TE Vwgh Erkenntnis 1990/11/20 90/18/0137

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Veröffentlicht am 20.11.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs2 idF 1975/402 ;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §43 Abs1 litb Z1;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
StVO 1960 §99 Abs2 litc idF 1976/412 ;
VStG §22 Abs1;
VStG §24;
VStG §30 Abs1;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde der Liliane N gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 14. Mai 1990, Zl. Ib-182-185/89, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.590,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Berufungsbescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 14. Mai 1990 wurde die Beschwerdeführerin im Instanzenzug wie folgt schuldig erkannt:

Sie habe am 5. November 1988 um 12.07 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf der St.-Anna-Straße in Bregenz in Richtung Bahnhofstraße gelenkt, wobei sie

1) die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um mindestens 60 km/h überschritten habe und

2) die Fahrgeschwindigkeit nicht den gegebenen Umständen angepaßt habe, indem sie, von der Römerstraße kommend, mit derart hoher Geschwindigkeit in die St.-Anna-Straße eingefahren sei, daß sie mit dem Fahrzeug ins Schleudern geraten sei, wobei sich dieser Schleudervorgang ab dem Marienheim bis zum ADEG-Markt über die ganze Fahrbahnbreite hingezogen habe und indem sie zudem auf der Höhe des Marienheimes und auf der Höhe des Einganges zum Weiherpark mit der halben Wagenbreite auf den Gehsteig geraten sei.

Sie habe hiedurch zu 1) eine Übertretung nach § 99 Abs. 2 lit. c in Verbindung mit § 52 lit. a Z. 10a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) und zu 2) eine Übertretung nach § 99 Abs. 2 lit. c in Verbindung mit § 20 Abs. 1 StVO begangen; gemäß § 99 Abs. 2 lit. c StVO wurden jeweils Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 99 Abs. 2 lit. c StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von S 500,-- bis S 30.000,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges, z.B. beim Überholen, als Wartepflichtiger oder im Hinblick auf eine allgemeine oder durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung, unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt, insbesondere Fußgänger, die Schutzwege vorschriftsmäßig benützen, gefährdet oder behindert.

Die Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens haben sowohl im Spruchteil nach § 44a lit. b als auch nach lit. c VStG 1950 das Vorliegen solcher strafsatzändernder Umstände hinsichtlich beider Übertretungen angenommen, diese strafsatzändernden Umstände aber nicht in dem dem § 44a lit. a VStG 1950 entsprechenden Spruchteil zum Ausdruck gebracht. Dies widerspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe z.B. Erkenntnisse vom 11. Jänner 1984, Zl. 82/03/0100 vom 20. Juni 1990, Zl. 90/02/0035 und die in beiden Erkenntnissen zitierte Vorjudikatur).

Schon allein dadurch erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

Zu den weiteren Beschwerdegründen ist folgendes zu sagen:

Sofern die Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens - was mangels Aufnahme der strafsatzändernden Umstände in den Spruch ihrer Bescheide derzeit nicht beurteilt werden kann - die strafsatzändernden Umstände in jenem Sachverhalt erblicken, der der Beschwerdeführerin in der Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigte vom 2. Dezember 1988 zur Last gelegt wurde, ist die Frist zur Strafverfolgung durchaus gewahrt. Dasselbe gilt von der Zeugenaussage des D vom 24. Februar 1989 - wobei sogleich zur Verfahrensrüge der Beschwerde bemerkt sei, daß ein Beweis vom Hörensagen dem österreichischen Verwaltungsverfahren nicht fremd ist (Erkenntnis vom 20. April 1979, Zl. 1222/78).

Die Rechtsansicht der Beschwerde, eine Bestrafung wegen Übertretung nach § 20 Abs. 1, erster Fall (Nichtanpassung der Fahrgeschwindigkeit an die konkreten Umstände) und eine solche nach § 52 lit. a Z. 10a StVO schlössen einander aus, ist unrichtig. Die erstgenannte Bestimmung dient dem Schutzzweck konkret vorhandener Personen, Sachen oder Tiere. Die zweitgenannte Bestimmung dient den in § 43 Abs. 1 lit. b Z. 1 StVO genannten Zwecken; sie gilt auch dann als übertreten, wenn keinerlei konkrete Gefährdung von Personen, Sachen oder Vieh eintrat. Hingegen ist es durchaus denkbar, daß trotz Beachtung einer verordneten Geschwindigkeitsbeschränkung die konkret gewählte Geschwindigkeit dem Gebot des § 20 Abs. 1, erster Fall StVO widerspricht. Daher kann durch ein und dasselbe Verhalten sowohl die eine als auch die andere Bestimmung übertreten werden. Dies ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes über die mögliche Idealkonkurrenz zwischen einer Übertretung nach § 20 Abs. 1 und einer solchen nach § 20 Abs. 2 StVO, wobei die zweitgenannte Bestimmung ebenfalls abstrakte, von den Umständen des Einzelfalles unabhängige Geschwindigkeitsbeschränkungen vorsieht (siehe hiezu Erkenntnis vom 10. März 1966, Zl. 2117/65 und vom 12. April 1973, Zl. 81/73).

