TE Vfgh Erkenntnis 1987/12/2 G161/87, G162/87, G201/87

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Veröffentlicht am 02.12.1987
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Index

43 Wehrrecht;
43/01 Wehrrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
RAO §8
HeeresdisziplinarG §29 Abs1 letzter Satz, §42 Z4, §66 Z3

Leitsatz

Zum (umfassenden) Begriff des Soldaten; durch §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985 bewirkter Ausschluß von Rechtsanwälten als Verteidiger im Kommandantenverfahren sachlich nicht gerechtfertigt; Aufhebung der Bestimmung als gleichheitswidrig In §42 Z4 vorgesehen freiheitsentziehende Disziplinarsanktionen nur für untergeordnetes Heerespersonal gleichheitswidrig; Hinweis auf VfSlg. 9728/1983

Spruch

§29 Abs1 letzter Satz und §42 Z4 des Heeresdisziplinargesetzes 1985 - HDG, BGBl. Nr. 294/1985, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1988 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Mit dem im Instanzenzug - und zwar unter Beziehung auf §36 Abs2 Heeresdisziplinargesetz 1985, BGBl. 294/1985, (fortan: HDG 1985) - erlassenen Bescheid des Haftprüfungsorgans für den Militärkommandobereich Tirol vom 30. Jänner 1987, Z2/12-HPO-T/87, wurde der Grundwehrdiener Wehrmann M H wegen einer Pflichtverletzung nach §2 Abs1 HDG 1985 gemäß §42 Z4 HDG 1985 zur Disziplinarstrafe der Disziplinarhaft in der Dauer von vierzehn Tagen verurteilt.

1.1.2.1. Gegen diesen zu Punkt 1.1.1. bezeichneten Berufungsbescheid richtete sich eine - auf Art144 Abs1 B-VG gestützte - Beschwerde des M H an den VfGH, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, namentlich der Vorschriften der §§29 Abs1 letzter Satz sowie 42 Z4 HDG 1985, ferner die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) und im Recht nach Art6 Abs3 litb und c EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH gemäß Art. 144 Abs3 B-VG beantragt wurde. Unter anderem wurde eingewendet, daß die Berufungsbehörde die Beiziehung eines Rechtsanwaltes als Verteidiger - in Handhabung des §29 HDG 1985 - verweigert habe.

1.1.2.2. Das Haftprüfungsorgan für den Militärkommandobereich Tirol als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Verwaltungsakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die Abweisung der Beschwerde.

1.2.1. Aus Anlaß dieser Beschwerdesache leitete der VfGH mit Beschluß vom 16. Juni 1987, B233/87-12, gemäß Art. 140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung einzelner Bestimmungen des Heeresdisziplinargesetzes 1985 - HDG, BGBl. 294/1985, nämlich des §29 Abs1 letzter Satz (lautend: "Eine Verteidigung durch andere Personen ist nicht zulässig.") und des §42 Z4 (lautend: "4. die Disziplinarhaft,"), ob ihrer Verfassungsmäßigkeit ein, das zu G162/87 protokolliert wurde.

1.2.2. Die Gründe dieses Prüfungsbeschlusses lauteten ua. folgendermaßen:

A. Zu §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985

"Das Disziplinarverfahren nach dem HDG 1985 ist als 'Kommandantenverfahren' (§§55 bis 63) oder als 'Kommissionsverfahren' (§§64 bis 74) durchzuführen (§23 leg.cit.). Nach §29 HDG 1985 kann der Beschuldigte sich selbst verteidigen oder durch 1. einen Soldaten oder 2. einen Beamten oder Vertragsbediensteten, der nicht Soldat ist, jeweils aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich der Disziplinarbehörde, verteidigen lassen (zur Rechtslage nach dem HDG BGBl. 151/1956 s. VfSlg. 10153/1984). Unzulässig ist eine Verteidigung durch andere Personen (: §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985), also auch durch Rechtsanwälte. Dieses Verbot gilt allerdings nur für das 'Kommandantenverfahren', denn (die Sondervorschrift des) §66 Z3 HDG 1985 läßt im 'Kommissionsverfahren' die Verteidigung des Beschuldigten durch Rechtsanwälte ausdrücklich zu.

Diese unterschiedliche Gestaltung der Verteidigungsrechte scheint dem Gleichheitsgebot des Art7 Abs 1 B-VG aus folgenden Erwägungen nicht zu entsprechen:

Im 'Kommissionsverfahren' können freiheitsentziehende Disziplinarstrafen nicht verhängt werden (§64 HDG 1985 iVm §§ 48, 54 HDG 1985). Derartige Strafen drohen regelmäßig nur Grundwehrdienern (§42 HDG 1985), für die das 'Kommandantenverfahren' vorgesehen ist. Vorläufig sind keine sachlichen Gründe dafür erkennbar, Rechtsanwälte als Verteidiger überhaupt auszuschließen oder in dieser Eigenschaft gerade und nur in einem Verfahren nicht zuzulassen, das zu Strafen führen kann, die wegen der gravierenden Bedeutung des Rechtsgutes der persönlichen Freiheit als besonders schwer und drückend gelten. Dazu kommt, daß das 'Kommissionsverfahren' mit seinen Kollegialorganen dem Beschuldigten angesichts der Vorschriften der §§64 ff HDG 1985 im allgemeinen höhere rechtsstaatliche Garantien zu bieten scheint als das einfacher gestaltete 'Kommandantenverfahren', in dem der Bf. der Hilfe eines Rechtsanwaltes entbehren muß."

