TE Vwgh Erkenntnis 1991/2/27 90/04/0313

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Veröffentlicht am 27.02.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
GewO 1973 §198 Abs5 idF 1988/399;
GewO 1973 §198 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde der N-OHG gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 25. September 1990, Zl. MD-6175/1989, betreffend Vorschreibung einer früheren Sperrstunde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Innsbruck hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 25. September 1990 wurde der Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihrer Konzession für das Gastgewerbe in der Betriebsart "Cafe-Restaurant" im Standort Innsbruck, A-Straße 14, gemäß § 198 Abs. 5 GewO 1973 eine frühere Sperrstunde, und zwar 24.00 Uhr täglich, vorgeschrieben. Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf § 198 Abs. 5 GewO 1973 ausgeführt, es sei zu ermitteln gewesen, in welcher Weise ein auf die Ausübung des Gastgewerbes zurückzuführender Lärm unmittelbar vor dem Lokal eine Störwirkung entfalte. Dazu sei es erforderlich, eine den technischen Wissenschaften entsprechende Ermittlung des Grundgeräuschpegels und des durch die Ausübung des Gastgewerbes verursachten Lärms und weiters die Ermittlung der Auswirkungen des betreffenden Lärms auf das Wohlbefinden eines gesunden, normal empfindenden Menschen zu erheben. In Beachtung dieser Spruchpraxis sei seitens der Berufungsbehörde in Ergänzung des bisherigen Ermittlungsverfahrens sowohl ein lärmtechnisches als auch ein medizinisches Gutachten für die Zeitspanne von 24.00 Uhr bis 01.00 Uhr beim Amt für Umweltschutz bzw. dem städtischen Gesundheitsamt in Auftrag gegeben worden. Dem lärmtechnischen Gutachten des Amtes für Umweltschutz vom 7. Dezember 1989 sei zu entnehmen, daß der gemäß ÖAL-Richtlinie Nr. 3 (1) 1986 für Wohngebiete angegebene maximale Grundgeräuschpegel von 35 dB nur dann Gültigkeit erlangen könne, wenn der Grundgeräuschpegel nicht meßbar sei bzw. der gemessene Pegel über diesem Richtwert liege. Der niedrigste meßtechnisch ermittelte L95 liege am Immissionsort bei 39 dB, wobei seitens des Gutachters anzumerken gewesen sei, daß während der Messungen auf Grund fast immer andauernder Störgeräusche durch Autos in der B-Straße, A-Straße und D-Straße kaum Ruhe empfunden worden sei. Aus allen diesen Gründen sei daher als Grundgeräuschpegel der Wert von 35 dB maßgebend. Gutachtlich werde des weiteren festgestellt, daß am Immissionsort der energieäquivalente Dauerschallpegel Leq primär durch den Durchzugsverkehr verursacht und von Lokalgästen meßtechnisch nicht feststellbar beeinflußt werde. Hinsichtlich der Schallpegelspitzen habe der Sachverständige erheben können, daß durch die zu- und abgehenden (-fahrenden) Gäste zwar keine merkliche Erhöhung des Leq eintrete, eine Häufung der Schallpegelspitzen jedoch klar feststellbar sei. Durch Gäste, die das Lokal verließen, würden durch Gespräche, Lachen und dgl. Schallpegelspitzen bis ca. 65 dB verursacht. Auch sei es im Beobachtungszeitraum mehrmals vorgekommen, daß Gäste bei angeregten Unterhaltungen und Gelächter Lärmspitzen bis 75 dB verursacht hätten. Derartige Lärmspitzen seien auch durch zu- und abfahrende Pkw sowie Türenschlagen hervorgerufen worden. Auf Grund der Tatsache, daß die Schallpegelmessungen im zweiten Stock des Hauses A-Straße Nr. 12 vorgenommen worden seien, sei überdies davon auszugehen, daß sich diese Spitzen in den unteren Geschoßen und auch im unmittelbaren Eingangsbereich zum beschriebenen und beobachteten Lokal noch stärker auswirken dürften. Dieses lärmtechnische