TE Vwgh Erkenntnis 1991/1/22 90/08/0223

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Veröffentlicht am 22.01.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §423 Abs2;
ASVG §423 Abs5;
ASVG §448;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
AVG §68 Abs4;
AVG §69 Abs1;
AVG §69 Abs2;
AVG §69 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des Z gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 22. Oktober 1990, Zl. 26.978/2-5/1990, betreffend den Antrag auf Aufhebung der Enthebung von seinem Amt als Versicherungsvertreter, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde, dem angefochtenen Bescheid und den hg. Erkenntnissen vom 22. Dezember 1983, Zl. 83/08/0260, und vom 3. Juli 1986, Zl. 86/08/0126, ergibt sich nachstehender

Sachverhalt:

Der Bundesminister für soziale Verwaltung richtete an den Beschwerdeführer das folgende, mit 29. Mai 1981 datierte

Schreiben:

"Mit Beziehung auf den aus dem Grunde der Neuwahl in die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien innerhalb von sechs Monaten nach der Wahl des Präsidiums dieser Kammer gestellten diesbezüglichen Antrag der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien vom 7. Mai 1981 enthebe ich sie gemäß § 423 Abs. 5 und 6 in Verbindung mit § 448 Abs. 1 und 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, ihres Amtes als Versicherungsvertreter aus der Gruppe der Dienstgeber im Überwachungsausschuß und in der Hauptversammlung der Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte und damit auch von ihrer Funktion als Vorsitzender des Überwachungsausschusses dieser Kasse."

Mit Beschluß vom 15. Juni 1983, B 332/81, Slg. Nr. 9713, wies der Verfassungsgerichtshof die dagegen erhobene Beschwerde zurück. Der Gerichtshof vertrat die Auffassung, daß die Enthebung von der Funktion als Versicherungsvertreter bei einem aus dem Grunde der Neuwahl gestellten Antrag lediglich die Beendigung eines auf Grund einer öffentlichen Verpflichtung versehenen Ehrenamtes zur Folge habe. Durch die Enthebung von dieser Funktion werde in die subjektive Rechtssphäre eines Versicherungsvertreters nicht eingegriffen. Der Beschwerdeführer sei daher zur Erhebung der Beschwerde gegen das oben angeführte Schreiben des Bundesministers für soziale Verwaltung nicht legitimiert. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde abgewiesen.

Mit dem hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1983, Zl. 83/08/0260, wurde der Antrag des Beschwerdeführers, der Verwaltungsgerichtshof möge vom Verfassungsgerichtshof die Abtretung bzw. Überlassung der dort eingebrachten Beschwerde verlangen und darüber entscheiden, ob der Antragsteller in einem anderen als in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden sei, abgewiesen.

Mit Bescheid vom 2. April 1986 wies der Bundesminister für soziale Verwaltung den Antrag des Beschwerdeführers vom 31. März 1984 auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 29. Mai 1981 abgeschlossenen Enthebungsverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 AVG 1950 als unzulässig zurück. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 3. Juli 1986, Zl. 86/08/0126, als unbegründet ab. Der Gerichtshof führte u.a. aus, der Beschwerdeführer habe zur Frage der Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmsantrages behauptet, er habe erst am 21. März 1984 feststellen können, daß kein rechtswirksamer Enthebungsantrag der Handelskammer vorliege, weil diesem keine gesetzmäßige Beschlußfassung zu Grunde liege, dieser Umstand in bedenklicher Weise verschwiegen worden sei, das Bundesministerium für soziale Verwaltung den Mangel der gesetzmäßigen Beschlußfassung nicht aufgegriffen habe und überdies die Frist für den Enthebungsantrag bereits abgelaufen gewesen sei. Dies entspreche in jeder Beziehung jenem behaupteten Sachverhalt, den der Beschwerdeführer bereits der Begründung seiner Verfassungsgerichtshofbeschwerde vom 10. Juni 1981 zu Grunde gelegt habe. Aus dem behaupteten Sachverhalt werde in der Verfassungsgerichtshofbeschwerde zum einen der Schluß gezogen, daß ein Vorstandsbeschluß der Kammer nicht gefaßt worden sei, und dieser Umstand zum anderen rechtlich dahingehend gewertet, daß eine rechtswirksame Antragstellung offenbar nicht vorliege. Auch die Rechtzeitigkeit des Enthebungsantrages der Kammer vom 7. Mai 1981 sei vom Beschwerdeführer bereits in seiner Verfassungsgerichtshofbeschwerde bestritten worden. Daraus ergebe sich, daß der Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt der Abfassung der Verfassungsgerichtshofbeschwerde im Jahre 1981 in Kenntnis jener Tatsachen gewesen sei, die er in seinem Wiederaufnahmsantrag als neu hervorgekommen bezeichne. Der Wiederaufnahmsantrag sei daher schon aus diesem Grund verspätet.