B. Zu §42 Z4 HDG 1985

"Schon die - alle Präsenzdienst leistenden Heeresangehörigen betreffende - Bestimmung des §72 Heeresdisziplinargesetz (HDG), BGBl. 151/1956 idF der Nov. BGBl. 369/1975, sah für gleiche Dienstvergehen (§2 Abs1 HDG) ua. die Disziplinarstrafe des Disziplinararrestes bis zu vierzehn Tagen (di. die Verschließung des Bestraften in einem Haftraum während der ganzen Strafdauer - §76 Abs2 HDG), mithin eine freiheitsentziehende Maßnahme (§72 Abs1 Z2 litd und Z3 HDG) vor, wenn es sich beim Täter (nur) um einen Wehrmann oder um eine sogenannte 'Charge' handelte, hingegen der Art nach offenbar gelindere, weil durchwegs nicht freiheitsentziehende Disziplinarstrafen (§72 Abs1 Z1 lita bis d HDG), wenn der Täter der Gruppe der hierarchisch jedenfalls höher stehenden Offiziere oder Unteroffiziere zuzuzählen war.

Mit Erkenntnis vom 21. Juni 1983, G1/83,

(= VfSlg. 9728/1983) hob der VfGH §72 Abs1 Z2 litd HDG, BGBl. 151/1956, idF der Nov. BGBl. 369/1975 wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot des Art7 Abs1 B-VG als verfassungswidrig auf. Zugleich wurde angeordnet, daß diese Aufhebung mit Ablauf des 31. Mai 1984 in Kraft zu treten hat.

In den Gründen dieses Erkenntnisses heißt es ua.:

' . . . Entscheidend . . . ist . . . nicht die . . . von der Bundesregierung in erster Linie hervorgekehrte und auch an Hand von Beispielen aus fremden Rechtsordnungen näher erörterte Frage allgemeiner Art, ob es nämlich das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot erfordere, daß alle Disziplinarmaßnahmen unterschiedslos gegen jeden Soldaten, gleich welcher Dienststellung und welchen Dienstgrades, verhängt werden dürfen. Wohl ist die jeweilige dienstliche Position der vom Disziplinarrecht erfaßten Militärpersonen an sich ein objektives Element, das bei Schaffung und Ausgestaltung eines Katalogs von Disziplinarstrafen nach Lage der Verhältnisse als sachliches Unterscheidungskriterium durchaus geeignet sein mag. Doch gilt diese Aussage nur grundsätzlich, keinesfalls jedoch für den konkreten Regelungsfall spezifisch freiheitsentziehender und deshalb graduell besonders einschneidender (Disziplinar-)Strafen, um den allein es hier geht: Denn solche Maßregeln lassen sich, als Sanktionen für gleiches Fehlverhalten gedacht, schon wegen der besonderen Bedeutung des Rechtsgutes der persönlichen Freiheit für jedermann und der Schwere der Strafdrohung nicht mit sachlichem Grund auf jenen Teil der Heeresangehörigen (Chargen, Wehrmänner) beschränken, der regelmäßig geringere Verantwortung trägt als die Gruppe der diesen gesteigerten schweren Strafdrohungen nicht unterliegenden Offiziere und Unteroffiziere (s. dazu: §§2, 2a HDG). So gesehen, kann darum die in Prüfung gezogene gesetzliche Strafbestimmung nicht gerechtfertigterweise von der Dienststellung oder vom Dienstgrad des Strafunterworfenen abhängen, wollte man nicht der Auffassung anhängen, eine freiheitsentziehende Maßnahme als Disziplinarsanktion sei für Chargen und Wehrmänner ungeachtet des im allgemeinen kleineren Verantwortungsbereiches und Pflichtenkreises nur wegen der hierarchischen Einordnung dieser Betroffenen in das Heeresgefüge angepaßter als für - höherstehende - Offiziere und Unteroffiziere, denen eine gleichwertige Disziplinarverfehlung zur Last fällt. . . '

Mit der HDG-Nov. vom 9. Mai 1984, BGBl. 211/1984, wurde in Neufassung des §72 Abs1 HDG (vgl. ArtI Z8 der Novelle) ein einheitlicher Strafkatalog für alle Wehrpflichtigen, die Präsenzdienst leisten, geschaffen. Demnach sollten künftig die Disziplinarstrafen Ausgangsbeschränkung, Ausgangsverbot, Disziplinarhaft und Disziplinararrest auch über Offiziere und Unteroffiziere, die Disziplinarstrafen Verweis und Geldbuße auch über Chargen und Wehrmänner verhängt werden können.

