TE Vfgh Erkenntnis 1987/11/27 B726/87

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Veröffentlicht am 27.11.1987
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44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZDG §2 Abs1

Leitsatz

Keine Einvernahme der Zeugen zum entscheidungswesentlichen Bereichsthema - Verletzung im durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen der Beschwerdevertreter die mit 11.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDOK), Senat 4, gab mit Ersatzbescheid vom 25. März 1987, Z139.705/5-ZDOK/4/87, - ihr erster Bescheid (vom 21. Feber 1986) war mit Erkenntnis des VfGH vom 28. November 1986, B526/86-6, aufgehoben worden - der Berufung des J R gegen den Bescheid der Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (ZDK), Senat 6, vom 26. Juli 1985, Z139.705/1-ZDK/6/85, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §66 Abs4 AVG 1950 (abermals) nicht Folge.

1.2.1. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde des J R an den VfGH; der Bf. beruft sich darin auf die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

1.2.2. Die ZDOK als bel. Beh. legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 Zivildienstgesetz, BGBl. 187/1974, wiederverlautbart mit BGBl. 679/1986 als Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, idF BGBl. 336/1987, besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1978, BGBl. 150, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig. Der VfGH vertritt in seiner mit VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung die Auffassung, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet (s. auch VfSlg. 9391/1982, 9785/1983, 9985/1984, 10021/1984, 10111/1984).

2.1.2. Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht bloß dann vor, wenn die Behörde die im §2 Abs1 ZDG umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt; sie ist - da sich der Schutzumfang des Grundrechtes auf die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebende Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) miterstreckt - auch dann gegeben, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit nimmt, das Zutreffen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (vgl. zB VfSlg. 8787/1980, 9362/1982, 9785/1983, 10247/1984, 10264/1984).

2.2.1. Ein derartiger Fall eines - bereits in die Verfassungssphäre reichenden - wesentlichen Mangels des Berufungsverfahrens ist hier gegeben: Der Bf. beantragte in seiner Berufungsschrift ganz offensichtlich zur Bescheinigung und Glaubhaftmachung der vorgetragenen Gewissensgründe die Einvernahme zweier Auskunftspersonen (C O, J R) und hielt diesen Beweisantrag auch in der Berufungsverhandlung unmißverständlich aufrecht (siehe Seite 2 des Verhandlungsprotokolls vom 25. März 1987).

In den Gründen des angefochtenen Bescheides führte die ZDOK dazu aus, die Befragung der beantragten Zeugen sei entbehrlich gewesen, weil das Beweisthema bloß die "jedem rechtschaffenen Menschen innewohnende natürliche Abneigung gegen den Krieg und gegen die Anwendung von Waffengewalt" betroffen habe. Nach der gesamten Aktenlage sollten die in Rede stehenden Zeugen aber unverkennbar über Umstände vernommen werden, die für die Prüfung der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen iSd §2 ZDG entscheidend sind, nämlich (auch) über die Glaubhaftigkeit jener - nach Auffassung der ZDOK selbst - tauglichen Gewissensgründe, die der Berufungswerber im Administrativverfahren geltend gemacht hatte.

Darüber durfte sich die ZDOK nicht mit der von ihr gewählten Begründung hinwegsetzen.

Insgesamt handelt es sich hier also jedenfalls um eine besonders gravierende Beeinträchtigung der Parteirechte des Bf., der im Verfahren vor dem VfGH zutreffend sinngemäß einwendet, daß solcherart die ihm obliegende Glaubhaftmachung der Gewissensgründe nicht nur in hohem Maß erschwert, sondern der Sache nach geradezu unmöglich wurde (vgl. dazu: VfSlg. 10472/1985, 11337/1987).

2.2.2. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die bel. Beh. den Bf. - allein schon aus den zu Punkt 2.2.1. ersichtlichen Erwägungen - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzte, sodaß der angefochtene Bescheid als verfassungswidrig aufzuheben war.

Bei diesem Ergebnis erübrigte es sich, auf das sonstige Beschwerdevorbringen weiter einzugehen.

3.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 1.000 S auf die Umsatzsteuer.

3.2. Da die in dieser Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits genügend klargestellt sind, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B726.1987

Dokumentnummer

JFT_10128873_87B00726_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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