Gutachten bilde die Grundlage eines medizinischen Gutachtens des städtischen Gesundheitsamtes, aus dem hervorgehe, daß durch das unmittelbare Zusammentreffen von Wohnbereich und Vergnügungsbereich, im vorliegenden Fall gegeben durch die Einrichtung eines Cafe-Restaurants mit einer Betriebszeit von 18.00 Uhr bis 01.00 Uhr im Wohngebiet der A-Straße, eine äußerst ungünstige Situation geschaffen worden sei, da die Zeit erhöhter Ruhebedürfnisse der Nachbarn, insbesondere von Kindern, mit der auf Grund des Lokaltyps bedingten maximalen Besucherfrequenz im Restaurant zusammenfalle. Es sei davon auszugehen, daß in den Stunden vor und nach Mitternacht durchschnittlich 50 bis 100 Gäste das in Rede stehende Lokal frequentierten. Im Detail sei festzustellen, daß vor dem begutachteten Restaurant infolge des bestehenden Verkehrsaufkommens sowohl der Grundgeräuschpegel als auch der Beurteilungspegel bereits höher lägen, als dies "üblich (entsprechend der ÖAL-Richtlinie Nr. 3) der Fall" sei. Infolge der gegebenen Häufungen von Lärmspitzen in der Größenordnung zwischen 60 und 78 dB auf Grund des stark informationshaltigen Charakters der Geräusche durch lautes Sprechen, Lachen, Singen und teilweises Schreien seien entgegen dem in Rede stehenden Betrieb mit der Sperrstunde von 01.00 Uhr medizinische Bedenken anzumelden. Die Schwelle für objektiv nachweisbare Schlafbeeinflussungen liege in medizinischer Hinsicht bei einem Maximalschallpegel von 45 bis 50 dB, wobei davon auszugehen sei, daß unregelmäßiger Lärm weit belästigender wirke als regelmäßiger und erwarteter. Die vegetative Belastbarkeit werde nach Angaben des medizinischen Sachverständigen ab 60 dB überschritten. Dabei führten dadurch hervorgerufener Schlafentzug und geminderte Schlafqualität unwillkürlich über Aktivierung des vegetativen Nervensystems zu psychopathologischen Wirkungen und Leistungsminderungen, welche sich in Nervosität, Abgeschlagenheit bis hin zu Kreislaufbeschwerden und in der Folge zu psychosomatischen Organerkrankungen äußern könnten. Auf Grund der erhobenen Lärmwerte sei zusammenfassend davon auszugehen, daß dadurch eine unzumutbare Belästigung bzw. in der Folge sogar eine Gesundheitsgefährdung der Nachbarschaft gegeben sei. Im Rahmen des Parteiengehörs seien die angeführten Gutachten dem Vertreter der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht und in der Folge vorgebracht worden, daß der im Gutachten verwendete Begriff der "unmittelbaren Nähe" nicht vom medizinischen Sachverständigen auszulegen sei, sondern daß es sich hiebei um eine Frage der rechtlichen Beurteilung durch die entscheidende Behörde handle. Außerdem könne nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob es sich bei den den Lärm verursachenden Personen um Gäste oder um Personal des Lokales gehandelt habe. Überhaupt sei auszuführen, daß das Lokal seit nunmehr nahezu acht Jahren betrieben werde und sich das Verhältnis mit der Nachbarschaft eigentlich immer gut gestaltet habe. Erst später, und zwar in Anbetracht des nunmehr novellierten § 198 GewO 1973, werde der vor dem Lokal wahrzunehmende Geräuschpegel von der Nachbarschaft als störend empfunden. Für die Beschwerdeführerin sei es unerklärlich, daß plötzlich ohne tatsächliche Veränderung des Sachverhaltes das Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage als unzumutbar befunden werde. Auch sei das Lokal seinerzeit im Wohngebiet gewerbebehördlich genehmigt worden und es könne nicht eingesehen werden, daß andere Innsbrucker Abend- und Nachtlokale eine Sperrstunde von 01.00 Uhr einhalten dürften und nur das Lokal der Beschwerdeführerin davon