Dazu finden sich in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der HDG-Nov. 1984 (243 BlgNR XVI. GP) folgende Ausführungen:

'Mit Erkenntnis vom 21. Juni 1983, Zl. G1/83-8, hat der VfGH den §72 Abs1 Z2 litd des geltenden HDG, betreffend den Disziplinararrest, mit Ablauf des 31. Mai 1984 aufgehoben. Diese Aufhebung wurde im Bundesgesetzblatt unter der Nr. 446/1983 kundgemacht. Nach der in der Begründung dieses Erkenntnisses dargelegten Rechtsauffassung des VfGH wird durch die Androhung von Freiheitsstrafen nur für die Gruppe der Wehrmänner und Chargen, nicht aber auch für Offiziere und Unteroffiziere der Gleichheitssatz verletzt, woraus sich die Verfassungswidrigkeit der zitierten Bestimmung ergibt.

Durch diese Aufhebung wird die festgestellte Verfassungswidrigkeit aber nur hinsichtlich des Disziplinararrestes beseitigt, während der auf Wehrmänner und Chargen beschränkte Anwendungsbereich der Ordnungshaft bzw. der Disziplinarhaft, den die Rechtsmeinung des VfGH gleichermaßen betrifft, unberührt bleibt. Damit würde ab 1. Juni 1984, ebenso wie durch die Lücke im geltenden System des Heeresdisziplinarrechts infolge eines ersatzlosen Wegfalls des Disziplinararrestes, ein nicht vertretbarer Rechtszustand entstehen. Es ist daher erforderlich, rechtzeitig vor dem Wirksamwerden der Aufhebung des §72 Abs1 Z2 litd leg.cit. entsprechende Vorsorgen zu treffen.

Vom Bundesministerium für Landesverteidigung wird derzeit eine umfassende Neugestaltung des Heeresdisziplinarrechts vorbereitet. Um die sachgerechte Vorbereitung und

parlamentarische Behandlung dieses Gesetzesvorhabens durch den erwähnten Aufhebungstermin nicht zu beeinträchtigen, soll dem Erkenntnis des VfGH zunächst für die Zeit zwischen dem 1. Juni 1984 und dem im Laufe des Jahres 1985 beabsichtigten Inkrafttreten des neuen HDG mit einer Nov. zum geltenden HDG Rechnung getragen werden. Diese Nov. soll sich daher nur auf die im gegenständlichen Zusammenhang unbedingt notwendigen Änderungen beschränken. . . '

Das HDG 1985, in Kraft getreten am 1. Jänner 1986, sieht nun unterschiedliche Disziplinarstrafkataloge für 'Soldaten, die Grundwehrdienst leisten' einerseits (vgl. §42 HDG 1985) und 'Soldaten, die nicht den Grundwehrdienst leisten' anderseits (vgl. §48 HDG 1985) vor:

Die - mit dem (zu B233/87) angefochtenen Bescheid verhängte - Strafart der 'Disziplinarhaft' (§42 Z4 HDG 1985) sie ist mindestens für einen Tag, höchstens für vierzehn Tage zu verhängen (§45 Abs1 HDG 1985) - droht grundsätzlich nur Grundwehrdienern, aber nicht auch allen übrigen Militärpersonen (s. zB §48 HDG 1985, der freiheitsentziehende Disziplinarmaßnahmen nicht kennt).

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des HDG 1985 (369 BlgNR XVI. GP, Seite 38) wird ua. bemerkt:

         ' . . . (Im 1. Hauptstück des besonderen Teils) sind die

Disziplinarstrafen entsprechend der im §1 enthaltenen Gliederung

des personellen Geltungsbereiches dieses BG angeführt (1. bis

4. Abschnitt). . . . es (ist) notwendig, den Strafkatalog für die

verschiedenen Gruppen der Soldaten entsprechend ihrer unterschiedlichen Rechtsstellung differenziert zu gestalten; soweit wie möglich soll aber der Strafkatalog einheitliche Disziplinarstrafen aufweisen. Im allgemeinen sollen neben dem Verweis als der niedrigsten Disziplinarstrafe und den militär-spezifischen Disziplinarstrafen der Unfähigkeit zur Beförderung und der Degradierung Geldstrafen zur Anwendung kommen.

Da aber bei einer Gruppe von Soldaten der Ansatzpunkt für

Geldstrafen in einer dem Strafzweck entsprechenden Höhe, nämlich ein

den Lebensunterhalt gewährleistendes Geldeinkommen, nicht gegeben

ist, müssen für diese Gruppe Disziplinarstrafen vorgesehen werden,

die in ein anderes Rechtsgut eingreifen. Für die Soldaten, die den

Grundwehrdienst (oder im Anschluß an diesen einen außerordentlichen

Präsenzdienst im Falle des §40 Abs2 des WehrG 1978) leisten, sind

daher an Stelle der Geldstrafe freiheitsbeschränkende

(Ausgangsverbot) und freiheitsentziehende (Disziplinarhaft)

Disziplinarstrafen, ähnlich wie bisher für alle Präsenzdienst

leistenden Soldaten, vorgesehen. Eine Heranziehung des

Familienunterhalts und der Wohnkostenbeihilfe als

Bemessungsgrundlage für eine allfällige Geldstrafe wurde im Hinblick

auf die soziale Zielrichtung dieser Ansprüche, die in erster Linie

für die unterhaltsberechtigten Angehörigen eines Wehrpflichtigen

bestimmt sind, nicht in Erwägung gezogen. . . '

         Der VfGH hielt bereits in seinem Erkenntnis VfSlg.

