TE Vwgh Erkenntnis 1990/9/7 86/18/0207

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Veröffentlicht am 07.09.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §56;
AVG §62 Abs1;
AVG §62 Abs3;
AVG §63 Abs5;
StVO 1960 §20 Abs1;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;
VStG §46 Abs1;
VStG §46 Abs2;
VStG §51 Abs3;
VwRallg;

Betreff

N gegen Wiener Landesregierung vom 26. Juni 1986, Zl. MA 70-IX/St 56/85/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 9. Mai 1984 mündlich verkündeten Straferkenntnis erkannte die Bundespolizeidirektion Wien-Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt den Beschwerdeführer schuldig, er habe als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws am 30. März 1984 um 8.20 Uhr in Wien 1, Bognergasse 4, die Geschwindigkeit nicht den Straßen- und Verkehrsverhältnissen angepaßt. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 20 Abs. 1 StVO 1960 begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe, im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzarreststrafe verhängt. Im Anschluß an die mündliche Verkündung dieses Straferkenntnisses verlangte der Beschwerdeführer die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Bescheides. Der Aktenlage nach wurde dem Beschwerdeführer in der Folge ein Schriftstück durch Hinterlegung beim Zustellpostamt mit Wirkung vom 4. Juli 1985 zugestellt. In seiner gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis am 16. Juli 1985 erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, der ihm zugestellte Bescheid habe nur aus einer Kopie des Spruches samt Begründung bestanden und sei nicht unterfertigt worden. Laut Aktenvermerk eines Organwalters der belangten Behörde vom 16. Dezember 1985 habe der Beschwerdeführer an diesem Tag der Berufungsbehörde den an ihn "zugestellten Bescheid" vorgelegt. Dieser habe aus einer Kopie des Spruches und der Begründung der Strafverhandlungsschrift bestanden, die nicht unterschrieben gewesen sei. Auf Grund einer Weisung der belangten Berufungsbehörde vom 30. Dezember 1985 wurde dem Beschwerdeführer am 4. Februar 1986 neuerlich ein Schriftstück der Erstbehörde zugestellt (laut einem Aktenvermerk vom 24. März 1986 seien dem Beschwerdeführer eine Ablichtung des Spruches sowie der unterfertigten Begründung zugestellt worden). Am 18. Februar 1986 erhob der Beschwerdeführer neuerlich Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis, wobei er unter anderem ausführte, ihm sei nur eine unterfertigte Begründung zugestellt worden. Es könne daher, weil der Spruch - eines der wesentlichen Erfordernisse eines Bescheides - gefehlt habe, überhaupt nicht von einem Bescheid gesprochen werden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 26. Juni 1986 bestätigte die belangte Behörde das Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG hinsichtlich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung vollinhaltlich und änderte es in der Schuldfrage dahingehend ab, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:

    "Der Beschuldigte ... ist am 30.3.1984 um 8.20 Uhr in

Wien 1, Bognergasse 4, als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem

polizeilichen Kennzeichen W ... mit einer solchen, den

Straßenverhältnissen nicht entsprechenden Geschwindigkeit gefahren, daß andere Straßenbenützer oder an der Straße gelegene Sachen beschmutzt wurden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, es sei ihm nach der mündlichen Verkündung des Straferkenntnisses vom 9. Mai 1984 trotz seines Verlangens keine "schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides in vollständiger Schriftform" zugestellt worden. Es liege seiner Meinung nach ein sogenannter "Nichtbescheid" vor, eine "Zustellung des Bescheides in Raten" sei nicht zulässig.

Gemäß dem auf Grund des § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 62 Abs. 1 AVG 1950 können Bescheide, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden. Gemäß § 62 Abs. 2 leg. cit. ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides am Schlusse der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden. Gemäß dem Abs. 3 dieser Gesetzesstelle ist eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides den bei der Verkündung nicht anwesenden und jenen Parteien zuzustellen, die spätestens drei Tage nach der Verkündung eine Ausfertigung verlangen; über dieses Recht ist die Partei bei Verkündung des mündlichen Bescheides zu belehren. Gemäß dem ebenfalls im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 63 Abs. 5 AVG 1950 ist die Berufung von der Partei schriftlich oder telegrafisch binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Falle bloß mündlicher Verkündung mit dieser.

Aus dem Beschwerdevorbringen und dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß das in erster Instanz verkündete Straferkenntnis mündlich erlassen wurde und der Beschwerdeführer in Anschluß an die Verkündung eine schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses verlangt hat.

