TE Vwgh Erkenntnis 1991/2/12 90/11/0172

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Veröffentlicht am 12.02.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1 idF 1988/455;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §30;
KDV 1967 §31;
KDV 1967 §31a;
KDV 1967 §34 Abs1 litb;
KDV 1967 §34 Abs1 litd;
KFG 1967 §64 Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Juli 1990, Zl. MA 70-8/228/90, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Juli 1990 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm für die Dauer der körperlichen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Dem Beschwerdeführer wurde mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Dezember 1988 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 vorübergehend für die Dauer von vier Wochen entzogen. Dieser Maßnahme lag eine am 29. November 1988 begangene Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 zugrunde. Nach Ausfolgung des Führerscheins beging der Beschwerdeführer am 30. März 1989 wiederum eine Übertretung nach der zitierten Gesetzesstelle, worauf ihm schließlich mit Vorstellungsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. Juni 1989 die Lenkerberechtigung für die Dauer von zwölf Monaten vorübergehend entzogen wurde. Nach Einlangen des Antrages vom 25. Dezember 1989 auf Ausfolgung des Führerscheines per 31. März 1990 holte die erstinstanzliche Behörde ein ärztliches Gutachten ein. Im Gutachten vom 21. März 1990 wird der Beschwerdeführer als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B nicht geeignet bezeichnet. Als Begründung für diese Beurteilung findet sich lediglich der Vermerk "Schwäche der Reaktionsbereitschaft und der visuellen Auffassung, erhöhte Risikobereitschaft". Dieses Gutachten stützt sich erkennbar auf den Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 6. März 1990, der auf einer am 15. Februar 1990 durchgeführten Untersuchung des Beschwerdeführers beruht. Bei der Beschreibung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen heißt es unter anderem bei der visuellen Auffassung "Ausreichend, allerdings fallen deutliche Leistungsschwankungen auf", bei der Reaktionszeit "Vermindert (Der Proband begründet dies damit, daß er mehr Wert auf die Genauigkeit gelegt habe)" und bei der Koordination der Muskelbewegungen "Abrupte Wechsel in der Tempowahl bei kraftfahrtypischen Koordinationsaufgaben, anfangs qualitativ sehr oberflächlich". Unter der Überschrift "Fahrverhaltensrelevante Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale" finden sich im Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle folgende Ausführungen:

"Verfahren und Befunde: 8 PF, FRF, ATV, VIP; In einem standardisierten Verfahren Hinweise auf eine unkritische Selbstbeschreibung, der Proband beschreibt sich als dominant und eher unbekümmert, dabei genügend selbstkontrolliert und sozial aufgeschlossen. Ein spezielles Verfahren zur Messung der Risikobereitschaft ergibt erhöhte Werte in allen Dimensionen. Bezüglich Alkohol ergibt ein objektives Verfahren einen unauffälligen Wert, während der Exploration fällt allerdings eine deutliche Unterschätzung der Alkoholwirkung auf, bedenklich ist außerdem der doch regelmäßige und relativ hohe Alkoholkonsum. Insbesondere in entsprechender Gesellschaft verstärkter Alkoholkonsum, im Hinblick auf die Vorgeschichte und die derzeitigen Persönlichkeitsbefunde liegt eine erhöhte Rückfallgefährdung vor."

Die Zusammenfassung der Befunde/Gutachten lautet folgendermaßen:

"Die kraftfahrspezifischen Leistungsqualitäten weisen Schwächen im Bereich der visuellen Auffassung, der Reaktionsgeschwindigkeit sowie in der Sensomotorik auf, die übrigen Werte sind durchschnittlich bis zufriedenstellend ausgeprägt. Seitens der Intelligenz wären die Voraussetzungen gegeben. Sehr problematisch sind aber gegenwärtig die Persönlichkeitsbefunde, hier fällt insbesondere die erhöhte Risikobereitschaft und das deutliche Dominanzstreben sowie die Neigung zu Unbekümmertheit auf. Das Problembewußtsein im Umgang mit Alkohol ist derzeit nicht ausreichend ausgeprägt, die Alkoholgewohnheiten sind als auffällig zu bezeichnen und es besteht eine erhöhte Rückfallgefährdung. Vom Standpunkt verkehrspsychologischer Begutachtung ist Herr N zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B

derzeit nicht geeignet.

Da die Ablehnungsgründe mehrheitlich im Persönlichkeitsbereich liegen, wäre die Absolvierung eines Nachschulungskurses für verkehrsauffällige Kraftfahrer zu empfehlen. Nach erfolgreicher Kursabsolvierung könnte eine zeitlich befristete Wiederausfolgung des Führerscheins ins Auge gefaßt werden.

Bem.: Im Roda-Sehtestgerät Hinweise auf eine ungenügende Korrektur der Sehschwäche."