Mit Bescheid vom 14. November 1986 hob der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie auf Grund einer Aufsichtsbeschwerde des Beschwerdeführers den Beschluß der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, auf dessen Grundlage die Kammer die Enthebung des Beschwerdeführers als Versicherungsvertreter beantragt hatte, gemäß § 68 Abs. 2 Handelskammergesetz auf.

Am 11. April 1990 beantragte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde unter Berufung auf den zuletzt erwähnten Bescheid, die Enthebung von seinem Amt als Versicherungsvertreter aufzuheben und festzustellen, daß diese Enthebung einen nichtigen Verwaltungsakt darstelle.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 68 AVG 1950 zurück. In der Begründung des angefochtenen Bescheides vertrat die belangte Behörde unter Hinweis auf § 68 Abs. 1 AVG 1950 die Auffassung, die §§ 69, 71 AVG 1950 bildeten keine Grundlage für die vom Beschwerdeführer begehrte Vorgangsweise; es liege auch kein Anlaß zu einer Verfügung nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG 1950 vor. Die subjektive Frist des § 69 Abs. 2 AVG 1950 sei jedenfalls am 27. April 1981 abgelaufen gewesen, da der Beschwerdeführer den von ihm seinerzeit als Wiederaufnahmsgrund gewerteten Sachverhalt schon in seiner Verfassungsgerichtshofbeschwerde vom 10. Juli 1981 vorgebracht habe. Eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 lit. b, lit. c AVG 1950 sei überdies wegen des Verstreichens der absoluten Verjährungsfrist von drei Jahren nach der am 3. Juni 1981 erfolgten Zustellung des Bescheides nicht mehr möglich. Unter Bedachtnahme auf § 69 Abs. 3 AVG 1950 sei festzuhalten, daß ein aus dem § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ableitbarer Wiederaufnahmsgrund nicht behauptet worden sei und nach Meinung der belangten Behörde auch nicht vorliege. Ein Wiedereinsetzungsgrund sei nicht erkennbar. Es bestehe auch kein Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 des § 68 AVG 1950. Einem Vorgehen nach Abs. 2 der zitierten Vorschrift stehe entgegen, daß aus der bescheidmäßigen Enthebung des Beschwerdeführers der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien das Recht erwachsen sei, einen neuen Versicherungsvertreter in die Hauptversammlung und den Überwachungsausschuß der Wiener Gebietskrankenkasse zu entsenden. Es liege auch keiner der in den Abs. 3 und 4 des § 68 AVG 1950 genannten Gründe vor. Im übrigen fehle auch ein Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers, da die Amtsperiode des Verwaltungskörpers, für die der Beschwerdeführer zum Versicherungsvertreter bestellt worden sei, bereits am 31. Dezember 1983 abgelaufen sei.

In der vorliegenden Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG geildeten Senat erwogen:

Dem Antrag des Beschwerdeführers, die Enthebung von seinem Amt als Versicherungsvertreter aufzuheben und festzustellen, daß diese einen nichtigen Verwaltungsakt darstelle, liegt die Auffassung des Beschwerdeführers zu Grunde, das oben wiedergegebene Schreiben des Bundesministers für soziale Verwaltung (der nach der Meinung des Beschwerdeführers "keine Behörde im Sinne des AVG" sei) vom 29. Mai 1981 stelle keinen Bescheid, sondern einen "privaten Brief" dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 5. Dezember 1956, Slg. 4227/A, ausgesprochen, daß die Entscheidungen (des Bundesministers für soziale Verwaltung - jetzt des Bundesministers für Arbeit und Soziales - als oberster Aufsichtsbehörde; vgl. § 423 Abs. 2 iVm § 448 Abs. 1, 5 letzter Satz ASVG) über die Enthebung von Versicherungsvertretern den Charakter behördlicher Bescheide tragen (vgl. auch Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 520); an dieser Auffassung hält der Gerichtshof auch für den Fall der Enthebung nach Neuwahl (§ 423 Abs. 5 ASVG) fest.

