TE Vwgh Erkenntnis 1990/7/3 89/11/0224

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Veröffentlicht am 03.07.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §69 Abs3;
KFG 1967 §75 Abs1;

Betreff

G gegen Landeshauptmann von Niederösterreich vom 7. Juli 1989, Zl. I/7-St-G-8926, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung.

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 7. Juli 1989 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, E, F und G entzogen und gleichzeitig gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm bis 31. Dezember 1990 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 26. Februar 1985 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der oben angeführten Gruppen erteilt. Mit Straferkenntnis dieser Behörde vom 20. Oktober 1987 wurde der Beschwerdeführer wegen der am 17. Oktober 1987 begangenen Übertretungen gemäß § 5 Abs. 1 und § 20 Abs. 2 StVO 1960 bestraft. Mit Strafverfügung vom 8. Februar 1988 wurde der Beschwerdeführer wegen einer Übertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 bestraft. Mit einer weiteren Strafverfügung dieser Behörde vom 7. Juni 1988 wurde er wegen Übertretungen nach § 20 Abs. 2 und § 20 Abs. 1 StVO 1960 bestraft. Mit Strafverfügung dieser Behörde vom 30. September 1988 wurde er schließlich wegen Verwaltungsübertretungen gemäß § 20 Abs. 2 und § 52 Z. 10a leg. cit. bestraft. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 14. November 1988 wurde er wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung gemäß § 80 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach dem Spruch dieses Urteils hat der Beschwerdeführer am 30. März 1988 gegen 20.40 Uhr auf der B 122 im Gemeindegebiet von Seitenstetten als Lenker eines Pkws infolge Fahrens mit mangelnder Aufmerksamkeit, insbesondere nicht ausreichender Beobachtung der vor ihm liegenden Fahrbahn im Zuge eines Überholmanövers, einen vorschriftsmäßig am linken Fahrbahnrand gehenden Fußgänger niedergestoßen und dadurch fahrlässig dessen Tod herbeigeführt. Der Gendarmerieposten St. Peter in der Au erstattete wegen der zuletzt genannten Tat am 13. Mai 1988 die Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Amstetten. Am 3. Juni 1988 erstattete der Gendamerieposten Haidershofen gegen den Beschwerdeführer Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft Amstetten wegen jener Übertretungen, die Gegenstand der oben genannten Strafverfügung vom 7. Juni 1988 wurden, und er regte unter Hinweis auf den vom Beschwerdeführer verschuldeten tödlichen Unfall sowie weitere Vormerkungen die Einleitung eines Verfahrens zur Entziehung der Lenkerberechtigung an.

Die Bezirkshauptmannschaft Amstetten leitete am 7. Juni 1988 das Ermittlungsverfahren ein, in dessen Zuge sie einerseits Erhebungen betreffend die Straftaten des Beschwerdeführers durchführte, andererseits ein Gutachten betreffend die körperliche und geistige Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen einholte. Nach Vorliegen des amtsärztlichen Gutachtens vom 4. August 1988, in dem die "Befristung auf ein halbes Jahr zur Bewährung" empfohlen worden war, sprach die erstinstanzliche Behörde mit Bescheid vom 11. August 1988 gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Befristung der Lenkerberechtigung bis 4. Februar 1989 - "zur Bewährung" aus.

Nachdem der Beschwerdeführer wegen des Unfalles vom 30. März 1988 vom Landesgericht St. Pölten mit Urteil vom 14. November 1988 rechtskräftig bestraft worden war, entzog die Bezirkshauptmannschaft Amstetten mit Bescheid vom 25. Jänner 1989 dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung und sprach aus, daß ihm bis 31. Dezember 1991 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers nur insoweit Folge, als diese Frist um ein Jahr herabgesetzt wurde (Fristende nunmehr 31. Dezember 1990). Die belangte Behörde erblickte in dem vom Beschwerdeführer verschuldeten Unfall eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967, auf Grund deren im Zusammenhalt mit den anderen Straftaten des Beschwerdeführers auf eine Sinnesart im Sinne des § 66 Abs. 1 lit. a KFG 1967 zu schließen sei. Dem Beschwerdeführer sei daher die Lenkerberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit zu entziehen gewesen, wobei das Ende der Frist im Sinne des § 73 Abs. 2 KFG 1967 mit 31. Dezember 1990 festzusetzen gewesen sei.