ausgenommen sein sollte. Zudem sei dem lärmtechnischen Gutachten zu entnehmen, daß der energieäquivalente Dauerschallpegel primär vom Durchzugsverkehr verursacht werde, sodaß es nahe liege, unter Zuhilfenahme verkehrsberuhigender Maßnahmen diesen Dauerschallpegel wirksam zu senken. Durchaus vorstellbar wäre die Umwandlung der A-Straße in eine sogenannte Wohnstraße. Die erhobenen Schallpegelspitzen durch Lachen, Zuschlagen von Autotüren und Führen von Gesprächen seien des weiteren nicht einzig und allein der in Rede stehenden Betriebsanlage zuzuordnen, zumal sich in unmittelbarer Umgebung des genannten Lokales noch eine sogenannte "Bude einer Studentenverbindung" und ein türkisches Vereinslokal etabliert hätten. Letztlich müsse noch darauf hingewiesen werden, daß bei einer Sperrstunde von 24.00 Uhr das Lokal in Hinkunft wirtschaftlich nicht mehr geführt werden könne. Diesem Vorbringen und dem Prinzip der "Unmittelbarkeit des Verfahrens" Rechnung tragend, sei seitens der Berufungsbehörde am 24. April 1990 unmittelbar vor der Betriebsanlage in der Zeit von 23.00 Uhr bis 01.30 Uhr ein Lokalaugenschein abgehalten worden. Gleichzeitig sei dabei vom zuständigen Sachverständigen des Amtes für Umweltschutz eine orientierende Lärmmessung durchgeführt worden. Dabei seien nach Aussage des Sachverständigen diese Meßwerte auf Grund der Messung aus dem Autofenster sicher von Reflexionen beeinträchtigt und daher nur als Orientierungshilfe anzusehen. Unter Berücksichtigung der Schallpegeladditionsarithmetik könnten diese Werte maximal 3 dB zu hoch sein. Ergebnis dieses Augenscheines sei gewesen, daß, wie in den beiden vorhergehenden lärmtechnischen Gutachten aufgezeigt, primär der Autodurchzugsverkehr bis knapp vor Mitternacht allein für die Lärmbeeinträchtigung im mäßigen Ausmaß verantwortlich zu machen sei. Der Gaststättenbetrieb der Beschwerdeführerin sei jedoch als Anziehungspunkt für den in der A-Straße zu dieser Zeit stattfindenden Personenverkehr maßgeblich anzusehen. In der Zeit ab Mitternacht und insbesondere gegen 01.00 Uhr früh sei ein merkliches Ansteigen von Lärmimmissionen festzustellen, welche in Schallspitzen bis zu 84 dB gipfelten. Nach Maßgabe des diesem Augenschein beiwohnenden Sachverständigen des Amtes für Umweltschutz könne für diesen Zeitraum von einem Dauerschallpegel zwischen 58 und 65 dB bis 68 dB gesprochen werden. Die Niederschrift über diesen Augenschein sei der Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs zugemittelt worden, in weiterer Folge aber unbeantwortet geblieben. Auf Grund dieser umfangreichen Ermittlungsergebnisse im zweitinstanzlichen Verfahren sei davon auszugehen, daß vor dem in Rede stehenden gastgewerblichen Betrieb im Anwesen A-Straße 14 durch nicht strafbares Verhalten von Gästen dieser Betriebsanlage Lärmspitzen bis 84 dB über längere Zeiträume hervorgerufen würden, und daß diese Lärmspitzen Schlafbeeinflussungen bei der Nachbarschaft hervorriefen, welche ihrerseits das vegetative Nervensystem derart belasteten, daß es zu Leistungsminderungen, Nervosität, Abgeschlagenheit bis hin zu Kreislaufbeschwerden der benachbarten Bevölkerung komme. Es sei somit als erwiesen anzunehmen, daß die Nachbarschaft durch nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor dem gastgewerblichen Betrieb der Beschwerdeführerin in unzumutbarer Weise belästigt werde. Da sich diese unzumutbare Belästigung insbesondere auf den Zeitraum nach Mitternacht bis zur derzeit bewilligten Sperrstunde erstrecke, sei die Vorverlegung der Sperrstunde auf 24.00 Uhr zu Recht erfolgt und es sei daher der erstbehördliche Bescheid zu bestätigen gewesen.

