalb sie bestimmten - in die Interessenabwägung einfließenden - Aspekten entscheidendes Gewicht beimisst.

Die Abweisung des Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird im bekämpften Bescheid vor allem damit begründet, dass das - anhand einer Stellungnahme der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich aus dem Jahr 2001 und Aussagen von Schulleitern beurteilte - Verhalten des Erstbeschwerdeführers "sich nicht an den gesellschaftlichen und kulturellen Grundwerten Österreichs sowie eines europäisch demokratischen Staates (orientiere)"; daraus sei zu schließen, dass das Gesamtbild des Erstbeschwerdeführers "nicht so einwandfrei ist, dass die Wahrung des öffentlichen Wohles und der öffentlichen Interessen im Fall einer Einbürgerung gewährleistet" wäre, zumal "erhebliche Integrationsdefizite" bestünden.

4.1. Vorerst ist festzuhalten, dass §11 StbG 1985 entnommen werden kann, dass die Interessen des Einbürgerungswerbers an einer positiven Erledigung seines Antrages gegen die dagegen sprechenden vffentlichen Interessen abzuwägen sind; aus §11 leg. cit. ist hingegen nicht abzuleiten, dass ein öffentliches Interesse an der Verleihung der Staatsbürgerschaft bestehen muss.

Das Gesetz räumt der Behörde bei Beurteilung dieser Frage zwar einen Spielraum ein; allerdings ist es - angesichts der Eigenart der vom Gesetz verwendeten (auslegungsbedürftigen) Begriffe, die sensible Bewertungen verlangen (arg.: "das Ausmaß der Integration" in §11 StbG 1985) - erforderlich, eine sorgfältige Interessenabwägung vorzunehmen und das Ergebnis der Ermessensausübung ausreichend und nachvollziehbar zu begründen.

4.2. Die Bescheidbegründung der Kärntner Landesregierung ist aber ungeeignet, eine derartige Interessenabwägung nachvollziehbar darzutun. Die Behörde hat sich nämlich damit begnügt, - einseitig ausgewählte - Stellungnahmen von Schulleitern und ehemaligen Kollegen des Erstbeschwerdeführers, wonach er etwa eine "Anpassung an übliche Umgangsformen (Grüßen, Händereichen)" vermissen lasse, ihrer Beurteilung zugrunde zu legen und daraus geschlossen, "dass erhebliche Integrationsdefizite existieren". In diesem Sinne hat die Behörde auch der Kündigung seines Dienstverhältnisses im Jahr 1998, Behauptungen über angebliche Aussagen zu den Ereignissen am 11. September 2001 sowie der Auffassung der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, wonach das Verhalten des Staatsbürgerschaftswerbers ihren Interessen und dem islamischen Religionsunterricht abträglich sei, die entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen, dass "mehr als begründete Zweifel an der persönlichen Integration" des Erstbeschwerdeführers bestehen.

Demgegenüber hat der Erstbeschwerdeführer geltend gemacht, dass er seit über 15 Jahren im Bundesgebiet lebe und Bestätigungen verschiedener Schulen bzw. Schulleiter betreffend die korrekte und pflichtbewusste Abhaltung des Religionsunterrichts sowie das Bestehen eines guten Einvernehmens zwischen dem Erstbeschwerdeführer und seinen Kollegen sowie der Schulleitung vorgelegt habe; auch seien etwa Stellungnahmen der Justizanstalt Klagenfurt, wo er Insassen mit islamischem Glaubensbekenntnis betreut habe sowie eine Einladung zur Veranstaltung "Dialog der Kulturen und Religionen" am 23. April 2003 durch den Landeshauptmann von Kärnten durchaus geeignet, die gegen den Erstbeschwerdeführer erhobenen Anschuldigungen zu entkräften. Anhand des Verhaltens und der Aktivitäten des Erstbeschwerdeführers ergebe sich, dass er eine bejahende Einstellung zur Republik Österreich aufweise und ihm keine antidemokratische Gesinnung vorgeworfen werden könne. Vielmehr habe er sich während seines gesamten Aufenthalts in Österreich gesetzeskonform verhalten.

Diesem Vorbringen hat die Kärntner Landesregierung im angefochtenen Bescheid lediglich Folgendes entgegnet:

"Wenn A. im Rahmen des Parteiengehörs Gegenteiliges behauptet und durch diverse Stellungnahmen auch zu belegen versucht, so ändert dies nichts an den Feststellungen der Staatsbürgerschaftsbehörde, dass erhebliche Integrationsdefizite existieren."

4.3. Diese rudimentäre Begründung entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die belangte Behörde hat es verabsäumt, auch auf jene Gründe einzugehen, die für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sprechen würden.

Die Kärntner Landesregierung hat es sohin unterlassen, die Interessen des Erstbeschwerdeführers an der Verleihung der Staatsbürgerschaft und die dagegen sprechenden öffentlichen Interessen einander gegenüberzustellen und dem größeren Gewicht der Argumente den Ausschlag geben zu lassen.

Die der Behörde unterlaufenen Fehler sind derart gravierend, dass ihr Willkür vorzuwerfen ist. Die Beschwerdeführer wurden dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

5. Der Bescheid war daher aufzuheben.

IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 450,-, Umsatzsteuer in Höhe von € 450,- sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Staatsbürgerschaftsrecht, Bescheidbegründung, Ermessen, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B329.2006

Dokumentnummer

JFT_09938987_06B00329_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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