Die belangte Behörde bezeichnete in der Begründung des angefochtenen Bescheides Befund und Gutachten als schlüssig und meinte, es müsse daher von einem Mangel der körperlichen Eignung des Beschwerdeführers ausgegangen werden, weshalb die Berufung abzuweisen gewesen sei. Abschließend sei zu bemerken, daß sich der Beschwerdeführer einer "ärztlich kontrollierten Alkoholabstinenz unterziehen wird müssen".

Bei der Behandlung der vorliegenden Beschwerde war davon auszugehen, daß gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 dann, wenn ein Besitzer einer Lenkerberechtigung nicht mehr geistig oder körperlich geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken, ihm die Lenkerberechtigung entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit ganz oder nur hinsichtlich bestimmter Gruppen zu entziehen oder durch Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit einzuschränken ist.

Gemäß § 30 Abs. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist,

2. die nötige

a)

Körpergröße,

b)

Körperkraft und

c)

Gesundheit besitzt und

3.

ausreichend frei von Gebrechen ist.

Darüber hinaus müssen die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sein.

Tatsachen im Sinne des § 30 Abs. 1 erster Satz Z. 2 und 3 KDV 1967, welche die körperliche Eignung des Beschwerdeführers ausschließen würden, wurden weder im Gutachten des ärztlichen Sachverständigen beschrieben, noch von der belangten Behörde festgestellt. Die abschließende Bemerkung in der Begründung des angefochtenen Bescheides kann auch nicht als Feststellung der Alkoholabhängigkeit oder des chronischen Alkoholismus im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 (vgl. zu diesen Begriffen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Mai 1987, Zl. 86/11/0026) verstanden werden. Davon war im Verwaltungsverfahren keine Rede, ganz abgesehen davon, daß diesbezügliche Feststellungen gemäß § 34 Abs. 3 KDV 1967 die Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt vorausgesetzt hätten.

Die im Gutachten des Sachverständigen erwähnte Schwäche der "Reaktionsbereitschaft" und der visuellen Auffassung betrifft die im § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 genannte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit. Mängel der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit wirken sich auf die geistige und körperliche Eigung aus (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Februar 1989, Zl. 88/11/0035). Der angefochtene Bescheid wäre dann nicht rechtswidrig, wenn die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen beim Beschwerdeführer derart herabgesetzt wären, daß seine körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B auszuschließen wäre. Dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen ist diesbezüglich nichts zu entnehmen. Der ihm zugrundeliegende Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle spricht von "Schwächen im Bereich der visuellen Auffassung, der Reaktiongeschwindigkeit und der Sensomotorik", ohne auszuführen, wie gravierend diese Schwächen sind und ob sie dem Beschwerdeführer das sichere Beherrschen von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften unmöglich machen. Die folgenden Ausführungen im Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle, die sich mit den Persönlichkeitsbefunden befassen, lassen erkennen, daß darin das Schwergewicht der Bedenken der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle begründet ist, nicht aber bei den Mängeln der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen.

Die im Gutachten des ärztlichen Sachverständigen genannte "erhöhte Risikobereitschaft" betrifft keines der die körperliche Eignung bestimmenden Merkmale, sondern kann sich nur auf die im § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 genannte Bereitschaft zur Verkehrsanpassung beziehen. Das Fehlen dieser Bereitschaft hat aber nur den Mangel der geistigen Eignung des Betreffenden zur Folge (siehe dazu das Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143), nicht aber den Mangel der körperlichen Eignung, wovon die belangte Behörde ausgegangen ist. Bei der körperlichen und der geistigen Eignung handelt es sich um zwei unterschiedliche Eignungsvoraussetzungen (siehe dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 1985, Zl. 84/11/0269). Darauf, ob dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung wegen Fehlens der geistigen Eignung infolge mangelnder Bereitschaft zur Verkehrsanpassung hätte entzogen werden können (vgl. näher zum Begriff der mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung und zu den Anforderungen an die Schlüssigkeit eines diesbezüglichen Gutachtens das oben zitierte Erkenntnis vom 22. Jänner 1991), kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil die belangte Behörde die von ihr getroffene Maßnahme darauf nicht gestützt und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen hat, daß dem Beschwerdeführer für die Dauer der körperlichen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Ob die körperliche Nichteignung des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheid gegeben war, kann aber nach dem oben Gesagten mangels ausreichender Ermittlungsergebnisse und mangels entsprechender Begründung nicht beurteilt werden. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebührenersatz nur S 510,-- zuerkannt werden konnten (S 360,-- Eingabengebühr, S 120,-- Gebühr für Vollmacht und S 30,-- Beilagengebühr).

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer Sachverständiger Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110172.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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