Gegen diesen Becheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ihrem gesamten Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf Unterbleiben der in Rede stehenden, auf § 198 Abs. 5 GewO 1973 gestützten Maßnahme verletzt. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften u.a. vor, dem angefochtenen Bescheid sei nicht zu entnehmen, was und wer nunmehr als Nachbarschaft angesehen worden sei. Gerade der Umstand, daß sich Bewohner der Häuser A-Straße 11 (in welchem der gastgewerbliche Betrieb situiert sei), D-Straße 17, 21 und 23 nicht gestört fühlten, bedeute das Gegenteil der behördlichen Annahme. Die am 24. April 1990 in einem parkenden Pkw bei offenem Fenster durchgeführten Lärmmessungen könnten nicht auf die betroffene Nachbarschaft übertragen werden. Es bestünden praktisch und theoretisch keinerlei Hindernisse, die Lärmmessung bei demjenigen Nachbarn durchzuführen, der auf Grund seiner örtlichen Situierung am meisten durch den Betrieb betroffen sei. Die Geräuschentwicklung in bezug auf einen unmittelbar vor der Betriebsanlage geparkten Pkw auf die Nachbarschaft zu übertragen, sei wohl unzulässig. So werde selbst im Meßbericht festgestellt, daß die Meßwerte auf Grund der Beeinträchtigungen von Reflexionen nur als Orientierungswerte anzusehen seien. Im angefochtenen Bescheid würden jedoch diese Meßergebnisse unmittelbar mit der von der Nachbarschaft zu erduldenden Geräuschentwicklung gleichgesetzt. Weiters setze die unter § 198 Abs. 5 GewO 1973 fallende Lärmbelästigung voraus, daß sie durch ein nicht strafbares Verhalten von Gästen herbeigeführt werde. Im angefochtenen Bescheid werde jedoch nicht unterschieden, ob das Verhalten einzelner Gäste vor der Betriebsanlage strafbar gewesen sei oder nicht. Nach dem lärmtechnischen Gutachten des Amtes für Umweltschutz vom 7. Dezember 1989 könne weder der Grundgeräuschpegel noch der energieäquivalente Dauerschallpegel durch die Betriebsanlage meßtechnisch feststellbar beeinflußt werden, weshalb zu untersuchen bleibe, inwieweit die Schallspitzen durch Gäste, und wenn ja, durch deren strafbares oder nicht strafbares Verhalten, veranlaßt worden seien. Soweit durch die Hupe eines Fahrzeuges eine Spitze von 78 dB registriert worden sei - wobei das Fahrzeug nicht mit der erforderlichen Sicherheit der Betriebsanlage zugerechnet werden könne -, so liege zweifelsohne ein strafbares Verhalten, nämlich ein Verstoß gegen § 22 StVO, vor. Soweit einzelne Personengruppen diese Schallpegelspitzen von ungefähr gleicher Intensität hervorrufen sollten, so liege auch diesbezüglich zweifellos eine Ruhestörung vor. Diesbezüglich sei hinsichtlich der durchgeführten Messungen das Verhalten einzelner Personen am 24. April 1990 zwischen 01.07 Uhr und 01.17 Uhr als strafbares Verhalten auszulegen. Auch in der Stellungnahme des Amtsarztes vom 10. Jänner 1990 werde grundsätzlich vom strafbaren Verhalten von Gästen ausgegangen, wenn - obgleich ohne Tatsachengrundlage - von der theoretischen Lärmentwicklung durch Singen und Schreien unter Alkoholeinwirkung ausgegangen werde. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde jedoch nur die Lärmentwicklung heranziehen dürfen, die typisch durch das Verhalten von Gästen vor der Betriebsanlage hervorgerufen werde, also von den Geräuschen, die durch das Zu- und Abgehen zur Betriebsanlage notgedrungen und üblicherweise entstünden. Die weitere Voraussetzung des § 198 Abs. 5 GewO 1973, daß nämlich das Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage zu erfolgen habe, sei gleichfalls von der belangten Behörde nicht festgestellt und konkretisiert worden. Naturgemäß sei jeder Gastgewerbebetrieb auch Anziehungspunkt für Personenverkehr. Unbestritten werde das Verkehrsaufkommen im Bereich um den Gastgewerbebetrieb steigen. Dem Personenverkehr in der gesamten A-Straße und dem erhöhten Verkehrsaufkommen fehle jedoch der unmittelbare räumliche Bezug zur Betriebsanlage. Da die A-Straße ständig von Dauerparkern verparkt sei, fehlten auch Einparkvorgänge unmittelbar vor dem Lokal, welche diesem gegebenenfalls zuzurechnen sein könnten. Das nicht strafbare Verhalten von Gästen habe des weiteren wiederholt zur Belästigung der Nachbarn zu führen. Wiederholt bedeute wohl nichts anderes, als daß die Geräuschentwicklung geradezu typisch für die Betriebsanlage sei. Aber gerade dieser Umstand fehle bei den monierten Schallpegelspitzen. Nicht nur, daß diese durch strafbares Verhalten von Personen ausgelöst worden seien, seien solche auch nicht wiederholt aufgetreten. Dem Schallpegelmeßbericht vom 5. Dezember 1989 seien nicht wiederholte, unzumutbare Lärmbelästigungen zu entnehmen. Der Schallpegelmeßbericht vom 6. Dezember 1989 sei wegen lauter Musik aus dem Hause A-Straße 23 zumindest ab dem Zeitpunkt 24.00 Uhr nicht mehr weiter aussagekräftig. Hinsichtlich der Messung vom 24. April 1990 sei lediglich eine Gruppe von Personen aufgefallen, die sich zudem auch wohl strafbar gemacht habe. Das durch die Betriebsanlage bedingte, unmittelbar vor ihr auftretende Geräusch durch Gäste führe daher nicht zu wiederholter Beeinträchtigung der Nachbarschaft. Letztlich liege aber auch keine unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft vor. Grundlage für die Beurteilung einer Störung durch Lärm sei der Grundgeräuschpegel, das sei der geringste, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit gemessene Schallpegel, der durch entfernte Geräusche, wie Verkehr, verursacht werde, und bei dessen Empfindung Ruhe zu herrschen scheine. Mangels einer weiteren gesetzlichen Determinierung sei die Störung ausschließlich unter Bezugnahme auf die gegebenen örtlichen Verhältnisse zu beantworten. Allgemeine Beurteilungsrichtlinien dürften daher ohne Darlegung ihrer fachlichen Prämissen nicht herangezogen werden. Der tatsächliche örtliche Grundgeräuschpegel und der energieäquivalente Dauerschallpegel würden durch das gesamte (somit auch das strafbare) Verhalten von Gästen vor der Betriebsanlage nicht beeinflußt. Hinsichtlich der Schallpegelspitzen seien die Beweisergebnisse der belangten Behörde - abgesehen davon, daß eine Unterscheidung zwischen strafbarem und nicht strafbarem Verhalten von den Gästen vor der Betriebsanlage nicht erfolgt sei - nicht weiter brauchbar. Schon im Berufungsverfahren sei ausführlich dargelegt worden, daß sich das medizinische Gutachten vom 10. Jänner 