TE Vwgh Erkenntnis 1991/3/22 86/18/0210

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.1991
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
StGB §34;
StVO 1960 §4 Abs1 litc impl;
StVO 1960 §4 Abs1 litc;
StVO 1960 §4 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs5 impl;
VStG §19;
VStG §20;
VStG §3 Abs1;
VStG §3 Abs2;
VStG §51 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin

Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Maximilian N gegen den Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 8. Juli 1986, Zl. VerkR-947/2-1985-II/Zei, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 8. Juli 1986 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe am 29. Juli 1984 nach einem Verkehrsunfall, der sich gegen 1.00 Uhr auf der Westautobahn bei der Abzweigung der Mühlkreisautobahn, Straßenkilometer 169,5 unter Eintritt von Sachschaden ereignet habe und an dem er ursächlich Beteiligter gewesen sei, jedoch noch vor Aufnahme dieses Verkehrsunfalles durch die Polizei Alkohol konsumiert und damit nicht an der Sachverhaltsfeststellung mitgewirkt. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 lit. c der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; die von der ersten Instanz verhängte Geld- und Ersatzarreststrafe wurde je auf die Hälfte, nämlich auf S 4.000,-- oder acht Tage Arrest, herabgesetzt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorliegen einer Gegenschrift der belangten Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde hat in schlüssiger Weise das Vorliegen einer Zurechnungsunfähigkeit beim Beschwerdeführer zur Zeit der Tat verneint. Der Beschwerdeführer irrt, wenn er, insbesondere durch seine Beweisanträge auf Vernehmung des Dr. A und der Monika N als Zeugen, die gewisse Symptome einer Gehirnerschütterung bekunden sollen, den Beweis der Zurechnungsunfähigkeit zu erbringen glaubt. Unter Gehirnerschütterung versteht die Medizin eine traumatisch bedingte reversible Schädigung des Gehirns ohne anatomisch faßbares Substrat (Pschyrembel, Medizinisches Wörterbuch255, Seite 302). Eine Gehirnerschütterung kann verschiedenen Grades sein, weshalb nur aus Symptomen auf Gehirnerschütterung, nicht aber aus einer abstrakten Diagnose, vielmehr Benennung als "Gehirnerschütterung" auf Symptome geschlossen werden kann. So können "Bewußtseinsstörungen" - dieser Begriff nicht im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG verstanden Ü - von leichter Benommenheit bis zum tiefen Koma reichen (Zetkin-Schaldach, Wörterbuch der Medizin, Berlin 1956, Seite 164). Es wäre also für den Beschwerdeführer nichts gewonnen, wenn ihm - selbst von einem Amtssachverständigen - gleichsam attestiert würde, er habe an "Gehirnerschütterung" zur Zeit der Tat gelitten, wenn hiebei von den konkreten Symptomen Abstand genommen würde. Mit diesen konkreten Symptomen hat sich aber sowohl der Amtssachverständige als auch die belangte Behörde ausreichend auseinandergesetzt. Die Ansicht des Beschwerdeführers, die Ermittlungsergebnisse in der Gendarmerieanzeige beruhten großteils auf anderen Quellen als auf seiner Vernehmung, ist darauf zu verweisen, daß er selbst um 12.45 Uhr des Tattages niederschriftlich im Ausmaß von rund zwei Maschinschriftseiten vernommen wurde (Dauer der Vernehmung bis 13.30 Uhr) und daß der Amtssachverständige insbesondere aus dieser Niederschrift entsprechende Schlüsse ziehen konnte.

Unter diesen Gesichtspunkten unterlief der belangten Behörde - obwohl sie über den Fristverlängerungsantrag des Beschwerdeführers vom 26. Juni 1986 abzusprechen gehabt hätte - kein relevanter Verfahrensverstoß im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG, wenn sie dies nicht tat und demnach die im Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 4. Juli 1986 beantragte Vernehmung der Zeugen Dr. A und Monika N nicht durchführte.

Was die Unterlassug der Vernehmung des Zeugen L im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren anlangt, so ist darauf zu verweisen, daß dieser im Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 13. November 1984 zur Frage der Alkoholisierung des Beschwerdeführers beantragt wurde - ein Alkoholisierungstatbestand im Sinne des § 5 StVO wurde dem Beschwerdeführer aber nicht zum Vorwurf gemacht.