Bei der Beurteilung des Beschwerdefalles ist davon auszugehen, daß Gegenstand eines nach § 75 Abs. 1 KFG 1967 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens der seit der Erteilung der Lenkerberechtigung eingetretene Wegfall jeder einzelnen der maßgebenden Eignungsvoraussetzungen im Sinne des § 64 Abs. 2 KFG 1967 ist. Das hat zur Folge, daß bis zur Erlassung des Bescheides verwirklichte Tatsachen, die eine der Eignungsvoraussetzungen betreffen, im Bescheid bereits zu berücksichtigen sind (siehe die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1988, Zl. 87/11/0277, und vom 8. November 1988, Zl. 88/11/0113).

Durch die Erlassung des rechtskräftigen Bescheides vom 11. August 1988 hat die Bezirkshauptmannschaft Amstetten eine Maßnahme im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 ergriffen. Es war ihr verwehrt, eine weitere Maßnahme im Sinne dieser Gesetzesstelle auf Grund von Umständen, die vor dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 11. August 1988 liegen, zu ergreifen. Der den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid vom 25. Jänner 1989 im oben bezeichneten Umfang bestätigende angefochtene Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich ist daher schon aus diesem Grunde rechtswidrig, und zwar selbst dann, wenn das im Strafverfahren eingeholte straßenverkehrstechnische Gutachten einen Wiederaufnahmsgrund darstellte. Die erstinstanzliche Behörde hätte in diesem Fall zunächst die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 11. August 1988 abgeschlossenen Verfahrens verfügen müssen und wäre erst dadurch in die Lage versetzt worden, dem Beschwerdeführer auf Grund seines Verhaltens vom 30. März 1988 die Lenkerberechtigung zu entziehen.

Den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde diese Rechtsansicht, die weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertreten worden war, mit Berichterverfügung vom 17. Mai 1990 mitgeteilt. Der Beschwerdeführer hat sich dieser Auffassung vollinhaltlich angeschlossen. Die belangte Behörde hingegen vertrat in ihrer Stellungnahme vom 7. Juni 1990 die Auffassung, die Befristung der Lenkerberechtigung durch Bescheid vom 11. August 1988 sei als vorläufige Sofortmaßnahme anzusehen; die Ermittlungen hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit seien noch nicht abgeschlossen gewesen. Der Entziehungsbescheid vom 25. Jänner 1989 sei dann die endgültige, die Ermittlungsergebnisse hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit berücksichtigende Maßnahme gewesen. Dies sei zulässig, weil jede der Eignungsvoraussetzungen ein eigenes Ermittlungsverfahren erfordere, das zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könne.

Mit diesen Ausführungen vermag die belangte Behörde die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht zu begründen.

§ 75 Abs. 1 KFG 1967 kennt nur ein einheitliches Ermittlungsverfahren bei Entziehung der Lenkerberechtigung, das sämtliche Erteilungsvoraussetzungen umfaßt. Bei Ergreifung einer Maßnahme im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 sind alle bis zur Bescheiderlassung verwirklichten Umstände zu berücksichtigen. Waren solche der Behörde nicht bekannt, kommt unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 AVG 1950 die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen in Betracht. Die wiederholte Ergreifung von Maßnahmen im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 jeweils nach dem Abschluß des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich einzelner Erteilungsvoraussetzungen ist dem Gesetz fremd. Von dem Grundsatz, daß es nur ein einheitliches - alle Erteilungsvoraussetzungen umfassendes - Verfahren und nicht - wie die belangte Behörde meint - je nach Erteilungsvoraussetzung mehrere getrennte Verfahren mit möglicherweise unterschiedlichem Verfahrensausgang gibt, ist der Verwaltungsgerichtshof schon in seiner bisherigen Judikatur zu der Frage ausgegangen, ob die Berufungsbehörde den Entziehungsgrund auswechseln darf. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu die Auffassung vertreten, daß die Berufungsbehörde im Entziehungsverfahren ebenso wie die Behörde erster Instanz das Vorhandensein sämtlicher Eignungsvoraussetzungen einer Prüfung unterziehen kann, weshalb sie die "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 nicht überschreitet, wenn sie einen anderen Entziehungsgrund heranzieht als die erstinstanzliche Behörde (siehe das Erkenntnis vom 22. Februar 1984, Zlen. 83/11/0274, 0275, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Die Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte deshalb, weil in den in der zitierten Verordnung genannten Pauschalbeträgen für Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989110224.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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