TE Vwgh Erkenntnis 1990/10/10 90/03/0140

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Veröffentlicht am 10.10.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

VStG §19;
VStG §3 Abs1;
VStG §3 Abs2;
VStG §3;
VStG §6;

Betreff

N gegen Landeshauptmann von Tirol vom 19. Februar 1990, Zl. IIb2-V-7877/1-1989, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 20. Juli 1989 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, am 15. Mai 1989 um 15,15 Uhr in Innsbruck von der Kranebitter Allee bis zum Haus Pacherstraße 3 einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw, ohne im Besitz einer Lenkerberechtigung zu sein, gelenkt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 64 Abs. 1 KFG begangen zu haben. Der Anzeige ist zu entnehmen, der Beschwerdeführer habe sich zusammen mit einer anderen Person bei einer Privatperson hinsichtlich deren Pkw interessiert und damit eine Probefahrt unternommen. Er habe den Sachverhalt den Gendarmeriebeamten gegenüber zugegeben.

Gegen die Strafverfügung erhob die Sachwalterin des Beschwerdeführers in dessen Namen rechtzeitig Einspruch, in welchem auf die Geistesschwäche und psychischen Erkrankungen des Beschwerdeführers, die zu der Sachwalterbestellung geführt hätten, verwiesen und vorgebracht wurde, der Beschwerdeführer sei unzurechnungsfähig (§ 3 VStG) gewesen. Die Sachwalterbestellung war am 8. Oktober 1987 durch das Bezirksgericht Innsbruck zur Einkommens- und Vermögensverwaltung und zur Vertretung des Beschwerdeführers vor Ämtern und Behörden erfolgt. Ein Auszug aus einem ärztlichen Gutachten aus 1987 wurde angeschlossen, in welchem auf die Grenzbegabung, die beträchtlichen charakterlichen Abartigkeiten und den dringenden Verdacht auf das Bestehen eines schizophrenen Defektzustandes usw. verwiesen wurde.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 9. August 1989 wurde der Beschwerdeführer abermals wegen der Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG mit einer Geldstrafe bestraft. Auf Grund des Akteneinhaltes und des schon genannten ärztlichen Gutachtens lägen nach Ansicht der Behörde keine Anhaltspunkte dafür vor, die eine Unzurechnungsfähigkeit für das gegenständliche Delikt begründen würden.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung wurde neuerlich auf das Vorliegen der Unzurechnungsfähigkeit Bezug genommen und des weiteren ausgeführt, daß sich der Zustand des Beschwerdeführers gegenüber der Begutachtung aus 1987 gravierend verschlechtert habe, weshalb es eines neuen Befundes bedürfe. Der schlechte psychische Zustand des Beschwerdeführers sei selbst für einen Laien erkennbar.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. Februar 1990 wurde ohne weiteres Ermittlungsverfahren die Berufung als unbegründet abgewiesen. Der objektive Tatbestand sei nicht bestritten. Aktenkundig sei die Bestellung der Sachwalterin aus dem Jahre 1987. Nach der Judikatur sei ein beschränkt Entmündigter, der nicht befähigt sei, sein eigenes Einkommen und Vermögen selbst zu verwalten, bei der Begehung von Verwaltungsübertretungen als zurechnungsfähig anzusehen. Diese Rechtsansicht treffe hier zu, zumal die Sachwalterschaft nur hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverwaltung und der Vertretung vor Ämtern und Behörden bestehe. Daß sich der Beschwerdeführer offensichtlich darüber klar gewesen sei, daß zum Lenken eines Kraftfahrzeuges die erforderliche Lenkerberechtigung vorliegen müsse, ergebe sich aus den Angaben des Beschwerdeführers gegenüber den Gendarmeriebeamten. Deshalb sei es als erwiesen anzunehmen, daß der Beschwerdeführer die ihm zum Vorwurf gemachte Übertretung begangen und diese auch zu verantworten habe, da er in der Lage gewesen sei, das Unerlaubte der Tat einzusehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerde kommt, soweit damit die Feststellung der belangten Behörde bekämpft wird, der Beschwerdeführer sei zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Berechtigung zu.

Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Die Bestimmungen des § 3 VStG sind von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 1967, Zlen. 1134, 1135/67). Die Zurechnungsfähigkeit bildet eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Die Frage, ob der Täter zur Zeit der Tat zurechnungsfähig im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG war, ist eine Rechtsfrage. Sie ist allerdings von der Behörde mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen zu lösen, wobei nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes in der Regel die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie erforderlich sein wird (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 26. November 1984, Slg. Nr. 11.595/A).

Die Ausführungen der belangten Behörde, es sei von einer Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen, da er jedenfalls imstande sei, das Unerlaubte der Tat einzusehen, erweisen sich als nicht schlüssig. Bedarf es doch nicht nur des Vorliegens der Diskretionsfähigkeit, sondern auch der Dispositionsfähigkeit, daß also der Beschuldigte fähig sein muß, nicht nur das Unerlaubte der Tat einzusehen, sondern auch dieser Einsicht gemäß zu handeln. Durch die Sachwalterin des Beschwerdeführers wurde von Anfang an auf den schlechten psychischen Zustand des Beschwerdeführers verwiesen, insbesondere darauf, daß sich das Zustandsbild gegenüber der Begutachtung aus dem Jahre 1987, das zur Sachwalterschaft geführt hat, noch verschlechtert habe und daher die Beiziehung eines ärztlichen Sachverständigen notwendig sei. Der in der Gegenschrift vertretenen Meinung der belangten Behörde, es liege eine Verletzung der Mitwirkungspflicht des Beschuldigten vor, weil die Verschlechterung des Gesamtzustandes nicht näher begründet worden sei, vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anschließen, da schon im Gutachten aus 1987 auf bestehende Abartigkeiten usw. des Beschwerdeführers verwiesen wurde und auch in der Anzeige von den einschreitenden Beamten ausdrücklich festgehalten wurde, der Beschwerdeführer habe einen "verwirrten Eindruck gemacht" und "wirres Zeug geredet". Bei dieser Sachlage kann ohne Beiziehung eines ärztlichen Amtssachverständigen eine sichere Feststellung darüber, ob sowohl die Diskretionsfähigkeit als auch die Dispositionsfähigkeit zur Tatzeit vorgelegen sind, nicht getroffen werden.

Diese Ausführungen zeigen, daß der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Aufklärung bedarf bzw. Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990030140.X00

Im RIS seit

10.10.1990

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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