Weder die von der Beschwerdeführerin zitierte Judikatur noch die beiden Meinungen von Autoren sind zu dieser Frage aussagekräftig:

Den Erkenntnissen vom 15. Juni 1984, Zl. 83/02/0487, und vom 28. März 1985, Zl. 85/02/0005, lag jeweils NUR eine Überschreitung einer verordneten Höchstgeschwindigkeit zugrunde; Erwägungen, ob der Lenker seine Fahrgeschwindigkeit den KONKRETEN Verkehrsverhältnissen nicht angepaßt habe oder solche nach dem zweiten und dritten Satz des § 20 Abs. 1 StVO wurden nicht angestellt. Es mag im Hinblick auf eine andere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. Erkenntnis vom 7. Juli 1989, Zl. 85/18/0175) dahingestellt bleiben, ob die in den beiden zitierten Erkenntnissen gemachte Aussage "daß die zusätzliche Zitierung des § 20 Abs. 1 StVO nicht schade" mit dieser jüngeren Rechtsprechung übereinstimmt; unberührt durch diese - allfällige - Judikaturdifferenz bleibt die Frage, ob einerseits die Überschreitung der verordneten Höchstgeschwindigkeit, andererseits die Nichtanpassung der konkreten Fahrgeschwindigkeit zwei verschiedene Verwaltungsvorschriften verletze, was aus den oben angeführten Gründen zu bejahen ist. Ob sich die Aussage bei Kammerhofer-Benes, StVO7, S 469 f, und bei Benes-Messiner, StVO8, S 664, Kumulation sei zulässig, auf einen solchen Fall bezieht, ist nach dem dortigen Sachzusammenhang übrigens zweifelhaft. Das Gleiche gilt hinsichtlich der gegenteiligen Aussage von Dittrich-Veit-Veit, Anm. 56 Abs. 2 zu § 52 StVO. Für die dortige These, der Unrechtsgehalt einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die zwei Normen verletze, sei durch eine Bestrafung abgegolten, wird übrigens keine einsehbare Begründung gegeben.

Zur Verfahrensrüge der angeblichen Unzulässigkeit eines Beweises vom Hörensagen wurde bereits Stellung genommen. Im Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 2. Juni 1989 wurde als erwiesen angenommen, die Beschwerdeführerin sei einerseits vor dem Marienheim, andererseits bei der Einfahrt in den Weiherpark jeweils mit halber Wagenbreite auf dem Gehsteig gefahren. In ihrer Berufung gab die Beschwerdeführerin zu, "an einer Stelle der St.-Anna-Straße" auf dem Gehsteig gefahren zu sein; im übrigen seien "beide Fahrbahnränder" voll verparkt gewesen, sodaß sie an anderer Stelle nicht auf dem Gehsteig hätte fahren können.

Mit der letzterwähnten Behauptung hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt. Sie könnte aber wesentlich für die Frage sein, ob die Beschwerdeführerin den Gehsteig nur an einer oder an zwei Stellen befahren hat (und damit für die Frage der Unterstellung unter § 99 Abs. 2 lit. c StVO). Der von der belangten Behörde beigezogene Amtssachverständige zog in dieser Frage eine voreilige Schlußfolgerung: Weil er als erwiesen annahm, die Beschwerdeführerin habe an zwei Stellen den Gehsteig befahren, schloß er daraus, daß keine Fahrzeuge entlang dem Gehsteig geparkt gewesen seien. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist aber eine Feststellung, ob an bestimmten Stellen zu bestimmter Zeit der Gehsteigrand verparkt war, wesentlich leichter und mit größerer Sicherheit zu treffen als die Feststellung, ob ein sich bewegendes Fahrzeug an zwei Stellen den Gehsteig befahren hat. Daher wäre es Sache der belangten Behörde gewesen, zunächst die erstgenannte Frage zu klären und daraus Schlüsse auf das mögliche Verhalten der Beschwerdeführerin zu ziehen.

Zur Rüge in der Straffrage bemerkt der Verwaltungsgerichtshof, daß in Anbetracht des oben erwähnten gesetzlichen Strafrahmens die verhängten Geldstrafen von S 4.000,-- und S 3.000,-- auch unter Beachtung der Arbeitslosigkeit und Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ersichtlich nicht gegen die Grundsätze des § 19 VStG 1950 verstoßen.

Der angefochtene Bescheid war aus dem weiter oben angeführten Grund wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)Grundsatz der UnbeschränktheitMängel im Spruch Fehlen von wesentlichen Tatbestandsmerkmalen"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)Beweismittel ZeugenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie BeweiswürdigungBeweismittel ZeugenbeweisHörensagen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990180137.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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