TE Vwgh Erkenntnis 1990/11/21 90/01/0179

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Veröffentlicht am 21.11.1990
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Index

14/01 Verwaltungsorganisation;
15 Rechtsüberleitung Unabhängigkeitserklärung Übergangsrecht
Rechtsbereinigung;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §1;
Behörden-ÜG §15 Abs1;
BMG §7 Abs9;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Mai 1990, Zl. 4.231.183/3-III/13/88, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, reiste am 1. Oktober 1987 in das Bundesgebiet ein und stellte am 9. Oktober 1987 Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 5. November 1987 führte er aus, er sei in den Jahren von 1978 bis 1980 Sympathisant eines revolutionären Jugendvereines gewesen, nach dessen Auflösung er mit der PKK sympathisiert habe. Ein "Spitzel" des türkischen Geheimdienstes sei in Tunceli und später in Erzincan eingesetzt worden. Dieser habe Namen von Personen weitergegeben, die für kurdische Organisationen tätig seien. Dies habe zur Folge gehabt, daß der Beschwerdeführer im April 1987 für zehn Tage festgenommen worden sei. Man habe ihn gefoltert, auf eine "schwarze Liste" gesetzt und versucht, ihn zu "Spitzeltätigkeiten" zu zwingen. Er hätte es jedoch abgelehnt, Namen von Mitgliedern und Sympathisanten der PKK zu nennen. Im Juni 1987 sei er abermals für sieben Tage inhaftiert worden, da Verwandte des genannten "Spitzels" ermordet worden seien. Man habe ihm unzutreffenderweise vorgeworfen, an dem Racheakt beteiligt gewesen zu sein. Im Juli 1987 sei er erneut für 14 Tage inhaftiert gewesen, da das Haus jenes "Spitzels" in Brand gesetzt worden sei. Man habe den Beschwerdeführer aufgefordert, die Namen von PKK-Mitgliedern zu nennen. Er habe jedoch keine Angaben gemacht. Überdies sei ihm nur deren Kurzbezeichnung bekannt gewesen. Um einen Reisepaß zu erhalten, hätte er drei Beamte des Paßamtes zu einem "Festessen" eingeladen. In der Türkei hätte er nur die Möglichkeit gehabt, registriertes Mitglied der PKK zu werden oder dem türkischen Staat als Informant zu dienen. Er habe nicht Mitglied der PKK werden wollen, da diese kein demokratischer Verein sei; er sei jedoch bereit, die PKK zu unterstützen.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Dezember 1987 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes ist.

Gegen diesen Bescheid berief der Beschwerdeführer mit der Begründung, er stamme aus der Provinz Dersim, die unter starker Unterdrückung durch die türkische Armee stehe. Die Jugendlichen, die besonders brutal unterdrückt worden seien, hätten das Land verlassen müssen. Obwohl er zu Untergrundorganisationen keinen Kontakt gehabt habe, sei er dreimal festgenommen und tagelang gefoltert worden, um die Verstecke dieser Organisationen bekanntzugeben. Seine Ausreise sei für ihn die einzige Lösung gewesen, da er ansonsten entweder für die Untergrundorganisation oder für die türkische Armee hätte arbeiten müssen.

Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Zur Begründung führte sie aus, daß angesichts der gegenwärtig in der Türkei herrschenden politischen und wirtschaftlichen Umstände kein Anlaß bestehe, an der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz zu zweifeln; hingegen müsse dem damit im Widerspruch stehenden Vorbringen in der Berufung die Glaubwürdigkeit versagt werden. Der Beschwerdeführer habe bei der Befragung ausdrücklich erklärt, die PKK unterstützt zu haben. Erfahrungsgemäß machten Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kämen. Auch die pauschalen Behauptungen über erfolgte Folterungen, die der Beschwerdeführer in keiner Weise konkretisiert habe, erschienen unglaubwürdig. Die allgemeine Lage der Kurden vermöge noch nichts über die allein relevante, individuelle Situation des einzelnen Asylwerbers auszusagen. Die vom Beschwerdeführer dargelegten vorläufigen Festnahmen seien Mittel der Beweissicherung ohne pönalen Charakter. Überdies seien dem Beschwerdeführer daraus keine weiteren Konsequenzen erwachsen. Ihm wäre eine "problematische Ausreise" nicht möglich gewesen, wenn man Interesse an seiner Verfolgung gehabt hätte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, als Flüchtling anerkannt zu werden, verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Einwand der Unzuständigkeit der belangten Behörde ist unberechtigt. Denn die den angefochtenen Bescheid erlassende Sektion III des Bundesministeriums für Inneres wird bei der Vollziehung der der Abteilung III/13 auf dem Gebiete der Sicherheitsverwaltung zugewiesenen Aufgaben als Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit tätig (§ 7 Abs. 9 Bundesministeriengesetz 1986 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Behördenüberleitungsgesetz, StGBl. 1945/94, sowie Amtskalender 1990/91). Nach dem zuletzt genannten Gesetz gehen die Aufgaben, die von den Reichsstatthaltern auf dem Gebiete des öffentlichen Sicherheitswesens geführt wurden, in UNTERORDNUNG unter die im Staatsamt für Inneres (nunmehr Bundesministerium für Inneres) eingerichtete Generaldirektion für öffentliche Sicherheit auf Sicherheitsdirektionen über, deren Sprengel durch Verordnung bestimmt werden. Die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit ist keine vom Bundesministerium für Inneres ausgegliederte Behörde. Das Flüchtlingswesen gehört zum Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Inneres (vgl. Anlage zu § 2, Teil 2 H Z. 1 des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. Nr. 76).

Die belangte Behörde hat dem angefochtenen Bescheid das Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz zu Grunde gelegt und als richtig beurteilt. Dem gegenüber hat sie dennoch die vor der Behörde erster Instanz vom Beschwerdeführer angegebene Folterung als unglaubwürdig bezeichnet. Darin liegt eine einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellende widersprüchliche Begründung, weil der Beschwerdeführer die von ihm behauptete Folterung örtlich und zeitlich bestimmt angegeben hat, sodaß von einer bloß pauschalen Behauptung nicht gesprochen werden kann. Wenn die belangte Behörde Zweifel hinsichtlich Art und Umfang der behaupteten Folterungen gehegt hat, dann wäre es an ihr gelegen, das Verfahren durch Befragung des Beschwerdeführers zu ergänzen. Mehrmalige Festnahmen mit länger dauernder Anhaltung verbunden mit Folterungen können ohne nähere Begründung nicht als "Mittel der Beweissicherung ohne pönalen Charakter" angesehen werden. Im übrigen kann aus der problemlosen Ausreise allein nicht der Schluß gezogen werden, der Beschwerdeführer sei nicht in seinem Heimatland verfolgt worden, hat er doch nach seinen Angaben seinen Reisepaß durch einen Bestechungsakt ("Festessen" für Beamte) erhalten.

Da die belangte Behörde nach dem Gesagten ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat und nicht ausgeschlossen ist, daß sie bei Vermeidung dieser Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Schlagworte

Behördenorganisation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990010179.X00

Im RIS seit

23.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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