9728/1983 fest, daß freiheitsentziehende und deshalb graduell

besonders einschneidende Disziplinarmaßnahmen, als Sanktionen für

gleiches Fehlverhalten - hier für besonders schwere

Pflichtverletzungen (§§2, 45 Abs3 HDG 1985) - gedacht, schon wegen

der Bedeutung des Rechtsgutes der persönlichen Freiheit nicht (nur)

auf jenen Teil der Heeresangehörigen Anwendung finden dürfen, der

regelmäßig geringere Verantwortung trägt als die Gruppe der diesen

gesteigerten schweren Strafdrohungen nicht unterliegenden Soldaten.

Die Gedankenführung der . . . wiedergegebenen Erläuternden

Bemerkungen zur Regierungsvorlage des HDG 1985 scheint dem VfGH von Grund auf verfehlt zu sein, wenn sie die Rechtfertigung zur Schaffung gesonderter Primärstrafdrohungen einerseits freiheitsentziehender und anderseits nichtfreiheitsentziehender Art für gleiches Fehlverhalten (§2 HDG 1985) darin zu erblicken vermeint, daß der eine Normadressat - im allgemeinen - Geldeinkommen bezieht, der andere - im Regelfall - aber nicht. Eine solche disziplinarrechtliche Staffelung der Unrechtsfolgen ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich bedenklich, wenn gerade jene Militärpersonen, die mit Primärfreiheitsentzug bestraft werden können, weniger Verantwortung tragen als alle anderen, für die als primäre Unrechtsfolge (überhaupt nur) Geldstrafen oder sonstige nichtfreiheitsbeschränkende Sanktionen in Betracht kommen: Die gegenwärtige Rechtslage läuft anscheinend darauf hinaus, Militärpersonal in gehobener Position, das sich besonders schwere Pflichtverletzungen zu Schulden kommen läßt, unsachlich zu begünstigen, indem sie diesen Personenkreis schonenderen Disziplinarmaßnahmen unterwirft als die Gruppe der in gleicher Weise handelnden Untergebenen. Demgemäß besteht das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene (grundsätzlich nur Grundwehrdiener treffende) Norm des §42 Z4 HDG 1985 - wegen unsachlicher Differenzierung innerhalb des Militärpersonals - Art7 Abs1 B-VG verletzt.

Im übrigen scheint es gar nicht zuzutreffen, daß Wehrmänner über kein Einkommen verfügen. Nach §3 Abs2 Z1 HeeresgebührenG 1985 beträgt nämlich das Taggeld für Grundwehrdiener mindestens 45 S (die Mindesthöhe eines Tagessatzes nach dem StGB (§19 Abs2 letzter Satz) macht - wie illustrativ angemerkt sei - derzeit nur 20 S aus). Das HDG 1985 berücksichtigt dieses Einkommen der Grundwehrdiener in anderem Zusammenhang durchaus folgerichtig, weil es im Strafkatalog des §42 HDG 1985 (Z2) - für ebendiese Heeresangehörigen - ua. auch 'Geldbußen' vorsieht und bei Regelung der Bemessung der Ersatzgeldstrafe für unvollstreckbare Disziplinarhaft auf die Bemessungsgrundlage des §43 Abs2 HDG 1985 zurückgreift, die wieder das (Grundwehrdienern zustehende) Taggeld ausdrücklich mitumfaßt. .

. "

1.3. Ferner beschloß der VfGH in der Beschwerdesache B 61/87 am 26. Juni 1987 und in der Beschwerdesache B802/87 am 28. September 1987 die Prüfung des §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985 auf seine Verfassungsmäßigkeit, und zwar aus den schon im Beschluß vom 16. Juni 1987, B233/87-12, zu dieser Gesetzesstelle ausführlich dargelegten Erwägungen:

1.3.1. Mit schriftlich ausgefertigtem Disziplinarerkenntnis des Militärkommandanten von Oberösterreich vom 21. November 1986, Z67264-3170/01/86, wurde über den Soldaten Oberst E W - wegen näher umschriebener Pflichtverletzungen - gemäß §48 Z2 iVm §61 HDG 1985 die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von 500 Schilling verhängt.

Die dagegen von einem Rechtsanwalt namens des Beschuldigten erhobene Berufung wurde vom Kommandanten des Korpskommandos II mit Bescheid vom 3. Dezember 1986, Z48.949-3170/01/86, als unzulässig zurückgewiesen, weil kraft §29 HDG 1985 im Kommandantenverfahren die Verteidigung durch einen Anwalt nicht zulässig sei.

Gegen diesen Berufungsbescheid ergriff E W gemäß Art. 144 Abs1 B-VG eine zu B61/87 protokollierte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie in sonstigen Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§29 HDG 1985) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt wurde.

1.3.2. Mit Disziplinarerkenntnis des Kommandanten des Landwehrstammregimentes 22 vom 2. März 1987, Z1490-3170/34/87, wurde über den Soldaten M N wegen einer näher umschriebenen Pflichtverletzung - gemäß §48 Z3 iVm §61 HDG 1985 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von 3000 Schilling verhängt.

