TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/11 90/08/0136

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Veröffentlicht am 11.12.1990
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §59 Abs1;
AVG §62 Abs4;
VwGG §43 Abs7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des Vereins L gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 12. Juni 1990, Zl. IVb-69-30/89, betreffend Berichtigung eines Beitragsbescheides gemäß § 62 Abs. 4 AVG 1950 (mitbeteiligte Partei: Vorarlberger Gebietskrankenkasse in Dornbirn, Jahngasse 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem beschwerdeführenden Verein Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die belangte Behörde hat mit Bescheid vom 25. April 1990 einen Einspruch des beschwerdeführenden Vereins, gerichtet gegen den Spruchpunkt I des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskankenkasse vom 14. Juni 1989, mit welchem die Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG für die im Bescheid näher bezeichneten Dienstnehmer in den dort angeführten Zeiträumen festgestellt worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 abgewiesen. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit Bescheid vom 29. Mai 1990 entschied die belangte Behörde in der (sich auf diese Dienstnehmer und Zeiträume beziehenden) Beitragssache über den Einspruch des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt II und III des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 14. Juni 1989, worin dem Beschwerdeführer als Dienstgeber Beiträge von S 89.324,69 und S 9.395,78 vorgeschrieben worden waren, mit folgendem Spruch:

"Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 wird dem Einspruch Folge gegeben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Punkte II. und III. behoben."

Die Begründung dieses Bescheides lautet:

    "Die Feststellung einer Beitragsverpflichtung eines

Arbeitgebers und die Vorschreibung von Verzugszinsen hat die

Feststellung des Bestehens der Versicherungspflicht der von ihm

beschäftigten Arbeitnehmer zur Voraussetzung. Der Bescheid der

Vorarlberger Gebietskrankenkasse vom 4.6.1989 ... hinsichtlich

der Feststellung der Versicherungspflicht der in diesem

Bescheid angeführten Personen in den dort ausgewiesenen

Zeiträumen gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG für den Verlag

und Verein ... (Beschwerdeführer) ... wurde mit Bescheid des

Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 25.4.1990 ... behoben.

Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen. Mangels

Vorliegens einer Versicherungspflicht der darin angeführten

Personen auf Grund ihrer Tätigkeit ... war daher spruchgemäß zu

entscheiden."

    Am 12. Juni 1990 erließ die belangte Behörde schließlich

den nunmehr angefochtenen Bescheid; dieser lautet:

    "Gemäß § 62 Abs. 4 AVG 1950 wird der Bescheid des

Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 29.5.1990 ... dahingehend

berichtigt, daß gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 dem Einspruch keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Punkte II. und III. bestätigt wird.

Begründung:

Gemäß § 62 Abs. 4 AVG 1950 kann die Behörde Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von amtswegen berichtigen.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 25.4.1990 ... wurde festgestellt, daß die darin angeführten Personen in den dort ausgewiesenen Zeiträumen der Vollversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG unterliegen. Dieser ausführlich begründete Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Irrtümlich wurde unter Bezugnahme auf diesen Bescheid mit Hinweis auf § 4 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG festgestellt, daß der Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 25.4.1990 mangels Vorliegen einer Versicherungspflicht zu beheben war. Gerade dies trifft jedoch nicht zu, da im Bescheid vom 25.4.1990 das Vorliegen einer Vollversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG der darin angeführten Personen festgestellt wurde. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Der Bescheid vom 29.5.1990 stützt sich daher auf eine unrichtige Wiedergabe des Bescheides vom 25.4.1990 und ist sohin nicht rechtmäßig. Im vorliegenden Fall liegt daher eine offenkundige Unrichtigkeit vor, die von den Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, erkannt werden kann. Der angefochtene Bescheid enthält auch keine unrichtige rechtliche Beurteilung über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer Vollversicherungspflicht, sondern lediglich eine unrichtige Spruchzitierung. Da es sich sohin einerseits nur um eine wirkliche, auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit handelt, andererseits die Höhe der nachverrechneten Beiträge und der vorgeschriebenen Verzugszinsen im vorliegenden Einspruch nicht bezweifelt wurde, war spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 62 Abs. 4 AVG 1950 kann die Behörde die Berichtigung von Schreib- und Rechenfehlern oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen berichtigen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die (zunächst zu prüfende) Berichtigungsfähigkeit eines Bescheides somit zweierlei voraus, nämlich erstens (abgesehen von Schreib- und Rechenfehlern) eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit und zweitens deren Offenkundigkeit. Eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit liegt dann vor, wenn die ursprüngliche Entscheidung den Gedanken, den die Behörde offenbar aussprechen wollte, unrichtig wiedergegeben, d. h. also, wenn die zu berichtigende Entscheidung dem Willen der Behörde offenbar (so) nicht entsprochen hat (vgl. etwa zuletzt das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1990, Zl. 89/06/0104 mit zahlreichen Hinweisen). § 62 Abs. 4 AVG 1950 gestattet jedoch lediglich die Bereinigung textlicher Unstimmigkeiten, die den wahren Sinn des Bescheides aber nicht in Frage stellen dürfen (vgl. die Erkenntnisse vom 27. November 1948, Slg. Nr. 595/A und vom 24. März 1980, Zl. 109 und 144/80), sondern den richtigen Gedanken der Behörde lediglich falsch ausdrücken (vgl. die Erkenntnisse vom 27. November 1953, Slg. N.F. Nr. 853/F, vom 11. November 1971, Slg. N.F. 4308/F, sowie - aus jüngerer Zeit - das Erkenntnis vom 18. September 1987, Zl. 87/17/0244; ebenso das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1974, VfSlg. 7356). Durch die Berichtigung eines Bescheides darf somit jedenfalls der Inhalt dieses Bescheides, sei es in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht, nicht verändert werden (vgl. das Erkenntnis vom 21. Juni 1990, Zl. 89/06/0104 mwH). § 62 Abs. 4 AVG bietet weder eine Handhabe für eine inhaltlich berichtigende oder erklärende Auslegung des Spruches oder der Begründung eines Bescheides, noch kann auf Grund dieser Gesetzesstelle eine unrichtige rechtliche Beurteilung eines richtig angenommenen Sachverhalt oder ein unrichtig angenommener, bestreitbarer Sachverhalt berichtigt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1982, Zl. 82/04/0093, 0094).

Im vorliegenden Fall stützt die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid ausschließlich darauf, daß die im berichtigten (Beitrags)-Bescheid enthaltene Feststellung, der Bescheid über die Versicherungspflicht sei behoben worden, irrtümlich getroffen wurde, weil das Gegenteil (nämlich Bestätigung des die Versicherungspflicht bejahenden Bescheides) richtig sei. Der berichtigte Bescheid sei daher "nicht rechtmäßig", aber auch "offenkundig" unrichtig, weil seine Unrichtigkeit von den Parteien habe erkannt werden können.

Damit übersieht die belangte Behörde jedoch, daß für die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG 1950 die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des berichtigten Bescheides in dem Sinne ohne Belang ist, daß weder die Rechtmäßigkeit einer Berichtigung des Bescheides hinderlich, noch seine Rechtswidrigkeit als ein die Berichtigungsfähigkeit begünstigendes Sachverhaltselement anzusehen ist. Der rechtswidrige Bescheid unterscheidet sich in seiner Bestandkraft insoweit nicht vom rechtmäßigen Bescheid (wenn man von den durch § 68 Abs. 4 AVG 1950 gezogenen Grenzen absieht). Die Offenkundigkeit der (in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gegebenen) Unrichtigkeit des berichtigten Bescheides ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, wenn es an der Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit der Berichtigung eines Bescheides gemäß § 62 Abs. 4 AVG 1950, nämlich, daß durch die Berichtigung der Inhalt des Bescheides weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht verändert werden darf, mangelt. Dies trifft hier zu, verkehrt doch der angefochtene Berichtigungsbescheid den berichtigten Bescheid sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht jeweils in sein Gegenteil.

Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, sodaß sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989, wobei das Begehren auf Ersatz der Stempelgebühren im Hinblick auf die gemäß § 110 ASVG im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren geltende sachliche Abgabenbefreiung abzuweisen war.

Durch die Erledigung in der Hauptsache ist eine Entscheidung über den vom beschwerdeführenden Verein gestellten Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, entbehrlich.

Schlagworte

Inhalt des Spruches Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990080136.X00

Im RIS seit

11.12.1990

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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