1990 vom festgestellten Sachverhalt anläßlich der Schallpegelmessungen entferne. Diese Stellungnahme des Amtsarztes sei offensichtlich ein allgemeiner Appell gegen Gastgewerbebetriebe und entferne sich unzulässigerweise von den tatsächlichen Meßergebnissen. So werde Singen und Schreien unter Alkoholeinwirkung als Lärmquelle angenommen, obwohl diesbezügliche Grundlagen fehlten. Die Lärmspitzen würden undifferenziert und pauschal dem Gewerbebetrieb zugeordnet, ohne die notwendige Differenzierung nach § 198 Abs. 5 GewO 1973 vorzunehmen. Dazu habe der Amtsarzt beispielsweise auch das nächtliche Hupen eines Lokalgastes gezählt, das jedoch zweifelsohne ein strafbares Verhalten darstelle. Ohne Berücksichtigung der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse werde sowohl vom Amtsarzt als auch im angefochtenen Bescheid nicht vom tatsächlichen Grundgeräuschpegel ausgegangen, sondern vom maximal zulässigen Grundgeräuschpegel für ein Wohngebiet gemäß ÖAL-Richtlinie Nr. 3. Auf dieser Prämisse beruhe auch die gesamte Stellungnahme des Amtsarztes und auch - unter ausdrücklicher Anführung der nunmehr längst überholten Gesetzeslage - der angefochtene Bescheid. Der Grundgeräuschpegel nach der Widmungsvorschrift sei daher nicht mehr maßgebend.

Ausgangspunkt sei somit nicht der Grundgeräuschpegel von 35 dB, sondern der tatsächlich gemessene von 39 dB. Unter dieser Voraussetzung sei aber die Lärmentwicklung vor dem Gastgewerbebetrieb sogar dann zumutbar, wenn man das strafbare Verhalten von Gästen miteinbeziehe und auch hinsichtlich der Unmittelbarkeit einen äußerst großzügigen Maßstab anwende.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 198 Abs. 5 GewO 1973 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, hat die Gemeinde, wenn die Nachbarschaft wiederholt durch ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage des Gastgewerbetreibenden unzumutbar belästigt wurde oder wenn sicherheitspolizeiliche Bedenken bestehen, eine spätere Aufsperrstunde oder eine frühere Sperrstunde vorzuschreiben.

Dem Tatbestandsmerkmal der "unzumutbaren Belästigung" im Sinne des § 198 Abs. 5 GewO 1973 kann hiebei keine im wesentlichen andere Bedeutung beigelegt werden als dem Begriff der unzumutbaren Belästigung im Sinne der für die Betriebsanlagen geltenden Vorschriften (§ 77 Abs. 1 und § 84 GewO 1973), wobei die Frage der Zumutbarkeit einer durch die Ausübung eines Gastgewerbes bewirkten Störung der Nachbarschaft mangels einer weiteren gesetzlichen Determinierung ausschließlich unter Bedachtnahme auf die gegebenen örtlichen Verhältnisse zu beantworten ist (vgl. hiezu die Darlegungen zu den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen der Bestimmung des § 198 Abs. 5 GewO 1973 in seiner Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, im hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0058).

Ein weiteres essentielles Tatbestandsmerkmal im Sinne dieser Bestimmung bildet der Umstand, daß diese unzumutbare Belästigung durch "ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage des Gastgewerbetreibenden" hervorgerufen wird, und weiters, daß eine derartige unzumutbare Belästigung "wiederholt" erfolgte.