Es ist unerfindlich, was die Frage des angeblichen "Querfeldeingehens" des Beschwerdeführers nach dem Verkehrsunfall über die Frage seiner Zurechnungsunfähigkeit gebracht haben sollte: Der Beschwerdeführer selbst gab am 29. Juli 1984 an, er sei nach dem Verkehrsunfall am Pannenstreifen bis zur Ausfahrt Neue Welt und von dort noch 1 Kilometer nach Hause gegangen. Warum ein solcher Fußmarsch Zeichen einer Geistesstörung sein soll, ist nicht einsehbar.

Hinsichtlich des behaupteten Unfallschocks sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen:

Ein sogenannter "Unfallschock" kann nur in besonders gelagerten Fällen und bei gravierenden psychischen Ausnahmesituationen das Unterlassen eines pflichtgemäßen Verhaltens entschuldigen. Einem dispositionsfähig gebliebenen Unfallbeteiligten ist trotz eines sogenannten "Unfallschrecks" in Verbindung mit einer begreiflichen affektiven Erschütterung pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, weil von einem Kraftfahrer, welcher die Risken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß an Charakter- und Willensstärke zu verlangen ist, daß er den Schreck über den Unfall und die etwa drohenden Folgen zu überwinden vermag (Erkenntnis vom 11. Dezember 1978, Slg. N.F. Nr. 9719/A). Dafür, daß der geistige Zustand des Beschwerdeführers zur Tatzeit über den üblichen "Unfallsschreck" hinausging, fanden sich im gesamten Verwaltungsstrafverfahren keine Anhaltspunkte.

Wie bereits oben ausgeführt, unterlief der belangten Behörde durch die Nichterledigung des Fristverlängerungsantrages ein Verfahrensfehler. Daß dieser Fehler auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides Einfluß haben konnte, könnte nur dann gesagt werden, wenn der Beweisantrag vom 4. Juli 1986 zu wesentlichen Sachverhaltsfragen relevante Beweismittel angeboten hätte: Dies ist, wie bereits ausgeführt, hinsichtlich der Zeugen Dr. A und Monika N sowie Rudolf L nicht der Fall. Auch das amtsärztliche medizinische Gutachten ist schlüssig und bedarf keiner Ergänzung.

Schließlich brachte der Beschwerdeführer in diesem Schriftsatz vor, er habe ein Monatseinkommen von netto S 12.000,-- und sei sorgepflichtig für eine Ehefrau und für ein Kind, er habe kein Vermögen.

In Anbetracht der auch in der Straffrage erhobenen Rüge ist dazu folgendes zu sagen:

Der Beschwerdeführer wurde von der belangten Behörde mit Schreiben vom 15. April 1986 im Wege der Bundespolizeidirektion Linz aufgefordert, seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse bekanntzugeben. Laut Bericht der letztgenannten Behörde vom 9. Juni 1986 verweigerte der Beschwerdeführer gegenüber dem Sicherheitswachebeamten P eine diesbezügliche Auskunft; eine solche Auskunft könne nur sein Rechtsanwalt geben. Nun wurde diesem Rechtsanwalt am 24. Juni 1986 eine schriftliche Aufforderung vom 20. Juni 1986 zur Bekanntgabe der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse zugestellt, auf welche Aufforderung nur die verspätete Bekanntgabe im Schriftsatz vom 4. Juli 1986 erfolgte.

Es ist aber im Ergebnis trotzdem von diesen verspäteten Angaben auszugehen, weil die belangte Behörde, die laut Seite 9 des angefochtenen Bescheides mit einer Schätzung vorging, über das Ergebnis dieser ihrer Schätzung nichts aussagte.

Geht man von den vom Beschwerdeführer zuletzt angegebenen Einkommens- und Familienverhältnissen aus, so entspricht die von der Berufungsbehörde auf die Hälfte herabgesetzte Geld- und Ersatzarreststrafe durchaus den Strafbemessungsgrundsätzen des § 19 VStG. Zurecht wurde kein Umstand als mildernd und keiner als erschwerend gewertet, weil der bloße Mangel "einschlägiger" Verwaltungsvorstrafen noch keine gänzliche, d.h. absolute Unbescholtenheit im Sinne des in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes angenommenen Milderungsgrundes (siehe hiezu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, unter Nr. 47 und 48 zu § 19 VStG abgedruckten Entscheidungen) bedeutet.

Da es der Beschwerde somit nicht gelungen ist, die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer SachverständigerMitwirkung und Feststellung des SachverhaltesDefinition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 UnfallschockNachtrunkErschwerende und mildernde Umstände AllgemeinStrafmilderungsrechtMeldepflichtErschwerende und mildernde Umstände Vorstrafen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1986180210.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten