TE Vwgh Erkenntnis 1990/7/2 90/19/0084

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Veröffentlicht am 02.07.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
VStG §44a lita;
VStG §51 Abs4;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;
VStG §9 Abs6;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

N gegen Landeshauptmann von Niederösterreich vom 3. Mai 1989, Zl. VII/1-V-1085/9/1-88, betreffend Übertretungen des Arbeitsruhegesetzes

Spruch

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Nichtstattgebung des Ansuchens um Nachsicht der Strafe richtet;

2. Im übrigen wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 25. April 1988 wurde der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretungen nach § 27 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 des Arbeitsruhegesetzes bestraft, weil er am 28. Februar 1987 (Samstag) als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der D-AG mit dem Sitz in X, in der Filiale Wien 14, E-Gasse n, 47 namentlich angeführten Arbeitnehmern die gesetzliche Wochenendruhe ab 13.00 Uhr insofern nicht gewährt habe, als diese um 15.10 Uhr mit Inventurarbeiten beschäftigt worden seien. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung und stellte gleichzeitig auch ein Ansuchen um Nachsicht der Strafe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Berufung gemäß § 51 VStG 1950 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt. Dem gleichzeitig eingebrachten Ansuchen um Nachsicht der Strafe wurde nicht stattgegeben. In der Begründung wurde unter anderem "zur Verantwortlichkeit" folgendes ausgeführt:

"Normadressaten der Strafbestimmung des ARG sind Arbeitgeber oder deren gesetzliche Vertreter. Verantwortlich für die Inventuranordnung und der damit im Zusammenhang stehenden Verletzungen von arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen ist der BW als ressortverantwortlicher Vorstandsdirektor. Weshalb auch nicht zu prüfen ist, ob die Bestellung eines weiteren verantwortlichen Beauftragten in rechtswirksamer Weise erfolgt ist, zumal auch diese Bestellung durch die Verpflichtung, betriebsintern Anweisungen zu befolgen, eine Einschränkung und im gegenständlichen Fall eine Aufhebung der Befugnisse darstellt. Überdies bleiben im Sinne des § 9 Abs. 6 die zur Vertretung nach außen berufenen Personen trotz der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten strafrechtlich verantwortlich, wenn sie die Tat vorsätzlich nicht verhindert haben.

Als gesetzlicher Vertreter des Arbeitgebers war der BW verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Wochenendruhe durch den Arbeitnehmer zu ermöglichen, sie zu überprüfen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Wochenendruhe sicherzustellen (vgl. VwGH-Erkenntnis vom 12. Dezember 1984, Zl. 82/11/0380). Daß es bei solchen Inventuren immer wieder zu Übertretungen nach dem ARG gekommen ist und kommen mußte, war dem BW bekannt. Trotzdem setzte er nicht die erforderlichen (beweisbaren) Maßnahmen, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Wochenendruhe ermöglichten bzw. gewährleisteten, sondern kündigte solche erst für die Zukunft (neue Inventuranordnung) an.

Allgemein gehaltene Weisungen, gesetzliche Bestimmungen seien einzuhalten oder die behaupteten stichprobenmäßigen Kontrollen reichen bei weitem nicht aus, um die o.a. Verpflichtung des Arbeitgebers (gesetzlichen Vertreters) zu erfüllen. Zu diesen "sonstigen Maßnahmen" hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 6. Dezember 1983, Zl. 11/2999/80, ausführlich Stellung genommen (vgl. auch sein Erkenntnis vom 12. Dezember 1984, Zl. 82/11/0380). Außer der Behauptung des BW, es sei von der Firmenleitung aus die Anweisung erteilt worden, daß Inventurarbeiten, die nicht bis Samstag 13.00 Uhr abgeschlossen werden könnten, am Montag fortgesetzt werden müßten, ist der Behörde nichts bekannt geworden. Aus diesem Grund ist es der Behörde nicht möglich festzustellen, ob diese Anordnung ausgereicht hätte, um als eine der erforderlichen "sonstigen Maßnahmen" gelten zu können."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Mit Beschluß vom 26. September 1989, B 377-380/89 und Folgezahlen, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid in seinem gesamten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 19. November 1987, Zlen. 87/08/0176-0229, und die dort angeführte Vorjudikatur) ist eine Beschwerde des Bestraften, die sich gegen die Versagung des Gnadenrechtes gemäß § 51 Abs. 4 VStG 1950 richtet, unzulässig. Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Nichtstattgebung des Ansuchens um Nachsicht der Strafe richtet.

Bezüglich der mit dem angefochtenen Bescheid getroffenen Entscheidung über die Berufung weist der Beschwerdeführer

-

unter anderem - auf die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten "gemäß § 9 VStG" in der Person des Filialleiters hin. Diesem Vorbringen kommt insofern Berechtigung zu, weil der zur Vertretung einer juristischen Person oder Personengemeinschaft ohne Rechtspersönlichkeit nach außen Berufene gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1950 für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften, sofern diese nichts anderes bestimmen, (nur) strafrechtlich verantwortlich ist, soweit nicht verantwortliche Beauftragte im Sinne des § 9 Abs. 2 und 4 leg. cit. bestimmt sind. Ein als Beschuldigter verfolgter, zur Vertretung nach außen Berufener kann sich aber nur dann auf eine derartige Bestellung berufen, wenn bei der Behörde spätestens während des Verwaltungsstrafverfahrens ein - aus der Zeit vor der Begehung der ihm angelasteten Übertretung stammender - Zustimmungsnachweis eines verantwortlichen Beauftragten eingelangt ist (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 16. Jänner 1987, Slg. Nr. 12375/A).

Im Beschwerdefall nahm die belangte Behörde an, daß den Beschwerdeführer als "ressortverantwortlichen Vorstandsdirektor" der im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses angeführten Aktiengesellschaft die strafrechtliche Verantwortlichkeit treffe. Dabei stützte sie sich offensichtlich auf die in den Verwaltungsakten erliegende Abschrift einer zwischen den Vorstandsmitgliedern der genannten Aktiengesellschaft getroffenen "Kompetenzverteilung" vom 1. Juli 1984, wonach der Beschwerdeführer unter anderem für "personelle Verordnungen einschließlich Dienstnehmerschutz, Arbeitszeitgesetz, Arbeitsruhegesetz, ....." verantwortlich sei. Diese Urkunde wurde von der belangten Behörde - wie sich aus den die Bestellung eines WEITEREN verantwortlichen Beauftragten betreffenden Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt - als Zustimmungsnachweis des Beschwerdeführers zur Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 erster Satz VStG 1950 angesehen. Folgt man dieser vom Beschwerdeführer nicht bekämpften Rechtsansicht, so kann dennoch der daran anknüpfenden Folgerung der belangten Behörde, daß nicht zu prüfen sei, ob die Bestellung eines weiteren verantwortlichen Beauftragten in rechtswirksamer Weise erfolgt sei, nicht beigetreten werden. Der Beschwerdeführer legte bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Abschrift einer Urkunde vor, mit der F gemäß § 9 VStG zum verantwortlichen Beauftragten unter anderem für die Einhaltung von Dienstnehmerschutzbestimmungen für den räumlichen Bereich der von ihm geleiteten Filiale Nr. m, 1140 Wien, E-Gasse n, bestellt wurde. Der Genannte bestätigte darin mit seiner Unterschrift, seine Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten zur Kenntnis genommen und dieser zugestimmt zu haben. Als Datum scheint vor der Unterschrift der 3. März 1986 auf. Diese der oben erwähnten "Kompetenzverteilung" zeitlich nachfolgende Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten für den in der Urkunde räumlich und sachlich bestimmt abgegrenzten Unternehmensbereich tritt - unter der von der belangten Behörde nicht geprüften Voraussetzung ihres rechtswirksamen Zustandekommens - jedenfalls für die Dauer ihrer Gültigkeit als spezielle Regelung in dem von ihr umfaßten Verantwortungsbereich an die Stelle der aus der "Kompetenzverteilung" hervorgehenden Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und befreit den Beschwerdeführer insoweit von dieser Verantwortlichkeit. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist eine Verpflichtung des verantwortlichen Beauftragten, betriebsinterne Anweisungen zu befolgen, für die Wirksamkeit der Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten ohne Bedeutung. Ein verantwortlicher Beauftragter, der eine Verwaltungsvorschrift aufgrund einer besonderen Weisung des Auftraggebers verletzt, ist allerdings nach § 9 Abs. 5 VStG 1950 dann nicht verantwortlich, wenn er glaubhaft zu machen vermag, daß ihm die Einhaltung dieser Verwaltungsvorschrift unzumutbar war. Was den von der belangten Behörde erwähnten § 9 Abs. 6 VStG 1950 anlangt, so sieht diese Bestimmung vor, daß die zur Vertretung nach außen berufenen Personen im Sinne des Abs. 1 sowie Personen im Sinne des Abs. 3 trotz Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten

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unbeschadet der Fälle des § 7 leg. cit. - strafrechtlich verantwortlich bleiben, wenn sie die Tat vorsätzlich nicht verhindert haben. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt somit die rechtswirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten sowie die vorsätzliche Nichtverhinderung der von diesem begangenen Tat voraus. Diese für die strafrechtliche Haftung nach der genannten Bestimmung erforderlichen Tatbestandselemente müssen daher auch bei der Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44 a lit. a VStG 1950 im Spruch des Straferkenntnisses zum Ausdruck kommen, was im Beschwerdefall nicht zutrifft.

Da die belangte Behörde aus den angeführten Gründen die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde erübrigte sich.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 1 und 6 VwGG abzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Stempelgebühren konnten nur im erforderlichen Ausmaß zugesprochen werden, wobei die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu entrichtenden Stempelgebühren nicht zu berücksichtigen waren (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0128).

Schlagworte

Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Mangelnder Bescheidcharakter Bescheidbegriff Allgemein Strafmilderungsrecht Gnadenrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190084.X00

Im RIS seit

02.07.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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