TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/18 90/11/0081

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Veröffentlicht am 18.12.1990
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ZustG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. September 1989, Zl. MA 70-8/469/89, betreffend Zurückweisung der Berufung in einer Angelegenheit des Kraftfahrwesens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 10. Juni 1988 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 KFG 1967 sein am 30. September 1986 in Swaziland ausgestellter Führerschein abgenommen. Bei dieser Amtshandlung gab der Beschwerdeführer seine Anschrift mit Wien, R-Gasse, bekannt.

Mit Bescheid vom 23. Juni 1988 stellte die Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, fest, daß ein Recht des Beschwerdeführers, von dem oben genannten Führerschein auf dem Gebiet der Republik Österreich Gebrauch zu machen, nicht besteht. Dieser Bescheid wurde nach erfolglosen Zustellversuchen an der oben angegebenen Adresse am 28. und 29. Juni 1988 an dem zuletzt genannten Tag beim

Postamt 1030 Wien hinterlegt. An diesem Tag begann die Abholfrist, nach deren erfolglosem Verstreichen die Sendung an die erstinstanzliche Behörde zurückgesandt wurde.

Mit einer (in Strafhaft verfaßten) Eingabe vom 30. Juni 1989 wandte sich der Beschwerdeführer an die erstinstanzliche Behörde mit dem Ersuchen, ihm seinen "ausländischen Führerschein" zuzusenden.

Mit Schreiben vom 12. Juli 1989 übersandte die erstinstanzliche Behörde dem Beschwerdeführer den "rechtskräftigen Bescheid" vom 23. Juni 1988 sowie den Führerschein mit dem Vermerk "Dieser Führerschein berechtigt nicht zur Lenkung von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Republik Österreich". Dieses Schreiben wurde dem Beschwerdeführer am 20. Juli 1989 zugestellt.

Mit Schreiben vom 21. Juli 1989 erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 23. Juni 1989 (richtig 1988) die als "Beschwerde" bezeichnete Berufung, in der er ausführte, warum der bekämpfte Bescheid seiner Auffassung nach rechtswidrig sei.

Mit Schreiben vom 16. August 1989 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, daß auf Grund der am 29. Juni 1988 erfolgten postamtlichen Hinterlegung die Berufungsfrist am 13. Juli 1988 abgelaufen sei. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert bekanntzugeben, ob er zur Zeit des ersten Zustellversuches am 28. Juni 1988 an der Abgabestelle in Wien, R-Gasse, anwesend gewesen sei. Für den Fall, daß die Abwesenheit behauptet werde, sei diese durch präzise Angaben über den Aufenthaltsort und den Zeitpunkt der Rückkehr an die Abgabestelle glaubhaft zu machen.

Der Beschwerdeführer antwortete mit Schreiben vom 23. August 1989 und führte darin aus, er habe bereits seinerzeit anläßlich seiner Vernehmung am Gendarmerieposten angegeben, daß er in Wien, V-Gasse, einen Zweitwohnsitz habe, an dem er gemeldet sei. Er sei am 14. Mai 1988 an diese Adresse zu B gezogen und habe sich dort auch polizeilich angemeldet. An der Adresse R-Gasse habe er nur ein paar Tage gewohnt und sei an diese Abgabestelle nicht zurückgekehrt.

Mit Bescheid vom 18. September 1989 wies die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurück. Sie ging von der Gesetzmäßigkeit der Zustellung durch Hinterlegung am 29. Juni 1988 aus und vertrat die Auffassung, mit seinen allgemeinen Behauptungen, nie unter der Adresse in Wien, R-Gasse, gemeldet gewesen zu sein, habe der Beschwerdeführer die tatsächliche Abwesenheit von dieser Abgabestelle nicht glaubhaft gemacht. Die polizeiliche Meldung habe bloß Indizfunktion für die Annahme, es handle sich um die Wohnung des Empfängers, sei aber allein keineswegs ausschlaggebend. Den Angaben des Beschwerdeführers könne nichts Eindeutiges entnommen werden, weil er einerseits behaupte, an der Adresse Wien, R-Gasse, nie gemeldet gewesen zu sein, andererseits aber selbst zugebe, dort einige Tage gewohnt zu haben. Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, die durch den Zustellnachweis dokumentierte Zustellvermutung zu entkräften, insbesondere weil er anläßlich des Vorfalles vom 10. Juni 1988 die Adresse Wien, R-Gasse, als seine Anschrift angegeben habe. Könne aber davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer am 10. Juni 1988 an dieser Anschrift wohnhaft gewesen sei, dann könne dies auch für den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 23. Juni 1988 angenommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 4 Zustellgesetz ist Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes der Ort, an dem die Sendung der Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkuft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle der Zustellung anläßlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

Unter einer Wohnung ist jene Räumlichkeit zu verstehen, in der jemand seine ständige Unterkunft hat, wo sich also der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Es kommt darauf an, ob die Wohnung im Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich bewohnt wird, nicht aber darauf, wo der Empfänger polizeilich gemeldet ist (siehe die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Februar 1963, Zl. 1399/61 und vom 28. Jänner 1985, Zl. 85/18/0011 bis 0013). Die kurzfristige Abwesenheit von der Wohnung nimmt dieser nicht den Charakter einer Abgabestelle im Sinne des § 4 Zustellgesetz.

Entscheidend für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung ist somit primär, ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zustellversuche an der angegebenen Adresse eine Wohnung im oben beschriebenen Sinn hatte und nicht, ob der Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde meint - ortsabwesend im Sinne es § 17 Abs. 3 Zustellgesetz gewesen ist. Der Beschwerdeführer hat dies bestritten und in seinem Schreiben vom 23. August 1989 die Behauptung aufgestellt, am 14. Mai 1988 zu einer namentlich genannten Person in Wien, V-Gasse, verzogen zu sein, sich polizeilich angemeldet und zur Zeit der Zustellversuche dort gewohnt zu haben und nicht mehr an die Adresse in Wien, R-Gasse, zurückgekehrt zu sein. Auf Grund dieser Behauptung wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, jedenfalls die vom Beschwerdeführer genannte Person über seinen Aufenthalt zur Zeit der Zustellversuche zu vernehmen, insbesondere darüber, ob der Beschwerdeführer zu dieser Zeit (auch) in Wien, R-Gasse, gewohnt hat.

Im fortzusetzenden Verfahren wird die belangte Behörde im oben genannten Sinne B als Zeugin zu vernehmen haben. Der Beschwerdeführer wird zudem darüber zu befragen sein, warum er am 10. Juni 1988 die Adresse in Wien, R-Gasse, als seine Anschrift bezeichnet hat sowie wann und in welcher Eigenschaft (Hauptmieter, Untermieter oder Mitbewohner) er an dieser Adresse "ein paar Tage gewohnt" hat. Auf Grund der Angaben der Zeugin sowie des Beschwerdeführers kann sich die Notwendigkeit ergeben, weitere Personen (etwa den Zusteller und den Unterkunftgeber) zu vernehmen. Erst nach Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens wird die belangte Behörde die Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung ausreichend beurteilen können.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990110081.X00

Im RIS seit

18.12.1990

Zuletzt aktualisiert am

19.09.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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