Der Verwaltungsbehörde obliegt es daher, in dem von ihr durchgeführten Verfahren festzustellen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem Tatbestand einer derart qualifizierten wiederholten unzumutbaren Belästigung der Nachbarschaft entspricht. Wird hiebei die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so sind nach § 52 Abs. 1 AVG 1950 die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständigen) beizuziehen. Bei Beurteilung einer Störung durch Lärm ist hiebei - im Sinne der obigen Darlegungen - auf die örtlichen Verhältnisse als Ausgangspunkt abzustellen und es ist ferner zu ermitteln, in welcher Weise ein auf die Ausübung eines Gastgewerbes zurückzuführender - den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 198 Abs. 5 GewO 1973 entsprechender - Lärm eine Störwirkung entfaltet hat. Diese von der Behörde zu treffenden Feststellungen erfordern - vom Fall der Offenkundigkeit der betreffenden Tatsachen im Sinne des § 45 Abs. 1 AVG 1950 abgesehen - grundsätzlich, d.h. sofern nicht andere geeignete oder zweckdienliche Beweismittel im Sinne des § 46 AVG 1950 zur Verfügung stehen, eine den technischen Wissenschaften entsprechende Ermittlung der für die Beurteilung der "unzumutbaren" Belästigung im vordargestellten Sinn als Ausgangspunkt heranzuziehende Lärmsituation auf Grund der gegebenen örtlichen Verhältnisse und des durch die Ausübung des Gastgewerbes verursachten Lärms und sie erfordern ferner die Ermittlung der Auswirkungen des betreffenden Lärms auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen. Das heißt, daß in einem Verfahren nach § 198 Abs. 5 GewO 1973 die Aufnahme sowohl eines Beweises durch einen technischen als auch eines Beweises durch einen medizinischen Sachverständigen notwendig wird. Außerdem sind die entsprechenden Ermittlungen an Ort und Stelle, d.h.

BEI DER IM IMMISSIONSBEREICH LIEGENDEN NACHBARSCHAFT,

vorzunehmen. Was in diesem Zusammenhang die Frage von im Sinne der obigen Darlegungen tatbestandsmäßig anzusehenden Lärmbelästigungen betrifft, so sind exakte Messungen durchzuführen und es darf insbesondere auch der Befund des Sachverständigen nicht allein auf Annahmen und Erfahrungswerten beruhen (vgl. hiezu sinngemäß zu den durch die Novellierung der Bestimmung des § 198 Abs. 5 GewO 1973 unverändert gebliebenen Tatbestandsvoraussetzungen und Verfahrenserfordernissen auch die entsprechenden Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0058, und die in diesem Zusammenhang dort zitierte weitere hg. Rechtsprechung).

Dies bedeutet aber, daß die belangte Behörde ihre Ermittlungen und Messungen in Ansehung der von ihr als relevant angesehenen Lärmeinwirkungen bei der im Immissionsbereich liegenden Nachbarschaft vorzunehmen hatte, und des weiteren, daß sie im gegebenen Zusammenhang auch anhand konkreter hiefür geeigneter Sachverhaltsfeststellungen in rechtlicher Hinsicht darzulegen hatte, inwiefern die von ihr angenommene wiederholte "unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft" auf ein nicht strafbares Verhalten von Gästen unmittelbar vor der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin ursächlich zurückzuführen ist. Hiebei wäre im gegebenen Zusammenhang bei der Frage der Abgrenzung von strafbarem und nicht strafbarem Verhalten von Gästen insbesondere auch auf die entsprechenden Bestimmungen des Landes-Polizeigesetzes, Landesgesetzblatt für Tirol Nr. 60/1976, Bedacht zu nehmen gewesen.

Da die belangte Behörde in offensichtlicher Verkennung der maßgeblichen Rechtslage derartige Erörterungen und Feststellungen unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des weiteren hierauf nicht Bezug habenden Beschwerdevorbringens bedurfte.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989; die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den angesprochenen Stempelgebührenmehraufwand für eine weitere nicht erforderliche Beschwerdeausfertigung sowie für im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht erforderliche, der Beschwerde angeschlossene Beilagen.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer Sachverständiger Beweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990040313.X00

Im RIS seit

27.02.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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