TE Vwgh Erkenntnis 1990/10/25 89/06/0064

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Veröffentlicht am 25.10.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs3;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 1. März 1989, Zl. Ve-550-1522/1, betreffend die Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist in einer Bausache (mitbeteiligte Parteien: 1. Gemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister, 2. A), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1986 erteilte die mitbeteiligte Gemeinde dem Zweitmitbeteiligten die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses und einer Garage auf der Gp. 103/1 der Katastralgemeinde X. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin als Anrainerin nach zwei vergeblichen Zustellversuchen am 9. Dezember 1986 durch Hinterlegung beim Postamt n zugestellt.

Mit Datum 20. Dezember 1986 langte beim Gemeindeamt der Gemeinde X ein Schreiben der Beschwerdeführerin folgenden Inhaltes ein:

"Ihr Bescheid vom 2.12.1986. Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wegen Grenzfestsetzung zwischen dem Grundstück 103/1 in EZL 863 II KG X und Gp. 102 KG X wird ein weiters Rekursverfahren beantragt."

Am 13. Februar 1987 (Eingangsdatum 19. Februar 1987) schrieb die Beschwerdeführerin an die erstmitbeteiligte Partei wie folgt:

"Betrifft: Bescheid vom 3.12.1986, Zl: 153-581/86.

Aus gesundheitlichen Gründen ist es mir bis heute nicht möglich meinen Rechtsberater zu konsultieren, ich kann außerdem einen 20 Seiten langen maschingeschriebenen Bescheid ohne einen rechtlichen Beistand nicht beantworten.

Es bleiben aber auf alle Fälle unsere Einwendungen vom 6.6.1986 aufrecht, dazu kommen die neuen Planungen welche in keiner Weise ordentlich und übersichtlich vorgelegt wurden."

Erst am 1. April 1987 langte bei der erstmitbeteiligten Gemeinde ein Telegramm der Beschwerdeführerin mit dem (postamtlich bestätigten) Aufgabedatum 29.12.1986 (Ü) folgenden Wortlautes ein:

"Konnte wegen Krankheit Grippe zu dem Bescheid vom 2.12.1986 Zl. 153-581/86 A X 138 noch keine schriftliche Stellungnahme nehmen - diese wird nachgereicht.

N X"

Mit einem am 16. April 1987 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte die (nunmehr anwaltlich vertretene) Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen den eingangs erwähnten Baubewilligungsbescheid. Begründet wurde dieser Antrag wie folgt:

"(Die Beschwerdeführerin) litt praktisch während des gesamten Winters 1986/1987 an einer schweren Grippe. Sie mußte praktisch während des gesamten Winters das Bett hüten und war nicht in der Lage Veranlassungen bezüglich des ergangenen Baubescheides zu treffen. Ihr war es auch nicht möglich, einen Anwalt aufzusuchen, um sich über das weitere Vorgehen zu beraten. Um den Ablauf der Rechtsmittelfrist zu hemmen, hat N am 29.12.1986 beim Postamt Y telefonisch ein Telegramm, gerichtet an das Gemeindeamt X aufgegeben, in welchem sie Berufung gegen den Baubescheid des Vizebürgermeisters von X vom 2. Dezember 1986, Zl. .153-581/86, erhob. Im Telegramm kündigte (die Beschwerdeführerin) auch an, die Berufung, sobald es ihr gesundheitlich besser gehe, zu begründen. Aus unverständlichen Gründen wurde das Telegramm vom Postamt Y nie an das Gemeindeamt X weitergeleitet. Erst am Freitag, den 31.3.1987, hat (die Beschwerdeführerin) davon erfahren, daß das Telegramm nie beim Gemeindeamt X eingelangt war. Die Versäumung der Berufungsfrist ist nicht von (der Beschwerdeführerin) zu vertreten. Für sie war es unvorhersehbar, daß das Telegramm nicht an das Gemeindeamt X weitergeleitet wird."

Mit Bescheid vom 22. Juli 1987 hat der Bürgermeister der erstmitbeteiligten Partei als Baubehörde erster Instanz diesen Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen; in der Begründung dieses Bscheides heißt es, die schriftliche Mitteilung der Beschwerdeführerin vom 20. Dezember 1986 zeige, daß sie in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung einzubringen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der unter anderem ausgeführt wird, daß die Berufungsfrist (erst) am 24. Dezember 1986 geendet habe. Die Beschwerdeführerin sei schon am 20. Dezember 1986 "relativ schwer krank", jedoch noch in der Lage gewesen, die kurze Mitteilung bezüglich des Grenzfestsetzungsverfahrens an das Gemeindeamt X zu richten. Die Einbringung einer Berufung habe die Beschwerdeführerin in der Hoffnung auf eine Besserung des Gesundheitszustandes auf die nächstfolgenden Tage verschoben. Entgegen den Erwartungen habe sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin "drastisch verschlechtert". Sie habe "hohes Fieber, starke Kopf- und Halsschmerzen (gehabt) und mußte während der gesamten Zeit das Bett hüten". Die Beschwerdeführerin habe auch ihr Strickwarengeschäft nicht offenhalten können und dadurch "hohe finanzielle Einbußen" erlitten. Für das Wiedereinsetzungsbegehren genüge es, wenn die Verhinderung am letzten Tag der Berufungsfrist eintrete.

Mit Bescheid vom 24. November 1988 hat der Gemeindevorstand der Berufung keine Folge gegeben und seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß nach einer von der Berufungsbehörde eingeholten ärztlichen Stellungnahme eine unkomplizierte Lungenentzündung in zwei bis drei Wochen heilbar sei. Nach eingeholten Zeugenaussagen habe die Dispositionsunfähigkeit der Beschwerdeführerin höchstens zwei bis vier Wochen gedauert. Der Wiedereinsetzungsantrag sei daher nicht fristgerecht gestellt worden.

Die gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobene Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 (der gemäß Art. II Abs. 2 lit. B Z. 26 EGVG 1950 von den Organen der Gemeinde anzuwenden ist) ist gegen die Versäumung einer Frist der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Gemäß § 71 Abs. 2 leg. cit. muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses gestellt werden.

Soweit sich das - teilweise schwer verständliche - Beschwerdevorbringen mit der Frage beschäftigt, ob das von der Beschwerdeführerin am 29. Dezember 1986 aufgegebene, bei der erstmitbeteiligten Partei durch ein postamtliches Versehen jedoch erst am 1. April 1987 eingelangte Telegramm eine zwar mangelhafte, jedoch einer Verbesserung zugängliche Berufung darstelle, wird der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens verkannt: Gegenstand des der Erlassung des angefochtenen Bescheides vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens war ausschließlich die Frage, ob die Beschwerdeführerin gegen die Versäumung der Berufungsfrist einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund rechtzeitig geltend gemacht hat. Dazu vermag die Frage, ob das am 29. Dezember 1986 (und damit wegen der am 9. Dezember 1986 erfolgten Zustellung jedenfalls verspätet zur Post gegebene Telegramm einen begründeten Berufungsantrag im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG 1950 enthalten hat, nichts beizutragen.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Antrag als Wiedereinsetzungsgrund ausschließlich eine Krankheit geltend gemacht, welche sie an der rechtzeitigen Einbringung des Rechtsmittels gehindert haben soll. Sie hat aber kein Vorbringen dahin erstattet, daß sie durch diese Krankheit (offenbar ein mit hohem Fieber verbundener grippaler Infekt, hinsichtlich dessen weder vorgebracht noch festgestellt wurde, von wann bis wann er gedauert hat) auch nur vorübergehend dispositionsunfähig gewesen wäre (d.h., daß die Krankheit die Beschwerdeführerin nicht nur an der Einbringung einer Berufung, sondern überdies an anderen geeigneten Maßnahmen, wie z.B. der Beauftragung eines Rechtsanwaltes gehindert hätte). Auch vermochte die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, aus welchem Grund sie am 20. Dezember 1986, als sie in einer schriftlichen Eingabe erstmals auf den ihr am 9. Dezember 1986 zugestellten Bescheid vom 2. Dezember 1986 Bezug genommen hat, außerstande gewesen sein soll, in diesem Brief zum Ausdruck zu bringen, in welche Richtung sie eine Abänderung des ihr zugestellten Bescheides wünscht und woraus sie meint, ihren Rechtsstandpunkt ableiten zu können. Eine die Dispositionsfähigkeit nicht ausschließende Erkrankung ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein unüberwindbares Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 (vgl. den Beschluß vom 9. Mai 1949, Slg. Nr. 811/A, das Erkenntnis vom 18. März 1953, Slg. Nr. 2902/A und - aus jüngerer Zeit - das Erkenntnis vom 21. Oktober 1986, Zl. 86/04/0062).

