TE Vwgh Erkenntnis 1991/3/19 87/05/0211

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Veröffentlicht am 19.03.1991
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82009 Bauordnung Wien;

Norm

BauO Wr §17 Abs1;
BauO Wr §58;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Leukauf und Dr. Degischer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der S AG gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 23. Oktober 1987, Zl. MDR-XI-7/87, betreffend Anträge auf Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 58 der Bauordnung für Wien, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In ihrem Antrag vom 19. Februar 1979 begehrte die Beschwerdeführerin beim Magistrat der Stadt Wien die Festsetzung von Entschädigungen gemäß § 58 der Bauordnung für Wien für seinerzeit abgetretene Grundflächen laut einem beiliegenden Plan. Begründet wurde dieser Antrag damit, daß anläßlich der Schaffung von Bauplätzen gemäß einem Bescheid des Wiener Magistrates vom 3. April 1956 Grundflächen in einem Ausmaß von insgesamt 9.143 m2 unentgeltlich ins öffentliche Gut abgetreten worden seien. Nach dem geltenden Flächenwidmungsplan sei für diese Grundflächen nunmehr die Widmung Verkehrsband vorgesehen und auf ihnen die Südostautobahn bereits errichtet worden. Der Flächenwidmungsplan sehe daher Verkehrsflächen, für welche eine Verpflichtung zur unentgeltlichen Grundabtretung bestehe, nicht mehr vor. Mit 6. März 1979 beantragte die Beschwerdeführerin weitere Entschädigungen für unentgeltlich abgetretene Verkehrsflächen.

Diese beiden Anträge langten beim Wiener Magistrat laut Eingangsstampiglie am 13. März 1979 ein. Nach Einholung interner Stellungnahmen und einer Amtsbesprechung wurden schließlich in dem Gutachten eines Amtssachverständigen vom 29. November 1984 hier maßgebliche Grundflächen geschätzt und Parteiengehör gewährt.

Mit Bescheid vom 15. Jänner 1985 erkannte der Wiener Magistrat der Beschwerdeführerin gemäß § 57 in Verbindung mit § 58 Abs. 2 lit. d und Abs. 4 der Bauordnung für Wien auf Grund ihres Antrages vom 19. Februar 1979 eine Entschädigung für im Spruch umschriebene Grundflächen von insgesamt S 1,224.000,-- zu. Hinsichtlich der übrigen Grundstücke "nach dem Antrag vom 19. Februar 1979" wurde das Begehren abgewiesen.

In ihrer gegen die Abweisung erhobenen Berufung behauptete die Beschwerdeführerin, daß auch für die weiteren Grundflächen ein Anspruch auf Entschädigung bestehe. Die Beschwerdeführerin bemängelte auch, daß aus dem erstinstanzlichen Bescheid nicht klar ersichtlich sei, ob auch über den Antrag vom "3. März 1979" abgesprochen worden sei.

Mit Bescheid vom 19. April 1985 behob die Bauoberbehörde für Wien den angefochtenen Teil des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde erster Instanz. Zur Begründung wurde zunächst ausgeführt, daß dem Spruch des erstinstanzlichen Bescheides nicht entnommen werden könne, bezüglich welcher Grundstücke der Entschädigungsantrag abgewiesen worden sei. Nach Auffassung der Bauoberbehörde sei eine Entschädigung gemäß § 58 der Bauordnung für Wien nur dann zu leisten, wenn die Stadt Wien Eigentümer der zu entschädigenden Grundstücke sei bzw. die Grundstücke in das öffentliche Gut übertragen worden seien und an die Stadt Wien der physische Besitz übergeben werde (§ 58 Abs. 4 letzter Satz der Bauordnung für Wien). Es werde daher in einem Ermittlungsverfahren anhand der vorzulegenden Grundbuchsauszüge zu prüfen sein, ob die Stadt Wien Eigentümer der in Frage kommenden Grundstücke ist bzw. die Grundstücke in das öffentliche Gut übertragen worden sind. Des weiteren werde zu prüfen sein, ob die Stadt Wien den physischen Besitz an diesen Grundstücken übernommen hat oder der physische Besitz an den Bund übertragen worden ist. Für den Fall, daß die Stadt Wien den physischen Besitz an den in Frage kommenden Grundstücken nicht übernommen habe, treffe sie keine Verpflichtung, eine Entschädigung gemäß § 58 der Bauordnung für Wien zu leisten. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

In dem vom Wiener Magistrat ergänzend geführten Verfahren wurde klargestellt, daß die im einzelnen angeführten Grundstücke ins öffentliche Gut übertragen worden seien. Zwei dieser Grundstücke seien als alte Weggrundstücke im physischen Besitz der Stadt Wien, die restlichen Grundstücke seien nicht im Sinne des § 17 der Bauordnung für Wien als übernommen anzusehen und es sei auch keine Übertragung des physischen Besitzes von der Gemeindestraßenverwaltung an die Bundesstraßenverwaltung erfolgt. Im Zuge des Ausbaues der A 23 seien die Grundstücke ohne Formalakt und unmittelbar von der Bundesstraßenverwaltung in Anspruch genommen worden.