Ein mündlich verkündeter Bescheid gilt bereits mit seiner Verkündung als erlassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1951, Slg. N.F. Nr. 1941/A). Die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Straferkenntnisses ist nur mehr für den Lauf der Rechtsmittelfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG 1950 bedeutend. Wird ein Bescheid mündlich verkündet und auf Grund eines rechtzeitigen Verlangens gemäß § 62 Abs. 3 leg. cit. eine schriftliche Ausfertigung zugestellt, so beginnt nämlich die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung der Ausfertigung (siehe Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 3. Auflage, Anm. 15 zu § 63 AVG, Seite 395). Gegen ein mündlich verkündetes, und daher rechtlich existierendes Straferkenntnis kann aber auch schon vor der Zustellung der verlangten schriftlichen Ausfertigung zulässigerweise Berufung erhoben werden. D.h.: Wenngleich die Berufungsfrist gegen einen mündlich erlassenen Bescheid erst mit dem Tag der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides beginnt, so hindert dies nicht die Erhebung der Berufung bereits zwischen der Verkündung des Bescheides und der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung dieses Bescheides (vgl. dazu den hg. Beschluß vom 11. März 1988, Zl. 88/11/0031, zu der - in dieser Hinsicht vergleichbaren - Regelung des § 26 Abs. 1 VwGG und Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit,

3. Auflage, Anm. 3 zu § 26 VwGG auf Seite 34).

Das erstinstanzliche Straferkenntnis ist mit seiner Verkündung am 9. Mai 1984 rechtlich existent geworden. Auf dem Boden der oben dargestellten Rechtslage kann im Beschwerdefall daher dahingestellt bleiben, ob die dem Beschwerdeführer über sein Verlangen zugestellten Schriftstücke eine dem mündlich verkündeten Bescheid entsprechende schriftliche Ausfertigung dieses Bescheides dargestellt haben und ob alle wesentlichen Erfordernisse eines schriftlichen Bescheides vorgelegen sind. Schon auf Grund der mündlichen Erlassung des Bescheides kann keine Rede von einem "Nichtbescheid" sein.

Die Berufungsbehörde hat daher zu Recht über die zulässige Berufung des Beschwerdeführers gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis entschieden.

Der angefochtene Bescheid ist jedoch mit folgender, vom Beschwerdeführer geltend gemachten Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet:

Gemäß § 20 Abs. 1 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen, sowie den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Er darf auch nicht so schnell fahren, daß er andere Straßenbenützer oder an der Straße gelegene Sachen beschmutzt oder sie verletzt, wenn dies vermeidbar ist.

§ 20 Abs. 1 StVO 1960 zweiter Satz enthält mehrere Tatbestände. Strafbar ist der Lenker eines Fahrzeuges nämlich dann, wenn er seine Geschwindigkeit so wählt, daß er andere Straßenbenützer oder an der Straße gelegene Sachen beschmutzt oder Vieh verletzt, wenn dies vermeidbar ist.

Gemäß § 44a lit. a VStG 1950 hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es nach der zitierten Gesetzesstelle rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, daß 1. die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird, 2. die Identität der Tat (z.B. nach Ort und Zeit) unverwechselbar feststeht (siehe das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Juni 1984, Slg. N.F. Nr. 11466/A). Der Vorschrift des § 44a lit. a VStG 1950 ist dann entsprochen, wenn a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen worden ist, daß er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (siehe das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. N.F. Nr. 11894/A).

Der Tatumschreibung des angefochtenen Bescheides ist aber - wie der Beschwerdeführer zutreffend rügt - nicht zu entnehmen, welchem der in § 20 Abs. 1 zweiter Satz StVO 1960 enthaltenen Verbote der Beschwerdeführer konkret zuwidergehandelt haben soll; der Tatumschreibung kann nämlich nicht eindeutig entnommen werden, ob der Beschwerdeführer durch die Einhaltung einer unangepaßten Geschwindigkeit andere Straßenbenützer oder an der Straße gelegene Sachen beschmutzt habe. Eine solche alternative Tatumschreibung verstößt gegen das Konkretisierungsgebot des § 44a lit. a VStG 1950. Der Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang auch im Recht, wenn er darauf hinweist, daß es an einer rechtzeitigen Verfolgungshandlung in Ansehung der Beschmutzung an der Straße gelegener Sachen fehle.

Nach § 20 Abs. 1 zweiter Satz StVO 1960 ist die Beschmutzung anderer Verkehrsteilnehmer oder an der Straße gelegener Sachen oder die Verletzung von Vieh nur dann mit Strafe bedroht, "wenn dies vermeidbar ist". Diese Voraussetzung ist daher ein wesentliches Tatbestandsmerkmal. Das Fehlen dieses Tatbestandsmerkmales im Spruch des angefochtenen Bescheides bewirkt daher einen weiteren Verstoß gegen § 44a lit. a VStG 1950. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wären überdies Feststellungen darüber erforderlich gewesen, ob der Beschwerdeführer die Gefahr einer Beschmutzung anderer Verkehrsteilnehmer oder an der Straße gelegener Sachen erkennen und auch vermeiden hätte können. Hiebei hätte sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung auseinandersetzen müssen, auf Grund des zur Tatzeit herrschenden Platzregens sei es auch bei einer niederen Geschwindigkeit unvermeidbar gewesen, daß Spritzwasser auf den Gehsteig gelangt sei.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre.

Hinsichtlich des zitierten, nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatort "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild) Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bejahung des Bescheidcharakters Bescheidcharakter Bescheidbegriff Formelle Erfordernisse Bescheidcharakter Bescheidbegriff Inhaltliche Erfordernisse Geschwindigkeit Allgemein Maßgebender Bescheidinhalt Fassung die der Partei zugekommen ist Mängel im Spruch Fehlen von wesentlichen Tatbestandsmerkmalen Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1986180207.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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