Nach der gleichfalls insoweit ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind alle Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen. Gerade zufolge der Befristung eines Wiedereinsetzungsantrages ist es nicht Sache der Behörde, jene tatsächlichen Umstände zu erheben, die einen Wiedereinsetzungsgrund bilden könnten. Die Partei bleibt auch in der Folge an den im Antrag vorgebrachten Wiedereinsetzungsgrund gebunden. Eine Auswechslung dieses Grundes im Rechtsmittelverfahren ist unzulässig (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 1960, Slg. Nr. 5346/A, und vom 20. März 1986, Zl. 85/06/0185). Schon an dieser Rechtslage müssen alle von der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren auf Gemeindeebene, sowie im Vorstellungsverfahren, und auch noch in der vorliegenden Beschwerde unternommenen Versuche scheitern, über die im Antrag vom 16. April 1987 vorgebrachten Gründe hinaus weitere (im übrigen ebenso untaugliche) Gründe für eine Wiedereinsetzung nachzutragen.

Schließlich hat es die Beschwerdeführerin - wiederum entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den hg. Beschluß vom 8. Juli 1980, Slg. Nr. 10205/A, und die Erkenntnisse vom 5. Oktober 1988, Zl. 88/18/0332 und vom 19. September 1989, Zl. 89/08/0028) - verabsäumt, bereits in ihrem Wiedereinsetzungsantrag ausdrückliche Angaben über die Rechtzeitigkeit des Antrages im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG 1950 zu machen. Das Vorbringen, die Beschwerdeführerin habe erst am 31. März 1987 davon Kenntnis erlangt, daß ihr Telegramm vom 29. Dezember 1986 beim Gemeindeamt X bis dahin nicht eingelangt sei, kann in diese Richtung jedenfalls nicht gedeutet werden:

Dieser Zeitpunkt liegt mehr als eine Woche vor der Postaufgabe des Wiedereinsetzungsantrages (16.4.1987) und ist daher - ungeachtet der Frage, ob damit überhaupt ein taugliches Vorbringen im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG 1950 erstattet worden ist - schon deshalb ungeeignet, die Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages im Hinblick auf die einwöchige Frist des § 71 Abs. 2 AVG 1950 darzutun.

Aus den schon dem Wiedereinsetzungsantrag anhaftenden, nicht verbesserungsfähigen inhaltlichen Mängeln (vgl. hiezu u. a. etwa den hg. Beschluß vom 8. Juli 1980, Slg. Nr. 10205/A) hätte dieser Antrag bereits von der Baubehörde erster Instanz zurückgewiesen werden müssen. Dadurch, daß die Baubehörde erster Instanz den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin (meritorisch) abgewiesen, die Berufungsbehörde diese Abweisung bestätigt und schließlich die belangte Behörde der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben hat, sind jedoch zufolge Fehlens eines Anspruches auf eine meritorische Erledigung Rechte der Beschwerdeführerin nicht verletzt worden. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Formgebrechen nicht behebbare NICHTBEHEBBARE materielle Mängel Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989060064.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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