Nach Gewährung des Parteiengehörs wies der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom 23. Februar 1987 die Anträge der Beschwerdeführerin, soweit ihnen nicht bereits mit Bescheid vom 15. Jänner 1985 stattgegeben worden ist, gemäß § 58 der Bauordnung für Wien ab. Diese Entscheidung wurde eingehend begründet.

Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wies die Bauoberbehörde für Wien mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid als unbegründet ab. Die Behörde vertrat die Ansicht, in dem aufhebenden Bescheid vom 19. April 1985 sei schon ausgeführt worden, daß eine Entschädigung nur dann zu leisten sei, wenn die Stadt Wien Eigentümer der zu entschädigenden Grundstücke sei bzw. die Grundstücke in das öffentliche Gut übernommen wurden und der physische Besitz an die Stadt Wien übergeben worden sei. Auf Grund dieser Rechtsmeinung habe die Behörde erster Instanz ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und die schon genannten Feststellungen getroffen. Wenn in der Berufung ausgeführt werde, die Übertragung des physischen Besitzes sei keine Voraussetzung für die zu leistende Entschädigung, so sei auf § 17 der Bauordnung für Wien zu verweisen. Danach seien bei einer Grundabtretung die zu den Verkehrsflächen entfallenden Grundflächen gleichzeitig mit der grundbücherlichen Durchführung satz- und lastenfrei in das öffentliche Gut zu übertragen, wobei über Auftrag der Behörde der jeweilige Eigentümer verpflichtet sei, diese Grundflächen lastenfrei und geräumt der Stadt Wien zu übergeben und die Höhenlage herzustellen. Es sei wohl richtig, daß im § 58 Abs. 4 der Bauordnung für Wien festgelegt sei, die zu leistende Entschädigung sei fällig, "sobald die abzutretenden Verkehrsflächen übergeben worden seien", die Anwendung dieser Bestimmung sei aber denkunmöglich, wenn, wie im gegenständlichen Fall, die Verkehrsfläche so weit aufgelassen sei, daß eine Übergabe gar nicht mehr in Betracht komme. Das von der Bauoberbehörde im Bescheid vom 19. April 1985 genannte Erfordernis der Übergabe des physischen Besitzes an die Stadt Wien sei nicht erfüllt, sodaß schon auf Grund der von diesem Bescheid ausgehenden Bindungswirkung eine anderslautende Entscheidung als eine Abweisung der Anträge nicht in Betracht komme.

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt die Beschwerdeführerin, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Über diese Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach § 58 Abs. 1 der Bauordnung für Wien (BO) in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 18/1976 sind Entschädigungen zu leisten, wenn durch Änderungen des Bebauungsplanes Verkehrsflächen verschmälert, verbreitert, aufgelassen oder so geändert werden, daß unter Beibehaltung der Breite die Baulinie auf der einen Seite vorgerückt und auf der anderen Seite zurückgerückt wird. Entsteht für Bauplätze oder Baulose durch die Änderung des Bebauungsplanes die Verpflichtung, nach Maßgabe der neuen Baulinie Grundflächen einzubeziehen oder abzutreten, so hat im ersten Fall der Bauwerber an die Gemeinde oder an den Eigentümer dieser Grundflächen, im zweiten Fall die Gemeinde an den Bauwerber Entschädigung zu leisten.

Welche Rechtswirkungen bei einer Änderung des Bebauungsplanes eintreten, wenn anläßlich einer Abteilungsbewilligung Grundflächen zu Verkehrsflächen unentgeltlich abgetreten worden sind, bestimmt näher § 58 Abs. 2 BO. Das Recht auf Geltendmachung der im Abs. 2 erwähnten Entschädigungsansprüche steht nach § 58 Abs. 4 BO zu:

a)

wenn wegen der Änderung des Bebauungsplanes um eine neue Abteilung angesucht wird;

b)

wenn ein Bau auf einem Bauplatz oder Baulos aufgeführt wird, der die Einhaltung des neuen Bebauungsplanes zur Voraussetzung hat;

c)

sonst, wenn der Bebauungsplan für die Eigentümer der betroffenen Bauplätze oder Baulose wirksam wird.