Die dagegen von einem Rechtsanwalt namens des Beschuldigten erhobene Berufung wurde vom Militärkommandanten von Wien mit Bescheid vom 26. Mai 1987, Z17.295-3170/10/1987, als unzulässig zurückgewiesen, und zwar in der Hauptsache mit der Begründung, im "Kommandantenverfahren" sei kraft §29 HDG 1985 die Beiziehung eines Rechtsanwalts als Verteidiger unzulässig.

Gegen diesen Berufungsbescheid wendete sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte und zu B802/87 protokollierte Beschwerde des M N an den VfGH, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art6 Abs3 litc MRK wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§ 29 HDG 1985) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt wurde.

1.4. Die in den Normenkontrollverfahren zur Stellungnahme eingeladene Bundesregierung verteidigte die in Prüfung gezogenen bundesgesetzlichen Vorschriften und brachte ua. wörtlich vor:

Zum Problem der anwaltlichen Vertretung im Kommandantenverfahren (§29 Abs1 letzter Satz HDG):

"Der Disziplin kommt im Bundesheer ein wesentlich höherer Stellenwert zu als in anderen Verwaltungsbereichen. Dabei dient die Disziplin dem Ziel, eine Beziehung zwischen den Soldaten (unter Gleichrangigen ebenso wie im Verhältnis zu Vorgesetzten) herzustellen, die von der Überzeugung getragen ist, sich auf den anderen auch in lebensbedrohenden Situationen verlassen zu können. Ein wichtiges Element beim Aufbau und bei der Erhaltung dieser für den Einsatzfall wichtigen Strukturen ist unter anderem das militärische Disziplinarrecht und hier wieder das Kommandantenverfahren. Die direkte Konfrontation zwischen zwei Soldaten (Vorgesetzter und Untergebener) muß so gestaltet sein, daß die Vertrauensbeziehung zwischen den beiden Soldaten im Fall eines Einsatzes auch nach Abschluß des Verfahrens und allenfalls erfolgter Bestrafung gewahrt bleibt. Es erscheint offenkundig, daß die Mitwirkung eines bundesheerexternen Verteidigers diesen internen Charakter des Kommandantenverfahrens erheblich stören kann. Das HDG sieht daher im §29 Abs1 letzter Satz nur solche Personen als Verteidiger vor, die einen möglichst hohen militärischen Integrationsgrad aufweisen, und schließt alle anderen Personen vom Einschreiten als Verteidiger aus.

Dort, wo nicht die Einbindung und grundlegende Ausbildung (Grundwehrdienst) bzw. die Einsatzbezogenheit der Ausund Weiterbildung (andere Formen des Präsenzdienstes) im Vordergrund stehen, sondern der Soldat sich die Aufgabenerfüllung im Bundesheer zum Beruf gewählt hat, mußte jedoch die vorstehende Überlegung dann zurücktreten, wenn dem Soldaten eine Strafe droht, die seine berufliche Existenz gefährdet (Entlassung). In diesem Zusammenhang ist auf die vielfältige dienstrechtliche Verflechtung der Personengruppe der 'Berufssoldaten' mit den Beamten des BDG 1979 und auf die Tatsache hinzuweisen, daß es sich bei Beamten in Unteroffiziersfunktion um (zivile) Beamte handelt, die sich bereit erklären, als Soldaten Dienst zu machen (vgl. §11 des Wehrgesetzes 1978). Die zur Entlassung angestellten Erwägungen wurden daher auch auf die nächstniedrigere Disziplinarstrafe der Geldstrafe ausgedehnt, sodaß das HDG - wenn eine strengere Strafe als die Geldbuße zu erwarten ist - für die Personengruppe der Soldaten, die dem Bundesheer aufgrund eines Dienstverhältnisses angehören, ein (dem Verfahren nach dem BDG 1979 vergleichbares) Kommissionsverfahren vorsieht, in welchem als Verteidiger auch ein Rechtsanwalt oder ein Verteidiger in Strafsachen einschreiten können.

Zu den Bedenken des VfGH ist im einzelnen

festzuhalten, daß neben den zu §42 Z4 HDG hinsichtlich der Schwere der Strafe Disziplinarhaft dargestellten Erwägungen auch der Dauer der Verfahren eine wesentliche Bedeutung zukommt. Während das einfach gestaltete Kommandantenverfahren auch bei kurzen Präsenzdienstleistungen (Übungen dauern in der Regel nicht länger als zwölf Tage) wenigstens die Möglichkeit des Abschlusses des Disziplinarverfahrens innerhalb der Präsenzdienstleistungen bietet, ist dies beim Kommissionsverfahren (Einleitungsbeschluß, Verhandlungsbeschluß, mündliche Verhandlung) nicht möglich. Im Kommandantenverfahren würde die Beiziehung anderer Personen als Verteidiger schon deshalb zu Verzögerungen führen, weil die Gegebenheiten des täglichen Dienstbetriebes erst klargestellt und erläutert werden müßten.

