TE Vwgh Beschluss 1990/10/25 90/16/0163

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Veröffentlicht am 25.10.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §7;
AVG §71 Abs1 lita;
BAO §308 Abs1;
B-VG Art130 Abs1;
FinStrG §167 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Närr und Mag. Meinl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Boigner, über den Antrag des RC auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg vom 9. Mai 1990, GZ. R-C 1/1-GA 7-M/90, betreffend Einforderung kraft Gesetzes entstandener Eingangsabgaben für Suchtgift, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen und am 13. Juni 1990 zugestellten Bescheid der im Spruch dieses Beschlusses genannten Behörde waren dem Antragsteller für im Frühjahr 1986 von MB im Zollgebiet übernommenes Suchtgift (6,925 kg Cannabisharz und 2,6 kg Marihuana) unter Berufung auf § 174 Abs. 3 lit. a zweiter Tatbestand iVm § 3 Abs. 2 ZollG die kraft Gesetzes entstandenen Eingangsabgaben in der Gesamthöhe von 181.087 S zuzüglich 3.622 S an Säumniszuschlag zur Entrichtung vorgeschrieben worden.

Mit dem am 20. August 1990 zur Post gegebenen Antrag begehrte der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde gegen den oben erwähnten Berufungsbescheid und führte darin im wesentlichen aus, sein Rechtsfreund habe die Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde fristgerecht verfaßt. Nach ihrer Fertigstellung sei sie auch von diesem überprüft worden. Da durch die Sekretärin, S die Finanzlandesdirektion für Salzburg als Adressat angeführt worden sei, sei dieser vom Rechtsfreund des Antragstellers der ausdrückliche Auftrag erteilt worden, die erste Seite dahingehend zu ändern bzw. richtigzustellen, daß die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof in Wien zu richten und sodann zu kuvertieren und abzusenden sei. Die genannte Sekretärin sei seit November 1986 in der Kanzlei des Rechtsfreundes des Antragstellers beschäftigt. Sie nehme sämtliche Fristvormerkungen vor und verfasse die Schriftsätze. Sie sei in ihrer Tätigkeit sehr gewissenhaft und genau. Es sei auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit absoluter Verlaß darauf, daß eine ausdrückliche Anordnung der Änderung des Adressaten richtig und vollständig durchgeführt werde. Auf Grund der langjährigen Tätigkeit der genannten Sekretärin sei es nicht notwendig gewesen, die Richtigstellung der Adresse nochmals zu überprüfen, weil diese lediglich mit einem Korrekturband durchzuführen gewesen sei. Aus diesem Grund habe der Rechtsfreund des Antragstellers die Beschwerde unterschreiben und mit dem ausdrücklichen Auftrag der Sekretärin an ihren Arbeitsplatz übergeben können, die Adresse richtigzustellen und sodann die Beschwerde an den richtigen Adressaten abzusenden. Das Verhalten der Sekretärin, die in diesem Einzelfalle eine ausdrückliche Weisung mißachtet habe, sei derart ungewöhnlich, daß es als "Ereignis" nicht zu Lasten des Antragstellers gehen könne. Dieses Verhalten sei dem Antragsteller nicht zuzurechnen. Der Rechtsfreund des Antragstellers habe die ihm zumutbare und gebotene Überwachungspflicht durchgeführt. Er habe den gesamten Schriftsatz überprüft. Es sei ausdrücklich der Auftrag erteilt worden, den Adressaten zu ändern. Es handle sich dabei um das Ausbessern lediglich einer Adresse. Auf Grund der langjährigen Tätigkeit habe der Rechtsfreund des Antragstellers davon ausgehen müssen, daß die Adresse richtiggestellt werde. Es sei hiezu der ausdrückliche Auftrag ergangen. Die Änderung sei ein derart geringer Arbeitsaufwand, sodaß der Rechtsfreund des Antragstellers nicht habe annehmen können, daß dem ausdrücklichen Auftrag nicht Folge geleistet werde. Es handle sich um ein einmaliges Fehlverhalten der Sekretärin. Da der Rechtsfreund des Antragstellers von diesem Umstand durch einen Anruf des Sachbearbeiters der Finanzlandesdirektion für Salzburg am 6. August 1980 Kenntnis erlangt habe, sei der Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht eingebracht.

Mit dem Wiedereinsetzungsantrag legte der Antragsteller je eine "eidesstättige Erklärung" des Rechtsanwaltes Dr. HT und der S vor, in denen die Angaben in diesem Antrag bestätigt werden.

Die belangte Behörde führte in ihrer Gegenäußerung zu diesem Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen aus, der Rechtsfreund des Antragstellers hätte keinesfalls die Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde vom 10. Juli 1990 ohne vorhergehende Richtigstellung des Adressaten unterschreiben und solcherart die Durchführung seiner Anweisung unkontrolliert lassen dürfen. Diesem Verschulden liege nach Ansicht der Antragsgegnerin kein minderer Grad des Verschuldens zugrunde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf die durch die oben angeführten Erklärungen bestätigten Angaben im Wiedereinsetzungsantrag keinen Grund, an den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag zu zweifeln. Ausgehend von diesem Sachverhalt ist der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus folgenden Erwägungen berechtigt:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 656 f zitierte Rechtsprechung). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein unvorhergesehenes Ereignis dar (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1990, Zl. 90/16/0042). Die regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen.

Diese in der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes enthaltenen Erwägungen kommen auch im vorliegenden Fall voll zum Tragen. Auch hier hat der bevollmächtigte Rechtsanwalt des Antragstellers das für die fristgerechte Erstattung der Beschwerde Erforderliche vorgekehrt. Zur Versäumung der Beschwerdefrist kam es nur auf Grund des oben beschriebenen Versehens seiner bisher fehlerfrei arbeitenden Bürokraft, das dieser erst nach fristgerechter Fertigstellung und Kontrolle durch den Rechtsanwalt trotz aufgetragender Änderung der falschen Adressierung der Beschwerde unterlaufen ist. Die weisungswidrige Nichtänderung einer falschen Adressierung einer Beschwerde durch eine Kanzleikraft ist ein für die Fristversäumnis unschädliches Kanzleiversehen. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eröffnet für den Abgabepflichtigen die letzte Möglichkeit in der Sache selbst vor einem unabhängigen Gericht Gehör zu erhalten. Deshalb dürfen in diesem Zusammenhang bei der Anwendung und Auslegung der für die Wiedereinsetzung maßgeblichen prozeßrechtlichen Vorschriften die Anforderungen daran nicht überspannt werden, damit der verfassungsrechtliche Anspruch des Betroffenen auf den Zugang zu einem Höchstgericht und auf Überprüfung der Rechtssache nicht abgeschnitten wird.

Da dem Antragsteller und seinem bevollmächtigten Vertreter ein Verschulden an der Versäumung somit nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.

Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren nun gemäß § 46 Abs. 5 VwGG in jene Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat. Die dieser Verfahrenslage entsprechende, das Beschwerdeverfahren selbst betreffende Verfügung wird zur hg. Zl. 90/16/0164 gesondert ergehen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990160163.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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