Abschließend bestimmt dieser Abs. 4, daß die von der Gemeinde zu leistenden Entschädigungen fällig sind, sobald die abzutretenden Verkehrsflächen übergeben worden sind, bzw. mit der Rechtskraft des Bescheides über die Festsetzung der Entschädigung, wenn keine Abtretungsverpflichtung besteht. Bei einem Eigentumswechsel in der Zeit zwischen der Festsetzung und der Fälligkeit der Entschädigung ist diese an jenen Eigentümer auszuzahlen, dem das Eigentumsrecht zur Zeit der Fälligkeit zusteht.

Im angefochtenen Bescheid wurde nun im einzelnen nicht näher geprüft, ob für alle Grundflächen, welche noch Gegenstand des Antrages der Beschwerdeführerin sind, ein Entschädigungsanspruch gegeben ist, vielmehr vertrat die belangte Behörde die Ansicht, daß ein Entschädigungsanspruch jedenfalls schon deshalb nicht gegeben sei, weil die Grundflächen nicht in den physischen Besitz der Stadt Wien übergeben worden seien. Schon in ihrem Bescheid vom 19. April 1985 habe die belangte Behörde festgestellt, daß eine Entschädigung nur dann zu leisten sei, wenn die Grundstücke in das öffentliche Gut übertragen wurden und der physische Besitz der Stadt Wien übergeben worden ist. Letzteres sei nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht der Fall gewesen.

Selbst unter Zugrundelegung der Auffassung der belangten Behörde, aus ihrem aufhebenden Bescheid vom 19. April 1985 gehe mit bindender Wirkung für das fortgesetzte Verfahren hervor, daß eine Entschädigung nach § 58 BO nur zu leisten ist, wenn für Straßenzwecke der Gemeinde unentgeltlich abgetretene Grundflächen sowohl ins öffentliche Gut übertragen worden sind als auch der Stadt Wien der physische Besitz übergeben worden ist, kann mit dieser Begründung eine Entschädigungspflicht aus nachstehenden Erwägungen nicht verneint werden. Zunächst ist von einer Änderung bzw. einem Wegfall des Bebauungsplanes auszugehen, der zur Folge hat, daß nunmehr eine Verpflichtung zur unentgeltlichen Grundabtretung für Verkehrsflächen der Gemeinde im Sinne des § 17 BO nicht mehr besteht, weil diese Grundflächen - eine Einschränkung auf bestimmte Grundflächen wurde im ergänzenden Ermittlungsverfahren nicht genannt - nunmehr Autobahnzwecken zugeführt worden sind. So heißt es in der Stellungnahme der Straßenbauabteilung vom 28. Juni 1985, daß die Grundstücke im Zuge des Ausbaues der A 23 ohne Formalakt und unmittelbar von der Bundesstraßenverwaltung in Anspruch genommen worden seien. Diese unmittelbare Inanspruchnahme durch die Bundesstraßenverwaltung kann aber nur bedeuten, daß die Stadt Wien diese in ihrem Eigentum befindlichen Grundflächen der Bundesstraßenverwaltung überlassen hat. Legt man an diese Vorgangsweise den Maßstab des Gesetzes im Sinne des § 17 BO an, so hätte die Stadt Wien, bevor sie die Grundflächen der Bundesstraßenverwaltung zur Verfügung stellen durfte, mit Bescheid die Übergabe der Grundflächen verlangen müssen. Wenn der Wiener Magistrat einen solchen Auftrag nicht erlassen hat, so kann damit die tatsächliche Inanspruchnahme der Grundflächen durch die Bundesstraßenverwaltung nur als die von der belangten Behörde geforderte Übergabe des physischen Besitzes oder als ein Verzicht auf die Übergabe dieser Grundflächen unmittelbar an die Stadt Wien bewertet werden. Durch die von der Stadt Wien geduldete bzw. herbeigeführte Vorgangsweise der Bundesstraßenverwaltung war es nämlich der Beschwerdeführerin unmöglich gemacht worden, den physischen Besitz dieser Grundflächen an die Stadt Wien zu übergeben. Wenn also der Wiener Landesgesetzgeber im § 17 Abs. 1 BO zwischen einer Übertragung der Grundflächen ins öffentliche Gut und einer späteren Übergabe des physischen Besitzes unterscheidet, so kann diese Unterscheidung nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin dazu führen, daß die Stadt Wien durch ihr Verhalten die Übergabe des physischen Besitzes unmöglich gemacht hat. In Wahrheit war daher davon auszugehen, daß nach dem bisher ermittelten Sachverhalt die Grundflächen als von der Stadt Wien in den physischen Besitz übernommen zu beurteilen sind.

Da auf Grund der dem angefochtenen Bescheid rechtswidrig zugrunde gelegten Annahme einer nicht erfolgten Übergabe der Grundflächen in den physischen Besitz der Stadt Wien die belangte Behörde ihren Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet hat, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1987050211.X00

Im RIS seit

19.03.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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