         Derartige Verzögerungen würden die Präventivwirkung

einer raschen Entscheidung deutlich vermindern. Unter der

Verzögerung der Verfahren würde auch die milizartige Struktur des

Bundesheeres leiden, weil die Übung meist vor der Entscheidung im

Disziplinarverfahren abgeschlossen wäre und die weitere Ahndung

nicht vom Kommandanten, sondern durch das mobverantwortliche

Kommando zu erfolgen hätte. . . "

         Zum Problem der Disziplinarhaft (§42 Z4 HDG):

         " . . . Das HDG unterscheidet zwischen dem Strafkatalog

für Soldaten, die den Grundwehrdienst leisten, und jenem für Soldaten, die nicht den Grundwehrdienst leisten.

Der Grundwehrdienst als erste und grundlegende Ausbildung bildet das militärische Fundament für jede weitere Tätigkeit im Rahmen des Bundesheeres. In dieser Phase des Militärdienstes sollen dem Soldaten nicht nur militärische Spezialausbildung, sondern auch das Verständnis für die Besonderheiten des militärischen Lebens vermittelt werden. In diesem Zusammenhang ist es daher von besonderer Bedeutung, die Voraussetzungen zur Wahrnehmung der dem Bundesheer übertragenen Aufgaben zu schaffen.

Zu dem aufgeworfenen Problem einer ungleichen Behandlung der Soldaten im Grundwehrdienst gegenüber allen anderen Soldaten ist darauf hinzuweisen, daß die gesamte militärische Laufbahn der Soldaten gesehen werden muß. Alle Soldaten absolvieren zunächst den Grundwehrdienst und stehen in der Folge dem Bundesheer als 'Berufssoldaten' (Berufsoffiziere, Beamte und Vertragsbedienstete in Unteroffiziersfunktion), als 'Milizsoldaten' oder als Soldaten in anderen Formen des Präsenzdienstes zur Verfügung. Unabhängig von der Art ihrer (späteren) Verwendung beim Bundesheer durchlaufen somit alle Soldaten die Eingangszone des Grundwehrdienstes. Wenn während dieser Zeit eine Disziplinarhaft als Disziplinarstrafe vorgesehen ist, trifft diese Strafe somit alle Soldaten in gleicher Weise, unabhängig von dem später anzuwendenden (wieder für alle Soldaten in grundsätzlich gleicher Weise zutreffenden) anderen Strafkatalog, der eine derartige Disziplinarmaßnahme nicht mehr vorsieht.

Die Bedenken des VfGH, daß Soldaten mit in der Regel geringerer Verantwortung strengere Strafen (freiheitsentziehende Maßnahmen der Disziplinarhaft) zu erwarten haben, als Soldaten mit höherer Verantwortung, setzen voraus, daß die für Grundwehrdiener vorgesehene Disziplinarhaft unter allen Umständen als strenger anzusehen ist als die Geldstrafe, die für andere Soldaten vorgesehen ist.

Freiheitsbeschränkungen von Soldaten können aber nicht in gleicher Weise betrachtet werden wie Freiheitsbeschränkungen, die im Zivilleben auftreten. Dies wurde auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg betont, der im Fall 'Engel' . . . ausführte, daß einer Disziplinarstrafe, die sich unbestreitbar als Freiheitsentzug darstellt, wenn man sie gegen eine Zivilperson zur Anwendung bringt, dieser Charakter abgehen kann, wenn man sie gegen eine Militärperson verhängt.

Der Soldat nimmt, wie alle übrigen Soldaten, an der Vorbereitung zum Dienst und am Dienst selbst teil. Erst nach Dienstschluß ist die Disziplinarhaft relevant.

Nicht übersehen werden darf, daß auch den übrigen Soldaten die Freizeitgestaltung nicht an jedem Tag in ungehinderter Weise möglich ist; wird der Dienstbetrieb bis in die späten Abendstunden oder bis zum Zapfenstreich bzw. darüber hinaus (Nachtübung) weitergeführt, so ist auch für diese Soldaten an diesem Tag ihre Dispositionsfähigkeit hinsichtlich jenes Zeitraumes, der ihnen normalerweise als Freizeit zugestanden ist, eingeschränkt bzw. aufgehoben.

Auch sonstige Einschränkungen des militärischen Aufenthaltsbereiches sind relativ zu sehen: So ist etwa ein Wachposten in seiner Beweglichkeit beträchtlich eingeschränkt und für Soldaten im Rahmen vieler anderer militärischer Dienstleistungen (zB Bereitschaftsdienst) sind gleichartige Beschränkungen vorgesehen.

Aus allen diesen Umständen folgt, daß - iSd zitierten 'Engel'-Erkenntnisses - der Disziplinarhaft bei Soldaten ein anderer Stellenwert zukommt als Freiheitsbeschränkungen im Zivilleben. Die Umstände dieser Disziplinarmaßnahme sind daher verhältnismäßig weniger gravierend als die in den Alltag tief eingreifenden Umstände einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Haft gemessen an den Gegebenheiten des Zivillebens.

Bei Soldaten, die den Grundwehrdienst abgeschlossen haben und zu Übungen einberufen werden, wären freiheitsbeschränkende Strafen nicht oder nur schwer vollstreckbar . . .

Es ist darauf hinzuweisen, daß eine der Disziplinarstrafe der Entlassung (die den 'Berufssoldaten' die berufliche Existenz und damit die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzieht) vergleichbar schwere Strafe bei Soldaten im Grundwehrdienst nicht besteht. Eine Entlassung würde dort in ein Spannungsverhältnis zur Wehrpflicht geraten.