Auf der Grundlage ihrer somit zutreffenden Auffassung, wonach es sich bei der Enthebung des Beschwerdeführers von seinem Amt als Versicherungsvertreter um einen Bescheid handle, konnte die belangte Behörde den oben wiedergegebenen Antrag des Beschwerdeführers nur als Antrag auf Behebung ihres rechtskräftig gewordenen Bescheides vom 29. Mai 1981 deuten.

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1950 sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Auf der Grundlage der Auffassung des Beschwerdeführers, bei der Enthebung von seinem Amt als Versicherungsvertreter handle es sich nicht um einen Bescheid, war sein Antrag nicht als Wiederaufnahmsantrag (§ 69 AVG 1950) zu deuten; es liegt daher schon aus diesem Grund kein Fall des § 69 AVG 1950 im Sinne des zweiten Halbsatzes der oben zitierten Gesetzesstelle vor. Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, daß die in der Beschwerde vorgetragenen Umstände, in denen der Beschwerdeführer nunmehr das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 erblickt, nämlich, daß der Präsident der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien und der Kammeramtsdirektor in ihrem Antrag an das Bundesministerium für soziale Verwaltung betreffend die Enthebung des Beschwerdeführers verschwiegen hätten, daß eine entsprechende Beschlußfassung des zuständigen Organes nicht vorgelegen wäre, in jeder Beziehung jenem Sachverhalt entsprechen, den der Beschwerdeführer bereits in seiner Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom 10. Juni 1981 und in seinem - mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom 2. April 1986 u.a. wegen Verspätung zurückgewiesenen - Wiederaufnahmsantrag vom 31. März 1984 vorgetragen hatte.

Im Hinblick auf den Ablauf der in § 69 Abs. 2 letzter Satz, Abs. 3 letzter Satz AVG 1950 normierten absoluten Frist wäre auch nicht zu prüfen gewesen, ob - etwa durch die Aufhebung des Beschlusses der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien durch die Aufsichtsbehörde - ein anderer als der in § 69 Abs. 1 lit. a AVG 1950 angeführte Wiederaufnahmsgrund verwirklicht wurde.

Wiedereinsetzungsgründe hat der Beschwerdeführer weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich; es liegt daher auch kein Fall des § 71 AVG vor.

Die belangte Behörde war auch nicht verhalten, nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG 1950 vorzugehen. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, es liege der Aufhebungsgrund des § 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950 vor, da die belangte Behörde mangels Vorliegens eines rechtsgültigen Antrages unzuständig gewesen sei. Dazu ist der Beschwerdeführer - abgesehen davon, daß § 68 AVG der Partei kein subjektives Recht auf Abänderung oder Behebung eines rechtskräftigen Bescheides einräumt (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 25. Jänner 1965, Slg. 6567/A, und vom 15. Mai 1974, Slg. 8613/A) - darauf zu verweisen, daß eine Nichtigerklärung nach § 68 Abs. 4 AVG 1950 bei Bescheiden von Behörden der obersten Verwaltungsstufe augeschlossen ist (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 1981, Zl. 2112/1979) und daß einer Nichtigerklärung nach § 68 Abs. 4 lit. a AVG 1950 weiters der Ablauf der in Abs. 5 dieser Gesetzesstelle normierten Frist entgegensteht.

Im vorliegenden Fall kam daher keiner der in § 68 Abs. 1 AVG 1950 bezogenen Fälle der Durchbrechung der Rechtskraft in Betracht. Die belangte Behörde hat daher zu Recht gemäß der zuletzt zitierten Vorschrift den auf die Behebung eines rechtskräftigen Bescheides gerichteten Antrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bejahung des Bescheidcharakters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990080223.X00

Im RIS seit

22.01.1991

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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