In diesem Zusammenhang ist auch die für Zeitsoldaten vorgesehene Degradierung zu erwähnen, welche für diese die Beendigung des Präsenzdienstverhältnisses zur Folge hat. Die für Soldaten im Grundwehrdienst vorgesehene Disziplinarhaft zieht im Verhältnis zu dieser Strafe wesentlich geringere Auswirkungen nach sich. . . "

1.5. §29 Abs1 und §42 HDG 1985 lauten wie folgt (- die auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Teile dieser Paragraphen sind hervorgehoben - ):

"§29. (1) Der Beschuldigte kann sich selbst verteidigen oder durch

1.

einen Soldaten oder

2.

einen Beamten oder Vertragsbediensteten, der nicht Soldat ist,

jeweils aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich der Disziplinarbehörde, verteidigen lassen, der sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen hat. Vor der Disziplinarbehörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden. Eine Verteidigung durch andere Personen ist nicht zulässig."

"§42. Disziplinarstrafen für Soldaten, die den Grundwehrdienst (§28 Abs1 und 3 des Wehrgesetzes 1978) oder im Anschluß an diesen einen außerordentlichen Präsenzdienst im Falle des §40 Abs2 des Wehrgesetzes 1978 (Aufschub der Rückversetzung in die Reserve) leisten, sind:

1.

der Verweis,

2.

die Geldbuße,

3.

das Ausgangsverbot,

4.

die Disziplinarhaft,

5.

die Unfähigkeit zur Beförderung und die Degradierung."

              2.              Der VfGH hat erwogen:

2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

Sämtliche - zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen - Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig:

Wie die vor dem VfGH angefochtenen Bescheide - jeweils in Spruch und Gründen - zeigen, wendeten die Disziplinarbehörden die in Prüfung stehenden Vorschriften des HDG 1985 bei Fällung ihrer Entscheidungen tatsächlich - und immerhin denkmöglich - an.

Entscheidungen der Berufungsbehörde im Verfahren nach dem HDG 1985 unterliegen keiner weiteren Anfechtung im Verwaltungsweg (§36 HDG 1985); in sämtlichen Anlaßbeschwerdefällen ist darum der administrative Instanzenzug ausgeschöpft.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind alle Beschwerden zulässig.

Die in Prüfung stehenden generellen Normen zählen nach dem bereits Gesagten (mit) zu den Rechtsgrundlagen der angefochtenen Verwaltungsakte (§29 Abs1 letzter Satz HDG 1985 in den Verfahren B61/87, B233/87 und B802/87, §42 Z4 HDG im Verfahren B233/87); sie wären demnach auch vom VfGH bei Schöpfung der Erkenntnisse über die von den Bf. erhobenen Beschwerden gemäß Art144 Abs1 B-VG anzuwenden und somit in diesen Beschwerdesachen präjudiziell im Sinn des Art140 Abs1 Satz 1 B-VG.

Damit ist auch die Zulässigkeit der Normenkontrollverfahren zu bejahen.

2.2. Zur Sache:

Die Bedenken des VfGH sowohl gegen §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985 als auch gegen §42 Z4 dieses BG sind begründet.

In den Gesetzesprüfungsverfahren kam nichts hervor, was die in den Prüfungsbeschlüssen ausgebreiteten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Normen hätte entkräften können. Die namentlich im Beschluß des VfGH vom 16. Juni 1987, B233/87-12, aufgezeigten Bedenken erwiesen sich vielmehr aus den dort dargelegten Erwägungen als voll zutreffend:

2.2.1. Zu §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985

Die Einwände der Bundesregierung vermögen die Bedenken des VfGH ob der Verfassungsmäßigkeit des §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985 nicht zu zerstreuen. Denn sie lassen die entscheidende Überlegung des Gerichtshofes außer Acht, daß dem Beschuldigten gerade - und nur - im Kommandantenverfahren, in dem ein Rechtsanwalt als Verteidiger nicht einschreiten darf, freiheitsentziehende Disziplinarstrafen, also - wegen der gravierenden Bedeutung des Rechtsgutes der persönlichen Freiheit - besonders schwere und einschneidende Unrechtsfolgen drohen. Die sonst zulässige Beiziehung eines Anwalts für dieses, unter Umständen zur Verhängung von Haftstrafen führende Verfahren zu verbieten, läßt sich sachlich keinesfalls rechtfertigen: Die Aussage, daß der Disziplin im Bundesheer ein wesentlich höherer Stellenwert als in anderen Verwaltungsbereichen zukomme, muß für das Heer allgemein, nicht etwa bloß für bestimmte - nämlich dem Kommandantenverfahren unterworfene - Heeresangehörige gelten. Aus welchen Gründen die Mitwirkung eines bundesheerexternen Verteidigers den internen Charakter zwar des Kommandanten-, aber nicht des Kommissionsverfahrens erheblich stören könne, wie die Bundesregierung zu vermeinen scheint, leuchtet nicht ein. Der VfGH kann der Bundesregierung letztlich aber auch nicht beipflichten, wenn sie der Sache nach der Auffassung anhängt, daß lediglich Berufssoldaten einer rechtsfreundlichen Vertretung im Disziplinarverfahren bedürfen. Denn die österreichische Rechtsordnung kennt nur einen - einer solchen Aufsplitterung und Differenzierung zuwiderlaufenden - umfassenden Soldatenbegriff:

Soldaten sind nämlich alle in §1 Abs3 Wehrgesetz 1978, BGBl. 150/1978 igF, genannten Bundesheerangehörigen, das sind Personen, die zum ordentlichen oder außerordentlichen Präsenzdienst einberufen sind (Z1), Berufsoffiziere des Dienststandes (Z2) und Beamte und Vertragsbedienstete, die (nach §11 leg. cit.) zur Ausübung einer Unteroffiziersfunktion herangezogen werden (Z3). Dazu bestimmt §1 Abs4 Satz 2 Wehrgesetz 1978, daß Soldaten "Offiziere, Unteroffiziere, Chargen oder Soldaten ohne Chargengrad (Wehrmänner)" sind. Demgemäß bezeichnet §1 Abs2 HDG 1985 als Soldaten alle jene Personen, die 1. Präsenzdienst leisten (§1 Abs3 Z1 Wehrgesetz 1978) oder 2. dem Bundesheer auf Grund eines Dienstverhältnisses (§1 Abs3 Z2 und 3 Wehrgesetz 1978) angehören. Schließlich muß das Einschreiten eines Rechtsanwalts an der Seite des Disziplinarbeschuldigten einer zügigen Abwicklung des Disziplinarverfahrens - der Meinung der Bundesregierung zuwider im allgemeinen durchaus nicht Abbruch tun.

Anzufügen bleibt hier noch, daß die Beurteilung des geltenden §29 Abs1 letzter Satz HDG 1985 als verfassungswidrig nicht die Aussage mitumfaßt, das B-VG stehe einem gesetzlichen Verbot der Beiziehung eines Rechtsanwalts als Verteidiger in Disziplinarfällen unter allen denkbaren Bedingungen und Voraussetzungen entgegen.

2.2.2. Zu §42 Z4 HDG 1985

Doch auch die von der Bundesregierung zur Verteidigung des §42 Z4 HDG 1985 gewählten Argumente verfangen nicht. Vor allem zielt es am Kern des Problems vorbei, wenn - zumindest sinngemäß - geltend gemacht wird, diese Gesetzesstelle sei deshalb gleichheitsrechtlich unbedenklich, weil alle Soldaten zunächst einmal Grundwehrdienst zu absolvieren und darum eine Phase ihrer Militärdienstzeit zu durchlaufen hatten, für die freiheitsentziehende Disziplinarmittel in Betracht kamen. Denn es kommt hier nicht darauf an, ob hierarchisch höher stehende Heeresangehörige in der Vergangenheit vorübergehend dem Regime des §42 Z4 HDG 1985 unterstellt waren. Für die Prüfung nach Art7 Abs1 B-VG entscheidend ist einzig und allein der Umstand, daß gleiches Fehlverhalten ungleichen Sanktionen - und zwar nichtfreiheitsentziehender und freiheitsentziehender Art unterliegt, je nachdem, ob der Verantwortliche bereits Sprossen der militärischen Stufenleiter erklommen hat oder nicht: Denn nur für untergeordnetes Heerespersonal sind drückende freiheitsentziehende Disziplinarsanktionen vorgesehen. Daran ändert auch nichts, daß die von der Bundesregierung herausgestellte Disziplinarstrafe der Entlassung auf Grundwehrdiener - schon angesichts der gesetzlichen Wehrpflicht keine Anwendung findet. Selbst wenn man die Auffassung teilen sollte, daß Freiheitsbeschränkungen im Militärdienst anders als im "Zivilleben" zu beurteilen seien, wäre für den Standpunkt der Bundesregierung nichts gewonnen, weil diese Sondersituation für alle Heeresangehörigen in gleicher Weise vorläge: Offiziere etwa wären durch eine solche spezifisch militärbezogene Haft nicht schwerer betroffen als ihre Untergebenen. Abschließend wird ausdrücklich auf die für das (Vor-)Erkenntnis VfSlg. 9728/1983 maßgebenden Gründe verwiesen, die der VfGH nach wie vor für richtig hält und auf den vorliegenden Rechtsfall sinngemäß überträgt.

2.2.3. Zusammenfassend ergibt sich, daß die in Prüfung gezogenen gesetzlichen Regelungen weder aus den von der Bundesregierung geltend gemachten Gründen noch, wie beizufügen bleibt, aus anderen Erwägungen sachlich gerechtfertigt sind; sie waren darum wegen Verstoßes gegen Art7 Abs1 B-VG aufzuheben.

2.3. Die Aussprüche über das Inkrafttreten der Aufhebung und die Kundmachungspflicht stützen sich auf Art140 Abs5, der frühere gesetzliche Bestimmungen betreffende Ausspruch auf Art140 Abs6 B-VG.

Schlagworte

Dienstrecht, Disziplinarrecht, Militärdienst, Berufsrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:G161.1987

Dokumentnummer

JFT_10128798_87G00161_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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